„The golden Age is coming“

Der Autor nimmt die ökonomischen Folgen der US-amerikanischen Zollpolitik unter die Lupe. Er geht davon aus, dass die Weltwirtschaft in Schwierigkeiten kommt, wenn bei ihrer steigenden Arbeitsproduktivität und erweiternden kapitalistischen Mehrwertproduktion eine entsprechende Ausdehnung des Marktes zur Realisierung des Mehrwertes ausbleibt.

Von Robert Schlosser

Bild: freepic

Wir leben zweifellos nicht im Jahr 1930, als der Smoot-Hawley Tariff Act in den USA in Kraft trat. Das Gesetz sollte durch Zölle auf tausende von Waren zusätzliche Einnahmen für die US-Regierung bringen und gleichzeitig Bauern sowie Industrien schützen. Stattdessen entwickelte sich ein Handelskrieg zwischen den kapitalistischen Ländern. Andere Staaten reagierten auf den Protektionismus der USA ebenfalls mit Zollerhöhungen. Der sich verallgemeinernde Protektionismus sorgte schließlich dafür, dass die schwere Wirtschaftskrise, die mit dem „Schwarzen Freitag“ von 1929 begann, sich in eine lang anhaltende und schwere Depression der Weltwirtschaft verwandelte. Alle ernst zu nehmenden Ökonom:innen und Ökonomiekritiker:innen sind sich darin einig, dass der Handelskrieg sich verheerend auf die erweiterte Reproduktion von Kapital („Wachstum“) auswirkte.1

Ein „revolutionärer Denker“ kommt jetzt zu ganz anderen Erkenntnissen. Unter dem Titel „Trump erklärt Handelskrieg und Zölle mit wirren Thesen“ heißt es in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau vom 3. April:

„So erklärte Trump, dass die USA die Große Depression mit Zöllen hätten vermeiden können. (…) Während seiner Rede deutete Trump an, dass der wirtschaftliche Abstieg der USA bereits 1913 begonnen habe, als die Einkommenssteuer eingeführt wurde. ‚Im Jahr 1913 wurde aus Gründen, die der Menschheit unbekannt sind, die Einkommenssteuer eingeführt, sodass nicht mehr ausländische Staaten, sondern die Bürger selbst das Geld für den Betrieb unserer Regierung zahlen mussten‘, so Trump. Weiterhin sagte er: ‚Dann, im Jahr 1929, fand das alles ein abruptes Ende mit der Großen Depression. Und das wäre niemals passiert, wenn sie bei der Zollpolitik geblieben wären.‘“

„Libertären“ Größen des Geistes wie Trump erscheint es ganz unerhört, wenn Einkommenssteuern für „den Betrieb der Regierung“ eines Landes erhoben werden. Zumindest für den Betrieb der US-amerikanischen Regierung sollen gefälligst „ausländische Staaten“ das nötige Geld zahlen. Was soll man auch von jemandem erwarten, der im Kampf gegen das Coronavirus Desinfektionsmittel spritzen lassen wollte? Es soll hier jedoch überhaupt nicht um die Blödheit gehen, mit der Reaktionäre wie Trump ihre Politik begründen2, sondern um die politische Praxis selbst und was sie für die kapitalistische Ökonomie und die darauf gegründete Gesellschaft bedeutet.

Hätten die USA und andere Staaten auf die 2008 sich verallgemeinernde Wirtschaftskrise mit einer Handelspolitik reagiert, wie Trump sie jetzt in die Tat umsetzt, dann wäre sie nicht so glimpflich abgelaufen. Man hätte dann vermutlich nicht nur „in den Abgrund geschaut“ (Peer Steinbrück), sondern wäre in ihn hinabgestürzt – ähnlich wie nach 1930. Damals funktionierte die unter Führung der USA nach dem Zweiten Weltkrieg installierte „kooperative Wirtschaftsordnung“ noch. Alle wichtigen kapitalistischen Länder reagierten auf gleiche oder ähnliche Weise, um die spontane Krisendynamik zu brechen und die drohende Depression zu verhindern oder zu verkürzen. Der ruinöse Kampf der „verfeindeten Brüder“ blieb aus.

Aus Sicht der marxschen Kapitalkritik verlangt die sich auf Basis steigender Arbeitsproduktivität erweiternde kapitalistische Mehrwertproduktion eine entsprechende Ausdehnung des Marktes zur Realisierung des Mehrwerts. Sind praktisch alle Länder in den kapitalistischen Weltmarkt integriert, nachdem Kolonialismus und Staatssozialismus Geschichte sind, so verlangt Ausdehnung des Weltmarktes vor allem Freihandel, eine Welt, in der das Kapital sich frei bewegen kann und vor allem die Höhe der Arbeitsproduktivität über Erfolg oder Misserfolg in der Konkurrenz entscheidet. Ein solcher Freihandel führt weder zu einer von Wirtschaftskrisen freien Entwicklung noch zu einer Aufhebung der enormen Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Länder, aber er ist notwendige Bedingung für das Wachstum des Kapitals im Allgemeinen oder für allgemeines, weltweites kapitalistisches Wachstum. Indem der Freihandel die Akkumulation von Kapital begünstigt, fördert er zugleich die Tendenzen zur Überakkumulation und damit zur Krise. Den sozialen Preis dafür zahlen primär Lohnarbeiter:innen und freigesetzte, zur Lohnabhängigkeit ohne Lohnarbeit verdammte Subsistenz- und kleine Warenproduzent:innen weltweit.

