Die Gründe für den Wahlerfolg der extremen Rechten in Deutschland

Anna Polo, 11.09.24 Pressenza

Titelbild Pressenza: Björn Höckes Wahlplakat in Thüringen mit Anspielung auf Forderungen die Partei zu verbieten.

In den beiden ostdeutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen, in denen am 1. September gewählt wurde, erhielt die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) bei einer Wahlbeteiligung von 73,5 % mehr als 30 % der Stimmen, während die Parteien der Regierungskoalition (Sozialdemokraten, Grüne und Liberale) und die Linke eine schwere Niederlage erlitten. Links hat hingegen das Sahra Wagenknecht-Bündnis ein gutes Ergebnis erzielt.

Darüber spricht Anna Polo von der italienischen Redaktion mit Reto Thumiger, Redakteur in Berlin.

Anna Polo: Wie erklärst Du dir dieses Wahlergebnis?

Reto Thumiger: Das Wahlergebnis in Thüringen und Sachsen ist der bisher deutlichste Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler in Deutschland. Die fortschreitende Deindustrialisierung, die stark steigenden Lebenshaltungskosten und Energiepreise, der marode Zustand des Bildungs- und Gesundheitswesens, die immer weiter zerfallende Infrastruktur des Landes sowie die zunehmende soziale Ungleichheit und der Zerfall der Mittelschicht stehen im scharfen Kontrast zu den Milliarden, die gleichzeitig in die Rüstung und Waffenlieferungen investiert werden. Das soll erst der Anfang sein, da die Bundesrepublik wieder kriegstüchtig werden soll. Es breiten sich Abstiegsängste und die Furcht aus, dass Deutschland direkt in einen Krieg verwickelt werden könnte. Die Stimmung im Osten Deutschland ist besonders mies, da sich die Menschen in den Bundesländern der ehemaligen DDR als Bürger zweiter Klasse fühlen und von dieser Entwicklung besonders stark betroffen sind. Doch dieses Wahlergebnis setzt lediglich den Trend fort, der bereits bei den Europawahlen sichtbar wurde, und auch die Umfragen für die kommenden Bundestagswahlen deuten in dieselbe Richtung, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in Sachsen und Thüringen.

Das Votum richtet sich sowohl gegen die jeweiligen Landesregierungen als auch gegen die Ampel-Koalition auf Bundesebene. Man muss sich vor Augen führen: In Sachsen kommen die drei Regierungsparteien zusammen gerade einmal auf 12,7 %, in Thüringen sogar nur noch auf 10,4 %. Die FDP wurde regelrecht pulverisiert und ist zusammen mit den Grünen in beiden Landtagen nicht mehr vertreten. Nur die Sozialdemokraten haben mit Mühe die 5%-Hürde überwunden. Die Christdemokraten mussten zwar Verluste hinnehmen, sind in Sachsen aber knapp vor der AfD stärkste Kraft geblieben, während sie in Thüringen mit 10 Prozentpunkten Rückstand hinter der AfD auf den zweiten Platz gefallen sind. Obwohl die CDU mit 16 Jahren Merkel-Regierung mindestens genauso viel Verantwortung für das aktuelle Desaster trägt wie SPD, Grüne und FDP, ist sie mit einem blauen Auge davongekommen.

Die Strategie der etablierten Parteien, die AfD kleinzuhalten, hat offensichtlich versagt. Besonders im Osten haben die Menschen genug von der erzwungenen Wahl des kleineren Übels nach dem Motto: ‚Gebt uns eure Stimme, sonst wird es noch schlimmer.‘

Interviewpartner Reto Thumiger bei der Aktion „Anything to Say?“ zur Freilassung von Julian Assange.

Wie groß ist die Gefahr, die von der AfD ausgeht?

Die AfD deckt ein breites Spektrum ab, das von rechtskonservativen bis hin zu rechtsextremen Positionen reicht. Wenn man sie einfach generell als Nazi-Partei abtut, greift das zu kurz. Aber gerade die Führungsspitze gehört eher zum rechtsextremen Flügel und viele ihrer führenden Köpfe sind wahre Meister im Austesten der Grenzen des in Deutschland Sagbaren. Am bekanntesten ist wohl das Zitat von Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender der AfD und Bundestagsabgeordnete: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Björn Höcke, eine der einflussreichsten und radikalsten Figuren innerhalb der Partei, zeigt seine politische Einstellung offen, wenn er zum Beispiel sagt: ‚Das Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird,‘ oder in seinem Buch schreibt: ‚Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein‘. Das hat dazu geführt, dass Marine Le Pen die Partei aus ihrer Fraktion im Europäischen Parlament ausgeschlossen hat und selbst Giorgia Meloni jegliche Zusammenarbeit mit ihr ablehnt. Selbst weit rechts stehende Parteien wie die Front National oder die Fratelli d’Italia mit postfaschistischen Wurzeln gehen gegenüber der deutschen AfD auf Distanz.

