Gaza United – „Waffenruhe“ heißt nicht Ende des Unrechts und damit des Widerstands!

Die Berliner Behörden haben mal wieder alles getan, um sich mit ihrer demokratischen Doppelmoral weltweit zu blamieren. Seit Wochen war die Groß – Demonstration Gaza United angekündigt gewesen mit dem Brandenburger Tor als Versammlungsort .

Für diese kleine Gruppe von Unterstützern der israelischen Kriegs- und Völkermordpolitik – viel später angemeldet – mussten 10 Tausende weichen. Ganz im Sinne des Berliner Regierenden, der alles versucht, die Flaggen der unterdrückten Palästinser:innen und Parolen für ungeteiltes Menschen- und Völkerrecht vom Brandenburger Tor fern zu halten.

Dann meldete sich eine Gruppe Zionisten dort an. Schließlich entschieden die Berliner Behörden, dass die 40 bis 60 Tausend Demonstranten den 10 bis 20 Protagonist:innen einer unsäglichen Kriegs- und Völkermordpolitik weichen mussten. Gaza United wurde ganz kurzfristig einen halben Kilometer in die Straße des 17. Juni verschoben. Zugänge und Plätze um das Brandenburger Tor waren zeitweise abgesperrt. Die mit Palästina solidarischen Demonstranten mussten weite Umwege laufen, damit sie die Auftaktkundgebung erreichen konnten. Das ganze war wieder mal ein der Demokratie unwürdiges Theater des deutschen Staates. Aber die Menschen ließen sich nicht beirren!

Waffenruhe in Nahost führt nicht zum Ende von Protesten!

Ruhe, dass hätten viele Regierungen welweit gern. Friedrich Merz verleiht seiner Erwartungshaltung Nachdruck mit den Worten: „ich hoffe, daß auf unseren Strassen jetzt endlich wieder Ruhe einkehrt“ und: „Es gibt kelnen Grund mehr jetzt für Palastinenser In Deutschland zu demonstrieren.

Der Samstag in Berlin hat Friedrich Merz hoffentlich eines Besseren belehrt. Die Antwort an diesem Samstag lautete nämlich:Es entscheidet nicht der Bundeskanzler, wer wann und wofür (nicht) demonstrieren sollte und will. Viele Menschen entscheiden anders als er. Sie gehen weiterhin in Solidarität mit Palästinenser:innen auf die Straẞe!

Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt – anders als die politsch Verantwortlichen – das Vorghen Israels schon seit Monaten ab. Demonstrant:innen und Redner:innen am 11. Oktober betonten: „Jetzt erst recht. Denn Israels Besatzung und Apartheid bleibt bestehen und Palästinenserinnen wird nach wie vor ihr Selbstbestimmungsrecht verwehrt. Solange haben sie volles Völkerrecht auf Widerstand!“

Mit seiner Aussage delegitimiert der Bundeskanzler ausserdem legitimes politisches Engagement und den Einsatz für universelle Gerechtigkeit. Staatsräson-Deutschland hat sich zum Mittäter an Israels Genozid in Gaza gemacht und ein Groẞteil der gesellschaftlichen Instiutionen hat viel zu lange geschwiegen oder sogar zu rechtfertigen versucht. Hierzu der Ruf nach Aufarbeitung. Und viele bleiben auch für die aktuelle Entwicklung skeptisch: Israel hat sich in der Vergangenheit in keiner Weise an Waffenstillstandsabkommen gehalten.

Gaza United ist eine Graswurzelbewegung. Hinter ihr steht weder die Orgnaisationsmacht noch hat sie die finanziellen Möglichkeiten der großen deutschen NGOs und auch linken Parteien. Dennoch strömten auch dieses Mal die Menschen aus allen Ritzen der Gesellschaft herbei, allen Widrigkeiten zum Trotz. Offiziell sollen es 15 bis über 20 Tausend gewesen sein, nach Aussagen der Veranstalter 60 Tausend Teilnehmer. Wir können die Zahlen nicht verifizieren. Für die erste Zusammenkunft von Gaza United im Juni lautete die offizielle Zahl 15 Tausend, später nach elektronischer Auswertung des Videomaterials konnten ca. 70 bis 80 tausend verifiziert werden. Auf alle Fälle ein riesiger Erfolg.

