Schwedische Hafenarbeitergewerkschaft beschließt Blockade von Kriegsmaterial

Redaktion von ZdA (Zeitung der Arbeit)

Bild: Zeitung der Arbeit

In einer bemerkenswerten Entscheidung hat die schwedische Hafenarbeitergewerkschaft heute eine Blockade des Umschlags von Kriegsmaterial von und nach Israel beschlossen. Der Beschluss wurde im Kontext des anhaltenden Krieges in Gaza gefasst und reflektiert die deutliche Haltung der Gewerkschaftsmitglieder gegen die militärische Eskalation in der Region. Nach den Ferien wird der Vorstand der Gewerkschaft mit der Umsetzung des Beschlusses beginnen.

Klare Mehrheit für die Blockade

Die Entscheidung wurde von den Mitgliedern der Hafenarbeitergewerkschaft mit großer Mehrheit unterstützt: 68 Prozent stimmten für die Blockade. Dieses Ergebnis gibt der Gewerkschaft ein starkes Mandat, um konkrete Maßnahmen gegen den Transport von Kriegsmaterial von und nach Israel zu ergreifen. Laut der Gewerkschaft wird die Blockade so lange bestehen bleiben, wie der Krieg in Gaza andauert.

Auswirkungen auf schwedische Rüstungsindustrie und Handel

Die Blockade wird weitreichende Folgen haben, insbesondere für die schwedische Rüstungsindustrie. Unternehmen, die beispielsweise Zielfernrohre nach Israel exportieren, werden betroffen sein. Ebenso wird die Blockade schwedische Waffenimporte von israelischen Firmen wie Elbit und Rafael treffen, die zu den bedeutenden Akteuren auf diesem Gebiet gehören.

Die Entscheidung der Arbeiterinnen und Arbeiter unterstreicht nicht nur die moralische Haltung der Hafenarbeitergewerkschaft, sondern auch die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen, die mit solch einer Aktion verbunden sind. Der Schritt signalisiert zudem eine klare Botschaft an die internationale Gemeinschaft und fordert ein Ende der Gewalt in Gaza.

Symbol für die Stärke der Arbeiterbewegung

Die Entscheidung der Hafenarbeitergewerkschaft wird von vielen als ein Zeichen der Solidarität und als ein kraftvoller Ausdruck der Macht einer vereinten Arbeiterklasse gesehen. Sie zeigt, dass arbeitende Menschen in der Lage sind, durch entschlossenes Handeln eine klare Position zu beziehen und Einfluss auf globale Themen zu nehmen, vorausgesetzt, sie werden nicht daran gehindert.

Die Blockade könnte auch andere Gewerkschaften und Organisationen weltweit dazu inspirieren, ähnliche Schritte zu erwägen, um ihren Widerstand gegen militärische Konflikte und Menschenrechtsverletzungen auszudrücken. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Entwicklungen diese Entscheidung nach sich ziehen wird, doch schon jetzt steht fest, dass sie ein starkes Signal für Frieden und Gerechtigkeit setzt.

Quelle: RiktpunKt

Erstveröffentlicht in der ZdA v. 20.12. 2024
https://zeitungderarbeit.at/international/schwedische-hafenarbeitergewerkschaft-beschliesst-blockade-von-kriegsmaterial/

Wir danken für das Publikationsrecht.

Tollhaus Frankreich – Sturz der Regierung ein Schritt vorwärts

Die von Macron über die Köpfe der Französ:innen eingesetzte Regierung Barnier in Frankreich wurde gestern gestürzt. 331 Abgeordnete stimmten gegen ihn. Zum ersten Mal seit 1962 wurde damit einem französischen Premier das Vertrauen entzogen.

Noch zwei Tage zuvor hat Barnier den Haushalt für die Sozialversicherung per Verordnung (Verfassungsartikel 49.3) unter Umgehung der Parlamentarier in Kraft gesetzt. Das hat den Frust der meisten Französ:innen sowie von vielen politischen Gruppierungen nochmal kräftig geschürt.

Die Gewerkschaft CGT kennzeichnete den Sparhaushalt als schnöde Abwälzung des Schuldenbergs auf Arbeitende und Rentner:

In der Kontinuität des Makronismus sind es erneut die Arbeitnehmer und Rentner, die die Rechnung für das über sieben Jahre gewachsene Defizit zum alleinigen Nutzen der großen Unternehmen, ihrer Aktionäre und Manager bezahlen müssen.

Eines sei hier klargestellt. Weder die Menschen noch die Linke sprechen sich für unendliche Schulden aus. Sie werfen aber die Frage auf, an wen und wofür was wurde und wird das ganze Geld ausgegeben und wer soll die Zeche zahlen. Unter Macron wurde ein Franzose zum reichsten Mann der Welt. Militärapparat und neokoloniale Abenteuer verschlingen Unsummen.

