Eine Überlegung zum globalisierten Rechtsautoritarismus – von Slave Cubela*
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Der Siegeszug des rechten Autoritarismus scheint unaufhaltbar. Italien, Frankreich, Thüringen, Sachsen, Argentinien, USA, Österreich – wo man nur hinschaut, nähert sich die Rechte den Zentren der Macht oder hat sie bereits erobert. Was dabei ins Auge sticht, ist der globale Charakter der rechtsautoritären Politerfolge. Es scheint, als ob über viele Länder und soziale Klassen hinweg etwas die Menschen magisch auf die autoritäre Rechte zutreibt, und ein Ende dieses Prozesses ist zum Leidwesen der Linken nicht in Sicht.
Dieses globale Etwas kennt sicherlich viele Facetten. Die internationale Medienberichterstattung sorgt für Nachahmeffekte. Die autoritäre Rechte ist global bestens vernetzt. Zudem können wir in einer globalisierten Welt davon ausgehen, dass in vielen Ländern zeitgleich zumindest ähnliche soziale Entwicklungen den Humus für den Aufstieg der autoritären Rechte bereitstellen. Aber ein Aspekt, dessen Bedeutung sich kaum sofort erschließt, ist in meinen Augen besonders bemerkenswert: der weltgesellschaftliche Siegeszug der autoritären Rechten ist ein bizarrer, globaler Siegeszug des Irrsinns. Damit meine ich nicht nur, dass fast unabhängig von Kulturen und geschichtlichen Erfahrungen selbst in klassischen Arme-Leute-Ländern mit einer langen und leidvollen Migrationsgeschichte wie Irland oder Italien eine Wiederkehr von Rassismus, Migrationsfeindlichkeit und Sozialdarwinismus festzustellen ist. Überall auf der Welt finden sich im Umfeld der autoritären Rechten finstere Verschwörungserzählungen, Leugnungen des wissenschaftlich nachweisbaren Klimawandels, Hass auf die offizielle Anti-Covid-Politik, Umvolkungs- und Kulturkampfphantasien aller Art, Manipulationsvorwürfe gegen die sog. „Lügenpresse“, Endzeitvorstellungen usw.
Damit nun diese Analyse nicht oberflächlich bleibt, ist es wichtig, die eigentliche Bedeutung des Wortes Irrsinn als irrenden Sinn hervorzuheben und für das Verständnis hier im Hinterkopf zu behalten. Dementsprechend offenbart sich im rechten Irr-Sinn also ein zutiefst erschüttertes Weltverhältnis, in dem diese Welt jeden vertrauten Charakter eingebüßt hat. Stattdessen scheint die Welt für immer mehr Menschen einen unheimlich-kafkaesken Charakter zu bekommen. Sie gleicht einem Labyrinth, bei dem hinter jeder Ecke bedrohliche Fremdheit, skrupellose Strippenzieher und seltsame Zeichen und Erscheinungen warten. Und entsprechend stellt sich die Frage, warum die Welt für eine wachsende Zahl ihrer Bevölkerung einem unheimlichen und ungeheuerlichen Ort gleicht, dessen Logik die Menschen mit gängigen Erkenntnismustern nicht mehr beikommen.
Die Antwort muss man nun allerdings keineswegs komplizierter gemacht werden, als sie womöglich ist. Denn leben wir nicht schon seit geraumer Zeit in einer Welt, die Naomi Klein schon vor Jahren treffend als „Katastrophen-Kapitalismus“ bezeichnete? Einer Welt, die immer weniger zu dem Optimismus passt, der in ihr nach 1989 verbreitet wurde? Einer Welt also, in der immer sinnfälliger wird, dass Wohlstand für viele unerreichbar bleiben wird, während die wenigen, die in Reichtum leben, damit die Grundlagen menschlichen Lebens überhaupt zerstören? Dazu passt im Übrigen nicht nur, dass bereits viele Menschen von kleinen und großen Katastrophen betroffen waren. Blickt ein Mitglied der Weltgesellschaft wie der Autor dieses Textes nur überflugartig auf die Schlagzeilen der digital allgegenwärtigen Medien, dann müssen diese fast jeden Menschen zutiefst beunruhigen. Man liest, dass der Dritte Weltkrieg schon begonnen habe. Fast monatlich gibt es irgendwo eine Jahrhundertflut oder ein Jahrhundertfeuer zu vermelden. Die Meere sind überfischt, voller Plastik und zu warm. Irgendwo da draußen wartet schon der nächste Virus auf uns. Zollkriege nehmen an Schärfe zu. Immer obszöner inszeniert sich der Reichtum der alten und neuen Oligarchen. Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz scheint zudem eine endgültig verheerende Technikentwicklung loszutreten. Was zum Teufel also ist hier los? Was ist das für eine Welt?