In den frühen Morgenstunden des Sonntags 12.Oktober führten israelische Besatzungstruppen in mehreren Städten und Ortschaften des Westjordanlands Razzien durch. Dabei nahmen sie gezielt die Häuser von Gefangenen ins Visier, die im Rahmen eines bevorstehenden Gefangenenaustauschs freikommen sollen. Den Familien wurde mitgeteilt, dass jegliche Feierlichkeiten oder das Hissen palästinensischer Flaggen bei der Rückkehr ihrer Angehörigen untersagt sind.
Äußerungen des rechten israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich wecken Zweifel. Erst gestern schrieb Smotrich auf X, dass er sich »in der Verantwortung« sehe, »dafür zu sorgen, dass Israel unmittelbar nach der Rückkehr der Entführten weiterhin mit aller Kraft für die Ausrottung der Hamas und die Entmilitarisierung des Gazastreifens kämpft, damit dieser keine Bedrohung mehr für Israel darstellt.« Wenn dieser Rassist so was sagt, muss angenommen werden, er meint damit nicht nur die Hamas, sondern die gesamte palästinensische Bevölkerung.

Wir sagen weiterhin: Free Palestine! Free Palestine! Free Gaza! Alle Menschen in Würde und frei!

Fotos: Peter Vlatten, Beteiligte

Krieg, Stärke und Geschnetzeltes

Martin Sonneborn, 10.Oktober 2025

Kleine Zwischenrüf meiner Europapolitischen Beraterin:

So schnell kann es gehen. Frankreich durchlebt eine Regierungskrise, die (in der 5. Republik) beispiellos ist. Dank Macron, „Mozart der Finanzen“, ist das Land verschuldet wie noch nie, pleite wie noch nie, unregierbar wie noch nie, verbittert wie noch nie. An den Ecken und Enden der Gesellschaft brodelt es, nur 14% wünschen ihren Präsidenten noch ins Elysée statt in die Hölle. Die ihm einst zugetane Presse schimpft Macron nun einen „Versager“, Aufrufe zu Rücktritt & Neuwahlen mehren sich, selbst einstige Vertraute & Mitstreiter rücken ab, um sich gegen ihn zu wenden: Edouard Philippe, Gabriel Attal, Alain Minc, Christian Estrosi – und mit der EU-Abgeordneten Valérie Hayer wohl auch die wahrscheinlich „größte Null“, die das macronistische Patronagesystem je hervorgebracht hat (Quelle: frz. Internet).

Und wieder ist es (ausgerechnet) Marine Le Pen, die Macron im entscheidenden Augenblick stützt. Durch Enthaltung blockieren ihre Abgeordneten das Destitutionsverfahren (nach Art. 68), das die Linke für die Nationalversammlung beantragt hatte. Und verhindern damit – wieder!-, dass das frz. Parlament über die Amtsenthebung Macrons überhaupt abstimmen kann.

Frankreich durchlebt eine Regierungskrise, die beispiellos ist. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen, dass der öden Hinterwäldlerin Hayer, ihres Zeichens Fraktionsführerin der „Liberalen“ im EU-Parlament, in dieser Lage nichts Besseres einfällt, als vor die (frz. & europ.) Öffentlichkeit zu treten und dazu aufzurufen, sich nicht etwa der Krise im eigenen Land oder in der EU (Misstrauensantrag II & III gegen vonderLeyen), sondern „der Konfrontation mit Russland zu stellen“. Europa müsse nun „übernehmen“ und einen Gang „hochschalten“, was sie auch noch mit der ärmlichen Kindergartenpsychologik grundiert, wer „frei“ sein wolle, müsse „gefürchtet“ und „mächtig“ sein, da „Putin“ nur „Stärke“ verstehe.

Wir sind es allmählich leid, die in Dauerschleife wiederholten Torheiten einer politischen Klasse zu dekonstruieren, die jeden Bezug zu den Realitäten der Geopolitik ebenso verloren hat wie zur Realität der europäischen Gesellschaften und ihrer Bürger. Zunächst einmal: Niemand (wirklich niemand!) wird ein Europa jemals „fürchten“ (oder gar für „mächtig“ halten), das sich von mediokren Nullnummern wie Hayer (und vonderLeyen) vertreten lässt. Mehr noch: Es könnte sein, dass „Putin“, Europa und der Rest der Welt (diplomatische) Intelligenz und (politischen) Wirklichkeitssinn sogar weit besser verstehen als jene halluzinierte „Stärke“, die die generalstabsmäßig kaputtgerockte EU auf absehbare Zeit nicht haben wird.