Die desaströse Politik von CDU, SPD, Grünen und FDP, kombiniert mit der sogenannten ‚Brandmauer‘ – der vollständigen politischen Isolation der AfD – sowie dem Fehlen einer glaubwürdigen politischen Alternative, haben die AfD zur perfekten Protestwahl gemacht. Der Aufstieg der AfD ist auch ein Ergebnis des Versagens der Partei DIE LINKE, die es nicht geschafft hat, als einzige echte programmatische Alternative wahrgenommen zu werden. Zudem wurde sie durch ständige interne Streitereien weiter geschwächt, was schließlich zur Abspaltung des Bündnisses um Sahra Wagenknecht führte – worauf ich später noch eingehen werde.

Es ist natürlich schwer vorherzusagen, wie sich die AfD verhalten wird und welche Strömung sich innerhalb der Partei durchsetzen könnte, sollte sie die Brandmauer durchbrechen und entweder an einer Regierung beteiligt werden oder die angestrebte absolute Mehrheit erreichen und sie somit alleine regierungsfähig wäre. In jedem Fall ist dieser Gedanke äußerst besorgniserregend, und wir werden es leider erleben.

Ein genauerer Blick ins Parteiprogramm zeigt, dass die AfD eindeutig eine Kriegspartei ist. Zwar plädiert sie im Ukrainekrieg für einen Verhandlungsfrieden, unterstützt jedoch gleichzeitig das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, also die Finanzierung einer massiven Aufrüstung und die weitere starken Erhöhung des Verteidigungshaushalts – was zur Folge hätte, dass noch weniger Geld für Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktur und Sozialleistungen zur Verfügung stünde. Zudem befürwortet die AfD die NATO-Ost- und Norderweiterung sowie die Waffenlieferungen an Israel. Offensichtlich übertrumpft in der Partei die Islamophobie den Antisemitismus. Sie ist auch eine neoliberale Partei: Es gibt keine Forderungen nach einer anderen Steuerpolitik, keine Erbschafts- oder Vermögenssteuer, und sie tritt nicht für eine stärkere Besteuerung höherer Einkommen ein. Auch in der Lohn- und Rentenfrage vertritt sie nicht die Interessen der breiten Bevölkerung. Die Gründe, warum die AfD gewählt wird, stehen oft im völligen Widerspruch zu den tatsächlichen Inhalten ihres Parteiprogramms. Diese Widersprüche haben jedoch kaum Auswirkungen auf die Wahlentscheidung, was meines Erachtens nur durch die Irrationalität und die kognitive Dissonanz unserer Zeit erklärt werden kann.

Ich denke, wir erleben eine sehr gefährliche Entwicklung, von der die AfD profitiert – oder die sie selbst als Symptom verkörpert. Wenn CDU und AfD in Sachsen zusammen auf 62,5 % und in Thüringen auf 56,4 % kommen, müssen wir von einem massiven und besorgniserregenden Rechtsruck in der Bevölkerung sprechen. Wenn ehemals linke Parteien wie die Sozialdemokraten (SPD) und die Grünen zu den größten Kriegstreibern und Ausführungsgehilfen des Neoliberalismus geworden sind, steuern wir auf US-amerikanische Verhältnisse zu, wo die Wahl nur zwischen Parteien besteht die beide eine rechte, neoliberale und militaristische Politik vertreten – nur mit fünf statt zwei Parteien.

Es braucht auch nicht eine AfD, um der Demokratie den endgültigen Schlag zu versetzen. Der Zerfall demokratischer Institutionen, die Konzentration der Unternehmensmedien, die Einschränkung der Pressefreiheit und die zunehmend autoritäre Regierungsführung zeigen deutlich, dass der globale Finanzkapitalismus die repräsentative Demokratie hinter sich lässt und durch einen neuen Autoritarismus ersetzt wird. In diesem System werden politische Entscheidungen immer stärker von wirtschaftlichen Eliten und multinationalen Konzernen bestimmt, während die politische Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger weiter eingeschränkt wird. Demokratie wird in diesem Kontext zur Fassade, hinter der sich Machtstrukturen verbergen, die auf wirtschaftlicher Kontrolle und globaler Ungleichheit beruhen. Dies führt zu einem politischen System, das auf Technokratie und Oligarchie basiert, in dem demokratische Werte wie Gleichheit, Teilhabe und Freiheit immer weiter ausgehöhlt werden. Der Kapitalismus hat bereits im letzten Jahrhundert gezeigt, dass er zwar die formale Demokratie als Regierungsform bevorzugt, aber problemlos mit rechtsextremen und faschistischen Regierungen koexistieren kann. An großzügigen Großspendern scheint es der AfD jedenfalls nicht zu mangeln – der Kapitalismus hat schließlich immer viele Eisen im Feuer.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht, welches sich selbst als «linkskonservativ» bezeichnet hat einen fulminanten Start hingelegt. Wie schätzt du diese Partei ein?

Sahra Wagenknecht trat im Oktober letzten Jahres gemeinsam mit weiteren Bundestagsabgeordneten aus der Partei DIE LINKE aus, da sie die endlosen Querelen und Richtungskämpfe in der Partei satt hatte. Neun Monate nach der offiziellen Gründung ihrer neuen Partei, noch ohne bundesweite Strukturen, erzielte sie bei den Europawahlen aus dem Stand 6,2 % der Stimmen und erreichte bei den Landtagswahlen in beiden Bundesländern zweistellige Wahlergebnisse. Damit wurde ihre Partei auf Anhieb zur drittstärksten Kraft – der schnellste Aufstieg einer neuen Partei in der Geschichte der Bundesrepublik.