Länder, die die Industrialisierung nachholen, die Anschluss gewinnen wollen an die entwickeltesten kapitalistischen Länder, können jedoch auf Protektionismus, Schutz des nationalen Marktes nicht verzichten. Ihr Erfolg hängt wesentlich von ihrem Protektionismus und dem vorherrschenden Freihandel auf dem Weltmarkt ab. Diese Zusammenhänge lassen sich recht gut an den tatsächlichen ökonomischen Entwicklungen in der Welt ablesen.3

Die Situation heute ist wesentlich anders als 1930 und auch 2008. Trump reagiert mit seiner Zollpolitik nicht auf eine spontan einsetzende und sich rasch entwickelnde Wirtschaftskrise. Sein Protektionismus zielt vorwiegend darauf ab, den drohenden Verlust der US-Dominanz in der Weltwirtschaft zu verhindern. Was in der ökonomischen Konkurrenz immer weniger gelingt, soll nun durch Staatsintervention mit politischen Mitteln erzwungen werden. Die USA seien über Jahrzehnte von ihren Handelspartnern „geplündert, gebrandschatzt und vergewaltigt“(Trump) worden. Wie die USA dennoch seit Jahrzehnten ihre führende Position in der Weltwirtschaft ausbauen konnten, wird so zu einem großen Rätsel. Erst mit dem nicht zuletzt durch US-amerikanische Investitionen in Gang gesetzten Aufstieg Chinas zur zweitgrößten kapitalistischen Wirtschaftsmacht ist diese Dominanz in Gefahr. Der Protektionismus der USA richtet sich daher auch vor allem gegen China.

Wenn hier von den USA oder China die Rede ist, dann sollte nicht vergessen werden, dass es kapitalistische Unternehmen sind, die Waren produzieren und verkaufen. Nicht Staaten! Trump und seinesgleichen schwätzen immer nur von Staaten. Deren Regierungen setzen Rahmenbedingungen für den Handel, die sich entweder stärker am Freihandel oder am Protektionismus orientieren. Vom Freihandel profitieren am meisten die Einzelkapitale mit der höchsten Arbeitsproduktivität und besonders jene, die durch technologischen Vorsprung in Schlüsseltechnologien marktbeherrschend sind. Der Vorsprung in der Arbeitsproduktivität und technologischer Vorsprung in Schlüsseltechnologien waren lange Zeit der Garant für die Vorherrschaft der US-amerikanischen Wirtschaft. Diese Zeiten nähern sich dem Ende. Trump will alle Unternehmen, die nicht in den USA produzieren und in ihren Branchen dem US-Kapital in der Konkurrenz überlegen sind, „bestrafen“. Er will ihren ökonomischen Erfolg mit politischen Mitteln brechen. Dafür nimmt er eine Rezession in Kauf und erwartet von der Bevölkerung der USA, dass sie durchhält, bis das versprochene goldene Zeitalter anbricht. Wie nach dem Zweiten Weltkrieg? Trump ist nicht nur eine Knalltüte, sondern auch eine sehr gefährliche Knalltüte!

China ist im Bewusstsein seiner Stärke offensichtlich dazu bereit, mit gleicher Münze heimzuzahlen und Zölle in gleicher Höhe zu erheben. Sollte auch die EU als dritte große Wirtschaftsmacht der Welt sich zu einer ähnlichen Reaktion durchringen, dann braucht es nur noch etwas Zeit, bis die drastischen Zölle sich in ebenso drastischen Preiserhöhungen für Produktions- und Konsumtionsmittel niederschlagen. Ist es so weit, dann werden Waren in großem Umfang unverkäuflich und die Überproduktionskrise wird sich als Weltwirtschaftskrise entfalten. In Anbetracht der enormen Überakkumulation von Kapital in allen seinen Formen ist eine gigantische Entwertung und Vernichtung von Kapital dann nicht ausgeschlossen. Die sozialen Konsequenzen kann man sich kaum ausmalen.

Als Kommunist sehe ich das heute mit sehr gemischten Gefühlen. Seit dem Scheitern der europäischen Revolutionen von 1848/49 waren Marx und Engels überzeugt: „Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krise. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese.“4 Seit diese Sätze geschrieben wurden, hat es viele zyklische Krisen der Kapitalakkumulation gegeben. Nicht einmal die große Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre hatte eine Revolution zur Folge, wie sie Marx und Engels damals vorschwebte. Es existiert kein Automatismus, der eine kapitalistische Krise in eine beginnende soziale Revolution umschlagen lässt. Sicher erscheint aber auch, dass eine große soziale Revolution, die auf die ökonomische Befreiung von Lohnarbeit zielt, nur möglich wird auf Basis einer allgemeinen Weltwirtschaftskrise, die die Lebensverhältnisse der Masse der Lohnarbeiter:innen in allen entwickelten kapitalistischen Ländern grundlegend erschüttert. Ohne diese Voraussetzung kann es überhaupt nicht zu einer kommunistischen Revolution kommen.

Die bisherigen revolutionären Versuche von Lohnarbeiter:innen, den Kapitalismus zu überwinden und sich ökonomisch zu befreien (hauptsächlich die Pariser Kommune, die Russische Revolution und Revolutionen in Deutschland und Ungarn), entwickelten sich alle auf Basis eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs, der allerdings jeweils Folge eines Krieges war. In diesen revolutionären Versuchen handelten Lohnarbeiter:innen als politisch selbstständige Klasse, mit einem mehr oder weniger entwickelten Klassenbewusstsein, von dem heute nicht mehr viel übrig geblieben ist. Ein radikales Bedürfnis nach ökonomischer Befreiung und allgemeiner sozialer Emanzipation wird von Lohnarbeiter:innen in den entwickelten kapitalistischen Ländern kaum noch artikuliert. Wer das tut, gehört zu einer einflusslosen Minderheit, die obendrein in Sekten zersplittert ist und teilweise Ziele propagiert, deren praktische Umsetzung im Staatssozialismus man nur als antikommunistisch bezeichnen kann.

Man kann als individuelle Lohnarbeiterin in einem entwickelten kapitalistischen Land heute teilweise ein ganz passables Leben führen. Das ändert aber nichts daran, dass die Arbeits- und Lebensumstände der Lohnarbeiter:innen und Erwerbslosen weltweit beschissen sind und nach ökonomischer Befreiung verlangen. Die Notwendigkeit einer sozialrevolutionären Umgestaltung der Gesellschaft mit dem Ziel der „Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht“ (Marx) auf der Basis von Gemeineigentum an Reproduktionsmitteln in Selbstverwaltung ist nicht vom Tisch.

Sie wird aber erst zu einer praktischen Notwendigkeit vor dem Hintergrund einer tiefen Krise der von Kapitalverwertung abhängigen gesellschaftlichen Reproduktion. Es ist dabei ganz gleichgültig, ob diese Krise sich einstellt als Resultat spontaner Marktentwicklung, der Zerstörung der stofflichen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten oder als Resultat von protektionistischer Staatsintervention in den „freien Markt“, wie sie Trump und Konsorten gerade in die Tat umsetzen. Letztlich ist das ganze Schlamassel ein Produkt des Privateigentums.

Gemischt sind meine Gefühle, weil ich einerseits die Bedrohung sehe, die von einer tiefen Krise der gesellschaftlichen Reproduktion ausgeht, und andererseits die geringen Chancen für eine soziale Revolution. Diese Chancen werden außerdem dadurch getrübt, dass die Macht in Händen von einem Typen wie Trump für eine weltweite Rechtsentwicklung steht, die entweder bereits in etlichen Ländern solche Reaktionäre an die Macht gebracht oder zumindest bedrohlich gestärkt. Sofern sich dagegen überhaupt Widerstand entwickelt, will er jene Formen bürgerlicher Demokratie erhalten, in deren Schoß ebendiese reaktionären Kräfte erstarken. Wie die „Krise der Demokratie“ und der für sie einstehenden Parteien mit der immer bedrohlicheren Entwicklung der Kapitalakkumulation zusammenhängt, die immer neue Probleme schafft, ohne dass die Politik auch nur eines von ihnen wirklich lösen könnte, wird in aller Regel ignoriert. Das Bekenntnis zum Privateigentum verbindet letztlich die Reaktionäre mit den Liberalen und Sozialliberalen. Ohne radikale Kritik am Privateigentum hat der Widerstand gegen die Rechtsentwicklung wenig Aussicht auf Erfolg.

  • 1. Kürzlich warnte der langjährige Generaldirektor der Welthandelsorganisation Roberto Azevdo: „Erinnern Sie sich, was in den 1930er-Jahren passierte, als die USA die Zölle mit dem Smoot-Hawley-Zollgesetz angehoben hatten und sich dann die anderen Länder mit Gegenzöllen rächten? Es kam zu einer weltweiten Zoll-Eskalation. Und wir verloren zwei Drittel des weltweiten Handels in nur fünf Jahren.“
  • 2. Über den „Arcchitekten“ von Trumps Zoll-Politik (Peter Navarro)  sagt eine andere geistige Größe aus Trumps Mannschaft (Elon Musk), er sei „wirklich ein Idiot“ und „dümmer als ein Sack Ziegel“. (Vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/musk-kritik-100.html.)
  • 3. Vergleiche zu den hier angesprochenen Punkte auch mein Arbeitsmanuskript über Freihandel, Protektionismus und Kapitalakkumulation: https://www.robert-schlosser.de/Web_Buchprojekt/_private/Freihandel%20und%20Protektionismus.pdf.
  • 4. Karl Marx, Friedrich Engels: Revue, in: MEW, Bd. 7, S. 440.

Erstveröffentlicht im Portal communaut am 3.5. 2025
https://communaut.org/de/golden-age-coming

Wir danken für das Publikationsrecht.

Arbeitszeitgesetz: 8-Stunden-Tag verteidigen!

Am 29. März dieses Jahres zogen IG Metaller:innen vor das Kanzleramt, um Friedrich Merz, noch vor seinem Einzug, vor Angriffen auf die Arbeitszeit lautstark zu warnen (siehe Titelbild).

M. Molde zeigt in einer sehr differenzierten und fundierten Analyse auf, dass das Arbeitszeitgesetz in der Praxis bereits an vielen Stellen weichgespült ist. Die jetzt geplanten gesetzlichen Änderungen werden zunächst vor allem die tariflich nicht gebundenen Beschäftigten treffen, aber schließlich den Druck auf alle erhöhen.

Die Gewerkschaftsbürokratie habe sich längst arrangiert.

Der massiv erhöhte Drang zu Mehrarbeit, um die Profite zu sichern, hat aber nicht allein die angespannte stagnierende wirtschaftliche Lage und gestiegene internationale Konkurrenz als Ursache. Der Weg in die Kriegswirtschaft und die damit einhergehende Schuldenbedienung fressen insgesamt ca. 7 Prozent gesellschaftlich sinnvoller Arbeit weg. Bunkeranlagen ersetzen eben keine Wohnungen, in Panzern lässt sich nicht in Urlaub fahren und Artilleriemunition kann man nicht essen. Wir werden also alle angesichts des eingeschlagenen Kriegskurses allein dafür mindestens 3 Stunden pro Woche länger arbeiten müssen, um den sozialen Lebensstandard zu halten. Dabei sind die immensen Folgekosten, die – wenn überhaupt – nur durch exponentielle Mehrarbeit kompensiert werden könnten, für Inflationsausgleich, Umwelt und kriegerische Zerstörung nicht eingerechnet. Wer da noch von „guter Arbeit“ für ein „auskömnliches Leben“ spricht, verbreitet faustdicke Illusionen.