Die Linke war mit ihrem Antrag, dem Regierungschef das Misstrauen auszusprechen, letztendlich erfolgreich. Nicht zuletzt die klare Haltung von LFI und Melanchon brachte alle unter Zugzwang. Auch zunächst wankelmütige Sozialdemokraten stimmten schließlich gegen den Premier. Die extreme Rechte von Marine le Pen war in die Zwickmühle geraten. Trotz aller politischen Zugeständnisse seitens Barnier und Macron an die Rechte, konnte sie ihre Unterstützung der verhassten Regierung nicht mehr aufrecht erhalten, ohne vor der breiten Masse der Bevölkerung ihre „soziale Maske“ zu verlieren. Es ist eine krasse Falschmeldung, wenn viele unserer Medien in Deutschland die extreme Rechte als „dynamische Kraft“ in diesem Prozess darstellen. Sie hat weder den Misstrauensantrag initiiert, war sich hinsichtlich einer Unterstützung lange Zeit uneinig und fordert auch jetzt nicht den Rücktritt von Macron.

Im Kern geht es doch darum: Immer unverfrorener sollen die exorbitanten Profite und die Kosten für die geopolitischen Interessen und Abenteuer des französischen Grosskapitals durch Ausplünderung der arbeitenden Bevölkerung abgesichert werden. Mehr noch. Jetzt bekräftigte Macron nochmals seine Bereitschaft, französische Soldaten in die Hölle der Ukraine zu schicken.

Zwei Drittel der Französ:innen wollen diesen „Präsidenten der Reichen“ sofort loswerden, nochmehr lehnen seine neoliberale Politik ab. Dieser aber trickst das Parlament aus und regiert ignorant am Mehrheitswillen der Bevölkerung vorbei, um seine Agenda durchzusetzen. Der Sturz von Barnier macht ihm in einem ersten Schritt einen Strich durch die Rechnung.

Wie geht es weiter? Die Hürden für einen Sturz des verhassten Präsidenten und damit die Chancen auf Neuwahlen und einer sozialer ausgerichteten Regierungspolitik sind hoch. Man bräuchte in beiden Parlamentskammern (es gibt auch in Frankreich einen Senat) – in der aktuellen Situation nahezu aussichtslos – Zwei-Drittel-Mehrheiten. Macron kann also weiterhin einen Ersatzpremier seiner Wahl ernennen. Er kann dabei auch erneut versuchen, das Linke Lager zu spalten. Er könnte zum Beispiel seinen Vorgänger und einstigen Ziehvater von der PS aus der politischen Leichenhalle hervorzaubern und wiederbeleben. François Hollande soll ja entsprechende Ambitionen gezeigt haben. Aber vielleicht nimmt sich Macron auch den südkoreanischen Kollegen Präsident Yoon Suk Yeol zum Vorbild, der einfach mal, als er seinen Haushalt nicht durchsetzen konnte, das Kriegsrecht ausrief.

Die Linke um LFI hat klare Konturen gezeigt. So muss und kann sie Macron bei seinen perfiden Manövern vorführen. Aber auch die vielen Facetten von politischem Opportunismus entlarven und die Akteure weiter vor sich hertreiben. Die Französ:innen sind dabei, immer mehr Illusionen über Bord zu werfen. Auch gegenüber der extremen Rechten.

Die Entscheidung von LFI ist richtig, bei den nächsten Kommunalwahlen eigenständig anzutreten und einen eigenständigen lokalen Unterbau mit linkem Markenkern zu begründen. LFI ist ausserdem die einzige politische Formation, die sich durch den Westen weder rassistisch noch kriegspolitisch bei den beiden großen Konflikten Ukraine und Palästina Instrumentalisieren lässt.

Macron war noch nie so tot im Ansehen der Menschen wie jetzt. Die Linke insgesamt, vor allem die PS, muss Macrons Anbiederungen zurückweisen und muss die Menschen wieder auf die Straße bringen, gemeinsam mit den Gewerkschaften, begleitet von Streiks – auch wenn diese Streiks wegen mangelnder Verankerung der Gewerkschaften in grossen Teilen der Industrie nach wie vor nicht ausreichend schlagkräftig sind. Dieser Präsident und seine Agenda müssen weg!

Die abgehobene bis extrem arrogante Haltung von Macron in dieser Krise beschreibt das Handelsblatt am 6.12. so:

Ich kann das nicht glauben“, sagte er (Macron) auf den Misstrauensantrag angesprochen. Vielleicht hat ihn das prunkvolle Mobiliar im Élysée-Palast in dem Glauben zurückgelassen, er sei so unangreifbar wie einst der Sonnenkönig Louis XIV. Denn Macron scheint auch den Unmut der Franzosen, der ihm persönlich entgegenschlägt, zu unterschätzen.

Es ist das LFI, dass daraus ohne Wenn und Aber die Konsequenzen formuliert und den Rücktritt des Präsidenten fordert.

Sebastian Chwala beschreibt in dem folgenden Beitrag das unwürdige Verwirrspiel der letzten Tage um den Machteerhalt, aber auch um die Kompliziertheiten, sich mit einer konsequenten linken Politik gegenüber den diversen oportunistischen Strömungen zu behaupten. Lehrreich auch für uns in Deutschland.

Eines ist sicher. Dieses Verwirrspiel geht nun nach der Abwahl von Barnier in die nächste Runde. Macron reitet die Demokratie weiter tot.

Und hierzulande wird von "links"  gerade ein "Angriff auf die ganze Parteilinke"  gefahren 

Haushaltsstreit in Frankreich: Premier Barnier steht kurz vor dem Sturz

02. Dezember 2024 von Sebastian Chwala

Während sich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron auf internationalem Parkett einmal mehr zu einer gefährlichen weiteren Eskalation des Krieges in der Ukraine bekennt, droht im eigenen Lande eine handfeste politische Krise, die der aktuellen Regierung unter Premierminister Barnier noch diese Woche das Amt kosten könnte. Bereits in dieser Woche könnte die bestehende „negative“ Mehrheit gegen die Regierung zum Amtsverlust Barniers führen. Von Sebastian Chwala.

Grund dafür ist die ablehnende Haltung einer Mehrheit der Mitglieder der Nationalversammlung gegen die vorgelegten Haushaltspläne der aktuellen Regierung für das kommende Jahr. Selbst eine Rücknahme der Rentenreform vom vergangenen Jahr, die eine deutliche Anhebung des Renteneintrittsalters vorsieht, schien aufgrund der parlamentarischen Mehrheiten möglich. Eine Abstimmung dazu konnte von den Abgeordneten des Regierungsblocks aber durch Verfahrenstricks abgewendet werden. Gleichzeitig bleibt die Frage offen, wie es nach einem eventuellen Sturz Barniers weitergehen könnte. Besonders das linke Bündnis der „Neuen Volksfront“ (NFP) hat in dieser Frage keine einheitliche Strategie.

Barniers politische Zukunft hängt vom „Rassemblement national (RN) ab

Die Regierung Barnier steht und fällt mit der Unterstützung des ultrarechten „Rassemblement national“ (RN). Dieser hatte sich der Ernennung Barniers und seines Kabinetts im September nicht entgegengestellt, denn sowohl Barnier als auch die Ministerinnen und Minister, die zu großen Teilen aus der rechtskonservativen Partei der „Republikaner“ (LR) stammen, verfügen über politische Profile, die RN-kompatibel sind. Dies gilt für Fragen der inneren Sicherheit ebenso wie für den gesellschaftspolitischen Konservatismus und die scharfe Ablehnung von Zuwanderung.

Macron setzt politisch aber vor allen Dingen deshalb auf die „Republikaner“, weil diese seine wirtschaftsliberale Agenda vollauf mittragen. Anstelle des Versuchs, die NFP zu spalten und die neoliberalen Strömungen innerhalb der Sozialdemokratie an sich zu binden, besiegelte Macron, der sich einst als Bollwerk gegen Rechtsaußen inszeniert hatte, mit der Ernennung des Kabinetts Barnier endgültig eine autoritäre Verschiebung des „Macronismus“ weit nach rechts. Selbst zu symbolischen Zugeständnissen an die Parti Socialiste (PS) war Macron nicht bereit.

Freilich steckt der RN in der politischen Zwickmühle. Die Partei darf nicht vollständig mit dem Regierungsblock identifiziert werden und muss sich daher von Zeit zu Zeit wie eine Oppositionskraft verhalten. Insbesondere bei Themenkomplexen, die für große gesellschaftliche Mehrheiten über politische Lager hinweg maßgeblich sind. Zu nennen sind hier Fragen wie die Entwicklung der Lebenshaltungskosten, aber auch die Rentenpolitik. Zwar steht der RN auch für eine Politik der dauerhaften Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, möchte in der Öffentlichkeit gerne gegenteilig wahrgenommen werden. Genauso lehnt man auch höhere Vermögenssteuern und die Erhöhung der Sozialabgaben für Unternehmen ab, die unter dem „Macronismus“ gerade für Mindestlohnverdiener deutlich gesenkt wurden. Jetzt stehen sie Lohnerhöhungen im Wege, da höhere Löhne diese Privilegien des „Macronismus“ für die Unternehmen wieder zunichte machen würden.

Der RN ist also eine klassische Partei der politischen Rechten, lenkt aber gerne mit der Überbetonung der Migrationsfrage, deren vollständige Unterbindung alle finanziellen Probleme des Staates lösen würde, von seiner grundsätzlichen Feindschaft gegenüber einer staatlich regulierten Ökonomie und dem Sozialstaat ab. Deshalb blieb der RN entgegen den eigenen Ansprüchen in den wochenlangen Haushaltsberatungen politisch blass. Der ultraliberalen Ausgangsagenda der Barnier-Regierung wurde kaum etwas entgegengesetzt. Im Raum stehen ein massives Haushaltsdefizit, das wiederum ein Ergebnis der Steuersenkungsorgien des „Macronismus“ in den letzten sieben Jahren für Vermögende und Unternehmen ist. Die Folge sind massive Einsparungen in allen Haushaltsbereichen, außer bei Polizei und Militär.

Es war die NFP, die dem Haushalt aufgrund der kuriosen politischen Konstellationen während der ersten Lesung des Zahlenwerks einen linken Anstrich geben konnte und erfolgreich Mehreinnahmen von knapp 50 Milliarden in den Haushalt erwirken konnte. Freilich ließ der RN den so überarbeiteten Haushaltsentwurf in der Endabstimmung in der Nationalversammlung durchfallen.

Zuletzt überschattete aber auch der Prozessauftakt gegen Marine Le Pen die politische Debatte in Frankreich. Le Pen wird nicht zu Unrecht der Missbrauch von EU-Geldern vorgeworfen, hatte man doch jahrelang Kader der ultrarechten Partei nur auf dem Papier in Brüssel angestellt. Der RN sieht sich seitdem unter politischem Zugzwang. Dies gelingt nur, wenn die Regierung Barnier wieder stärker unter Druck gesetzt wird, weshalb man von Barnier nicht nur die Stärkung der Kaufkraft sowie eine Eindämmung der wachsenden Kosten für Energie für die Haushalte verlangt. Zudem drängt die Partei Barnier zu einem Entgegenkommen bei der Senkung der Leistungen der „medizinischen Basisversorgung“ – einer Leistung, zu deren Inanspruchnahme auch Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel berechtigt sind.

Ferner verkündete der RN, den Antrag der Fraktion von „La France insoumise“ (LFI) in der französischen Nationalversammlung, die Rentenreform vom letzten Jahr wieder rückabzuwickeln, zu unterstützen. Wie sich der RN bei der Abstimmung tatsächlich verhalten hätte, bleibt unklar, denn in dieser Frage schaffte es der Regierungsblock in skandalöser Weise wie schon 2023, eine Abstimmung zu verhindern. Da der Antrag von LFI in der sogenannten „niche parlemantaire“ diskutiert wurde, verhinderten die „macronitischen“ und „republikanischen“ Abgeordneten und Minister durch 1.000 sinnbefreite Änderungsanträge und Dauerreden eine Abstimmung vor 0 Uhr, was den Antrag hinfällig machte. Die Regeln der „niche parlemantaire“, jenes einen Tages pro Sitzungsperiode und pro Fraktion, an dem diese und nicht die Regierung die Tagesordnung festsetzen, besagen, dass die jeweils eingereichten Anträge auch nur an diesem einen Tag diskutiert werden dürfen. Die antiparlamentarische Tradition der V. Republik hat also wie schon 2023 erneut verhindert, dass dieses einschneidende Gesetz eine Legitimation durch eine Abstimmung und nicht nur durch Erlass erhalten hat.

Die Folgen für das Ende Barniers sind unklar – auch die Linke ist sich uneins

Die verhinderte Abstimmung über die Rentenreform, bei der es am Rande der Sitzung sogar zu Handgreiflichkeiten kam, war aber nur ein Vorgeschmack auf die zweite Lesung des Haushalts, wo derartige politische Tricks nicht möglich sind. Vieles deutet darauf hin, dass Premier Barnier bei den kommenden beiden Haushaltsabstimmungen im Zuge der zweiten Lesung – der Etat für die Sozialversicherung wird traditionellerweise getrennt abgestimmt – auf das altbekannte Mittel des Artikels 49.3 der Verfassung zurückgreifen wird, um eine erneute ausufernde Debatte zu verhindern, wie im Verlaufe der ersten Lesung geschehen. Der Haushalt würde dann, wie seit 2022 alle Etats, per Verordnung in Kraft gesetzt, sofern das Parlament dem Regierungschef nicht das Misstrauen ausspricht. Hatte der RN dies bisher ausgeschlossen, scheint man nun bereit, einem derartigen Antrag aus den Reihen der Linken zuzustimmen.