Für die einen ist die BSW die Hoffnung, den Aufstieg der AfD und den Rechtsrutsch zu stoppen und linker Politik wieder mehr Gehör zu verschaffen. Ich benutze den Begriff ‚links‘ hier im Sinne von sozial, progressiv, internationalistisch und pazifistisch. Gleichzeitig vertritt die Partei jedoch eine sehr restriktive Migrationspolitik. Sie fordert ein Ende der Willkommenskultur, lehnt staatliche Leistungen für abgelehnte Asylbewerber ab und verlangt deren konsequente Abschiebung. Zudem plädiert sie für Asylverfahren in Drittstaaten, damit Flüchtlinge ihren Status gar nicht erst in der Bundesrepublik klären lassen können. Diese Haltung steht in starkem Kontrast zu den anderen Punkten die sie vertritt und widerspricht dem, wofür bedeutende Führungspersonen in der Partei wie Sevim Dağdelen, Andrej Hunko oder Fabio De Masi sich jahrelang eingesetzt haben. Möglicherweise handelt es sich dabei um Wahlpragmatismus – was es jedoch nicht besser macht. Infolgedessen wird der Partei andererseits rechtslastige Rhetorik und Populismus vorgeworfen.

Migration scheint plötzlich die Mutter aller Probleme zu sein – eine Auffassung, die inzwischen scheinbar von einer Mehrheit in der Bevölkerung geteilt und von immer mehr Parteien dankbar aufgegriffen wird. Dabei ist diese Sichtweise völlig verfehlt, denn der wirtschaftliche Abstieg, die zunehmende Konzentration von Reichtum sowie der Abbau des Gesundheits- und Bildungswesens haben nichts mit Migration zu tun, und die fehlenden Geldmittel sind nicht auf die sogenannte ‘Willkommenskultur’ zurückzuführen. Solche Argumente lenken nur von den wahren Verantwortlichen ab: dem Versagen der Regierungen und ihrem Verrat an den Interessen der Wählerschaft. Gleichzeitig werden die eigentlichen Ursachen von Migration vollkommen ignoriert. Die extraktive Wirtschaft und die Ausbeutung des globalen Südens – die wesentlich zur Rolle Deutschlands als Exportweltmeister beigetragen haben – sowie eine Konsumgesellschaft, die übermäßig Ressourcen verbraucht und die Umwelt belastet, sind zentrale Faktoren. Hinzu kommen die militärische Beteiligung an internationalen Konflikten und die Waffenlieferungen in Krisengebiete. Diese Faktoren führen zu wirtschaftlicher Ausbeutung, Umweltzerstörung und Instabilität in den Herkunftsländern, wodurch viele Menschen gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen.

Und welche Rolle spielt der Ukrainekrieg in den Wahlen?

Existenziell besorgniserregend ist die zunehmende Kriegsrhetorik und die Schritte in Richtung einer Eskalation mit Russland im Ukrainekrieg, bei dem Deutschland schon seit geraumer Zeit eine Kriegspartei geworden ist. Kein anderes europäisches Land scheint so entschlossen, in einen Krieg verwickelt zu werden, wie Deutschland – allen voran die Grünen, die zusammen mit den beiden anderen Regierungsparteien die Militarisierung vorantreiben. Dass die Grünen einst aus den Protesten gegen die Pershing-Stationierung als pazifistische Partei hervorgingen, gehört inzwischen einer längst vergessenen Vergangenheit an. Die LINKE und die BSW sind die einzigen Parteien im Bundestag, die sich konsequent für Frieden und Abrüstung einsetzen, doch sie bilden nur eine kleine Minderheit. Sätze wie „Nie wieder Krieg“, die in Deutschland zu einem zentralen Ausdruck der Ablehnung von Militarismus und Nationalsozialismus wurden, oder das Zitat von Willy Brandt: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“, geraten zunehmend in Vergessenheit und stattdessen fordert der Verteidigungsminister Pistorius von den Deutschen wieder Krieg zu lernen.

Dass Bundeskanzler Scholz der Forderung aus Washington zur Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland ohne Debatte in der Öffentlichkeit im Parlament oder innerhalb der eigenen Partei zugestimmt hat, ist der nächste Schritt in einer brandgefährlichen Politik. Die Stationierung dieser Raketen so nahe an der russischen Grenze lässt Russland praktisch keine Vorwarnzeit und bringt die Welt damit einen weiteren Schritt näher an einen Atomkrieg. Zudem erhöht sie das Risiko eines Missverständnisses, das zum Einsatz nuklearer Waffen führen könnte.

In dieser Frage ist die deutliche Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland gegen die Raketenstationierung und befürwortet einen Waffenstillstand sowie Verhandlungen für Frieden in der Ukraine. Der Wählerwille, der von den etablierten Parteien weitgehend ignoriert wird, spiegelt sich jedoch nicht in Straßenprotesten oder Friedensdemonstrationen wider. Der Ukrainekrieg hat neben dem Thema der Migration im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt. Der Stimmenzuwachs für die AfD und die BSW könnte als Friedensvotum interpretiert werden, ist jedoch im Fall der AfD völlig fehlgeleitet. Auch wenn sich die Partei am rechten Rand aus Wahlopportunismus im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg als Friedenstaube präsentiert, bleibt sie in Wirklichkeit eine Kriegspartei.

Welchen Raum können in dieser Situation pazifistische, umweltpolitische und migrantische Solidaritätsbewegungen einnehmen?

Alle progressiven und humanistischen Kräfte dürfen in ihrer Präsenz und ihrem Aktivismus nicht nachlassen. Umwelt-, Friedens-, Solidaritäts- und Menschenrechtsbewegungen müssen gemeinsam mit den progressiven Teilen der Gewerkschaften der entmenschlichenden und menschenverachtenden Entwicklung entgegenwirken und sich den großen Krisen stellen, die der Menschheit drohen: der Zerstörung der Umwelt, der Gefahr eines Weltkriegs und der Spaltung und Entsolidarisierung der Gesellschaft. Dabei reicht es nicht, nur Symptome zu bekämpfen – es gilt, die Wurzeln der Probleme im Blick zu behalten, auch wenn sich die Aktionen auf einzelne Themen fokussieren.

Die Bewegungen müssen die Menschen aus ihrer Resignation und Angststarre herausholen und die Hoffnung wecken, dass ein Wandel von unten hin zu einer besseren, menschlicheren Welt für alle möglich ist. Dabei kommt den Medien eine besondere Rolle zu. Wir alle leiden unter wachsender Isolation und Entfremdung. Wir fühlen uns mit nichts mehr verbunden, und alle Anstrengungen erscheinen zunehmend sinnlos.

Dagegen hilft nur, sich mit dem Besten in uns selbst und in anderen zu verbinden und sich für das Gemeinwohl aller einzusetzen. So können wir auch Rückschläge und Scheitern verkraften. Mit anderen Worten: Wir müssen unserer Existenz einen Sinn und Zweck verleihen, der über das eigene Ich hinausgeht.

Und das ohne Naivität, denn die Talsohle haben wir noch bei weitem nicht erreicht, und wir müssen uns auf stürmische Zeiten gefasst machen.

„Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“ (Albert Einstein)

Jetzt ist die Zeit, aktiv zu werden. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wir danken Pressenza für die Publikationsrechte, der Beitrag erschien am 11.September 2024

Die Autorin Anna Polo setzt sich seit Jahren für Frieden und Gewaltfreiheit ein. Sie hat 2003 beim Regionaltreffen der europäischen Humanisten (in Prag), und 2004 (in Budapest), beim Europäischen Humanistischen Forum in Lissabon 2006 und in Mailand 2008 die entsprechenden Arbeitsgruppen koordiniert. 2009 gehörte sie beim Weltmarsch für Frieden und Gewaltfreiheit dem Team Außenbeziehungen an. Gegenwärtig beteiligt sie sich an Welt ohne Krieg und Gewalt.

Milliarden für Autoindustrie

Konzerne und Gewerkschaften fordern EU-Strategie zur Umstellung auf E-Mobilität

Bild: Screenshot Youtube Video

Unternehmen drängen auf EU-Fördergelder für die kriselnde Autobranche. Unterstützung erhalten sie dabei von Gewerkschaften, die die Förderung an soziale Bedingungen knüpfen wollen.

Von Felix Sassmannshausen

»Wir fordern finanzielle Unterstützung für Regionen und Unternehmen, die von der Umstellung der Automobilität auf grüne Technologie betroffen sind, unabhängig von ihrer Größe.« Mit diesem Appell wandten sich Konzerne und Gewerkschaften, die sich in der sogenannten »Arbeitsgruppe Route 35« zusammengeschlossen haben, mit einem gemeinsamen Papier an die EU-Kommission.

Die Gruppe war vor zwei Jahren auf Initiative des damaligen EU-Wettbewerbskommissars Thierry Breton mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, die Transformation hin zu emissionsfreien Fahrzeugen bis zum Jahr 2035 europaweit zu fördern und zu begleiten. Zu den Mitgliedern zählen Automobilkonzerne wie Volkswagen, Renault und Skoda. Aber auch Zulieferer wie Bosch oder ZF Friedrichshafen sind Teil davon, ebenso Vertreter der sogenannten europäischen Automobilregionen wie Sachsen und Niedersachsen und der Dachverband der EU-Industriegewerkschaften Industri-All, der auch die IG Metall und die IG BCE angehören.

Um die Industrie zu unterstützen, sei eine gezielte Förderung qualifizierter Arbeitskräfte sowie die Sicherung von Lieferketten für Komponenten und Rohstoffe geboten, heißt es in dem internen Papier. Überdies brauche es Investitionen in die Lade-, Tankstellen- und Netzinfrastruktur sowie eine Handelspolitik, die »gleiche Wettbewerbsbedingungen« für Unternehmen außerhalb der EU herstelle. Auch wegen der Risiken durch aktuelle geopolitische Herausforderungen sei es notwendig, die Produktion von grünen und digitalen Technologien in Europa zu fördern.

Hintergrund für die Forderung ist die aktuelle Krise der Automobilbranche, die auch deutsche Konzerne vor Herausforderungen stellt. Vor allem sinkende Umsätze im E-Auto-Markt plagen die Branche. Bei Volkswagen hatte neben der Kernmarke VW auch Konzerntochter Audi vor wenigen Wochen angekündigt, Stellen abbauen zu wollen. Das Brüsseler Werk, das mittels Subventionen auf E-Mobilität umgestellt worden war, soll bis 2025 umstrukturiert werden. Am Wochenende protestierten Hunderte Beschäftigte gegen die Pläne vor den Werkstoren. Aber auch die Zuliefererindustrie ist betroffen. Am Montag demonstrierten zudem im baden-württembergischen Friedrichshafen Tausende Beschäftigte des Unternehmens ZF, das nach Zukäufen hoch verschuldet ist, gegen einen angekündigten Stellenabbau. Dort könnten bis zu 14 000 Jobs gestrichen werden.

»Der Verlust von Industriearbeitsplätzen in Bereichen, die mit den europäischen Klimazielen übereinstimmen, ist nicht zu rechtfertigen«, betont die Generalsekretärin Judith Kirton-Darling von Industri-All. Fabriken und Arbeitsplätze, die bei der Herstellung von Elektrofahrzeugen Pionierarbeit geleistet haben, sollten besser geschützt werden, fordert sie. Sie kritisiert zugleich, dass »Unternehmen weiter hohe Gewinne, Dividenden und Boni einstreichen, während Beschäftigte das Gefühl haben, dass sie und ihre Familien die Folgen inkonsequenter politischer und unternehmerischer Entscheidungen tragen müssen«.

Was konkrete Zahlen betrifft, orientiert sich die Gruppe am amtierenden EU-Wettbewerbskommissar Mario Draghi. Der hatte am Montag betont, dass die EU eine aktive Wettbewerbs- und Industriepolitik benötige, für die weitere Investitionen von jährlich 750 bis 800 Milliarden Euro nötig seien. »Wir unterstützen die Forderungen von Draghi, wollen aber, dass die Gelder mit dem Ausbau qualitativ guter Jobs, Arbeitsplatzsicherheit und mit sozialem Dialog verknüpft werden«, unterstreicht Kirton-Darling im Gespräch mit »nd«.

Erstveröffentlicht im nd v. 12.9. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185181.automobilindustrie-foerdermilliarden-fuer-autoindustrie-gefordert.html?sstr=Milliarden|f%C3%BCr

Wir danken für das Publikationsrecht.

Die Attacke von VW und ihre Hintergründe

Die Ereignisse bei VW haben für die arbeitenden Menschen in Deutschland Signalwirkung. Sie sind ein Anschlag auf die Lebensstandards der unmittelbar Betroffenen des Konzerns. Aber auch ein Drohpotential für alle Beschäftigen im Metallbereich und darüber hinaus auf die gesamte arbeitende Klasse. Zum Auftakt der Tarifrunde vonseiten des Kapitals perfekt getimt. Die Kapitalseite versucht unsere Köpfe zu vernebeln, zu spalten und falsche Spuren zu legen, was die Ursachen des Konflikts betrifft. Umso wichtiger ist, dass wir dem unserere eigenen Analysen und Perspektiven entgegenstellen. Und Handlungsspielräume zur Gegenwehr aufzeigen. Hier ein weiterer wichtiger Gastbeitrag zum Linken Diskurs über VW. (Peter Vlatten)

Mattis Molde, Infomail 1263, 6. September 2024

VW kündigt Massenentlassungen und Werksschließungen an. Der Konzernvorstand hält drastische Einschnitte für notwendig und der Vorstand des Markenbereichs VW hat gedroht, die bis 2029 geltende Beschäftigungssicherung aufzukündigen. Das ist ein Schlag gegen die Arbeiter:innenklasse, ihren bestorganisierten und -bezahlten Teil.

Ausserdem zum Diskurs VW aktuell: "Kampfansage des Kapitals"

Eine genaue Zahl steht noch nicht im Raum, aber es geht wohl um mehr als 10.000 Stellen, alles andere wäre auch mit Abfindungen etc. regelbar. Werksschließungen drohen, ganze Städte und Regionen in den Ruin zu treiben. Die Aufkündigung der Beschäftigungssicherung stellt die gesamten bisherigen Gepflogenheiten des Umgangs zwischen Unternehmen und Arbeiter:innen in dieser lange als privilegiert geltenden Branche in Frage. All das hat mit der Besonderheit der Autoindustrie zu tun und spezieller noch mit VW.

Autokonzerne

Personalabbau ist überall in der Industrie ein Thema, Sparprogramme sind es auch. Es gibt in Deutschland eine Wirtschaftskrise, die besonders die Industrie betrifft und noch spezieller die Autoindustrie. Neu ist, dass über Entlassungen und Werksschließungen bei einem der großen drei deutschen Endhersteller, VW, BMW, Daimler, geredet wird, die schon lange nicht mehr von Entlassungen betroffen waren. Bei VW in Deutschland gab es noch nie welche. Bei Werken von ausländischen Konzernen wie Ford oder Opel ist das anders und erst recht bei den Autozulieferunternehmen. Auch die großen deutschen Konzerne letzterer, die zugleich alle globale Bedeutung haben, Bosch, Continental und Mahle, machen seit der Coronakrise verschärft Werke dicht und schrecken nicht vor Massenentlassungen zurück. ZF hat diese lange vermieden, aber vor kurzem auch den Abbau von 14.000 Arbeitsplätzen angekündigt.