Und wer in Europa wirklich „frei“ sein will, braucht keine (von der EU orchestrierte) Verschuldungs-, Aufrüstungs- & Verarmungsspirale, sondern die Stabilität seines ökonomischen & sozialen Umfelds, erträgliche Lebenshaltungskosten und die Friedfertigkeit und kluge Vorausschau seiner politischen Vertreter. Kurz: Wer „frei“ sein will, braucht Krieg so dringend wie ein Loch im Kopf. Einen Krieg übrigens, an dem alle, die von ihm reden, persönlich nie teilnehmen werden – schon wegen der Kosten, die für pinkfarbenen Business-Zwirn & reinweiße Blusen dieser Tage in der chemischen Reinigung entstehen.

PS: Um zu demonstrieren, wie „nah“ die EU 2025 den drängendsten Sorgen der Menschen ist, hat Hayer im direkten Anschluss an ihre Kriegsrede für das Verbot von Fleischnamen für kleine Pflanzenklopse gestimmt. Ganz so, als wären EU-Bürger heute nicht mehr in der Lage, die parlamentarischen Produktbezeichnungen für Tod („Krieg!“), Umverteilung („Stärke!“) und „Geschnetzeltes“ eigenständig zu dechiffrieren.

PPS: In die Position der Renew-Fraktionsvorsitzenden ist Macronistin Hayer – Sie werden nie wieder von ihr hören – für den bekennenden Macronisten, Stotterer & Legastheniker Stéphane Séjourné nachgerückt, der von Macron in kürzester Zeit vom EU-Abgeordneten zum frz. Außenminister gemacht und dann wieder zurück nach Brüssel geschoben worden ist, wo er derzeit Kommissar für irgendwas ist. Sie werden niemals von ihm hören. Er war der eingetragene Lebenspartner des Macronisten Gabriel Attal, den Macron 2024 zum ersten Premierminister des seither anhaltenden Regierungsringelpietzes machte (Amtszeit: 5 Monate). Seither grenzt Attal sich angeblich von Macron ab, um seine Glaubwürdigkeit und Chance notdürftig zu verbessern, den Alten am Ende doch noch zu beerben. It’s a big club, and you ain’t in it.

Wir danken Martin Sonneborn für das Publikatiosnrecht und teilen seinen Schmerz, den er im EU Parlament erleiden muss.

Titelfoto: Collage Peter Vlatten

Bewegung als Strategie

Frankreichs politische Klasse findet keine Regierungsmehrheit – die linke France Insoumise setzt auf eigenständige soziale Kämpfe

Von Volkmar Wölk

Bild: La france insoumise

Der Stellungskrieg: Albtraum jedes Feldherrn. Die feindlichen Lager liegen sich in ihren Schützengräben gegenüber; es geht weder vorwärts noch rückwärts. Nur die Verluste wachsen beständig, Abnutzungserscheinungen werden unübersehbar. Verzweifelt sucht man nach einem Ausweg aus der festgefahrenen Lage.

Dies war die Lage von Sébastien Lecornu. 27 Tage war der Politiker von Macrons Partei Renaissance französischer Ministerpräsident, stellte dann einen Teil seiner Regierung vor – und trat am darauffolgenden Tag wieder zurück. Wie seine beiden Amtsvorgänger hatte Lecornu keine Mehrheit im Parlament. Aber ihm drohte noch zusätzlich ein Teil seiner Truppen zu desertieren. Heftige Kritik kam vom konservativen Innenminister Retailleau, der seine Partei übervorteilt sah.

Nun hat Macron angekündigt, innerhalb der nächsten zwei Tage einen neuen Premierminister zu ernennen, der die lauter werdenden Forderungen nach einer Abdankung des Präsidenten zum Verstummen bringen soll. 73 Prozent der Bevölkerung befürworten inzwischen, quer durch alle politischen Lager, ein Ende des »Macronartismus«.

Gibt es in Frankreich eine Möglichkeit, ohne Neuwahlen eine handlungsfähige Regierung zu bilden? Im Parlament stehen sich drei annähernd gleichstarke Blöcke gegenüber. Es wäre also notwendig, aus mindestens einem der Blöcke Teile herauszubrechen.

Faktisch haben sich die Sozialisten bereits vor einiger Zeit aus dem Linksblock verabschiedet. Sie sind wieder auf dem neoliberalen Kurs von Ex-Präsident François Hollande und versuchen, mit Raphaël Glucksmann einen Präsidentschaftskandidaten für die Zeit nach Macron in Stellung zu bringen. Umgehend haben sie sich bereit erklärt, eine Regierung zu bilden. Es scheint sogar möglich, dass die Kommunisten und die Grünen sie dabei stützen.

