Schwedische Hafenarbeitergewerkschaft beschließt Blockade von Kriegsmaterial

Redaktion von ZdA (Zeitung der Arbeit)

Bild: Zeitung der Arbeit

In einer bemerkenswerten Entscheidung hat die schwedische Hafenarbeitergewerkschaft heute eine Blockade des Umschlags von Kriegsmaterial von und nach Israel beschlossen. Der Beschluss wurde im Kontext des anhaltenden Krieges in Gaza gefasst und reflektiert die deutliche Haltung der Gewerkschaftsmitglieder gegen die militärische Eskalation in der Region. Nach den Ferien wird der Vorstand der Gewerkschaft mit der Umsetzung des Beschlusses beginnen.

Klare Mehrheit für die Blockade

Die Entscheidung wurde von den Mitgliedern der Hafenarbeitergewerkschaft mit großer Mehrheit unterstützt: 68 Prozent stimmten für die Blockade. Dieses Ergebnis gibt der Gewerkschaft ein starkes Mandat, um konkrete Maßnahmen gegen den Transport von Kriegsmaterial von und nach Israel zu ergreifen. Laut der Gewerkschaft wird die Blockade so lange bestehen bleiben, wie der Krieg in Gaza andauert.

Auswirkungen auf schwedische Rüstungsindustrie und Handel

Die Blockade wird weitreichende Folgen haben, insbesondere für die schwedische Rüstungsindustrie. Unternehmen, die beispielsweise Zielfernrohre nach Israel exportieren, werden betroffen sein. Ebenso wird die Blockade schwedische Waffenimporte von israelischen Firmen wie Elbit und Rafael treffen, die zu den bedeutenden Akteuren auf diesem Gebiet gehören.

Die Entscheidung der Arbeiterinnen und Arbeiter unterstreicht nicht nur die moralische Haltung der Hafenarbeitergewerkschaft, sondern auch die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen, die mit solch einer Aktion verbunden sind. Der Schritt signalisiert zudem eine klare Botschaft an die internationale Gemeinschaft und fordert ein Ende der Gewalt in Gaza.

Symbol für die Stärke der Arbeiterbewegung

Die Entscheidung der Hafenarbeitergewerkschaft wird von vielen als ein Zeichen der Solidarität und als ein kraftvoller Ausdruck der Macht einer vereinten Arbeiterklasse gesehen. Sie zeigt, dass arbeitende Menschen in der Lage sind, durch entschlossenes Handeln eine klare Position zu beziehen und Einfluss auf globale Themen zu nehmen, vorausgesetzt, sie werden nicht daran gehindert.

Die Blockade könnte auch andere Gewerkschaften und Organisationen weltweit dazu inspirieren, ähnliche Schritte zu erwägen, um ihren Widerstand gegen militärische Konflikte und Menschenrechtsverletzungen auszudrücken. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Entwicklungen diese Entscheidung nach sich ziehen wird, doch schon jetzt steht fest, dass sie ein starkes Signal für Frieden und Gerechtigkeit setzt.

Quelle: RiktpunKt

Erstveröffentlicht in der ZdA v. 20.12. 2024
https://zeitungderarbeit.at/international/schwedische-hafenarbeitergewerkschaft-beschliesst-blockade-von-kriegsmaterial/

Wir danken für das Publikationsrecht.

Wo ist denn Syrien nur geblieben? – Kommentare und Fragen von links!

Der überraschend schnelle Sturz der unsäglichen Assad Diktatur in Syrien wurde allseits bejubelt. Der Sieg hat viele Väter, erfolgte aber hauptsächlich unter Führung einer islamistisch geprägten Koalition.

Die islamistisch faschistoide Wurzel der neuen Machthaber wird zwar durch die hiesige Presse kritisch angemerkt, aber mit dem Etikett der „Läuterung“ versehen und in der Hoffnung einer „nützlichen Zusammenarbeit“ mit dem Westen durchgewunken. Insgesamt – trotz einiger Zweifel – wird der Schein eines befreiten Landes mit viel Hoffnung vermittelt, in das man schnurstracks auch alle Flüchtlinge zurückschicken kann.

Ist dieses Bild real oder nur ein Fake? Oder ist Syrien nun das Fell des erlegten Bären, das als Beute hegemonialer Interessen aufgeteilt wird ? Hier einige – hoffentlich erhellende – Fragen und Kommentare von „links“ dazu.

Am treffendsten beschreibt wohl die öffentliche Erklärung von Martin Sonneborn von der Partei „Die Partei“ die Geschehnisse in Syrien. Verkleidet in Fragen. Unterlegt mit einem satirisch bitter beissenden Unterton. Am Schluss fragt er: Wo ist denn Syrien nur geblieben. Die von ihm mitgelieferte Landkarte gibt Antwort darauf.

Oh. Sieht aus, als gäbe es ein neues Sykes-Picot-Abkommen! 108 Jahre später.

Wir haben da mal Fragen:

1) Wo ist denn Syrien nur geblieben?

2) Müssen wir jetzt einen neuen Diercke-Weltatlas bestellen?

3) Wieso nennen unsere doch manchmal ganz gut informierten Zeitungen (Wetter, Fußball, Lottozahlen, Horoskop) diese durchgeknallten Al Qaida-Islamisten immer so höflich „moderate“ „Rebellen“, während sie gleichzeitig darauf bestehen, die ideologisch nahezu identen Vertreter der Hamas immerzu als „Terroristen“ zu bezeichnen?

4) Wie kommt es, dass man es (in denselben Medien) eine „Befreiung“ nennt, wenn das syrische Volk unter die Besatzung einer marodierenden usbekisch-uigurisch-turkmenisch-tschetschenischen Dschihadistengang gerät?

5) Wissen die auf syrischem Staatsgebiet versammelten Takfiri-Kopfabschneider schon, dass sie auf der von höchstoben verordneten Landkarte am Ende gar nicht vorgesehen sind?

6) Ist das in dieser „regelbasierten“ Weltordnung schon verbindlich festgeschrieben, dass man einen kollabierenden Staat als Nachbar einfach so übernehmen darf? Gilt das auch für uns und das (schon ein bisschen kaputtere) Frankreich?

7) A propos Nachbar: Was machen eigentlich die USA da in der Gegend?

8) Wo ist denn eigentlich das Völkerrechtssubjet Syrien geblieben, dessen Status von einem Sturz der Regierung doch völlig unberührt bleibt?

9) Hat irgendjemand die Syrer mal gefragt, ob sie diesen Scharia-Klimbim überhaupt mitmachen wollen, bevor sie perspektivisch — je nach PLZ -, Türken, Israelis oder – Allah behüte – gar US-Amerikaner werden müssen?

10) Kann es sein, dass noch nicht einmal einer dieser – mit Verlaub! – ابن العاهرة-Neubesatzer halbwegs passables levantinisches Arabisch spricht? (Haben, hüstel, Mister Sykes & Monsieur Picot auch nicht getan.)

11) War das Zeitalter des Kolonialismus (nach 500 qualvollen Ausbeutungs- & Unterdrückungsjahren) nicht eigentlich im letzten Jahrhundert schon vorbei?

12) Steht eigentlich jedem eine Pufferzone zu? Uns auch? Die vonderLeyen niemals je betreten darf? Natürlich nur zu unserem Schutz. Aggressive Vorwärtsverteidigung, Sie verstehen.

13) Wieso sprechen selbst die wokesten Neuzeitopportunisten immer noch vom Nahen Osten, wenn sie Westasien meinen? Wie würden die wohl gucken, wenn man ihnen beiläufig mal steckte, dass Westasien nur aus Sicht einstiger (und heutiger) Kolonialisten der „Nahe Osten“ ist?

14) Und schließlich: Die EU empfindet sich doch als moralisch so fein aufgestellt, wenn sie sich fortwährend für Minoritäten aller Art einsetzt, sogar für die Uiguren im ziemlich fernen China. Selbst dem dümmsten Atheisten ist aber mittlerweile aufgefallen, dass die EU noch nie, wirklich noch nie, auch nur ein einziges Wort über die Christen im „Nahen Osten“ verloren hat, deren Jahrtausende alte Spuren aus der kulturellen Textur dieser Region gerade großflächig mit Vorschlaghammer herausradiert werden. Warum?

15) Wo ist denn Syrien nur geblieben?

Reaktion eines UN-Vertreters auf Israels Angriffe auf Syrien:

„Es gibt absolut keine Grundlage im Völkerrecht, ein Land, das einem nicht gefällt, präventiv oder vorbeugend zu entwaffnen.“

Die jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost geht auf die Rolle Israels ausführlicher ein:

„Israel handelt nach Belieben oder im Einklang mit den Interessen der USA und europäischer Staaten. Nachdem die Ausrede der „Selbstverteidigung“ den Völkermord in Gaza kaschiert hat, aber kaum noch Glaubwürdigkeit besitzt, setzt Israel sein Werk in Syrien fort. (.. .) In Damaskus und woanders wurden Luftwaffe und Marine Syriens zerstört. Warum? Dafür gibt es in der deutschen Sprache den Ausdruck „präventive Verteidigung“.

Darüber hinaus vergrößert Israel sein Territorium und setzt frühere Schritte im Nahen Osten fort: ethnische Säuberung und Besatzung. Israel beansprucht nicht nur die Golanhöhen als Territorium,
sondern fordert auch eine Pufferzone, ähnlich wie im Libanon, und strebt eine „vollständige Kontrolle“ über weitere Teile Syriens an. (…) Mittlerweile wurde der deutsche Begriff „Lebensraum“ auf Deutsch von einer israelischen Zeitung verwendet.“

Beim Wort „Lebensraum“, werden Erinnerungen wach. Ein sogenannter Syrien Experte am 14.12. im Focus: „Israel entwickelt sich zu einer Supermacht im Nahen Osten“ Unser Redaktionsmitglied Kurt Weiss kommentiert :

„Israel der unsinkbare Flugzeugträger für US und auch deutsche Interessen im Nahen Osten.“

Eiko Behrens erklärt uns einiges über die Hintergründe:

Die anhaltenden Unruhen in Syrien sind eng mit zwei Pipeline-Projekten verknüpft, die für die Gestaltung von Allianzen und Feindseligkeiten im Nahen Osten von zentraler Bedeutung waren:

Iran-Irak-Syrien-Pipeline! Strategische Ziele:Umgehung der Golfstaaten und der Türkei, um dem Iran eine direkte Energieroute nach Europa zu geben. Stärkung der Iran-Irak-Syrien-Achse. Unterstützer: Iran, Irak, Syrien, mit möglicher Beteiligung Russlands.

Katar-Türkei-Pipeline. Strategische Ziele:Europa eine nicht-russische/nicht-iranische Energiequelle anbieten. Die Dominanz des Golfkooperationsrates (GCC) auf den globalen Energiemärkten festigen. Die Rolle der Türkei als Energietransitknotenpunkt stärken und so ihren geopolitischen Einfluss erhöhen. Unterstützer: Katar, Türkei, westlich ausgerichtete Interessen, darunter die USA und die EU.

Kurz nach Assads Ablehnung des Katar Türkei Projektes 2009 wurde Syrien zum Schlachtfeld. Auch Eiko Behrens hat eine Karte zu seinen Erklärungen mitgeliefert. Eine weitere Karte zeigt die Verteilung der Öl und Gasvorkommen innerhalb Syriens selbst.

Und die Moral von der Geschichte? Dazu meldet Margareth Gorges folgendes:

Es geht schon los. Der neue Justizminister Syriens Agadir Alwaisi teilte mit, dass es keine Richterinnen mehr geben werde und die Gerichte nur noch von Männern geleitet würden. [1]https://x.com/NatalieAmiri/status/1866861917144248365?fbclid=IwY2xjawHJx1xleHRuA2FlbQIxMQABHRmVvR3W1EFlskAXajN7LwhQeKYx2YSkZd1_NLeR6bmf4qW_1czxs5rmKw_aem_zjuQJ3tdrBB6Keb4xE0Gwg

Richterinnen müssen ihre bestehenden Fälle an männliche Richter abgeben.

Frauen sollen in Syrien von Ämtern und wesentlichen Funktionen ausgeschlossen werden.

Wer glaubt, dass Islamisten kein Islamistisches Ding durchziehen, sondern brave Demokraten werden, der glaubt an den Weihnachtsmann.

Da kann man nur sagen, „hoffnungsvolle Zeiten für alle Syrerinnen, die demnächst in ihre gelobte Heimat zurückkehren dürfen!“

Wir danken den Zitatgeber:innen. Das kreative Titelfoto stammt von Martin Sonneborn.

Foreign German Policy beleuchtet in mehreren Beiträgen die Entwicklung in Syrien. Empfehlenswert für jeden, der die Zusammenhänge noch  genauer erfassen will. 

Nachtrag Fabian Lehr

Es ist einfach so wild, wie die Hälfte der antideutschen Fraktion meiner Timeline, die jedes noch so bestialische Kriegsverbrechen gegen Gaza immer damit rechtfertigte, dabei handle es sich um den notwendigen Kampf von Moderne, Demokratie und Aufklärung gegen die islamistische Finsternis, jetzt gleichzeitig darüber jubelt, dass die buchstäbliche Nachfolgeorganisation von al Quaida in Syrien sich einen Staat erobert hat.

Eskalationslogik: Russland und USA haben ihre Nuklearstrategie geändert

Von Florian Rötzer

Der Krieg zwischen der NATO und Russland erreicht die nächste Eskalationsstufe. Russland hat seine Nukleardoktrin geändert. Die russische Führung erklärt, das Land sei nicht bereit mit dem „Messer am Hals“ (Putin) zu leben. Damit meint sie die geplante militärische Einbindung der Ukraine in die NATO-Strukturen, die sie – wie 1961 die USA die Stationierung atomar bestückbarer sowjetischer Militärbasen in Kuba – als existenzielle Bedrohung begreift. Nun wird auch der Angriff auf russische strategische Ziele mit Hilfe der ukranischen NATO-Verbündeten als mögliche Rechtfertigung für den Einsatz von Nuklearwaffen verkündet. Auf der anderen Seite verschärfen auch die USA ihre Nuklearstrategie. Die gemeinsame Erklärung der Atommächte, dass ein Nuklearkrieg nicht gewinnbar ist und unbedingt verhindert werden muss, gehört der Vergangenheit an. US-amerikanische Militärs votieren jetzt für die Führung eines Atomkrieges, der die Fortexistenz ihrer Vorherrschaft ermöglichen soll. Ein gigantisches Modernisierungsprogramm der Atomwaffenarsenale soll Moskau vor die Alternative stellen, entweder einzuknicken oder allein unterzugehen zu müssen. Ist ein solches Szenario eigentlich noch steigerbar? (Jochen Gester)

Bild: pixbay

Am 19. November hat Wladimir Putin die Atomwaffenstrategie aktualisiert oder erweitert. Die Reaktion auf die Freigabe weitreichender Waffen wie ATACMS und Storm Shadow war wohl schon länger vorbereitet worden. Auf die Veröffentlichung der Strategie folgte eine deutliche Warnung durch den Angriff einer nuklear bestückbaren Rakete auf eine ukrainische Rüstungsfabrik für Rakete in Dnipro. Umstritten ist, ob es sich um eine Lang- oder Mittelstreckenrakete handelt, es war jedenfalls eine Rakete mit mehrfachen Sprachköpfen (MIRV). Auf Videos konnte man sehen, wie sechs Sprengköpfe kurz nacheinander einschlugen (Gefährliche Eskalationsspirale).

Putin betonte, dass die Mittelstreckenrakete, die er Oreshnik nennt,  nicht auf der sowjetischen Technik aufbaut, sondern eine neue Entwicklung sei. Am 22. November sagte und drohte er: „Das Oreshnik-Raketensystem ist nicht nur eine effektive Hyperschallwaffe. Aufgrund seiner Durchschlagskraft, vor allem bei Masseneinsatz und in Kombination mit anderen Langstrecken-Präzisionssystemen, über die Russland ebenfalls verfügt, ist sein Einsatz gegen feindliche Ziele in Wirkung und Durchschlagskraft mit dem Einsatz strategischer Waffen vergleichbar. Das Oreshnik-System ist zwar keine strategische Waffe, auf jeden Fall aber keine ballistische Interkontinentalrakete und kein Massenvernichtungsmittel, auch weil es eine Hochpräzisionswaffe ist. Gleichzeitig gibt es, wie ich bereits erwähnt habe, keine Mittel, um eine solche Rakete abzuwehren, keine heute auf der Welt existierenden Mittel, um sie abzufangen. Und ich betone noch einmal: Wir werden das neueste System weiter testen.“

“Garantierte Abschreckung”

In der neuen Nuklearstrategie geht um die „garantierte Abschreckung eines potentiellen Gegners von einer Aggression gegen die Russische Föderation und (oder) ihre Verbündeten“, mit Betonung auf „garantiert“. Hervorgehoben wird, dass die Abschreckung defensiv ausgerichtet ist, es aber nicht nur um gegnerische Staaten oder Bündnisse geht, die Atomwaffen oder andere, nicht näher genannte Massenvernichtungswaffen besitzen, sondern auch solche, die „über ein erhebliches Kampfpotenzial von Mehrzweckstreitkräften verfügen“, sowie Staaten, die „Territorium, Luft- und/oder Seeraum und Ressourcen für die Vorbereitung und Durchführung eines Angriffs gegen die Russische Föderation“ zur Verfügung stellen. Bezogen aktuell auf die USA und die Ukraine heißt es: „Eine Aggression gegen die Russische Föderation und/oder ihre Verbündeten durch einen Nichtkernwaffenstaat mit Beteiligung oder Unterstützung eines Kernwaffenstaates wird als gemeinsamer Angriff betrachtet.“

Weit gefasst sind die Bedrohungen durch Waffensysteme, die nukleare Abschreckung erlauben können: „Besitz und Stationierung von Raketenabwehrsystemen und -mitteln, Marschflugkörpern und ballistischen Flugkörpern mittlerer und kürzerer Reichweite, nichtnuklearen Hochpräzisionswaffen und Hyperschallwaffen, Kampfdrohnen verschiedener Träger und gerichteten Energiewaffen.“ Auch wenn militärische Infrastruktur und Waffensysteme, die eine nukleare Aufrüstung ermöglichen, in einem Staat nahe Russland verlegt werden oder neue Militärkoalitionen geschaffen oder „bestehende Koalitionen, die ihre militärische Infrastruktur näher an die Grenzen der Russischen Föderation heranführen“, erweitert werden, können Atomwaffen eingesetzt werden. Angriffe mit ballistischen Raketen oder Angriffe auf Einrichtungen der Nuklearstreitkräfte, was die Ukraine bereits mit Angriffen auf Luftwaffenstützpunkte mit strategischen Bombern bereits gemacht hat, gelten als Bedingungen der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen. Das ist auf die Ukraine, aber auch auf Georgien und Moldawien zugeschnitten und soll eine Verunsicherung oder Ungewissheit erzeugen, ab welchem Schritt ein Angriff mit Atomwaffen erfolgen könnte, gerade weil die Schwelle ziemlich niedrig liegt.

Im Grunde hat sich Putin, der über den Einsatz von Atomwaffen entscheidet, eine Strategie zur freien Entscheidung gegeben. Ab jetzt müsste die Ukraine fast immer damit rechnen, dass auf sie Atomwaffen gerichtet werden. Das erhöht die Ungewissheit, macht es aber gleichzeitig immer schwieriger für Putin, Atomwaffen bei Angriffen auf Russland nicht einzusetzen, da die garantierte Glaubwürdigkeit schwindet, wie das bereits geschehen ist.

USA wollen “nukleare Abschreckung” gegen mehrere Atommächte gleichzeitig richten

In dieser riskanten Situation haben auch die USA noch schnell vor dem Amtsantritt von Donald Trump ihre Nuklearstrategie „angepasst“, da gegnerische Atomwaffenstaaten „eskalieren“. Weil die anderen eskalieren, müssen dies auch die USA machen, so die bekannte Logik des Wettrüstens, wenn Verhandlungen nicht angestrebt werden: „Wir befinden uns jetzt in einer Welt, in der wir mit mehreren nuklearen Konkurrenten konfrontiert sind, mit mehreren Staaten, die ihre Atomwaffenarsenale vergrößern, diversifizieren und modernisieren und leider auch die Rolle, die Atomwaffen in ihren nationalen Sicherheitsstrategien spielen, in den Vordergrund stellen“, sagte Richard Johnson vom Pentagon, zuständig für Atomwaffenpolitik.

Er versicherte, dass die USA an einer effektiven nuklearen Abschreckung „in Anbetracht der verbesserten nuklearen Fähigkeiten Chinas und Russlands und des möglichen Ausbleibens von Vereinbarungen über nukleare Rüstungskontrolle nach dem Februar“ festhalten würden. Gemeint sein müsste Februar 2026. Russland hatte 2023 nach dem Ausstieg der  USA aus dem INF-Vertrag (2019) und dem Kriegsbeginn den New Start-Vertrag „ausgesetzt“, der die Zahl der strategischen Trägersysteme und Atomsprengköpfe festlegt und Inspektionen zur Vertragsverifikation beinhaltet.

Der Vertrag endet 2026. Und dann dürfte das nukleare Wettrüsten in eine neue Phase eintreten. Man müsse eventuell den Nuclear Posture Review von 2022 überarbeiten. Die Logik der nuklearen Abschreckung, also letztlich die wechselseitige Zerstörung, sei „vernünftig“. Die schon länger geplante „nukleare Modernisierung“, also der Ersatz oder die Verbesserung der Interkontinentalraketen, der U-Boote und der entsprechenden ballistischen Raketen, der strategischen Bomber, Marschflugkörper und nukleare Gravitationsbomben, der Nuklearsprengköpfe und der Produktionsanlagen, könnte nicht schnell genug vorankommen, sagte Johnson. Das Programm reicht in das nächste Jahrzehnt, gerechnet wird mit Kosten von 1,5 Billionen US-Dollar.

Johnson stellt neben der verbesserten Nuklear-U-Boote der Ohio-Klasse vor allem die Entwicklung und Bereitstellung der Ende Oktober 2023 angekündigten B61-13 Gravitationsbombe heraus. Vermutlich eine Reaktion auf Moskaus Aussetzung des New-Start-Vertrags. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung der präzisionsgelenkten B61-12-Bomben mit einer variablen Sprengkraft von 0,3 bis 50 Kilotonnen, die in Deutschland im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ die B61-Bomben ersetzen sollen. „Insgesamt sind für die Modernisierung des Fliegerhorstes Büchel sowie für die Implementierung des Waffensystems F-35A etwa 1,10 Milliarden Euro vorgesehen“, erklärte das deutsche Verteidigungsministerium auf eine Anfrage von Andrej Hunko 2023.

Die B61-13 ist mit einer Sprengkraft von 360 Kilotonnen stärker und soll gegen „härtere und großflächigere“ militärische Ziele eingesetzt werden.

Atomwaffen können nicht nur zur Abschreckung von Nuklearangriffen eingesetzt werden

Aus einem Bericht an den Kongress, der am 15. November eingereicht wurde, werden vom Pentagon die Forderungen der National Nuclear Security Administration, die beim Energieministerium angegliedert ist, aufgeführt:

„Pläne zur gleichzeitigen Abschreckung mehrerer nuklear bewaffneter Gegner.

Integration nichtnuklearer Fähigkeiten zur Unterstützung der nuklearen Abschreckungsmission, soweit dies möglich ist.

Hervorhebung der Bedeutung des Eskalationsmanagements in der US-Planung für die Reaktion auf einen begrenzten nuklearen Angriff oder einen nichtnuklearen strategischen Angriff mit hoher Konsequenz.

Ermöglichung einer vertieften Konsultation, Koordination und gemeinsamen Planung mit Verbündeten und Partnern, um die Verpflichtungen der USA zur erweiterten Abschreckung zu stärken.“

Der Nuclear Posture Review von 2022 hatte bereits mit Verweis auf China und Russland wie Russland betont, dass nicht nur Angriffe mit Atomwaffen nuklear beantwortet werden können: „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Kernwaffen nicht nur zur Abschreckung von Nuklearangriffen, sondern auch zur Abschreckung eines engen Spektrums anderer folgenschwerer Angriffe auf strategischer Ebene erforderlich sind. Dies ist angesichts des derzeitigen Sicherheitsumfelds und dessen möglicher weiterer Entwicklung ein umsichtiger Ansatz.“

Der Unterschied ist nur, dass ein gleichzeitiger Konflikt mit zwei Atomwaffenstaaten 2022 noch als „extreme Situation“ bezeichnet wurde, jetzt soll ein Konflikt mit mehreren Atommächten gleichzeitig in die Planung aufgenommen werden. Das ist auch dem von Präsident Biden beauftragten Bericht über den Einsatz von Atomwaffen vom 15. November zu entnehmen. Die USA seien mit den Atommächten Russland, China und Nordkorea konfrontiert, die, was natürlich nicht im Bericht steht, dank der massiven militärischen Unterstützung der Ukraine gegen Russland zusammengerückt sind, was eine neue Bedrohungslage ergibt: „Jede dieser nuklearen Herausforderungen wäre an sich schon gewaltig, aber die Beweise für eine zunehmende Zusammenarbeit und Absprache zwischen Russland, der VR China, der DVRK und dem Iran machen die Situation noch schwieriger. Es besteht die Möglichkeit einer koordinierten oder opportunistischen Aggression durch eine Kombination von Gegnern in einer Krise oder einem Konflikt, was die US-Strategen dazu zwingt, sorgfältig über komplexe Eskalationsdynamiken und die gleichzeitige Abschreckung mehrerer Gegner nachzudenken, auch in längeren Krisen oder Konflikten.“

Neben den oben erwähnten Punkt wird die Richtlinie des Präsidenten zum Einsatz von Atomwaffen deshalb um den Punkt erweitert: „Anweisung, dass die Vereinigten Staaten in der Lage sein müssen, Russland, die VR China und die DVRK gleichzeitig in Friedenszeiten, in Krisen und in Konflikten abschrecken können.“ Es liegt auf der Hand, dass dies die Begründung dafür ist, die nuklearen Streitkräfte weiter auszubauen. Das wird dann so formuliert, dass „die aktuellen Fähigkeiten, Aufstellung, Zusammensetzung oder Größe der US-Streitkräfte“ notwendig „angepasst“ werden müssen.

Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 10.12. 2024
https://overton-magazin.de/top-story/eskalationslogik-russland-und-usa-haben-ihre-nuklearstrategie-geaendert/

Wir danken für das Publikationsrecht.

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