Dass die Großen Drei bislang ausgenommen waren, hat drei Gründe:

  • Sie haben als riesige Monopole genug Profite, um Personalabbau mit Abfindungen und Altersteilzeit zu gestalten. Im Frühjahr wurden die letzten Zahlen des VW-Konzerns bekannt: Wer weniger als fünf Jahre in der niedrigsten Tarifgruppe tätig war, kann laut SPIEGEL nach einer internen Tabelle mit einer Abfindung von 17.700 Euro rechnen. Bei einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren erhöht sich die Zahlung für Beschäftigte derselben Gruppe auf 117.700 Euro. Beschäftigte der sogenannten „Tarif Plus“-Gruppe, der höchsten Stufe bei Volkswagen, würden zwischen 60.700 und 404.700 Euro erhalten. Das Angebot galt für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich zwischen 29. April und 31. Mai für das Programm meldeten. Wer sich innerhalb von zwei Wochen mit VW auf einen Aufhebungsvertrag geeinigt hat und mehr als 5 Jahre im Unternehmen arbeitet, erhält zudem eine sogenannte Turboprämie von 50.000 Euro. [1]https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/vw-sparprogramm-volkswagen-zahlt-bis-zu-450000-euro-abfindung/ar-AA1nvMe9?ocid=feedsansarticle
  • Sie haben für den deutschen Imperialismus nicht nur wirtschaftliche Bedeutung, sondern auch politisch-strategische. Der Automobilbau wurde nach dem 2. Weltkrieg als Beschäftigungsmotor in Westdeutschland forciert und gilt seither als Säule der auf Export orientierten Wirtschaft, da die Autoindustrie eine zentrale Rolle für die Position Deutschlands auf dem Weltmarkt und in der Kette der führenden imperialistischen Staaten spielt. Profite aus Autos – aber auch aus den Branchen Maschinenbau, Chemie oder Rüstung – sichern nicht nur „unsern Wohlstand“, sondern auch die politische Dominanz in Europa. Hohe Exportüberschüsse bringen Verschuldung. Schuldner:innen sind erpressbar. Wir erinnern an Griechenland.
  • In den Autokonzernen ist die Sozialpartner:innenschaft sowohl der Betriebsräte als auch der IG Metall aufs Höchste entwickelt. Das belegen unter anderem die langfristigen Verträge zur Beschäftigungssicherung, die entweder als Betriebsvereinbarung (Betriebsrat und Geschäftsführung) oder als Tarifverträge (Einbeziehung der IG Metall) abgeschlossen werden. In ihnen werden Zugeständnisse seitens der Betriebsräte wie Zustimmung zu begrenztem „sozialverträglichen“ Personalabbau, Ausgliederungen von bestimmten Bereichen, die langfristig in Niedriglohnsektoren überführt werden, begrenzter Lohnverzicht gegen eine Beschäftigungsgarantie, also den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen vereinbart.
Sozialpartner:innenschaft und Geklüngel ohne Ende

VW nahm insofern eine Sonderstellung ein, weil sich anfangs der Bund am Aufbau beteiligte. VW war von den Nazis gegründet worden, um sowohl ein Massenauto – den Käfer – herzustellen als auch Militärfahrzeuge auf hohem industriellen Niveau zu fertigen. Dazu verwendeten die Nazis die beschlagnahmten Gewerkschaftsvermögen, was dann nach dem Krieg den Gewerkschaften und Betriebsräten zusätzliche Rechte verschaffte. So darf kein Werk im Inland ohne Zustimmung der Arbeit„nehmer“vertreter:innen im Aufsichtsrat geschlossen werden. (Inland heißt übrigens bei VW nach wie vor Westdeutschland; die ostdeutschen Werke unterliegen auch nicht dem Haustarifvertrag des VW-Konzerns).

Eine besondere Stellung von VW gegenüber den anderen Autokonzernen besteht auch in der Staatsnähe: 1960 wurde VW zwar privatisiert und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, aber das Land Niedersachsen hält immerhin noch 20 % Anteile. Diese besondere Stellung bezieht sich auf die Marke VW. Neben dieser gibt es im VW-Konzern, der VW-AG, noch weitere Markenbereiche wie Audi, Skoda, Porsche oder die Nutzfahrzeuge.

Diese Sozialpartner:innenschaft zeigt sich auch darin, dass seit Monaten die Betriebsratsspitze über immer neue Sparprogramme verhandelt und diese Gespräche hinter dem Rücken der Belegschaft erst angesichts der Aufkündigung der Beschäftigungssicherung bis 2029 eingestellt hat.

Ein anderer Aspekt der besonders engen Kollaboration der Betriebsräte und der IG Metall im VW-Konzern sind die unglaublich hohen Gehälter, die die Spitzenbetriebsräte erhalten. Spektakuläre Spitze dürfte sein, dass der frühere VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Osterloh von VW – durch Boni – bis zu 750.000 Euro in einem Jahr erhalten hat (Die Zeit, Mai 2017). Er erweist sich als würdiger Nachfolger von Klaus Volkert, der nicht nur ähnlich viel Geld kassierte, sondern auch Urlaubsflüge und eine Edelprostituierte vom VW-Vorstand bezahlt bekam. Der damalige Personalvorstand, also derjenige, der diese Zahlungen gewährte, war Herr Hartz – ein- und derselbe, nach welchem die Sozialabbaugesetze der Agenda 2010 benannt sind.

