Stoppt die politischen Abschiebungen in Berlin! Update 14.April!

Am Montag, den 7. April, versammelten sich kurzfristig laut Veranstallter ca. 700 bis 800 Personen, [1]Polizeiangaben „gut 400 Teilnehmer“ zu einer Protestkundgebung in der Nähe des Berliner Abgeordnetenhauses. Auch wir hatten über die Bescheide des Berliner Senats, die in der Praxis nichts anderes als selektiv auf Ausländer:innen bezogene politisch motivierte Deportationen darstellen, ausführlich berichtet und zum Protest aufgerufen.

Erste Erfolgsmeldung. Das Verwaltungsgericht Berlin hat dem Eilantrag, die Abschiebung von Shane O’Brien  auszusetzen, stattgegeben. Die Anwälte erwarten aufgrund der juristisch unhaltbaren Begründungen auch für die weiteren Betroffenen  analoge Entscheidungen! Siehe hierzu weiter unten unseren Kurzbeitrag zur Pressekonferenz und juristischen Bewertung. Hoffen wir, dass die Anwälte Recht  behalten! Solange Petition unterschreiben und verbreiten! Kommt zur  DEMO 18. April, Start 16 Uhr Alexanderplatz, Aufruf! 

Drei Punkte stellten die vielfältigen Reden und Solidaritätsbekundungen am 7.April besonders heraus:

  • „Mindestens 50.000 Tote. Mehr als 1000 getötete Rettungskräfte. Abertausende getötete Kinder. Gezielte Tötungen von Journalisten. Hunger als Kriegswaffe. Gezieltes Blockieren von lebensnotwendigen Hilfsgütern. Vorwurf des Völkermords, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vertreibung. Illegale Besatzung. Landraub. Angriffe auf Krankenhäuser, Schulen und UN-Einrichtungen. Was muss noch passieren?“ Drei EU Bürgerinnen und ein US Bürger – Kasia Wlaszczyk, Shane O’Brien, Roberta Murray und Cooper Longbottom – sollen abgeschoben werden, weil sie hierüber nicht schweigen wollen!
  • Diese Abschiebungen werden genutzt, um Demonstrieren und unliebsame politische Aktivitäten generell zu behindern sowie Ausländer:innen und Migrant:innen einzuschüchtern! Sie sind ein Präzedenzfall, um „Remigration“ im Trumpstil, wo es politisch opportun ist, in Zukunft immer wieder auch in Deutschland durchzusetzen!
  • Es ist ein konzentrierter Angriff auf unsere Grundrechte. Ungezügelte Polizeigewalt geht Hand in Hand mit Einschränkungen von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit und der repressiven Anwendung von Einwanderungsgesetzen.
Videomix mit RedeAusschnitten vom 7.April „You can’t deport a whole movement“

Ausländer raus, wenn ihre politische Überzeugung nicht passt! Das dürfen wir dem Berliner Senat nicht durchgehen lassen!

Was tun ?

Für das Bleiberecht der vier Palästina-Aktivist:innen in Berlin ist eine Petition gestartet, die ihr hier unterschreiben und verbreiten könnt. Die Zeit drängt: Zum 21. April! sollen die vier aus politischen Gründen auẞer Landes geschafft werden. Wenn wir vorher 30.000 Unterschriften schaffen, ist das Quorum erreicht und es muss sich auf höheren politischen Ebenen damit auseinandergesetzt werden.

Hier kannst Du die Petition unterschreiben: Stoppt die politischen Abschiebungen und Angriffe auf unsere demokratischen Grundrechte!

Ein breites Bündnis von Amnesty International über Ende Gelände und Frauen wagen Frieden bis Stop Deportation Berlin und Studis gegen Rechts ruft auf zur

DEMO 18. April, Start 16 Uhr Alexanderplatz

Am 18. April um 16 Uhr findet vom Alexanderplatz eine Demonstration statt, um gegen die geplante Ausweisung der vier Aktivist*innen Cooper Longbottom, Kasia Wlaszczyk, Shane O’Brien und Roberta Murray aus Berlin zu protestieren. Ihr „,Vergehen“: Alle vier haben sich an Demonstrationen gegen den anhaltenden Krieg gegen Gaza beteiligt und sich mit Palästina solidarisiert.