Eines ist sicher: Sollte es in dem gegenwärtigen Kampf um weltweite Hegemonie wider aller Vernunft jemals Sieger geben, so werden auch deren Beschäftigte in den Ruin getrieben. Sie werden sich quasi „zutode“ arbeiten müssen um zu überleben.

(Peter Vlatten)

Arbeitszeitgesetz: 8-Stunden-Tag verteidigen!

Mattis Molde, Neue Internationale 293, Juli / August 2025

Seit Deutschland wirtschaftlich stagniert, heulen die Vertreter:innen und Propagandist:innen des Kapitals, dass alle mehr arbeiten müssten: länger, intensiver und mit weniger Ausfall z. B. durch Krankheit. Der frühere Wirtschaftsminister Habeck klopfte noch entsprechende Sprüche, die neue Regierung versucht im Koalitionsvertrag Nägel mit Köpfen zu machen:

Auswirkungen auf die Beschäftigten

  • Der 8-Stunden-Tag soll fallen.
  • Eine wöchentliche Höchstgrenze von 48 Stunden soll stattdessen gelten.
  • Überstundenzuschläge sollen steuerfrei werden.

Was bedeutet das für die Beschäftigten? Wie wollen die Unternehmen dadurch profitieren? Schon heute hat nur noch eine Minderheit einen fixen 8-Stunden-Tag. So kann der Arbeitstag auf 10 Stunden ausgedehnt werden, wenn innerhalb von 6 Monaten ein Ausgleich erfolgt. Dies geschieht oft schon dadurch, dass der Samstag gesetzlich auch ein Arbeitstag ist. Im Grunde gibt es also bereits eine 48-Stunden-Woche. Aus dieser Sicht bedeutet der Vorstoß der Regierung also vor allem die Aufhebung der täglichen 10-Stunden-Grenze und die Ermöglichung von 13-Stunden-Schichten. Zweifellos stellt das einen Aspekt der Verschlechterungen dar, aber, wie wir sehen werden, keineswegs den einzigen.

Auch jetzt gibt es schon viele Möglichkeiten der Flexibilisierung. Aber trotz dieser schon vorhandenen Spielräume für den flexiblen, dem Kapital angepassten Einsatz von Arbeitskräften sind diese für die Unternehmen längst nicht genug, gelten als immer weniger hinnehmbare Einschränkungen – und sollen daher durch eine gesetzliche Neuregelung weiter geschliffen werden.

Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen

Wie einzelne Beschäftigte von einer Gesetzesänderung betroffen sein könnten, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab. Ein ganz wesentlicher besteht darin, ob die Lohnabhängigen unter tarifliche Regelungen fallen oder nicht. Denn die Länge der Arbeitszeit wird nicht nur im Gesetz, sondern auch in Tarifverträgen (TV) und im individuellen Arbeitsvertrag geregelt. Die Lage der Arbeitszeit, also z. B. von Schichten, von Gleitzeit und Zeitkonten oder von Homeoffice, kann in Betriebsvereinbarungen geregelt werden – wenn es einen Betriebs- bzw. Personalrat gibt.

Die Fünftage-Woche, die im bestehenden Gesetz nicht vorkommt, wird überwiegend im TV vereinbart, der z. B. festlegt, dass die Regelarbeitszeit 35 Stunden von Montag bis Freitag beträgt. Analog dazu kann ein TV auch 38,5 Stunden an 5 Tagen von Montag bis Samstag enthalten. Ähnlich lauten die entsprechenden Formulierungen dann in Arbeitsverträgen. Aber dort, wo keine Tarifverträge bestehen, können eben auch 6 Arbeitstage vereinbart werden, bzw. dort, wo rund um die Uhr gearbeitet wird, 5 bzw. 6 Arbeitstage von Montag bis Sonntag.

Nicht übersehen sollte man dabei, dass Tarifverträge den gesetzlichen Arbeitszeitrahmen nicht nur einschränken, sondern ihn auch erweitern können: Das Arbeitszeitgesetz sieht schon heute Bereiche vor, in denen zum Beispiel längere tägliche Arbeitszeit oder Sonntagsarbeit ermöglicht wird (Landwirtschaft, Pflege, Kultur … ). Weitere Ausnahmen sind möglich unter der Bedingung, dass TV oder Betriebsvereinbarungen dies regeln und/oder Aufsichtsbehörden dies genehmigen.

Dabei darf man nicht vergessen, dass die Tarifbindung weiter gesunken ist: Laut Statistischem Bundesamt gelten Tarifverträge nur für 50 % der Beschäftigten in Westdeutschland, im Osten gar für nur 42 %.

Die Schere geht auf

Damit wird klar, dass sich das Vorhaben der Regierung und des deutschen Kapitals in erster Linie und unmittelbar gegen die Beschäftigten richtet, die über keinen tariflichen Schutz verfügen und die zusätzlich kaum Information oder Beratung durch Gewerkschaften erhalten, die ja in dieser komplizierten Rechtslage doppelt notwendig wären. Gerade Menschen, die selbst schon unter erschwerten und schikanösen Bedingungen leiden, z. B. Bürgergeldempfänger:innen, werden hier besonders starkem Druck ausgesetzt sein, möglichst flexibel im Sinne des Kapitals zu handeln. Die ersten Opfer der drohenden Gesetzesänderung werden vor allem Migrant:innen und Menschen in Ostdeutschland sein, Frauen und Jugendliche werden ebenfalls stärker betroffen sein. Ihnen werden ihre Arbeit„geber“:innen erklären, dass sie mit der Änderung des Gesetzes eben noch länger zur Verfügung stehen müssten, und zwar genau dann, wenn es für die Unternehmen am meisten Profit bringt.

Das Magazin „Markt und Mittelstand“, nach eigener Darstellung „das Unternehmermagazin für den deutschen Mittelstand“, erklärt denn auch auf seiner Website: „Von der geplanten Flexibilisierung würden vor allem Branchen mit wechselndem Arbeitsanfall oder Schichtbetrieb profitieren.“ Dazu zählen insbesondere:

  • Baugewerbe
  • Einzelhandel
  • Gastronomie
  • Projektarbeit.

In diesen Bereichen könnten Belastungsspitzen durch ruhigere Tage ausgeglichen werden. Wo Anwesenheitspflicht besteht – etwa im Supermarkt oder in der Produktion –, könnten sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen von der größeren Flexibilität profitieren. “

In der industriellen Produktion, z. B. der Autoindustrie, wird eine solche Gesetzesänderung die vielen Tausenden Beschäftigten treffen, die nicht zur Stammbelegschaft gehören, also jene mit Werksverträgen oder in Leiharbeitsverhältnissen.

In diesem Punkt wird die Entwicklung auch die durch Tarifvertrag, Betriebsrat und Betriebsvereinbarung geschützten Teile der Belegschaften und der Klasse insgesamt treffen. Diese Schichten, die heute eine Minderheit der Arbeiter:innenklasse in Deutschland darstellen und überwiegend als Arbeiter:innenaristokratie betrachtet werden müssen, werden durch die Entrechtung und gesteigerte Ausbeutung der unteren Schichten der Klasse weiter unter Druck gesetzt werden, zugunsten ihrer gehobenen Stellung Zugeständnisse zu machen. Betriebsräte und Gewerkschaften werden diese natürlich fein säuberlich in „Standort-“ oder „Zukunftssicherungsverträge“ verpacken.

Das vergiftete Bonbon

Das Angebot des Koalitionsvertrages, zugleich mit der Flexibilisierung und Verbilligung der Arbeitskraft Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge anzubieten, bekommt hier seinen Sinn. Zuschläge für Überstunden gibt es fast nur in den hochorganisierten Bereichen der Industrie, sie müssen in Tarifverträgen geregelt sein. In der Metall- und Elektroindustrie beispielsweise gibt es 25 % auf die ersten zwei Überstunden pro Tag, für die dritte sogar 50 %. Aufgrund der flexiblen Arbeitszeit und von Schichtmodellen kommen diese Zuschläge aber immer weniger zur Auszahlung, denn solche Überstunden wandern auf Zeitkonten. Im TVöD wird z. B. akribisch zwischen Überstunden und Mehrarbeit unterschieden. Letztere steht im Dienstplan und wird über einen längeren Zeitraum ohne Zuschläge ausgeglichen. Nur wenn diese in Einzelfällen so überlaufen, dass die Zeiten nicht mehr abgefeiert werden können, kommt es zur Auszahlung. Hier ist es schon in den hochorganisierten Bereichen der IG Metall schwierig, die Zuschläge durchzusetzen.

In der bundesdeutschen Realität gibt es viel mehr geleistete Überstunden, die gar nicht oder nur teilweise bezahlt, als solche, die mit Zuschlag bezahlt werden. Gerade im Handel oder der Gastronomie wird oft erwartet, dass Beschäftigte vor und nach der Geschäftsöffnung vorbereiten oder aufräumen, aber nur die eigentliche Ladenöffnungszeit wird bezahlt.

Das Grundbestreben der Gesetzesänderung ist ja gerade, die Begrenzung des Arbeitstages aufzuheben. Wann sollen denn dann die „Überstunden“ beginnen? Der einzige logische Schluss ist, dass Überstunden pro Woche abgerechnet werden. Es geht also darum, eine dauerhafte Ausweitung der Arbeitszeit für bestimmte Unternehmen und Branchen attraktiv zu machen. Die „Steuerfreiheit“ wird – nach den Erfahrungen mit der „Inflationsausgleichsprämie“ – vermutlich mit Beitragsfreiheit zur Sozialversicherung kombiniert werden.

Damit stellt dieses „Angebot“ eine staatliche Lohnsubvention dar: Die Unternehmen müssen auf jeden Fall deutlich weniger Zuschlag bieten, damit Beschäftigte den gleichen Nettobetrag erhalten. Vermutlich werden sie ebenfalls die Sozialversicherungsbeiträge einsparen. Den Beschäftigten würden diese an der Rente fehlen und den Krankenkassen im Budget.

Die Gewerkschaftsbürokratie

In der Stellungnahme des DGB zum Koalitionsvertrag wird das Vorhaben kritisiert. Betont wird die Gesundheitsgefährdung durch 13-Stunden-Schichten. Aber diese Bedenken kommen nach den Lobliedern auf die neue Regierung, die als die Vollstreckerin gewerkschaftlicher Forderungen präsentiert wird: Der Koalitionsvertrag, so hören wir vom DGB„bietet Perspektiven für die Beschäftigten und für Wachstum in unserem Land.“ Und deshalb: „Sobald die neue Regierung im Amt ist, muss sie die notwendigen Schritte schnell und entschlossen umsetzen.“

Der Angriff auf den 8-Stunden-Tag erscheint jedenfalls nicht als etwas Bekämpfenswertes, der DGB will ihn in einem Hinterzimmergespräch mit Kapital und Regierung erledigen: „Wir erwarten von der Politik, dass sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse ernst nimmt und mit den Sozialpartnern gemeinsam an guten, fairen Lösungen arbeitet – und nicht Regelungen verfolgt, die zulasten der Beschäftigten gehen.“

Generell sei der Koalitionsvertrag ja davon geprägt, das „Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft zu erneuern … Dieses Grundverständnis ist deutlich positiver als die Vorschläge aus der neoliberalen Mottenkiste, die in den vergangenen Monaten insbesondere von Arbeitgeberverbänden gemacht wurden – wie etwa die Forderung nach Streichung eines Feiertags.“

Wenn ein Angriff auf eine historische Errungenschaft nicht einmal viertelherzig zurückgewiesen und stattdessen das vage Gesülze von „sozialer Marktwirtschaft“ gepriesen wird, dann stinkt das danach, dass die ebenfalls gepriesene „Sozialpartnerschaft“ hier schon im Vorfeld praktiziert worden ist.

Ähnlich wie 2022, als vor den Tarifrunden in einer Konzertierten Aktion mit Kapital und Kanzler eine „Inflationsausgleichsprämie“ verhandelt worden war, die als Hebel diente, dauerhaft die Reallöhne zu senken, die Rentenansprüche und Lohnersatzleistungen gleich mit, ähnlich wie beim Angriff auf den Streik vor rund 10 Jahren scheinen die Angriffe vorher abgeklärt worden zu sein.

Die Gewerkschaften verlangen Investitionen, statt gegen Arbeitsplatzabbau zu kämpfen, was das Kapital freut. Sie stimmen der Aufrüstung zu und nehmen Arbeitsplatzsicherung in der Metallindustrie hin. Sie ziehen eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit der Streichung eines Feiertags vor: Gegen die Streichung des 1. Mai als Feiertag, wie es der Wunsch der Kapitalist:innen war, müsste auch der/die faulste DGB-Bürokrat:in mobilisieren, die Flexibilisierung soll stattdessen im unklaren Phrasengeblubber durchplätschern.

Vor allem würde die Streichung eines Feiertags alle Beschäftigten treffen, und zwar ziemlich gleich. Die Flexibilisierung trifft die Schicht der Klasse, auf die sich die Bürokratie stützt, am wenigsten und tendenziell später. Sie wird immer noch ihre relativ besseren Arbeitsbedingungen behalten und es werden vor allem die Schichten der Klasse getroffen werden, die von der Gewerkschaftsbürokratie in den letzten zwei Jahrzehnten zur Überausbeutung freigegeben worden sind.

Es sieht ganz so aus, als ob die engste Führungsschicht der Bürokratie an dem Koalitionsvertrag beteiligt war, direkt oder indirekt, auf jeden Fall mit Hilfe ihrer Beziehungen zur SPD. Tatsächlich ist ja auch die SPD an der Regierung nur deshalb beteiligt, weil sie die Gewerkschaften einbinden kann, so weit, dass sie die Arbe:innenklasse ruhig halten kann.

Aber was die Gewerkschaftsspitze hier vermutlich macht, ist nicht der miese Deal nach einem schlecht geführten Kampf, wie wir es gewohnt sind. Es ist die Gestaltung eines Angriffs auf die Klasse im Vorfeld. Die „Rettung der deutschen Wirtschaft“ ist die Rettung des deutschen Kapitals im internationalen Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten. Wem das übertrieben scheint, die/der schaue noch mal genauer den VW-Deal an, bei dem das Management alle Forderungen erfüllt bekommen hat und die IG Metall zufrieden war mit einem Kündigungsschutz für die Stammbelegschaft – was Zehntausenden anderen Arbeitslosigkeit und Lohnverlust bringt.

Daraus lässt sich ersehen, dass das neue Arbeitszeitgesetz ein Angriff auf alle ist, ein Einfallstor zur generellen Erhöhung der Ausbeutungsrate. Beim Kampf um Arbeitszeit geht es für das Kapital schließlich immer um die Frage, wie viel Mehrwert es aus der gekauften Arbeitskraft schlagen kann: sei es durch Verlängerung der Arbeitszeit, durch eine Intensivierung der Arbeit, durch Produktivitätssteigerung oder durch die Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft.

Die Erhöhung der Mehrwert- und dadurch auch der Profitrate stößt jedoch auf letzterem Gebiet an Grenzen. Aufgrund der Preissteigerung von grundlegenden Konsumgütern (z. B. Lebensmittel, Wohnen) können die Kosten für die Reproduktion der Arbeitskraft immer weniger gesenkt werden, ohne historisch errungene Lebensstandards der Arbeiter:innenklasse insgesamt zu schleifen oder die Reproduktionsfähigkeit ganzer Schichten in Frage zu stellen. Daher versucht das Kapital, seine Stellschrauben auch bei der Verlängerung des Arbeitstages und der viel intensiveren Nutzung der Arbeitskraft anzusetzen. Daher stellt der Angriff auf den 8-Stunden-Tag, mag er auch schon viel zu sehr unterhöhlt sein, einen wichtigen Teil des Generalangriffs auf alle Lohnabhängigen dar.

8-Stunden-Tag verteidigen!

Zu Recht erfüllt dieser viele aktive Gewerkschafter:innen mit Unbehagen und Empörung. Die Tatsache, dass die Führung diesen Angriff herunterspielt, darf niemanden davon abhalten, in den Betrieben und Gewerkschaftsstrukturen die praktischen Auswirkungen dieses Angriffs zu diskutieren und Aktionen zu verlangen und selbst zu organisieren. Dabei können die negativen Erfahrungen mit der Flexibilisierung aufgenommen werden.

Linke und Basisaktivist:innen sowie linke Gewerkschaftsstrukturen wie die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften können diese Erfahrungen sammeln und einen Austausch organisieren. Es muss genau darum gehen, Betriebe und Belegschaften ohne Tarifbindung und Betriebsräte in diese Bewegung einzubeziehen und ihnen zu helfen, sich zu organisieren. Wir können solche Basisinitiativen nutzen, um strategisch eine Opposition in den Gewerkschaften gegen die korrupte Führung aufzubauen!