Der Clash

Das VW-Management hatte diesen Schritt vorbereitet. So titelte der NDR am 27.11.2023:  „Volkswagen stimmt Belegschaft auf Stellenabbau ein“. Im April 2024 wurden die Abfindungsangebote erhöht, wie wir oben beschrieben haben. Im Juni 2024 gab es Meldungen, dass der „freiwillige“ Abbau nicht reichen würde.

Warum war dieser Angriff in den Augen des Managements nötig? Die Begründungen der Manager:innen für das verschärfte „Sparprogramm“ lautet, dass so das Kapital für die Entwicklung neuer Autos beschafft werden soll. Die Zahlen weisen aber auf etwas anderes hin: Der Gesamtkonzern, also die VW-AG, ist keineswegs pleite. Im Jahr 2023 wurde ein operativer Gewinn von 22,5 Milliarden Euro erzielt, die Marke VW trug  dazu 3,5 Milliarden bei. Was Wirtschaftsfachleute, die Gewerkschaft, der Betriebsrat und die Bosse nicht in Frage stellen, sind die 16 Milliarden, die 2023 an die Aktionär:innen ausgeschüttet worden sind.

Belegschaft und die Betriebsräte erhöht, um immer neue Zugeständnisse zu erreichen? Fest steht, dass jetzt ein Bruchpunkt erreicht worden ist. Die Kapitalseite will mehr, als der Betriebsrat hergeben kann, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die Belegschaft kann sich nicht mehr darauf ausruhen, dass Betriebsrat, IG Metall und Unternehmen das „Beste für alle“ vereinbaren, was schon lange immer mehr zulasten der Belegschaften der Zuliefer:innen, der Werksverträgler:innen, der Leiharbeiter.innen und der ausländischen Belegschaften ging.

Zur Belegschaftsversammlung in Wolfsburg erschienen 25.000, 10.000 mussten vor der Halle warten. Mit Sicherheit ist das weit mehr als die übliche Beteiligung an Betriebsversammlungen. Plakate, Fahnen und Pfeifen waren nicht zu überhören und -sehen. Ganz offensichtlich haben viele Beschäftigte verstanden, was dieser Angriff bedeutet. Für die Werke in Braunschweig, Hannover, Kassel und Sachsen, dort also Zwickau, Chemnitz und Dresden, sind eher noch stärkere Reaktionen zu erwarten.

Was jetzt?

Was auf der Betriebsversammlung in Wolfsburg klar wurde: Der Betriebsrat und die IG Metall haben keine andere Strategie für die Situation als die Fortsetzung ihrer Partner:innenschaft mit den Bossen.

Auf der Pressekonferenz am 4.9. nach dem Briefing durch das Konzernmanagement, die bezeichnenderweise mitten im Autolärm auf dem Werksgelände stattfand, äußerten sich die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo und der IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger. Beide beeilten sich, ihre Gesprächsbereitschaft zu betonen und möglichst schnell mit dem Unternehmensvorstand in Verhandlungen einzutreten. Sie befürchten, dass die angedrohte Kündigung der Tarifverträge ihnen den Spielraum für Verhandlungen einengen würde, da sie ja Rücksicht auf die „Friedenspflicht“ nehmen müssten. Bürokrat:innenlogik!

Sie wiesen auf die machtvolle Kundgebung der Betriebsangehörigen hin, die ihre Kampfbereitschaft bekundet haben. Die beiden Sprecher:innen wichen aber ängstlich jeder näheren Ausführung über eine Mobilisierung der Belegschaften aus.

Auch der anwesende Bundesarbeitsminister Heil erklärte, dass nun die „Stunde der Betriebs-und Sozialpartnerschaft“ geschlagen habe und den Kontroversen die Schärfe nehmen müsse, denn es gehe um mehr als nur VW: „Deutschland muss Autoland bleiben.“

IG-Metall-Führung, Betriebsratsspitze, SPD, sie alle wollen also den alten Weg fortsetzen, den die Konzernspitze aufgekündigt hat. Sie wollen sein Scheitern nicht wahrhaben. Sie betteln im Grunde darum, zu Verhandlungen zurückzukehren, die ja immer nur zu weiteren Opfern, Arbeitsplatzverlusten, Auslagerungen etc. geführt haben.

Dass der Klassenverrat schon vorprogrammiert ist, zeigt die Reaktion der IG-Metall-Spitze. Erste Vorsitzende Christiane Benner ließ am Rande einer tarifpolitischen Konferenz in Hannover durchblicken, welche Verhandlungslösung sich die Gewerkschaftsbürokratie vorstellt. Eine Vier-Tage-Woche wie schon bei der VW-Krise 1994 könne die Option sein. Mit der Arbeitszeitverkürzung sollten die Standorte gerettet werden. Verschwiegen wurde dabei, dass dies um den teuren Preis von drastischen finanziellen Einbußen für die Werksangehörigen erkauft worden war und diese als Vorleistung der Arbeiter:innen auch heute vorausgesetzt werden würden.

Wie kämpfen?