Mit dieser Androhung der Abschiebung hat das Land Berlin nach dem Verbot unter anderem der arabischen Sprache auf Demonstrationen und dem seit Wochen anhaltenden Verbot von Lauf-Demonstrationen mit Palästina-Bezug ein weiteres düsteres Kapitel in der Unterdrückung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit aufgeschlagen.

Die Instrumentalisierung des Aufenthaltsrechts zur Unterdrückung politischer Haltungen, die sich gegen die herrschende Politik stellen, ist eine weitere besorgniserregende Wendung in der Migrationspolitik.

Die vier Betroffenen EU und US Bürger*innen sollen ihr Leben, ihre Jobs und ihre Studienplät-ze in Berlin aufgeben und bis zum 21. April Deutschland verlassen. Ihnen wird die Beteili-gung an Protesten vorgeworfen. Niemand wurde wegen einer Straftat verurteilt. Dies stellt einen unhaltbaren Tabubruch dar, der um jeden Preis verhindert werden muss.

Besonders perfide ist, dass zwei der Aktivist*innen trans Personen sind, die in Polen bzW. den USA mit spezifischen Diskriminierungen und Bedrohungen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität konfron-tiert sind. Es ist eine absolute Schande, dass Deutschland diese Menschen ausweisen will!
Lippenbekenntnisse für Vielfalt sind nichts wert – es braucht echten Schutz für queere Menschen!
Das Land Berlin orientiert sich in seinen repres-siven Maẞnahmen offensichtlich an einem beson-ders schlechten Vorbild: Der menschenverachten-den Trump-Administration und ihrer ,,Catch and revoke“- Politik gegenüber der Studierendenbewegung in den USA.

Wie in den USA sollen unbequeme Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Indem Berlin den vier Aktivist* innen ihre Bewegungsfreiheit entzieht, verschärft es den politischen Druck auf alle politisch aktiven Migrant*innen im Land. Auch die Diskussionen in der kommenden
Bundesregierung über die Entziehung der Staatsbürgerschaft und die Einschränkung des Asylverfahrens weisen in dieselbe Richtung.

Es liegt auf der Hand: Die Abschiebungspläne sind ein Testballon, um auszuloten, wie weit staatliche Repression gegen kritischen Aktivis-mus in Deutschland gehen kann. Lasst uns diesen Ballon zum Platzen bringen!

Wir rufen alle auf, sich solidarisch zu zeigen und gegen diese unrechtmäẞigen Auswei-sungen zu kämpfen. Es geht nicht nur um die vier Aktivist*innen, sondern um demokratische Grundrechte, die auf dem Spiel stehen.

Kommt zahlreich, zeigt eure Solidarität und lasst uns dem Berliner Senat zeigen, was wir von seiner Einschüchterungspolitik halten.

Für eine solidarische Migrationspolitik und gegen politisch motivierte Abschiebungen -Solidarität kennt keine Grenzen!

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Initiatoren der Demo (bisher):

Amnesty International Deutschland * Ende Gelände Berlin * Frauen wagen Frieden * Humanistische Union * Internationale der Kriegsdienstgegnerinnen, IDK e.V. Interventionistische Linke Berlin Israelis für Frieden * Komitee für Grundrechte und Demokratie* Palästina Initiative Region Hannover Partnerschaftsverein Bonn-Ramallah e.V.* Sea-Watch * Stop Deportation Berlin * Studis gegen rechts Berlin

Pressekonferenz und Anmerkungen zur juristischen Einschätzung

Pressekonferenz des Bündnisses „Stop Deportation Berlin“ mit Vertreter der Anwälte und Ferat Koçak, dokumentiert von Fabian Lehr, 12. April 2025

Ein paar Stichworte zur juristischen Bewertung aus der Presskonferenz.

Allen vier Betroffenen werden individuelle Verstöße vorgeworfen – basierend rein auf Polizeiakten im Zusammenhang mit pro-palästinensischen Aktionen in Berlin. In fast keinem Fall kam es bislang zu einer Anklage vor Gericht, geschweige denn zu einer Verurteilung. Keiner der Betroffenen ist vorbestraft.

Es gibt bisher keine Konkretisierung und Akteneinsicht über juristisch bzw strafrechtlich relevante Vergehen, weder für die Betroffenen noch für deren Anwälte. Die Betroffenen können sich nicht nicht einmal konkret zur Wehr setzen!

Umso skandalöser die öffentlichen Vorverurteilungen, insbesondere der CDU, die gegenüber der Springerpresse – ganz im Trumpstil – offen zugab, dass ein Exempel statuiert werden soll.

Die Bescheide zur Ausweisung enthalten lediglich pauschale Beschuldigungen wie „antisemitisch“ oder „Hamas Unterstützung“, die aber in keiner Weise konkret nachgewiesen werden und sachlich falsch sind. Oder es wird sich auf die Zuwiderhandlung von nicht strafrechtlich relevanter politischer Katgeorien wie die „Staatsräson“ bezogen. In den Begründungen heisst es: „Es liegt im erheblichen gesellschaftlichen und staatlichen Interesse, dass diese Staatsräson jederzeit mit Leben gefüllt wird und zu keiner Zeit (…) Zweifel daran aufkommen, dass gegensätzliche Strömungen im Bundesgebiet auch nur geduldet werden.“ Deutlicher kann man es nicht ausdrücken: Unter Missachtung von Grundrechten sollen politisch missliebige politische Meinungen und Aktivitäten ausgeschlossen und unterdrückt werden!

Die Anwälte betonen durchgängig: Es geht bei dem ganzen Fall auch um Verhältnismäßigkeit.

Da fällt zum Vergleich ein anderer Fall ein. Es ging um die Polizeiübergriffe bei einem Einsatz an der HumboldUnisversität Berlin – ebenfalls im Zusammenhang mit Propalästinaprotesten im Oktober 2024.

„Senat und Polizei in Berlin kennen nur die Sprache der Härte“ titelte damals die Berliner Zeitung.  [2]  https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/nach-angriff-auf-journalisten-senat-und-polizei-in-berlin-kennen-nur-die-sprache-der-haerte-li.2218392 Einer ihrer Journalisten war bei der Erstürmung der UNI-Räume von der Polizei massiv behindert, festgenommen und misshandelt worden.  Der netroffene Journalist berichtete: Zweimal habe ihm der Polizist mit Fäusten ins Gesicht geschlagen. Und ihn dann über mehrere Stunden mit Handschellen fixiert. In seinem Gesicht, auf dem Bauch und am Arm sind Schürfwunden und Hämatome zu sehen. Seine linke Hand ist auch heute noch taub. Sein Video enttarnte die offensichtlichen Lügen der Polizei, die sie vorher über die Vorgänge verbreitet hatte. Das Handeln der Polizei war in mehrfacher Hinsicht strafbar und stellte neben schwerer Freiheitsberaubung und Misshandlung im Amt auch einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit dar.

Was ist aus dem Fall geworden? Der Polizist wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. [3]Urteil: Polizist soll Journalisten der Berliner Zeitung verletzt haben – Geldstrafe. Dem Vernehmen nach ist er noch im Amt. Soviel zum Thema rechtliche Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit!

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Als Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin fordern wir dazu auf, dass sich alle progessiven politischen Strömungen, die für ein ungeteiltes Völker- und Menschenrecht sowie die Verteidigung der im Namen der Staatsräson angegriffenen Grundrechte eintreten, zusammenschließen. Unterstützt die Petition und unterstützt die DEMO am 18. APRIL! Versuchen wir alles, dass die vier Berliner:innen drei Tage später nicht abgeschoben werden und kein politischer Präzedenzfall für ALLE geschaffen wird!


DEMO, 18.APRIL 16 UHR, ALEX

Petition unterschreiben Stoppt die politischen Abschiebungen und Angriffe auf unsere demokratischen Grundrechte!

Titelbild: Collage Peter Vlatten

Ökonomie des sterbenden Imperiums

Der Zollkrieg zeigt: Den USA geht es um wesentlich mehr als um eine Korrektur des Welthandelssystems

Von Stefan Kaufmann

Bild: pixabay

Ist der mächtigste Mensch der Welt verrückt? US-Präsident Donald Trump erlässt Zölle in willkürlicher Höhe gegen die meisten Länder der Welt, erhöht sie anschließend und setzt sie dann wieder aus. In der Folge schwanken die Prognosen für die Weltwirtschaft zwischen Aufschwung und Krise, und das binnen Tagen. Ob Donald Trump verrückt ist, weil wohl niemand mit Sicherheit. Die Widersprüchlichkeit seiner Politik aber hat ihren Grund in den Widersprüchen des Projekts, das er verfolgt und das weit über eine Korrektur des internationalen Handels hinaus geht: Make America Great Again.

Trumps zweischneidige Waffe: Zölle

Die US-Regierung hat in den letzten Wochen verschiedene Zölle gegen alle Welt beschlossen – womit die Zollmauer um die USA nun so hoch ist wie zuletzt vor 100 Jahren. All diese Abgaben sollen ausländische Güter in den USA verteuern und so die inländischen Unternehmen schützen. In der Folge, so die ökonomische Kalkulation, werden Unternehmen aus aller Welt ihre Produktion in die USA verlagern, um die Zölle zu umgehen. »Re-Industrialisierung« der USA lautet das Ziel.

Ökonom*innen verweisen darauf, dass diese Strategie nicht aufgehen kann und letztlich den Vereinigten Staaten selbst schadet. Denn die USA sind zu eng mit der Weltwirtschaft verwoben. Zölle verteuern ausländische Güter in den USA, was dort die Inflation anheizt. Das macht zum einen die US-Haushalte ärmer, was den Konsum beschädigt, der immerhin knapp 70 Prozent der US-Wirtschaftsleistung ausmacht. Zum anderen verteuern Zölle den Import von Vorleistungsgütern für US-Unternehmen, was ihre Produktionskosten erhöht. Gleichzeitig wird ihr Export gefährdet durch Gegenmaßnahmen des Auslands. Und schließlich sorgt der Zollkrieg zu erhöhter Unsicherheit, Investoren und Unternehmen verlieren ihre Kalkulationsgrundlage.

Der Zollkrieg zeigt: Den USA geht es um wesentlich mehr als um eine Korrektur des Welthandels­systems.

In der Folge wird eine globale Rezession erwartet, ebenso eine Rezession in den USA. Das ließ diese Woche die Börsenkurse weltweit abstürzen. Trumps, so der berühmte US-Ökonom Paul Krugman, agiere wie ein »verrückter König«.

Trumps Projekt: Dominanz

Der Eindruck der Verrücktheit mag sich aus dem Ziel ergeben, das Trump sich gesetzt hat und das als solches in den USA gar nicht kritisiert wird: »Amerika« wieder »groß« zu machen. Was heißt das? Schließlich sind die USA bereits groß, sie sind die führende Wirtschafts- und Technologiemacht, ihr Militär ist riesig, die Wirtschaft lief zuletzt gut. Was Trump aber – wie schon andere US-Präsidenten vor ihm – als Defizit beklagt, ist der mangelnde Respekt, der seinem Land international entgegengebracht wird. »Great Again« bedeutet aus US-Sicht, die uneingeschränkte Weltmacht der USA wieder herzustellen. Gefordert wird die Unterwerfung des Auslands. Aus der Tatsache, dass diese nicht oder nur zögerlich erfolgt, schließt Trump auf einen nationalen Notstand: »Wir sind eine Nation im Abstieg.«

Ihren Status sehen die USA an vielen Stellen angegriffen, nicht nur in Handelsfragen: In Venezuela herrscht eine Regierung, die Washington ablehnt. Mexiko tut nicht genug gegen die Migration und Kanada nicht genug gegen den Fentanylschmuggel in die Vereinigten Staaten. Europa sperrte sich lange gegen die Übernahme von Rüstungskosten, und China unterstützt Russland. Auch der partielle Niedergang der US-Industrie sowie die Handelsbilanzdefizite sind aus Sicht Washingtons ein Symbol eigener Schwäche – und wie jeder Staatenlenker der Welt interpretiert Trump diese Schwäche als Folge »unfairer« Praktiken des Auslands, die das Recht seiner Nation auf Erfolg verletzen. Die lange Liste von Zielen, die Trump mit den Zöllen durchsetzen will, spiegelt das Ausmaß seiner imperialen Unzufriedenheit wider.

Hauptproblem für die USA ist allerdings China, das inzwischen als »Rivale« anerkannt ist und sich zunehmend nicht nur der Kontrolle der USA entzieht, sondern selbst als Kontrolleur auftritt: Die Volksrepublik wird gegenüber anderen Ländern schrittweise vom »rule taker« zum »rule maker«. Sichtbarstes Zeichen hierfür ist, dass es dem Westen trotz nie dagewesener Wirtschaftssanktionen nicht gelungen ist, die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen, wofür im Wesentlichen Chinas Unterstützung verantwortlich ist. Aus Sicht der USA zeigt das, dass ihnen die Kontrolle des Weltmarktes entglitten ist.

Widerspruch des Projekts: Rezession

Um »Amerika« wieder groß zu machen, setzt Trump an der materiellen Basis nationaler Größe an: der Wirtschaft. Er erhebt Zölle, um sämtliche ökonomischen und außenpolitischen Ziele zu erzwingen, von der Migrationsbegrenzung über den Fentanylschmuggel bis zur Schwächung Russlands und Chinas. Die Willkür, mit der er dabei vorgeht, ist Programm: eine Demonstration der Macht – die zugleich eine doppelte Demonstration der Ohnmacht ist.

Denn erstens sind die USA zwar stark genug, einen Welthandelskrieg vom Zaun zu brechen. Andererseits aber zeigt dieser Krieg, dass der Weltmarkt dem Land nicht mehr die erwünschten Erträge einspielt, die die globale Dominanz der USA absichern könnten. Sie sind nicht mehr konkurrenzlos. Zweitens stößt Trumps Zollpolitik an die Grenzen, die Ökonom*innen ihm vorbuchstabieren: Mit dem Zollkrieg schaden die USA zwar anderen Ländern, aber eben auch sich selbst. Denn sie brauchen den Rest der Welt und damit seine Kooperation. Denn dieser Rest ist Investitionsstandort und Absatzmarkt für die USA, er fungiert als Quelle billiger Vorprodukte und Arbeitskraft für die heimischen Unternehmen. »Ein Handelskrieg macht keinen Sinn – wir brauchen China mehr als China uns«, schreibt der Finanzdienst »Bloomberg«.

Auch die Finanzmärkte haben diese Woche demonstriert, dass die USA nicht autonom agieren können: Inmitten der Krise stürzten US-Staatsanleihen und der US-Dollar ab, die normalerweise in Turbulenzen als sichere Häfen gelten, denen aber offenbar nicht mehr getraut wird. Dieser Vertrauensentzug der Finanzanleger verweist Washington darauf, dass die Vereinigten Staaten beim Rest der Welt mit netto 24 Billionen Dollar in der Kreide stehen und die USA den Rest der Welt als Kreditgeber brauchen.

Der Schluss: mit aller Gewalt

Mit dem Absturz der Börsenkurse diese Woche wird die US-Regierung auf den Ausgangspunkt ihrer Klage zurückgeworfen: Die USA sind zu schwach, weil abhängig. Das kann Trump so nicht stehen lassen. Am Donnerstag begann daher die Phase der Deals: Die »reziproken« Zölle gegen 56 Länder und die EU werden für 90 Tage auf zehn Prozent gesenkt, um die Zeit für Verhandlungen zu nutzen. Dies sei eine »Kapitulation« Trumps, schreibt die FAZ.

Doch ist es nur eine Feuerpause. Denn für die US-Regierung bleibt der Widerspruch bestehen, dass sie eine Welt wieder beherrschen will, von der sie abhängig sind. Wie alle rechten Politiker schreitet Trump daher zu dem Versuch, den Widerspruch mit Gewalt aufzulösen. In Kraft bleiben die beschlossenen Zölle auf Stahl, Aluminium und Autos sowie der Basiszoll von zehn Prozent für sämtliche Einfuhren aus allen Ländern. Auch die Zölle auf kanadische und mexikanische Waren bleiben unverändert.

Verschärft wird der Kurs gegen China, die Zölle sind auf 145 Prozent hochgesetzt worden. Zugleich stellen die USA Ländern wie Japan, Südkorea oder der EU Zollsenkungen in Aussicht, sollten sie sich in die US-Front gegen China einreihen. »Wir können uns mit unseren Verbündeten einigen und dann als Gruppe China zuwenden«, sagte Finanzminister Scott Bessent.

Die EU zeigt sich verhandlungsbereit: Nachdem Europas Staaten bereits Trumps Forderungen nach Aufrüstung gegen Russland nachkommen, dienen sie sich jetzt Washington als Unterstützer für einen Handelskrieg gegen China an: »Ich stimme mit Trump überein, dass andere die derzeitigen Regeln auf unfaire Weise ausnutzen«, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Doch damit ist keine Einigkeit hergestellt. Denn die Europäer brauchen profitable Handelsbeziehungen zu China. Für die US-Regierung hingegen geht es um eine Funktionalisierung der EU zwecks Niederringung des großen Rivalen – mit unabsehbaren Folgen. Niemand weiß, was geschieht, wenn der Handel zwischen den zwei weltgrößten Wirtschaftsmächten mit einer addierten Wirtschaftsleistung von 46 Billionen Dollar zum Erliegen kommt.

Die ökonomische Konfrontation kann die US-Regierung kaum endgültig für sich entscheiden. Aufgeben kommt aber ebenfalls nicht in Frage. Trump bereitet seine Bevölkerung daher auf schwierige Zeiten vor. Schließlich geht es im Handelskrieg, wie in allen Kriegen, nicht um Wohlstand, sondern darum, eigene Verluste in Kauf zu nehmen, um dem Gegner Schäden zuzufügen. Um die USA von diesen Schäden zu isolieren, wird jetzt die ökonomische Entkopplung von China vorangetrieben.

»Was wir derzeit sehen, ist die Ökonomie eines sterbenden Imperiums«, erklärt der US-Ökonom Richard D. Wolff. Man wird sehen. Letztlich läuft der Gegensatz zwischen den USA und China – und damit der Widerspruch von Trumps Politik – auf eine Machtfrage und damit auf eine Gewaltfrage hinaus. Die Übergänge zum Krieg dürften fließend werden.

Erstveröffentlicht im nd v. 12.4. 2025
https://nd.digital/editions/nd.DieWoche/2025-04-12/articles/17700022 (Abo)

Wir danken für das Publikationsrecht.


Am Rande des Abgrunds

Warum Europa in einen Krieg schlittert, den es nicht gewinnen kann.

Von Günther Burbach

Bild: Wikimedia

Es sind nicht mehr nur Warnungen. Es sind Realitäten. Frankreichs und Großbritanniens Militärchefs reisen in die Ukraine, um eine direkte europäische Präsenz vorzubereiten. „Nur Berater“ heißt es, wie in Afghanistan, wie im Irak, wie immer, wenn die Angst vor der Wahrheit größer ist als der Mut zur Ehrlichkeit. Doch die Konsequenz ist klar: Europa bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit auf einen Krieg zu, der jenseits der Ukraine geführt werden könnte, nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen den Rest der Vernunft.

Der Krieg in der Ukraine ist zur Chiffre geworden. Nicht mehr für territoriale Souveränität, sondern für verletztes Prestige, übersteigerte Moralrhetorik und das letzte Aufbäumen einer europäischen Führungsschicht, die jeden diplomatischen Kompass verloren hat. Was als Verteidigung begann, ist zur Offensivideologie mutiert. Und während sich die Toten täglich mehren, schrauben sich die politischen Führer immer weiter in eine Eskalation hinein, für die sie keine Exit-Strategie haben.

Werkzeuge sind ersetzbar

Was wäre, wenn tatsächlich britische oder französische Soldaten in der Ukraine ums Leben kämen? Ein Angriff auf einen NATO-Staat? Ein Bündnisfall? Ein Dritter Weltkrieg? Die Antwort liegt nicht mehr im Konjunktiv. Sie liegt in der kalten Realität einer Strategie, die gar keine mehr ist. Europa hat sich moralisch in eine Ecke manövriert, aus der es nicht mehr herauskommt, ohne den Vorwurf des Verrats an der Ukraine. Also macht man weiter. Auch ohne Ziel.

Russlands Position ist deutlich: Friedensverhandlungen ja, aber zu Bedingungen, die im Westen kategorisch abgelehnt werden. Die Anerkennung der Krim, die Neutralität der Ukraine, der Verzicht auf NATO-Beitritt. Vorschläge wie eine temporäre UN-Administration in Kiew werden belächelt oder ignoriert. Dabei wäre gerade jetzt ein Moment der Pragmatik gefragt. Doch Europa verhandelt nicht mehr. Es belehrt, es sanktioniert, es liefert Waffen.

Und Amerika? Amerika spielt sein eigenes Spiel. Unter Trump geht es nicht um Ukraine, nicht um Russland, nicht um Menschenrechte. Es geht um China. Um das nächste große Spielbrett. Und dafür braucht es, vielleicht – einen halbwegs befriedeten Osten. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist es Amerika schlicht egal, was aus Europa wird. Die geopolitische Linie ist klar: Europa ist nicht das Ziel. Es ist ein Werkzeug. Und Werkzeuge sind ersetzbar.

Wer hinterfragt, wird diffamiert

Die Medien? Sie tun, was sie seit Jahren tun. Sie warnen vor der Gefahr aus Moskau, sie basteln Bedrohungsszenarien, sie geben der Politik das moralische Rüstzeug, weiterzumachen. Dass Russland ökonomisch geschwächt, militärisch gebunden und geopolitisch isoliert ist, spielt keine Rolle mehr. Dass ein Angriff auf Europa strategisch völlig sinnlos wäre, wird nicht einmal mehr diskutiert. Es geht nicht um Analyse. Es geht um Haltung.

Inmitten all dessen wirkt die politische Führung Europas zunehmend kopflos. Unter dem Druck der Öffentlichkeit, getrieben von Umfragewerten, sozialen Medien und innerparteilichen Machtkämpfen, agieren viele Entscheidungsträger wie Getriebene. Jeder Kompromiss gilt als Schwäche, jedes Zögern als Verrat. In dieser Atmosphäre haben Diplomatie und Nachdenklichkeit keinen Platz mehr. Was zählt, ist Entschlossenheit, auch wenn sie in die Sackgasse führt.

Dabei gibt es sie noch, die warnenden Stimmen: aus Italien, aus Griechenland, selbst aus Teilen der deutschen Bevölkerung. Doch sie werden übertönt von einem Chor der Härte, der nicht mehr unterscheiden will zwischen Verteidigung und Angriff, zwischen Besonnenheit und Feigheit. Die Logik ist binär geworden: Wer nicht für Waffen ist, ist gegen die Ukraine. Wer verhandeln will, betreibt Appeasement. Wer hinterfragt, wird diffamiert.

Frieden ist keine Kapitulation

Der Philosoph Richard David Precht bringt es auf den Punkt: „Wir führen einen Stellvertreterkrieg und tun so, als wären wir moralisch überhöht. Dabei fehlt uns der Mut, über Alternativen zum Krieg nachzudenken.“ Diese Worte beschreiben präzise das Klima in Europa: Wer nicht mitmarschiert, wird ausgegrenzt. Precht ist damit einer der wenigen, die öffentlich aussprechen, was viele denken, aber nicht mehr zu sagen wagen.

Was wir erleben, ist das perfekte Rezept für eine Katastrophe: ein ideologisch aufgeladener Konflikt, eine politische Elite ohne diplomatische Fantasie, eine öffentliche Meinung, die auf Krieg vorbereitet wird, und ein globales Machtvakuum, in dem Rationalität längst zur Schwäche erklärt wurde. Die europäische Politik gleicht zunehmend einer Herde kopfloser Hühner, die blindlings auf eine Autobahn rennen, in der irrigen Annahme, dass man sie für mutig hält.

Wenn es jetzt nicht gelingt, diesen Kurs zu verlassen, wird Europa zum Schlachtfeld. Nicht, weil Russland es angreift. Sondern weil niemand den Mut hat, zurückzutreten. Und weil niemand mehr sagt, was gesagt werden muss:

Frieden ist keine Kapitulation. Frieden ist das Einzige, was uns vor dem Abgrund bewahren kann. Alles andere führt unausweichlich in eine Eskalation, deren Ende niemand mehr kontrollieren wird.

Quellen
  • Reuters: Putins Vorschlag für temporäre UN-Verwaltung in der Ukraine (2025)
  • ZDF: Russische Bedingungen für Friedensverhandlungen (2025)
  • The Guardian: Trumps Strategie gegen China – Ukraine nur Mittel zum Zweck (2025)
  • Watson: Entsendung europäischer Militärchefs nach Kiew (2025)
  • APNews: EU-„Porcupine-Strategie“ zur Aufrüstung der Ukraine (2025)
  • Zeit Online: Widerstand gegen russische Forderungen in EU-Führung (2025)
  • Interview mit Richard David Precht, Podcast „Lanz & Precht“, 2023

Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 7. Aptil 2025
Wir danken für das Publikationsrecht.

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