Auch wenn der 8-Stunden-Tag schon jetzt durchlöchert ist, muss er mit den Mitteln des Klassenkampfes, mit politischen Demonstrationen und Streiks, verteidigt werden! Ziel muss es sein, die 5-Tage-Woche gesetzlich zu verankern und eine Reduktion der Arbeitszeit auf 30 Stunden/Woche durchzusetzen – bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Wir sollten alles dafür tun, dass es dieser Regierung schnell leid tut, den Finger an das Thema Arbeitszeit gelegt zu haben!

Der Beitrag ist im Original hier erschienen. Wir danken für das Publikationsrecht.

Titelbild: Collage Peter Vlatten, Bildmaterial von Beteiligten

Komitee der Hafenarbeiter: „ver.di muss jetzt gegenhalten!“

Die globalen Transportarbeitergewerkschaften und davon insbesondere die Hafenarbeiter:innen sind internationalistisch aufgestellt. Sie arbeiten an den Schaltstellen der internationalen Warenlogistik. Sie arbeiten vernetzt mit Beschäftigten aus allen Völkern, Nationen, Religionen und Kulturen. Das alles verleiht ihnen besondere Macht, aber auch Bewusstheit über die Ereignisse in der Welt und das Schicksal ihrer Kolig:innen. So kommt es, dass sie nicht nur hart um ihre ökonmischen Interessen kämpfen, sondern sich auch beispielhaft solidarisieren und zum Sand im Getriebe vor allem der imperialen Kriegslogistik werden. Immer wieder fallen sie auf durch Boykottmaßahmen gegen Waffenlieferungen. So kam es in den letzten beiden Jahren in vielen westlichen Ländern wie den USA, Schweden, Frankreich, Portugal , Griechenland , Italien usw. . zu Streiks – oft international vernetzt – gegen Waffenlieferungen nach Israel! “ Das Schicksal der Menschen in GAZA und unserer Kollegen dort geht uns nicht am Arsch vorbei“. [1]US Hafenarbeiter [2]ITF [3]Schweden

Auch in Deutschland mehren sich die Anzeichen, dass sich die Kolleg:innen in den Häfen nicht mehr länger an der Leine führen lassen wollen. Letztes Jahr kam es an den deutschen Häfen zu den intensivsten Streiks seit 40 Jahren. Gegen Sparmaßen, Inflationsauswirkungen und ein skandalöses Urteil, mit dem ein längerer Streik gerichtlich untersagt wurde. [4]Hafenstreik gegen Inflation: Angriff durch Polizei und Gerichte Der palästinensische Hafenarbeiter Mohammed Alattar appellierte vor einigen Monaten an seine Kolleg:innen im Hamburger Hafen und rief zur Solidarität mit GAZA auf. [5]https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/appell-eines-palaestinensischen-hafenarbeiters-an-seine-kollegen-im-hamburger-hafen-aber-auch-an-uns-alle/ Am 1.Mai dieses Jahres forderte das Hafenkomitee in Hamburg die Wiedereinstellung des stellvertretenden Vorsitzenden der schwedischen Hafenarbeitergewerkschaft Erik Helgeson, der wegen Waffenboykott gegen Israel gefeuert worden war (siehe Titelbild).

Das Hafenarbeiterkomitee mobilisiert nun in dem folgenden Aufruf, dass man sich in der diesjährigen Tarifrunde politisch nicht eingarnen lassen darf. Die jahrelange Sparerei auf dem Rücken der Beschäftigten muss ein Ende haben! Erfolg stellt sich nur bei kompromisslosem Kampf ohne Einbindung in die imperialen Interessen des Kapitals und seiner Vertreter ein. Dazu gehört gerade auch die internationale Solidrität! Und jede Form von Verzicht ist kontraproduktiv.

Aufruf des Komitee von Hafenarbeitern

Wofür soll ver.di kämpfen? Bei der letzten Hafenkonferenz in Undeloh stand Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich ganz oben auf der Liste. Eine richtige Forderung. Aber Fakt ist auch: Der Wind bläst gerade aus der anderen Richtung. Wir sollen mehr arbeiten und den Gürtel enger schnallen. Im Kampf für unsere Interessen stoßen wir auf den Widerstand nicht nur der Hafenbosse, sondern auch der Regierung. Sie will, dass wir die Kosten für das 5-Prozent-Ziel der NATO und ihren immer aggressiveren Kriegskurs tragen. Aber die ver.di Führung steht hinter der NATO und der Regierung. Daher stellt sie sich gegen einen entschlossenen Kampf, der den Bossen wirklich wehtut, den Hafen lahmlegt und den Kurs der Regierung torpediert.


In der letzten Tarifrunde hat sich das besonders krass gezeigt: Die ver.di-Führung hat dem SPD-Senat geholfen, den MSC-Deal gegen den Willen der Hafenarbeiter durchzudrücken! Genau dagegen haben wir das Komitee von Hafenarbeitern für eine kämpferische ver.di gegründet – mit der Forderung, die Tarifrunde mit dem Kampf gegen den MSC-Deal zu verbinden und einen hafenweiten Streik durchzuführen. Wir haben versprochen, dass wir nicht lockerlassen.

Die ver.di-Führung will die Tarifrunde auch dieses Mal auf eine reine Lohnforderung reduzieren und der Regierung den Rücken freihalten – mit dem Ergebnis, dass wir am Ende wieder einen mickrigen Abschluss bekommen, der schon am nächsten Tag von der Inflation wieder aufgefressen wird. Um wirklich etwas in der Tarifrunde zu erreichen, darf ver.di nicht länger die Kriegs- und Regierungspolitik unterstützen, sondern muss sich gegen sie stellen.

Wir Hafenarbeiter können konkret etwas gegen die Machenschaften unserer Regierung tun – zum Beispiel gegen ihre Unterstützung für Israel. Wir dürfen nicht zulassen, dass Israel, der Handlanger der USA und Deutschlands, mit der Vernichtung von Palästina und dem Feldzug gegen Iran durchkommt. Ansonsten werden weitere Angriffe folgen, gegen andere Länder und gegen uns Arbeiter. Kollegen in Göteborg, Genua, Piräus und anderen Häfen haben es vorgemacht und Waffenlieferungen an Israel gestoppt. In Marseille weigerten sich die CGT-Hafenarbeiter, einen Container mit Maschinengewehren für Israel zu verladen. Wir unterstützen unseren palästinensischen Kollegen Mo, der von ver.di konkrete Aktionen dieser Art verlangt. Doch die ver.di-Führung klebt an der Staatsräson für Israel.


Damit lässt sie nicht nur Mo hängen, sondern uns alle. Es geht hier nicht um eine moralische Frage, sondern um die Interessen von uns Arbeitern. Am Beispiel der Ukraine ist das vielleicht greifbarer: Für die NATO-Sanktionen gegen Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine bezahlen wir den Preis mit Inflation, Deindustrialisierung und Aufrüstung. Mit der Aggression gegen andere Länder geht auch Unterdrückung hierzulande einher: Wer sich gegen den antirussischen Kriegskurs stellt und russisches Gas und Öl wieder reinlassen will, wird als Rechter oder „Putinfreund“ gebrandmarkt. Und genauso werden Muslime, Palästinenser und Palästina-Aktivisten, die sich gegen den Völkermord stellen, als „Antisemiten“ verleumdet, entlassen und mit Entzug der Staatsbürgerschaft bedroht. Jeder Widerstand gegen die herrschende Linie soll gebrochen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch streikende Arbeiter dran sind.

Schluss damit! Nutzen wir unsere Macht, nicht als einzelne, sondern gemeinsam unter Schutz und Führung unserer Gewerkschaft: ver.di muss die Waffenlieferungen an Israel und die Ukraine stoppen!

Auch in Friedenszeiten hat die ver.di-Führung die arbeiterfeindliche Regierungspolitik unterstützt. Sie hat die ganzen Verschlechterungen im Hafen mitgetragen: Lohndrückerei, Auslagerungen, ein Flickenteppich von Tarifverträgen. Das hat uns Hafenarbeiter weiter gespalten und die Kampfkraft unserer Gewerkschaft geschwächt. Die BTK will das Problem bei den Verhandlungen zum Rahmentarifvertrag angehen, getrennt von der Lohnrunde, und hat „Änderungsbedarf“ formuliert. Unser Änderungsbedarf ist klar: Das ganze System von Spaltungen und Ungleichheiten muss vom Tisch! Ein Hafen, ein Kampf, ein Tarifvertrag! Und ver.di muss diese Frage mit der Lohnrunde verbinden. ver.di muss nicht nur in Worten, sondern in Taten die Interessen aller Hafenarbeiter vertreten und diese für unseren gemeinsamen Kampf mobilisieren! Es muss handfeste Verbesserungen und kräftige Lohnerhöhungen für uns alle geben.

Ein paar Forderungen von Kollegen, die wir gut finden: Massive Lohnerhöhung für die gefährliche und harte Arbeit der Lascher! Höhere Eingruppierung der Handwerker und Lascher! Streichung der untersten drei Lohngruppen! In vielen Gesprächen kommt Unzufriedenheit mit Vorgesetzten und dem Nasenfaktor bei den Einteilungen zum Ausdruck.
Ausländische und muslimische Kollegen arbeiten oft zu schlechteren Bedingungen. Aus unserer Sicht gibt es eine faire Lösung für alle: gewerkschaftliche Kontrolle über Einstellungen und Einteilung der Arbeit! Momentan brummt es noch in Hamburg, es wird eingestellt. Aber schon bald haut die Krise richtig rein, dann ist Schluss damit. Dann stehen die Älteren wieder allein mit der Arbeit da – und die Jugend hat keine Perspektive. Schluss mit Befristung! Unbefristete Einstellung für alle!

Der nächste Schritt: eine hafenweite ver.di-Versammlung!

Jetzt geht es darum, all das durchzusetzen. Eine Idee in Undeloh war die Einberufung einer hafenweiten ver.di-Versammlung, die demokratisch die Forderungen für die Tarifrunde festlegen soll. Richtig! Wir hören schon die Standard-Ausrede der ver.di-Führung: „Zu den Versammlungen kommt doch eh keiner!“ „Die Arbeiter sind selbst schuld, weil sie nichts machen!“ Damit will sie verhindern, dass eine Versammlung einberufen wird, auf der wir Hafenarbeiter den weiteren Kurs unserer Gewerkschaft bestimmen. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Versammlung stattfindet und es kein Weiter-So gibt! Notruf 040, Fachbereich Maritime Wirtschaft: Eure Forderungen in Undeloh fanden wir richtig. Wo sind sie geblieben? Wir wissen, dass viele von euch nicht die Politik der obersten ver.di-Führung teilen. Also lasst uns gemeinsam für einen Kurswechsel von ver.di kämpfen!

Komitee von Hafenarbeitern Für eine kämpferische ver.di, +49 170 88 62 306 HafenKomitee@proton.me

Titelfoto: Komitee von Hafenarbeitern Hamburg

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