Alle, die den richtigen Schluss aus dem Angriff des Konzerns ziehen und kämpfen wollen, müssen auch aus dem Verhalten von Betriebsratsspitze und IGM-Führung die richtigen Schlüsse ziehen:

Sie werden alle Aktionen immer nur dazu nutzen, um die Bosse wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. „Verhandlungsbegleitende Aktionen“ nennen sie das. Dann rennen wir wieder in die Sackgasse, in die sie uns heute schon geführt haben.

Das heißt erstens, dass die Belegschaft die Kontrolle über den Kampf bekommen muss. Es braucht Aktionskomitees, die von ihr direkt gewählt werden. Natürlich können und sollen das auch Betriebsratsmitglieder und Vertrauensleute sein, aber die sollen nach ihrer Fähigkeit gewählt werden, Aktionen bis hin zum Streik zu organisieren. Die Beschäftigten, vor allem die IG-Metall-Mitglieder müssen auch lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen: Nicht einfach die üblichen Verdächtigen bei Wahlen abhaken, sondern diese auch kontrollieren und gegebenenfalls abwählen! Sonst werden wir erleben, dass nach paar Aktionen, die mit kraftvollen Drohungen enden, plötzlich nichts mehr passiert, weil die Herren und Damen Verhandler:innen was ausgedealt haben. Zweitens müssen alle Verhandlungen öffentlich sein und über Vorschläge müssen alle Beschäftigten abstimmen können.

Für was kämpfen?

Es ist klar, dass das Dogma durchbrochen werden muss, dass die Aktionär:innen eine fette Dividende brauchen und die Belegschaften dazu noch die Profite für Entwicklung und Erneuerung der Produktion erwirtschaften sollen oder mit Arbeitsplatzverlust oder mehr Arbeitsdruck bezahlen.

Also: Kein Opfer für die Aktionär:innen! Das verbindet sich gut mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung als Ausgleich für den Auftragsrückgang. Natürlich bei vollem Monatslohn, genau das können die gigantischen Gewinne finanzieren, statt in die Taschen derer zu wandern, die gar nicht für das Geld arbeiten.

Das löst aber noch nicht das Problem, was in den Werken denn zukünftig produziert werden soll. Die BR-Vorsitzende Cavallo beschuldigt das Management, die Fehler verursacht zu haben, die zu dieser Situation geführt haben. Außenstehende erklären entweder, dass VW den Zug zur E-Mobilität verschlafen habe, oder raten zur Rückkehr zum Verbrenner. Diese Diskussion lässt zweierlei außer Acht:

  • VW will weiter Autos bauen, aber weniger. Überkapazitäten werden in Deutschland, nicht bei den internationalen Töchtern gestrichen. Jetzt zu fordern, diese im Ausland oder in den ostdeutschen Werken zu sreichen, wäre ein fataler Fehler, der schon oft in diesen Konzernen begangen wurde. Die Belegschaft von Ford Saarlouis hat sich z. B. auf einen Konkurrenzkampf mit Ford Valencia eingelassen, in dem beide sich gegenseitig unterboten haben, statt gemeinsam die Kraft für eine Zukunft einzusetzen. Das Management hat sich gefreut. Saarlouis wird Stand heute dichtgemacht.
  • Ob Verbrenner oder E-Antrieb, die in Deutschland gebauten Autos sind generell alle größer und schwerer als nötig. Sie sind Hindernisse auf dem Weg zur Verkehrswende. Diese allerdings wird auch nicht dadurch kommen, dass jetzt ein VW-Werk schließt, während man z. B. neuen Wald in Brandenburg abholzt, um Teslas zu bauen, die ebensolche Klimakiller sind.

Der Kampf bei VW kann aber die Chance eröffnen, die Beschäftigung zu sichern durch den Bau von Fahrzeugen und Transportsystemen, die klimaschonend und zukunftstauglich sind: Schienenfahrzeuge im Nah- und Fernverkehr, kleine leichte Stadtfahrzeuge oder intelligente Lösungen für den Stadtrandbereich.

Dafür sollten in einem ersten Schritt alle Werke, die VW nicht mehr will, entschädigungslos enteignet werden und zusammen mit denen anderer Konzerne (z. B. Ford Saarlouis, Werke von ZF, Bosch, Continental, Mahle, GKN …) die Entwicklung und Produktion solcher Systeme beginnen, bezahlt vom Staat, kontrolliert von den Beschäftigten und Fachleuten aus der Klimabewegung.

Ausserdem zum Diskurs  VW aktuell: "Kampfansage des Kapitals" 

Die IG Metall muss also die Solidarität aller Automobilarbeiter:innen gegen diesen Angriff organisieren. Darüber hinaus ist eine Konferenz aller bedrohten Belegschaften nötig, um für eine Transformation/Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle zu kämpfen. Die IG Metall muss die Solidarität aller Autoarbeiter:innen organisieren – aber das wird nur dann im notwendigen Ausmaß geschehen, wenn Vertrauensleute und aktive Kolleg:innen dies in den Gewerkschaftsgliederungen und auf Betriebsversammlungen einfordern und selbst Kontakte zu anderen Belegschaften organisieren.

Der Beitrag ist ursprünglich erschienen am 6.September. Zum Originalartikel hier….

Wir danken für die Publikationrechte.

Titelbild : eigene Fotocollage

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