Der von France Insoumise gewählte Weg führt über die außerparlamentarische Mobilisierung.

Dass das Unterfangen trotzdem schwierig werden dürfte, zeigt eine aktuelle Nachwahl zur Nationalversammlung. Für den zweiten Wahlgang qualifizierten sich Kandidaten der Sozialisten und des RN von Marine Le Pen. Auf die Frage, was er den Wählern seiner Partei empfehle, antwortete der Konservative Bruno Retailleau kurz und entschieden: »Keine Stimme der Linken!« Ebenso stemmt er sich gegen inhaltliche Zugeständnisse.

Präsident Macron seinerseits scheint entschlossen, bis zum Ende seiner Amtszeit zu bleiben. Er weiß, dass auch Neuwahlen keine Kräfteverschiebung zu seinen Gunsten bewirken würden.

Der Noveau Front Populaire (Neue Volksfront), dessen Bildung bei der letzten Wahl den erwarteten Erfolg der extremen Rechten verhinderte, ist zerfallen. Die Versuche, La France Insoumise (LFI) um Mathilde Panot, Manuel Bompard und Jean-Luc Mélenchon zu isolieren, haben Wirkung gezeigt. Allerdings zeigen aktuelle Meinungsumfragen, dass Mélenchon bei einer Präsidentschaftswahl in der Alterskohorte bis 35 Jahren sowie bei den untersten Einkommensschichten weit in Führung liegen würde und gute Chancen hätte, in die Stichwahl zu kommen.

Der vom LFI gewählte Weg aus dem Schützengraben führt nicht über die Kräfteverhältnisse im Parlament, sondern über die außerparlamentarische Mobilisierung. Sowohl der landesweite Aktionstag »Bloquons tout!« (Blockieren wir alles) am 10. September als auch die folgenden Streiktage aller Gewerkschaftsverbände haben deutlich gemacht, dass das linke Mobilisierungspotential sehr hoch ist. Gelingt es, so das Kalkül des LFI, die Proteste zu verstetigen und den neuen, basisdemokratischen Akteur »Bloquons tout« als eigenständige Bewegung zu etablieren, könnte der Druck so erhöht werden, dass ein Regieren gegen Parlament und außerparlamentarische Bewegung nicht mehr möglich ist.

LFI sieht »Bloquos tout« in der Tradition von Occupy oder der Gelbwesten (»Gilets jaunes«) und begrüßt »eine selbstorganisierte Basisbewegung«, deren Unabhängigkeit LFI nach eigenem Bekunden nicht antasten will. Zugleich hofft LFI, dass sich der Erfolg dieser Bewegung an den Urnen niederschlagen wird.

Dies scheint aktuell leichter möglich als bei den Gilets Jaunes, da die neue Bewegung deutlich linksradikal ausgerichtet ist, den Kampf verschiedener Bewegungen vom Feminismus über den Antirassismus bis zur Ökologie miteinander verbindet und bereits jetzt beginnt, eigenständige lokale Strukturen aufzubauen.

Das Konzept erinnert an die Folgezeit der Revolte von 1968, als trotzkistische Aktivisten und Theoretiker wie Alain Krivine oder Daniel Bensaïd jede Bewegung als potenziell revolutionär ansahen. Allerdings reichen die Wurzeln des Konzepts geschichtlich weiter zurück – nämlich bis zum revolutionären Syndikalismus von Anfang des 20. Jahrhunderts. Der »Mouvementisme«, die »Bewegung als Strategie«, ist also nicht neu.

Neu ist allerdings, dass eine der linken Großorganisationen ihn als Strategie aufgreift. Die Parteistruktur selbst hat dies bisher verhindert. Denn natürlich hat eine Bewegung, erst recht eine »Bewegung der Bewegungen«, Eigeninteressen, die sich der Steuerung durch eine Partei entziehen. Die Zusammenarbeit setzt also gegenseitiges Vertrauen voraus, das wiederum erst in der gemeinsamen Aktion entstehen kann.

Die Zeit dafür ist nach Ansicht des LFI vorhanden. Vor Präsidentschaftsneuwahlen werde sich ohnehin nichts entscheidend ändern. Und danach? Danach sieht man weiter. Mit einem zusätzlichen außerparlamentarischen Akteur an der Seite. Das sind die Regeln des »Mouvementisme«.

Erstveröffentlicht im nd v. 9.10. 2025

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194598.frankreich-bewegung-als-strategie.html?sstr=Bewegung|als|Strategie

Wir danken für das Publikationsrecht.

Diese Seite verwendet u. a. Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung