Die Volkswagen-Krise: Wer gewinnt, wer verliert?

Die Aktionäre bekamen in den letzten Jahren erhebliche Dividenden, das Geld fehlt jetzt, die Beschäftigten müssen daher einen Reallohnrückgang in Kauf nehmen.

Von Christian Kreiß

Bild: IG Metall Wolfsburg. Screenshot.

Die Krise bei Volkswagen bleibt in den Schlagzeilen. Laut einem Medienbericht vom 15. Januar soll es bei den Beschäftigten von VW Lohnkürzungen geben, wenn sich die Krise weiter zuspitzt.[1] Oder werden vielleicht – laut Berliner Zeitung am 16. Januar – gar VW-Werke von Chinesen aufgekauft?[2]

Im Dezember hatten sich die IG Metall und das Management von Volkswagen darauf geeinigt, dass es 2025 keine Lohn- und Gehalterhöhungen geben würde. Im Gegenzug werde es aber auch keine Werksschließungen geben. Bis 2030 sollen demnach 35.000 Jobs wegfallen. Das entspricht gut 5 Prozent der konzernweit etwa 684.000 Beschäftigten 2023.[3] Aber es werde keine betriebsbedingten Kündigungen geben.[4]

Dividendenzahlungen von VW

Angesichts der ausbleibenden Lohnerhöhung 2025 oder der eventuell gar kommenden Lohnkürzungen bei weiterer Zuspitzung der Krise soll nun ein Blick auf die Dividendenzahlungen in der jüngeren Vergangenheit geworfen werden.

In den letzten vier Jahren, 2020 bis 2023 wurden insgesamt 24,707 Milliarden Dividenden ausgeschüttet (inklusive einer Sonderdividende 2023 von 9,6 Milliarden Euro).[5] Im Durchschnitt der letzten vier Jahre beschäftigte der VW-Konzern etwa 673.500 Mitarbeiter. Die Lohn- und Gehaltssumme betrug in diesen vier Jahren ungefähr 45,2 Milliarden Euro jährlich, der durchschnittliche Jahreslohn pro Beschäftigten etwa 67.200 Euro.[6]

Teilt man die durchschnittlichen jährlichen Dividendenzahlungen der letzten vier Jahre (6,175 Mrd. Euro) durch die Zahl der durchschnittlichen Beschäftigten (673.500), erhält man etwa 9.170 Euro pro Jahr pro Mitarbeiter. Anders ausgedrückt: wäre die Dividende an diejenigen gezahlt worden, die arbeiten, statt an die Aktionäre, die meist sehr weit weg wohnen und das Unternehmen selten oder nie betreten, hätte jeder Beschäftigte jedes Jahr 9.170 Euro oder 13,6 Prozent mehr verdient. Allen arbeitenden Menschen bei VW wurden in den letzten vier Jahren jedes Jahr etwa 9.170 Euro bzw. 13 Prozent vom Lohn abgezogen, um ihn an die Aktionäre zu überweisen.

Dieses Geld – insgesamt knapp 25 Milliarden Euro – fehlt jetzt. Dividenden verlassen das Unternehmen und stehen nicht mehr als Reserve oder für Investitionszwecke zur Verfügung. Dafür müssen die Beschäftigten jetzt den Gürtel enger schnallen und auf eine Lohnerhöhung verzichten, weil es VW schlecht geht.

Wer bekommt die Dividenden? Wem gehört VW?

Damit stellt sich die Frage: Wer bekam eigentlich die knapp 25 Milliarden Euro Dividendenzahlungen in den letzten vier Jahren? Die Aktionäre. Wer sind die Aktionäre? Die Aktionärsstruktur bei VW sieht folgendermaßen aus:[7] 31,9 Prozent Porsche Automobil Holding SE, 20 Prozent institutionelle Anleger Ausland, Qatar Holding 10 Prozent, Land Niedersachsen 11,8 Prozent, Privataktionäre/ Weitere 24,1 Prozent, institutionelle Anleger Inland 2,3 Prozent. Da die Dividendenzahlungen für Stamm- bzw. Vorzugsaktien in den letzten vier Jahren praktisch identisch waren, braucht man hier also kaum zu unterscheiden.

Nehmen wir zur Illustration den größten, einflussreichsten und daher wichtigsten Hauptaktionär, die Porsche Automobil Holding SE. Sie besitzt 31,9 Prozent aller Aktien des Volkswagen-Konzerns. Da sie aber einen Großteil der Vorzugsaktien innehat, hat die Holding 53,3 Prozent der Stimmrechte bei Volkswagen. Das Land Niedersachsen hat 20 Prozent der Stimmrechte, Qatar Holding 17 Prozent.

Wem gehört die Porsche Automobil Holding SE?

Wem gehört die Porsche Automobil Holding SE? Laut Geschäftsbericht 2023[8] gehören 50 Prozent aller Aktien den Familien Porsche und Piëch, und zwar alle Stammaktien, die allein stimmberechtigt sind. Die beiden Familien haben also das alleinige Sagen bei der Porsche Holding und sie erhalten normalerweise 50 Prozent aller Dividenden.

An die Porsche Holding flossen in den letzten vier Jahren von VW etwa 7,9 Milliarden Euro Dividenden (ca. 31,9 Prozent der 24,707 Milliarden Euro Dividendenzahlungen). Davon die Hälfte, also gut 3,9 Milliarden Euro gingen letztlich an die beiden in Österreich wohnenden Familien Porsche und Piëch.

Von 2020 bis 2023 wurden also den etwa 673.000 Beschäftigten bei Volkswagen im Durchschnitt jedes Jahr etwa 9.170 Euro oder 13 Prozent vom Lohn abgezogen, um den beiden Familien Porsche und Piëch 3,9 Milliarden Euro zukommen zu lassen, sowie den übrigen, normalerweise sehr wohlhabenden Aktionären[9] 20,8 Milliarden Euro Dividenden auszuzahlen (Ausnahme Land Niedersachsen, die davon knapp drei Milliarden bekamen).

Für 2025 ist geplant, eine Dividende auf Vorzugsaktien in Höhe von 9,06 Euro, dasselbe wie für 2024, auszuschütten.[10] Das wären etwa 1,868 Milliarden Euro. Die Vorzugsaktionäre brauchen also nicht auf ihre erwerbslosen, Nicht-Arbeits- oder leistungslosen Einkommen zu verzichten. Die Beschäftigten hingegen bekommen trotz anziehender Inflation (in Deutschland im Dezember 2024 2,6 Prozent)[11] keine Lohnerhöhung, verdienen somit real weniger als im Vorjahr.

Fazit

VW gehört von den Stimmrechten her zu 53,1 Prozent der Porsche Automobil Holding. Die Holding gehört von den Stimmrechten her zu 100 Prozent den beiden Familien Porsche und Piëch. Beide sind daher die wahren Chefs von Volkswagen. Sie haben das Sagen, sie haben die absolute Mehrheit auf der Hauptversammlung von VW.[12]

Von der Kapitalseite her gehören der Porsche Automobil Holding 31,9 Prozent aller Aktien von VW. Sie bekommt daher in der Regel knapp ein Drittel aller VW-Dividenden. Die Porsche Holding gehört von der Kapitalseite her zu 50 Prozent den beiden in Österreich wohnenden Familien Porsche und Piëch. Die beiden Familien bekamen daher in den letzten vier Jahren knapp 16 Prozent aller VW-Dividendenzahlungen. Das waren etwa 3,9 Milliarden Euro.

Von 2020 bis 2023 wurden den etwa 673.000 Beschäftigten bei Volkswagen im Durchschnitt jedes Jahr etwa 9.170 Euro oder 13 Prozent vom Lohn abgezogen, um den beiden Familien Porsche und Piëch 3,9 Milliarden Euro und den übrigen, in der Regel sehr wohlhabenden Aktionären (Ausnahme Land Niedersachsen, die davon knapp drei Milliarden bekamen) etwa 20,8 Milliarden Euro zukommen zu lassen.

Das Geld fehlt jetzt im Unternehmen. Daher müssen die Beschäftigten nun auf Lohnerhöhungen verzichten, einen Reallohnrückgang auf sich nehmen und den Gürtel ein wenig enger schnallen.

Ist das gerecht? Macht das ökonomisch Sinn? Wollen wir das wirklich?

Fußnoten

[1] https://www.businessinsider.de/wirtschaft/wenn-sich-vw-krise-weiter-zuspitzt-das-ist-der-interne-notfallplan-des-autokonzerns/

[2] Berliner Zeitung 16.1.2025: Brisant: Chinesen wollen VW-Werke in Dresden und Osnabrück kuufen – jetzt reagiert Volkswagen: https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/brisant-chinesen-wollen-vw-werke-in-dresden-und-osnabr%C3%BCck-kaufen-jetzt-reagiert-volkswagen/ar-AA1xklmK?ocid=BingNewsSerp

[3] Geschäftsbericht VW 2023: file:///C:/Users/00413/Downloads/Y_2023_d.pdf

[4] https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/unternehmen/vw-tarifunde-ig-metall-werkschliessungen-100.html

[5] Eigene Berechnungen, Geschäftsbericht VW 2023

[6] Eigene Berechnungen, Geschäftsberichte VW 2023 und 2021

[7] Geschäftsbericht VW 2023, Aktionärsstruktur zum 31.12.2023

[8] https://www.porsche-se.com/investor-relations/finanzpublikationen

[9] Vgl. Kreiß, Christian, Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019) oder Das Ende des Wirtschaftswachstums (2023), die Bücher können komplett kostenlos hier als pdf heruntergelden werden: https://menschengerechtewirtschaft.de/

[10] https://hauptversammlungs-termine.de/dividende-volkswagen/

[11] https://tradingeconomics.com/germany/inflation-cpi

[12] Allerdings hat das Land Niedersachsen eine Sperrminoriät durch das sog. VW-Gesetz und kann damit bestimmte Grundsatzentscheidungen verhindern: https://de.wikipedia.org/wiki/VW-Gesetz

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor für BWL mit Schwerpunkt Investition, Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von acht Büchern: Das Ende des Wirtschaftswachstums – Die ökonomischen und sozialen Folgen mangelnder Ethik und Moral (2023); Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD). Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Mitglied bei ver.di und Christen für gerechte Wirtschaftsordnung. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de

Erstveröffentlicht im Overton Magazin
https://overton-magazin.de/hintergrund/wirtschaft/die-volkswagen-krise-wer-gewinnt-wer-verliert/

Wir danken für das Publikationsrecht.

„Wir sind nicht ein Teil des Problems sondern ein Teil seiner Lösung“

Große Beteiligung an der Demo gegen Kürzungspolitik des Senats

Unter dem Motto „Wir sind alle unkürzbar – Ein Berlin für alle“ versammelten sich dem nieseligen Winterwetter zum Trotz am Sonntag Mittag viele Tausende Menschen auf dem Lustgarten vor dem Berliner Dom und zogen anschließend in einer dicht gedrängten Demonstration durch die Stadtmitte. Es war ein Quantensprung in der Beteiligung an den Protesten gegen die Kürzungsmaßnahmen des Berliner Senats. Die Stimmung war gut. Die Demonstrierenden erwärmten sich an unvergesslichen Ton Steine Scherben-Hits und andern kulturellen Highlights. Eine Gruppe junger Frauen skandierte: „Wir sind nicht Teil des Problems sondern Teil der Lösung“. Welch wohltuende politische Entspannung im Klima der erstarrenden Zeitenwende-Republik. Im Folgenden einige Impressionen vom Tage.

Kommende Termine

17.12.24 18.00 Uhr Info/Planungs-Abend für verschiedenen Aktionen, Veranstaltungen und Initiativen. #BerlinistKultur

16.12. bis 18.12. Aktionstage #KürztdieKürzungen

19.12.24 Plenarsitzung, 10.00 – 20.00 Uhr, Abgeordnetenhaus

Durchgehend:  Minutenstreiks: Die Akademie der Künste ruft zu Minutenstreiks auf

Bis 19. Dezember: Gekommen um zu bleiben  
STAND-IN und SIT-IN von 9 bis 18 Uhr zu den Arbeitszeiten des AGH 

Darüber hinaus bleibt das Aktionsbündnis aktiv, selbst wenn die Kürzungen beschlossen werden. Weiterhin informieren kann man sich über den Newsletter oder Instagram & Facebook.