Man wird jetzt einwenden können, so leicht verständlich die globale Katastrophen-Angst angesichts dieser Bilder- und Nachrichtenwalze auch sein mag, warum mündet sie aber derart unaufhaltsam in rechten Irr-Sinn, warum kann sie nicht anderen, emanzipativen Zwecken dienen? Um darauf eine Antwort zu finden, braucht es einen kleinen, gedanklichen Umweg. Schaut man sich die gegenwärtige Praxis des politischen Mainstreams an, dann tut dieser das gegenwärtig scheinbar einzig Richtige: er versucht Ruhe auszustrahlen mit dem Hinweis darauf, dass die Lage trotz Polykrise im Griff ist. Niemand sollte sich Sorgen machen. Gemeinsam und mit einem Ruck schaffen wir das. Mit sozialer Kompromiss-Politik und ein wenig staatlicher Intervention ist ein Green New Deal bald erreicht. Man sollte die Technikentwicklung nicht unterschätzen, sie liefert uns jetzt schon Lösungen für unsere ökologischen Probleme und jeden Tag kommen neue, noch bessere Innovationen dazu. Die Klima-Proteste der jungen Menschen sind angesichts ihrer biographischen Unerfahrenheit verständlich, aber sie sollten doch bitte den Berufsverkehr nicht stören. Es gilt, Hoffnung zu haben, denn auch in der Vergangenheit hat man solche Krisen bewältigt.
Und so weiter und so gut, möchte man meinen. Schließlich hatte schon Freud darauf hingewiesen, dass Angstzustände zwar wichtig sind, weil sie auf Gefahren hinweisen, dass Ängste aber gleichzeitig problematisch sind, weil sie zugleich rationale, kluge Gefahrenlösungen erschweren. Doch schauen wir etwas genauer hin: Das, was als Politik der beruhigenden Hand so geboten scheint, könnte man zugleich als Tabuisierungspraxis interpretieren, also als den Versuch, das Reden über die Welt-Katastrophe subtil zu unterbinden. Oder genauer formuliert: Wenn man ängstlichen und verunsicherten Menschen gegenübertritt, um ihnen Hoffnung zuzusprechen, dann braucht das besonderes Geschick. Sehr leicht nämlich kann der Hinweis auf die Unbegründetheit der Angst als schulmeisterlich, ja sogar als arrogant erscheinen. Diese Gefahr ist umso größer, wenn es sich um massive, soziale Ängste handelt, auf die dann neoliberale Politik-Technokraten qua Medien mit abstrakten Zahlen und leeren Formelsätzen reagieren, wie dies leider gegenwärtig genau der Fall ist. Wie kann man sich dann wundern, dass bei genügend Menschen aus Welt-Angst schnell Welt-Wut wird? Ist es nicht folgerichtig, dass diese Individuen den Eindruck haben müssen, sie würden auch in dieser beängstigenden Notsituation erneut wie in den langen Jahrzehnten des Neoliberalismus abgekanzelt und zum Schweigen gebracht? There is no Alternative, sogar jetzt, wo ihre Welt – stirbt?
Doch nicht nur der politische Mainstream scheint Wut zu ernten, wo er Hoffnung säen will. Der politischen Linken geht es ähnlich. Zum einen schlicht deshalb, weil viele Linke dem politischen Mainstream mit dessen Vorstellung eines Green New Deal und seiner Beruhigungsrhetorik nahestehen. Zum anderen aber, weil die linken Strömungen, die die drohende ökologische Katastrophe ansprechen und diese durch Aktionen ins Bewusstsein zu heben suchen, auch überwiegend besserwisserisch auftreten. Aber womöglich ist das Problem unserer Zeit weniger ein Wissens- oder Bewusstseinsproblem. Womöglich verdrängen die Leute den Zustand der Welt keineswegs, wie viele Klima-Linke meinen. Oder glaubt diese Linke wirklich, dass die Mehrzahl der Menschen nicht weiß oder nicht zumindest ahnt, dass diese Welt kaum mehr Zeit hat? Und braucht es eine besondere soziale Intelligenz, um zu verstehen, dass das Problem womöglich das Reden über diese katastrophische Ahnung ist? Weil dieses Reden eben tabuisiert ist. Weil man das Reden über das drohende Weltende – ein alles andere als leichtes Thema – nirgendwo lernen oder üben kann. Weil dieses Reden besonders schmerzt, gerade wenn man über Jahre hinweg konform gelebt hat. Weil viele Menschen nicht über Zeit oder jene Lesekompetenzen verfügen, um sich einen wissenschaftlichen Reim auf diese komplex-katastrophische Welt zu machen. Weil es in einer vereinsamenden Gesellschaft kaum soziale Orte gibt, wo man offen über die eigenen dunklen Ahnungen reden kann. Weil man gerade bei der Selbstaufklärung im Internet einen Informationsdschungel betritt, in welchem Wahrheit und Lüge nur einen Scroll entfernt sind.
Und beachten wir zum Schluss, welches Alleinstellungsmerkmal die autoritäre Rechte hat. Sie ist der einzige Teil des politischen Spektrums, der den irr-sinnigen Ängsten der Menschen konsequent eine Anlaufstelle bietet, indem die Rechte diese Ängste nicht herunterspielt oder gar aburteilt. Im Gegenteil, die Rechte ruft den Menschen zu: „Gut, dass du deren Spiel nicht mitspielst und für dich denkst. Und glaub uns: die Dinge sind noch viel verrückter, als du denkst. Sie glauben, sie können mit uns alles machen, diese Bande steckt unter einer Decke. Aber wir werden das ändern. Schnell. Radikal. Und so, dass dieser Spuk bald ein Ende hat. So das alles bald wieder normal ist!“ Ein emotionaler Hafen also, in dem irr-sinnige Menschen so sein können, wie sie sind. Und in welchem ihnen obendrauf noch die Herstellung einer radikal neuen Ordnung, bei der dann doch alles so bleibt wie es ist, versprochen wird – das ist fürwahr ein verführerisches politisches Angebot und man beginnt zu ahnen, warum es global immer mehr punktet.
Dieses verführerische Alleinstellungsangebot der extremen Rechten ist allerdings keineswegs unangreifbar. Zunächst einmal könnte es erschüttert werden, wenn demokratische Parteien oder Gewerkschaften begännen, hinter dem rechten Irr-Sinn eine berechtigte katastrophische Weltangst anzuerkennen und diese nicht abzuwerten. Des Weiteren bräuchte es kommunikative Orte und Praxen, die sprachliche Zugänge zu dieser Weltangst gemeinsam möglich werden lassen und in denen Funktionär:innen oder andere Politprofis nicht dominieren. Gelänge es dann noch, diese Wortergreifungspraxis durch neue demokratische Teilhabepraxen zu vertiefen, damit aus den Worten auch etwas folgt, dann könnte man der Rechten womöglich einigen Wind aus ihren Segeln nehmen. Wenn aber dieses katastrophische Reden weiterhin überwiegend irr-sinnig im Umfeld rechtsautoritärer Parteien verbleibt, dann könnte vor unseren Augen gerade die perfekte politische Jahrhundertflut entstehen: eine Weltgesellschaft der vereinzelten, ängstlichen und irr-sinnigen Individuen in einer katastrophischen Welt.
* Slave Cubela ist Mitarbeiter einer großen deutschen Gewerkschaft.
Erstveröffentlicht im express 1/2025
https://www.express-afp.info/
Wir danken für das Abdruckrecht.