Damit käme eine Mehrheit gegen Barnier zustande – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Damit hätten auch alle Ministerinnen und Minister ihr Amt verloren. Staatspräsident Macron könnte Barnier allerdings unmittelbar wieder als Premierminister ernennen. Angesichts der schwachen politischen Stellung Macrons ist dies äußerst unwahrscheinlich. Denn inzwischen wünschen sich laut Umfragen sogar knapp zwei Drittel der Französinnen und Franzosen einen Rücktritt Macrons, sollte Barnier gestürzt werden. Dies könnte bereits an diesem Donnerstag passieren.

Die aktuell stärkste Linkspartei LFI fordert daher erneut ein Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsident Macron und unmittelbare Präsidentschaftsneuwahlen. Diese Strategie wird von Seiten der Sozialdemokratie abgelehnt, die jede Form der politischen Instabilität aufs Schärfste ablehnen und inzwischen sogar einen politischen Kompromiss mit dem „Macronismus“ eingehen würden, um eine handlungsfähige Regierung zu schaffen und einen Haushalt für das kommende Jahr verabschieden zu können. Faktisch könnte dies auch eine technische Regierung sein, die ohne jede eigene politische Agenda dem Parlament vorsteht. Dies widerstrebt LFI, das seinerseits die Bildung einer linken Regierung unter der Führung von Lucie Castets – auf diese Personalie hatten sich die Linksparteien im Sommer geeinigt – einfordert und darauf hofft, dass die Krise der aktuellen V. Republik LFI als Partei der jungen Generation zur unumstrittenen führenden Kraft der Linken aufsteigen lässt. Bereits vor Wochen hatte LFI angekündigt, flächendeckend zur kommenden Kommunalwahl mit eigenen Listen anzutreten und sich nicht als Juniorpartner anderen Mitte-Links-Bündnissen anzuschließen.

Dieser Zwischenschritt ist notwendig für eine schrittweise politische Verankerung über die Aktivistenebene hinaus, da vorzeitige Neuwahlen der Staatsspitze äußerst unwahrscheinlich scheinen. Dennoch bleibt LFI das Feindbild schlechthin für weite Teile der Medienlandschaft und des gesellschaftlichen Establishments. So steht selbst innerhalb der Linken nur LFI für eine konsequente Ablehnung der Kriege Israels im Gazastreifen und im Libanon. Selbst wichtige Köpfe der Partei und Bewegung mussten in den vergangenen Monaten deshalb Ermittlungsverfahren wegen angeblicher „Verherrlichung von Terrorismus“ über sich ergehen lassen. Forderungen von LFI, den Straftatbestand „Terrorismus“ wieder aus dem allgemeinen Strafgesetzbuch zu streichen und wieder zu einem speziellen Straftatbestand zu erklären, um nicht durch Banalisierung des Vorwurfs einen politischen Missbrauch zu begünstigen, der auf Einschüchterung hinauslaufen soll, führten bis zum Vorwurf aus dem rechten politischen Spektrum, dass LFI eine „frankreichfeindliche“ Organisation sei.

Jean-Luc Mélenchon, der sich zuletzt auch wieder laut dafür aussprach, den Krieg in der Ukraine schnellstens zu beenden, bevor es zu einer weiteren Eskalation kommen kann, scheint derweil nicht ganz abgeneigt zu sein, noch einmal für die Präsidentschaft kandidieren zu wollen. Sein Name wird indes von der politischen Spitze LFIs, der Mélenchon nicht angehört, immer wieder ins Gespräch gebracht. Da die parteipolitische Linke wie schon bei den letzten beiden Parlamentswahlen tatsächlich gemeinsam kandidieren müsste, um überhaupt die Chance für die Stichwahl zu wahren, scheinen etwaige Wünsche nach seiner Kandidatur aussichtslos. Denn die übrigen Linksparteien und die Sozialdemokratie lehnen die Figur Mélenchons aufgrund seiner vermeintlichen Radikalität ab.

Innerhalb der Sozialdemokratie gibt es um den aus der politischen Versenkung wieder aufgetauchten Ex-Präsidenten Hollande Kräfte, die die politischen Kurskorrekturen des aktuellen Parteichefs Faure vollständig revidieren wollen und jede Wendung nach links aktiv bekämpfen. Die „Neue Volksfront“ bleibt also ein wackeliges Gebilde, das von persönlicher und programmatischer Konkurrenz geprägt ist, aber offiziell nicht politisch zusammenbrechen darf. Wie lange diese Situation anhält, bleibt offen.

Wir danken Sebastian Chwala für das Publikationsrecht. Der Beitrag ist am 2 Dezember 2024 bei den NachDenkSeiten erschienen.

Titelfoto, Collage Peter Vlatten

Südkorea: Solidarität mit den Verteidigern der Demokratie und der sozialen und politischen Rechte

Mit Sorge und Empörung haben wir die reaktionären Umsturzpläne des koreanischen Präsidenten Yoon verfolgt, in einer Nacht- und Nebelaktion durch Verhängung des Kriegsrechts Grundrechte und Demokratie außer Kraft zu setzen. Zur Analyse der Lage drucken wir hier drei Beiträge ab. Eine Erklärung des koreanischen Gewerkschaftsverbandes, eine Stellungnahme des deutschen Korea Verbands – beide vom 4.12. sowie einen Artikel aus dem heutigen nd. (Jochen Gester)

Bild: Screenshot einer YTM-Übertragung über die Massenproteste gegen die Verhängung des Kriegsrechts

Korean Confederation of Trade Unions:
Wer treibt Südkorea in die Krise und ins Chaos?
– FKTUs Haltung zur Verhängung des Kriegsrechts durch Präsident Yoon Suk Yeol –

Präsident Yoon Suk Yeol hat das Kriegsrecht verhängt.

Der Präsident behauptet, dass die Demokratische Partei sich verschworen habe, um in einem regelrechten staatsfeindlichen Akt einen Aufstand anzuzetteln, und dass die Nationalversammlung zu einer Höhle von Kriminellen geworden sei, die versuchen, das liberale demokratische System zu stürzen. Er erklärte, dass er die Republik Korea, die seiner Meinung nach in den Abgrund stürzt, durch das Kriegsrecht wiederherstellen werde.

Kurz darauf wurde das erste Kriegsrechtsdekret im Namen des Kriegsrechtskommandanten, General Park An-soo, erlassen. Wer ist es in Wirklichkeit, der das Land in eine Krise und ins Chaos stürzt?

Die gesamte Nation steht unter Schock und ist fassungslos angesichts der unvorstellbaren Situation, dass 2024 in Südkorea das Kriegsrecht verhängt wird.
Was erhofft sich der Präsident davon, die Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einzuschränken und alle politischen Aktivitäten, einschließlich derjenigen der Nationalversammlung, der Gemeinderäte, der politischen Parteien und der Proteste, unter Kriegsrecht zu verbieten? Die Nationalversammlung muss unverzüglich die Aufhebung des Kriegsrechts fordern. Präsident Yoon muss bedenken, dass es an sich schon Verrat darstellt, wenn er die Abgeordneten daran hindert, die Nationalversammlung zu betreten oder Sitzungen einzuberufen.

Der FKTU ist der Ansicht, dass Präsident Yoon Suk Yeol einen Punkt überschritten hat, an dem es kein Zurück mehr gibt.

Der FKTU wird eine Dringlichkeitssitzung des Zentralen Exekutivausschusses einberufen, um seine Position in dieser Angelegenheit festzulegen.

Der FKTU wird die Demokratie Südkoreas entschlossen verteidigen.

4. Dezember 2024

Maschinelle Übersetzung aus dem Englischen

http://fktu.or.kr/index.php?ckattempt=1&mid=activities&document_srl=36855

Korea Verband
Statement des Korea Verbands zur Verhängung des Kriegsrechts durch Yoon Suk-yeol

Mit großer Bestürzung und Empörung nehmen wir die Verkündung des Kriegsrechts durch Präsident Yoon Suk-yeol in Südkorea zur Kenntnis. Dieser willkürliche Akt stellt einen eklatanten Angriff auf die Demokratie und die Menschenrechte dar.

Ohne jede Rechtfertigung oder tatsächliche Bedrohungslage hat Präsident Yoon das Kriegsrecht ausgerufen, einzig um die politische Opposition zu unterdrücken und demokratische Prozesse auszuhebeln. Damit hat er nicht nur seine verfassungsmäßigen Pflichten verletzt, sondern auch Südkoreas Rechtsstaatlichkeit schwer beschädigt.

Das Kriegsrecht ist ein Instrument der Unterdrückung, das dazu dient, politische Gegner*innen mundtot zu machen, die Presse in ihrer Arbeit zu behindern und die Grundrechte der Bürger*innen massiv einzuschränken. Es ist in keiner Weise gerechtfertigt und widerspricht den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats.

Der Korea Verband fordert daher:

Die sofortige Aufhebung des Kriegsrechts und die Rückkehr zu demokratischen Verfahren.
Die Amtsenthebung von Präsident Yoon Suk-yeol.
Eine unabhängige Untersuchung und konsequente Aufarbeitung der Ereignisse.
Wir rufen die internationale Gemeinschaft auf, entschieden Druck auf die südkoreanische Regierung auszuüben, um die Demokratie und die Rechte der Menschen zu schützen. Die Menschen in Südkorea haben das Recht auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und ein Leben ohne staatliche Repression.

Der Korea Verband in Deutschland setzt sich für die Demokratie auf der koreanischen Halbinsel ein. Wir haben in der Vergangenheit pro-demokratische Bewegungen in Korea miterlebt, darunter auch den Aufstand vom 18. Mai in Gwangju, und haben uns im Ausland mit den Opfern staatlicher Gewalt solidarisiert.

Wir stehen an der Seite aller, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie in Südkorea einsetzen. Es ist an der Zeit, gemeinsam für ein freies, gerechtes und demokratisches Südkorea einzustehen.

Hintergrund

Am Abend des 3. Dezember 2024 erklärte Präsident Yoon in einer Notstandserklärung um 22:28 Uhr das Kriegsrecht. Kurz darauf, gegen 23:00 Uhr, übernahm das Militär die Kontrolle und untersagte politische Aktivitäten sowie öffentliche Versammlungen. Zeitgleich mobilisierte es Truppen, um die Nationalversammlung zu besetzen.

Doch die Bevölkerung reagierte sofort: Bürger*innen versammelten sich vor der Nationalversammlung und forderten die Aufhebung des Kriegsrechts. Gegen 1 Uhr nachts hielten 190 Mitglieder der Regierungs- und Oppositionsparteien eine Plenarsitzung ab und verabschiedeten einstimmig eine Resolution, in der die Aufhebung des Kriegsrechts gefordert wurde (Lee Seung-Joon, 2024).

Quelle: Lee Seung-Joon. (04.12.2024) 6 Stunden gilt das Kriegsrecht… Präsident Yoon: „Ich werde eine Kabinettssitzung abhalten, um es aufzuheben“ [계엄령 6시간 만에…윤 대통령 “국무회의 열어 해제하겠다”], in : Hankyoreh , https://www.hani.co.kr/arti/politics/politics_general/1170682.html (04.12.2024 08:17 UTC)

Quelle: https://koreaverband.de/blog/2024/12/04/statement-zur-verhaengung-des-kriegsrechts-durch-yoon-suk-yeol/

Südkoreas Opposition bringt Amtsenthebung des Präsidenten auf den Weg

Binnen weniger Stunden wandelte am Dienstag und Mittwoch Südkorea zwischen Diktatur und Demokratie. Die demokratischen Kräfte scheinen gewonnen zu haben – einmal mehr. Präsident Yoon dagegen ist geschwächt.

Von Felix Lill

Es waren Szenen, die kaum jemand in Südkorea für möglich gehalten hatte: Zuerst war da der Präsident, der am Dienstagabend völlig überraschend das Kriegsrecht ausrief, die parlamentarische Opposition der Kollaboration mit dem verfeindeten Nordkorea bezichtigte. Dann blockierte das Militär das Parlamentsgebäude. Kurze Zeit später aber stimmten Abgeordnete trotzdem einstimmig dafür, das Kriegsrecht wieder aufheben zu lassen. Und dann, inmitten großer Straßenproteste, gab der Präsident doch noch klein bei.

Es dürfte geraume Zeit vergehen, bis das, was zwischen Dienstagabend und Mittwoch im ostasiatischen Land geschah, vollends verstanden sein wird. Denn Südkorea – nach Jahrzehnten unter Militärregierung seit 1987 eine Demokratie – schien erneut in eine Diktatur überführt zu werden. Doch Rechtspopulist Yoon Suk-yeol, der seit Frühjahr 2022 auf oft kompromisslose Weise regiert, fehlte offenbar der Rückhalt, den er für eine Durchsetzung des Kriegsrechts gebraucht hätte.

»Deutschland und die internationale Gesellschaft müssen sich für die Demokratie des Landes klar positionieren, um unnötige Opfer und Eskalation zu vermeiden.«Jean Yhee Politikwissenschaftler

Angespannt ist die politische Lage in Südkorea schon länger – innen- wie außenpolitisch. Jenseits der Staatsgrenzen ist da der Ein-Parteien-Staat Nordkorea, der seit Kurzem mit Russland einen potenten Sicherheitspartner hat und gegenüber Südkorea noch vollmundiger auftritt als früher schon. Diktator Kim Jong-un hat seinem Militär zuletzt verkündet, man solle für einen Krieg bereit sein. Aber der eher arme, hochgerüstete Staat nördlich der Grenze ist längst nicht der einzige Quell von Nervosität in Südkorea. Ein anderer ist Yoon Suk-yeol selbst. Nachdem er 2022 hauchdünn die Wahl zum Präsidenten gewonnen hatte, ist er immer wieder wie ein Mann aufgetreten, der nicht verstanden hat, dass Politik in einer Demokratie auch aus Kompromissen besteht. Fragerunden mit Medien schaffte er ab, nachdem ihm die Fragen zu kritisch wurden. Politische Widersacher ließ der Ex-Generalstaatsanwalt verfolgen.