Macht bei den Aktionen mit, kommt zu den Protesten, sagte es weiter oder helft einfach bei der Organisation mit. Melden kann man sich dann unter info@berlinistkultur.de.

Bilder: Jochen Gester

Tollhaus Frankreich – Sturz der Regierung ein Schritt vorwärts

Die von Macron über die Köpfe der Französ:innen eingesetzte Regierung Barnier in Frankreich wurde gestern gestürzt. 331 Abgeordnete stimmten gegen ihn. Zum ersten Mal seit 1962 wurde damit einem französischen Premier das Vertrauen entzogen.

Noch zwei Tage zuvor hat Barnier den Haushalt für die Sozialversicherung per Verordnung (Verfassungsartikel 49.3) unter Umgehung der Parlamentarier in Kraft gesetzt. Das hat den Frust der meisten Französ:innen sowie von vielen politischen Gruppierungen nochmal kräftig geschürt.

Die Gewerkschaft CGT kennzeichnete den Sparhaushalt als schnöde Abwälzung des Schuldenbergs auf Arbeitende und Rentner:

In der Kontinuität des Makronismus sind es erneut die Arbeitnehmer und Rentner, die die Rechnung für das über sieben Jahre gewachsene Defizit zum alleinigen Nutzen der großen Unternehmen, ihrer Aktionäre und Manager bezahlen müssen.

Eines sei hier klargestellt. Weder die Menschen noch die Linke sprechen sich für unendliche Schulden aus. Sie werfen aber die Frage auf, an wen und wofür was wurde und wird das ganze Geld ausgegeben und wer soll die Zeche zahlen. Unter Macron wurde ein Franzose zum reichsten Mann der Welt. Militärapparat und neokoloniale Abenteuer verschlingen Unsummen.

Die Linke war mit ihrem Antrag, dem Regierungschef das Misstrauen auszusprechen, letztendlich erfolgreich. Nicht zuletzt die klare Haltung von LFI und Melanchon brachte alle unter Zugzwang. Auch zunächst wankelmütige Sozialdemokraten stimmten schließlich gegen den Premier. Die extreme Rechte von Marine le Pen war in die Zwickmühle geraten. Trotz aller politischen Zugeständnisse seitens Barnier und Macron an die Rechte, konnte sie ihre Unterstützung der verhassten Regierung nicht mehr aufrecht erhalten, ohne vor der breiten Masse der Bevölkerung ihre „soziale Maske“ zu verlieren. Es ist eine krasse Falschmeldung, wenn viele unserer Medien in Deutschland die extreme Rechte als „dynamische Kraft“ in diesem Prozess darstellen. Sie hat weder den Misstrauensantrag initiiert, war sich hinsichtlich einer Unterstützung lange Zeit uneinig und fordert auch jetzt nicht den Rücktritt von Macron.

Im Kern geht es doch darum: Immer unverfrorener sollen die exorbitanten Profite und die Kosten für die geopolitischen Interessen und Abenteuer des französischen Grosskapitals durch Ausplünderung der arbeitenden Bevölkerung abgesichert werden. Mehr noch. Jetzt bekräftigte Macron nochmals seine Bereitschaft, französische Soldaten in die Hölle der Ukraine zu schicken.

Zwei Drittel der Französ:innen wollen diesen „Präsidenten der Reichen“ sofort loswerden, nochmehr lehnen seine neoliberale Politik ab. Dieser aber trickst das Parlament aus und regiert ignorant am Mehrheitswillen der Bevölkerung vorbei, um seine Agenda durchzusetzen. Der Sturz von Barnier macht ihm in einem ersten Schritt einen Strich durch die Rechnung.

Wie geht es weiter? Die Hürden für einen Sturz des verhassten Präsidenten und damit die Chancen auf Neuwahlen und einer sozialer ausgerichteten Regierungspolitik sind hoch. Man bräuchte in beiden Parlamentskammern (es gibt auch in Frankreich einen Senat) – in der aktuellen Situation nahezu aussichtslos – Zwei-Drittel-Mehrheiten. Macron kann also weiterhin einen Ersatzpremier seiner Wahl ernennen. Er kann dabei auch erneut versuchen, das Linke Lager zu spalten. Er könnte zum Beispiel seinen Vorgänger und einstigen Ziehvater von der PS aus der politischen Leichenhalle hervorzaubern und wiederbeleben. François Hollande soll ja entsprechende Ambitionen gezeigt haben. Aber vielleicht nimmt sich Macron auch den südkoreanischen Kollegen Präsident Yoon Suk Yeol zum Vorbild, der einfach mal, als er seinen Haushalt nicht durchsetzen konnte, das Kriegsrecht ausrief.

Die Linke um LFI hat klare Konturen gezeigt. So muss und kann sie Macron bei seinen perfiden Manövern vorführen. Aber auch die vielen Facetten von politischem Opportunismus entlarven und die Akteure weiter vor sich hertreiben. Die Französ:innen sind dabei, immer mehr Illusionen über Bord zu werfen. Auch gegenüber der extremen Rechten.

Die Entscheidung von LFI ist richtig, bei den nächsten Kommunalwahlen eigenständig anzutreten und einen eigenständigen lokalen Unterbau mit linkem Markenkern zu begründen. LFI ist ausserdem die einzige politische Formation, die sich durch den Westen weder rassistisch noch kriegspolitisch bei den beiden großen Konflikten Ukraine und Palästina Instrumentalisieren lässt.

Macron war noch nie so tot im Ansehen der Menschen wie jetzt. Die Linke insgesamt, vor allem die PS, muss Macrons Anbiederungen zurückweisen und muss die Menschen wieder auf die Straße bringen, gemeinsam mit den Gewerkschaften, begleitet von Streiks – auch wenn diese Streiks wegen mangelnder Verankerung der Gewerkschaften in grossen Teilen der Industrie nach wie vor nicht ausreichend schlagkräftig sind. Dieser Präsident und seine Agenda müssen weg!

Die abgehobene bis extrem arrogante Haltung von Macron in dieser Krise beschreibt das Handelsblatt am 6.12. so:

Ich kann das nicht glauben“, sagte er (Macron) auf den Misstrauensantrag angesprochen. Vielleicht hat ihn das prunkvolle Mobiliar im Élysée-Palast in dem Glauben zurückgelassen, er sei so unangreifbar wie einst der Sonnenkönig Louis XIV. Denn Macron scheint auch den Unmut der Franzosen, der ihm persönlich entgegenschlägt, zu unterschätzen.

Es ist das LFI, dass daraus ohne Wenn und Aber die Konsequenzen formuliert und den Rücktritt des Präsidenten fordert.

Sebastian Chwala beschreibt in dem folgenden Beitrag das unwürdige Verwirrspiel der letzten Tage um den Machteerhalt, aber auch um die Kompliziertheiten, sich mit einer konsequenten linken Politik gegenüber den diversen oportunistischen Strömungen zu behaupten. Lehrreich auch für uns in Deutschland.

Eines ist sicher. Dieses Verwirrspiel geht nun nach der Abwahl von Barnier in die nächste Runde. Macron reitet die Demokratie weiter tot.

Und hierzulande wird von "links"  gerade ein "Angriff auf die ganze Parteilinke"  gefahren 

Haushaltsstreit in Frankreich: Premier Barnier steht kurz vor dem Sturz

02. Dezember 2024 von Sebastian Chwala

Während sich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron auf internationalem Parkett einmal mehr zu einer gefährlichen weiteren Eskalation des Krieges in der Ukraine bekennt, droht im eigenen Lande eine handfeste politische Krise, die der aktuellen Regierung unter Premierminister Barnier noch diese Woche das Amt kosten könnte. Bereits in dieser Woche könnte die bestehende „negative“ Mehrheit gegen die Regierung zum Amtsverlust Barniers führen. Von Sebastian Chwala.

Grund dafür ist die ablehnende Haltung einer Mehrheit der Mitglieder der Nationalversammlung gegen die vorgelegten Haushaltspläne der aktuellen Regierung für das kommende Jahr. Selbst eine Rücknahme der Rentenreform vom vergangenen Jahr, die eine deutliche Anhebung des Renteneintrittsalters vorsieht, schien aufgrund der parlamentarischen Mehrheiten möglich. Eine Abstimmung dazu konnte von den Abgeordneten des Regierungsblocks aber durch Verfahrenstricks abgewendet werden. Gleichzeitig bleibt die Frage offen, wie es nach einem eventuellen Sturz Barniers weitergehen könnte. Besonders das linke Bündnis der „Neuen Volksfront“ (NFP) hat in dieser Frage keine einheitliche Strategie.

Barniers politische Zukunft hängt vom „Rassemblement national (RN) ab

Die Regierung Barnier steht und fällt mit der Unterstützung des ultrarechten „Rassemblement national“ (RN). Dieser hatte sich der Ernennung Barniers und seines Kabinetts im September nicht entgegengestellt, denn sowohl Barnier als auch die Ministerinnen und Minister, die zu großen Teilen aus der rechtskonservativen Partei der „Republikaner“ (LR) stammen, verfügen über politische Profile, die RN-kompatibel sind. Dies gilt für Fragen der inneren Sicherheit ebenso wie für den gesellschaftspolitischen Konservatismus und die scharfe Ablehnung von Zuwanderung.

Macron setzt politisch aber vor allen Dingen deshalb auf die „Republikaner“, weil diese seine wirtschaftsliberale Agenda vollauf mittragen. Anstelle des Versuchs, die NFP zu spalten und die neoliberalen Strömungen innerhalb der Sozialdemokratie an sich zu binden, besiegelte Macron, der sich einst als Bollwerk gegen Rechtsaußen inszeniert hatte, mit der Ernennung des Kabinetts Barnier endgültig eine autoritäre Verschiebung des „Macronismus“ weit nach rechts. Selbst zu symbolischen Zugeständnissen an die Parti Socialiste (PS) war Macron nicht bereit.

Freilich steckt der RN in der politischen Zwickmühle. Die Partei darf nicht vollständig mit dem Regierungsblock identifiziert werden und muss sich daher von Zeit zu Zeit wie eine Oppositionskraft verhalten. Insbesondere bei Themenkomplexen, die für große gesellschaftliche Mehrheiten über politische Lager hinweg maßgeblich sind. Zu nennen sind hier Fragen wie die Entwicklung der Lebenshaltungskosten, aber auch die Rentenpolitik. Zwar steht der RN auch für eine Politik der dauerhaften Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, möchte in der Öffentlichkeit gerne gegenteilig wahrgenommen werden. Genauso lehnt man auch höhere Vermögenssteuern und die Erhöhung der Sozialabgaben für Unternehmen ab, die unter dem „Macronismus“ gerade für Mindestlohnverdiener deutlich gesenkt wurden. Jetzt stehen sie Lohnerhöhungen im Wege, da höhere Löhne diese Privilegien des „Macronismus“ für die Unternehmen wieder zunichte machen würden.

Der RN ist also eine klassische Partei der politischen Rechten, lenkt aber gerne mit der Überbetonung der Migrationsfrage, deren vollständige Unterbindung alle finanziellen Probleme des Staates lösen würde, von seiner grundsätzlichen Feindschaft gegenüber einer staatlich regulierten Ökonomie und dem Sozialstaat ab. Deshalb blieb der RN entgegen den eigenen Ansprüchen in den wochenlangen Haushaltsberatungen politisch blass. Der ultraliberalen Ausgangsagenda der Barnier-Regierung wurde kaum etwas entgegengesetzt. Im Raum stehen ein massives Haushaltsdefizit, das wiederum ein Ergebnis der Steuersenkungsorgien des „Macronismus“ in den letzten sieben Jahren für Vermögende und Unternehmen ist. Die Folge sind massive Einsparungen in allen Haushaltsbereichen, außer bei Polizei und Militär.

Es war die NFP, die dem Haushalt aufgrund der kuriosen politischen Konstellationen während der ersten Lesung des Zahlenwerks einen linken Anstrich geben konnte und erfolgreich Mehreinnahmen von knapp 50 Milliarden in den Haushalt erwirken konnte. Freilich ließ der RN den so überarbeiteten Haushaltsentwurf in der Endabstimmung in der Nationalversammlung durchfallen.

Zuletzt überschattete aber auch der Prozessauftakt gegen Marine Le Pen die politische Debatte in Frankreich. Le Pen wird nicht zu Unrecht der Missbrauch von EU-Geldern vorgeworfen, hatte man doch jahrelang Kader der ultrarechten Partei nur auf dem Papier in Brüssel angestellt. Der RN sieht sich seitdem unter politischem Zugzwang. Dies gelingt nur, wenn die Regierung Barnier wieder stärker unter Druck gesetzt wird, weshalb man von Barnier nicht nur die Stärkung der Kaufkraft sowie eine Eindämmung der wachsenden Kosten für Energie für die Haushalte verlangt. Zudem drängt die Partei Barnier zu einem Entgegenkommen bei der Senkung der Leistungen der „medizinischen Basisversorgung“ – einer Leistung, zu deren Inanspruchnahme auch Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel berechtigt sind.

Ferner verkündete der RN, den Antrag der Fraktion von „La France insoumise“ (LFI) in der französischen Nationalversammlung, die Rentenreform vom letzten Jahr wieder rückabzuwickeln, zu unterstützen. Wie sich der RN bei der Abstimmung tatsächlich verhalten hätte, bleibt unklar, denn in dieser Frage schaffte es der Regierungsblock in skandalöser Weise wie schon 2023, eine Abstimmung zu verhindern. Da der Antrag von LFI in der sogenannten „niche parlemantaire“ diskutiert wurde, verhinderten die „macronitischen“ und „republikanischen“ Abgeordneten und Minister durch 1.000 sinnbefreite Änderungsanträge und Dauerreden eine Abstimmung vor 0 Uhr, was den Antrag hinfällig machte. Die Regeln der „niche parlemantaire“, jenes einen Tages pro Sitzungsperiode und pro Fraktion, an dem diese und nicht die Regierung die Tagesordnung festsetzen, besagen, dass die jeweils eingereichten Anträge auch nur an diesem einen Tag diskutiert werden dürfen. Die antiparlamentarische Tradition der V. Republik hat also wie schon 2023 erneut verhindert, dass dieses einschneidende Gesetz eine Legitimation durch eine Abstimmung und nicht nur durch Erlass erhalten hat.

Die Folgen für das Ende Barniers sind unklar – auch die Linke ist sich uneins

Die verhinderte Abstimmung über die Rentenreform, bei der es am Rande der Sitzung sogar zu Handgreiflichkeiten kam, war aber nur ein Vorgeschmack auf die zweite Lesung des Haushalts, wo derartige politische Tricks nicht möglich sind. Vieles deutet darauf hin, dass Premier Barnier bei den kommenden beiden Haushaltsabstimmungen im Zuge der zweiten Lesung – der Etat für die Sozialversicherung wird traditionellerweise getrennt abgestimmt – auf das altbekannte Mittel des Artikels 49.3 der Verfassung zurückgreifen wird, um eine erneute ausufernde Debatte zu verhindern, wie im Verlaufe der ersten Lesung geschehen. Der Haushalt würde dann, wie seit 2022 alle Etats, per Verordnung in Kraft gesetzt, sofern das Parlament dem Regierungschef nicht das Misstrauen ausspricht. Hatte der RN dies bisher ausgeschlossen, scheint man nun bereit, einem derartigen Antrag aus den Reihen der Linken zuzustimmen.

Damit käme eine Mehrheit gegen Barnier zustande – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Damit hätten auch alle Ministerinnen und Minister ihr Amt verloren. Staatspräsident Macron könnte Barnier allerdings unmittelbar wieder als Premierminister ernennen. Angesichts der schwachen politischen Stellung Macrons ist dies äußerst unwahrscheinlich. Denn inzwischen wünschen sich laut Umfragen sogar knapp zwei Drittel der Französinnen und Franzosen einen Rücktritt Macrons, sollte Barnier gestürzt werden. Dies könnte bereits an diesem Donnerstag passieren.

Die aktuell stärkste Linkspartei LFI fordert daher erneut ein Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsident Macron und unmittelbare Präsidentschaftsneuwahlen. Diese Strategie wird von Seiten der Sozialdemokratie abgelehnt, die jede Form der politischen Instabilität aufs Schärfste ablehnen und inzwischen sogar einen politischen Kompromiss mit dem „Macronismus“ eingehen würden, um eine handlungsfähige Regierung zu schaffen und einen Haushalt für das kommende Jahr verabschieden zu können. Faktisch könnte dies auch eine technische Regierung sein, die ohne jede eigene politische Agenda dem Parlament vorsteht. Dies widerstrebt LFI, das seinerseits die Bildung einer linken Regierung unter der Führung von Lucie Castets – auf diese Personalie hatten sich die Linksparteien im Sommer geeinigt – einfordert und darauf hofft, dass die Krise der aktuellen V. Republik LFI als Partei der jungen Generation zur unumstrittenen führenden Kraft der Linken aufsteigen lässt. Bereits vor Wochen hatte LFI angekündigt, flächendeckend zur kommenden Kommunalwahl mit eigenen Listen anzutreten und sich nicht als Juniorpartner anderen Mitte-Links-Bündnissen anzuschließen.

Dieser Zwischenschritt ist notwendig für eine schrittweise politische Verankerung über die Aktivistenebene hinaus, da vorzeitige Neuwahlen der Staatsspitze äußerst unwahrscheinlich scheinen. Dennoch bleibt LFI das Feindbild schlechthin für weite Teile der Medienlandschaft und des gesellschaftlichen Establishments. So steht selbst innerhalb der Linken nur LFI für eine konsequente Ablehnung der Kriege Israels im Gazastreifen und im Libanon. Selbst wichtige Köpfe der Partei und Bewegung mussten in den vergangenen Monaten deshalb Ermittlungsverfahren wegen angeblicher „Verherrlichung von Terrorismus“ über sich ergehen lassen. Forderungen von LFI, den Straftatbestand „Terrorismus“ wieder aus dem allgemeinen Strafgesetzbuch zu streichen und wieder zu einem speziellen Straftatbestand zu erklären, um nicht durch Banalisierung des Vorwurfs einen politischen Missbrauch zu begünstigen, der auf Einschüchterung hinauslaufen soll, führten bis zum Vorwurf aus dem rechten politischen Spektrum, dass LFI eine „frankreichfeindliche“ Organisation sei.

Jean-Luc Mélenchon, der sich zuletzt auch wieder laut dafür aussprach, den Krieg in der Ukraine schnellstens zu beenden, bevor es zu einer weiteren Eskalation kommen kann, scheint derweil nicht ganz abgeneigt zu sein, noch einmal für die Präsidentschaft kandidieren zu wollen. Sein Name wird indes von der politischen Spitze LFIs, der Mélenchon nicht angehört, immer wieder ins Gespräch gebracht. Da die parteipolitische Linke wie schon bei den letzten beiden Parlamentswahlen tatsächlich gemeinsam kandidieren müsste, um überhaupt die Chance für die Stichwahl zu wahren, scheinen etwaige Wünsche nach seiner Kandidatur aussichtslos. Denn die übrigen Linksparteien und die Sozialdemokratie lehnen die Figur Mélenchons aufgrund seiner vermeintlichen Radikalität ab.

Innerhalb der Sozialdemokratie gibt es um den aus der politischen Versenkung wieder aufgetauchten Ex-Präsidenten Hollande Kräfte, die die politischen Kurskorrekturen des aktuellen Parteichefs Faure vollständig revidieren wollen und jede Wendung nach links aktiv bekämpfen. Die „Neue Volksfront“ bleibt also ein wackeliges Gebilde, das von persönlicher und programmatischer Konkurrenz geprägt ist, aber offiziell nicht politisch zusammenbrechen darf. Wie lange diese Situation anhält, bleibt offen.

Wir danken Sebastian Chwala für das Publikationsrecht. Der Beitrag ist am 2 Dezember 2024 bei den NachDenkSeiten erschienen.

Titelfoto, Collage Peter Vlatten

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