Die Beliebtheitswerte für Yoon sind auch wegen dieses Stils schlecht: Am Montag, dem Tag vor der Ausrufung des Kriegsrechts, zeigten Daten des Umfrageinstituts Realmeter, dass nur 25 Prozent der Menschen in Südkorea zufrieden mit der Arbeit des Präsidenten waren. Denn Yoon regiert nicht nur kompromisslos, sondern auch eher erfolglos: Auf den Politikfeldern Gesundheit, Wirtschaft und Nordkorea hat er jeweils mehr Probleme geschaffen als gelöst, sagen seine Kritiker. Und von denen gibt es immer mehr.

Binnen Stunden waren in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch die Straßen in Seoul mit Tausenden Protestierenden gefüllt. Zu einem Großteil waren es jene Menschen, die seit Amtsantritt immer wieder den Rücktritt Yoons gefordert hatten. Aber nun waren die Yoon-Gegner viel mehr. Selbst Han Dong-hoon, Chef der konservativen People’s Power Party, der auch Yoon angehört, hatte sich gegen seinen Präsidenten gestellt. Er würde gegen das Kriegsrecht arbeiten, hatte Han erklärt.

Der Mut und die Wut vieler Menschen war beeindruckend. Bilder zeigten, wie eine Protestierende in den Gewehrlauf eines Soldaten griff. In Südkorea, das seit dem dreijährigen, letztlich nur durch einen Waffenstillstand beigelegten Koreakrieg (1950–1953) formal im Kriegszustand verharrt, hat praktisch jeder Mann Militärdienst absolviert. Kämpfen könnten sie alle. Und am Dienstag schienen sie bereit, ihre Demokratie zu verteidigen.

Die Menschen in Südkorea haben dies immer wieder getan. Das ostasiatische Land, das nach dem japanischen Kolonialismus bis 1945 bis 1987 eine Diktatur war, ist eine politisch hochsensible Gesellschaft. Viele Themen, ob Gesundheitsreform, Arbeitsrecht oder Importzölle, rufen große Mengen auf die Straßen, wo dann protestiert wird. Im Jahr 2017 wurde die konservative Präsidentin Park Geun-hye nach einer Korruptionsaffäre ihres Amtes enthoben. Begonnen hatte dies mit Straßenprotesten.

Ein ähnliches Schicksal könnte nun Yoon Suk-yeol ereilen. Am Mittwoch haben mehrere Oppositionsparteien gemeinsam einen Antrag auf Amtsenthebung eingereicht. Schon am Donnerstag könnte es zur Abstimmung kommen, bei der es von 300 Abgeordneten zwei Drittel der Stimmen bräuchte. Seit einer Parlamentswahl im April verfügt die Opposition bereits über 190 der Sitze.

Mehrere Beobachter gehen aber davon aus, dass Yoon nach der Blamage vom Mittwoch – die das sehr kurzlebige Kriegsrecht letztlich für ihn bedeutet – ohnehin nur noch zwei Optionen bleiben: Amtsenthebung oder Rücktritt. Schließlich wird die Opposition, deren Stimmen Yoon bei vielen politischen Themen benötigt, kaum noch zur Zusammenarbeit mit dem Präsidenten bereit sein.

Jean Yhee, Politikwissenschaftler und Leiter des Thinktanks Institut Politik+Kultur, das in Seoul und Berlin beheimatet ist, sagte am Mittwoch: »Ob und wie lange der Präsident Yoon im Amt bleiben kann, ohne einen zweiten Putsch zu wagen, ist jetzt eine dringende Frage. Deutschland und die internationale Gesellschaft müssen sich für die Demokratie des Landes klar positionieren, um unnötige Opfer und Eskalation zu vermeiden.«

Theoretisch würde Yoons Amtszeit noch bis 2027 laufen. Dass dieser Mann mit der Rücknahme des von ihm kurz zuvor ausgerufenen Kriegsrechts nun noch zur Tagesordnung zurückkehren kann, glaubt im Land kaum jemand. Zumal Yoon die Tagesordnung ja eigentlich selbst nicht mehr wollte.

Erstveröffentlicht am 5.12. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187304.suedkorea-fuer-yoon-wird-es-eng.html?sstr=S%C3%BCdkorea

Wir danken für das Publikationsrecht

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