Berlin setzt Entwicklungskooperation mit Georgien aus und befeuert dort die einseitig auf die EU orientierenden Proteste. Die Regierung in Tiflis strebt Mittelstellung zwischen EU und Russland an – wie Kiew bis Anfang 2014.
06 Dez 2024
Newsletter German Foreign Policy
Bild: Georgische Nationalflagge
TIFLIS/BERLIN (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung erhöht den Druck auf die Regierung Georgiens und setzt die Entwicklungskooperation mit dem Land aus. Anlass ist die Entscheidung der Regierung in Tiflis, die Bemühungen Georgiens um einen EU-Beitritt bis 2028 auszusetzen. Grund dafür sind die zunehmenden Proteste der einseitig EU-orientierten Kräfte. Die Regierungspartei Georgischer Traum zielt weiterhin auf eine engere Zusammenarbeit mit der EU und der NATO; dabei will sie jedoch nicht auf eine gewisse Kooperation mit ihrem mächtigen nördlichen Nachbarstaat Russland verzichten, ist deshalb bemüht, die Kontrolle über den Annäherungsprozess an die EU nicht zu verlieren, und lässt sich zwar auf gemeinsame Manöver mit der NATO ein, nicht aber auf solche, die lediglich den Aufmarsch für einen möglichen Krieg gegen Russland proben, so die Defender Europe-Serie. Deutschland und die EU befeuern auch anderweitig die Proteste in Georgien, die wie einst die Maidan-Proteste in der Ukraine die exklusive Einbindung des Landes in die westlichen Bündnisse ermöglichen sollen. Während Berlin die Wahlen in Georgien vom 26. Oktober scharf kritisiert, billigt es Irregularitäten bei der Wahl der Pro-EU-Präsidentin in Moldau.
Wahlrecht ohne Wahlmöglichkeit
Wie flexibel Berlin und die EU im Umgang mit Irregularitäten bei Wahlen sind, wenn diese ihren Interessen entsprechen, haben exemplarisch die jüngsten Wahlen in Moldau gezeigt. Diese konnte die amtierende prowestliche Präsidentin Maia Sandu im zweiten Wahlgang am 3. November mit 54,3 Prozent für sich entscheiden. Zuvor hatte Sandu ein Referendum über die Aufnahme des EU-Beitritts als politisches Ziel in die Verfassung des Landes mit 50,4 Prozent knapp gewonnen. Allerdings hatte die im Land lebende Bevölkerung in beiden Fällen anders entschieden – mit knapper Mehrheit für Sandus auf Ausgleich zwischen West und Ost orientierenden Rivalen Alexandr Stoianoglo und mit klarer Mehrheit gegen einen EU-Beitritt. Ihren doppelten Sieg verdankte Sandu einerseits der hohen Zahl der in Westeuropa und den USA lebenden Auslandsmoldauer, die mit erdrückender Mehrheit für sie und den EU-Beitritt stimmten – und andererseits der Tatsache, dass die in Russland lebenden Auslandsmoldauer, die mit erdrückender Mehrheit für Stoianoglo sind und einen EU-Beitritt ablehnen, bei den Wahlen kaum zum Zuge kamen. In Westeuropa und Nordamerika gab es 231 Wahllokale für Auslandsmoldauer, in Russland nur zwei, beide in Moskau – und dies, obwohl in Russland, über weite Teile des Landes verstreut, Hunderttausende Auslandsmoldauer leben.[1]
Als illegitim dargestellt
Blieb in Berlin und der EU jeder Protest gegen die faktische Entrechtung der politisch missliebigen in Russland lebenden Auslandsmoldauer aus, obwohl sie wahlentscheidende Folgen hatte, so attackierten die Union und ihre Mitgliedstaaten die Parlamentswahl vom 26. Oktober in Georgien scharf. Das Europaparlament hatte sich schon vorab in den georgischen Wahlkampf eingemischt und am 9. Oktober eine Resolution verabschiedet, in der es Sanktionen gegen Repräsentanten der Regierungspartei Georgischer Traum forderte.[2] Über die Wahl, die die Regierungspartei nach offiziellen Angaben mit rund 53,9 Prozent gewann, erklärte eine internationale Beobachtungsmission unter Leitung der OSZE, sie sei „im Allgemeinen verfahrenstechnisch gut organisiert und in geordneter Weise durchgeführt“ worden – „jedoch geprägt von einem angespannten Umfeld, häufiger Beeinträchtigung des Wahlgeheimnisses und mehreren verfahrenstechnischen Ungereimtheiten“.[3] Von offenem Wahlbetrug war explizit keine Rede. Eine Neuauszählung von rund 14 Prozent sämtlicher Stimmen, die stichprobenartig in rund zwölf Prozent der Wahllokale durchgeführt wurde, ergab keine signifikanten Fehler.[4] Dies hielt die EU sowie die Mitgliedstaaten nicht davon ab, die Wahl in Georgien faktisch als illegitim darzustellen. Kritik an der Einmischung des Europaparlaments zugunsten der prowestlichen Opposition blieb selbstverständlich aus.
Gewalttätige Proteste
In Georgien selbst wird weiter mit harten Bandagen um die Wahl gekämpft. Die Opposition und Präsidentin Salome Surabischwili weigern sich, sie anzuerkennen. Nach der georgischen Verfassung muss die Präsidentin das Parlament zur konstituierenden Sitzung einberufen. Surabischwili weigerte sich, das zu tun. Als das Parlament, um demokratischen Stillstand zu verhindern, am 25. November zusammenkam, blieben 61 Abgeordnete der Opposition fern; sie weigerten sich, ihre Mandate anzunehmen – ein Versuch, das Parlament zu delegitimieren. Surabischwili sowie eine Gruppe scheidender Abgeordneter hatten beim Verfassungsgericht die Annullierung der Parlamentswahl beantragt; die Präsidentin hatte mit der Äußerung, das Gericht habe nun eine „großartige Möglichkeit, eine tiefe Krise im Land zu lösen“, Druck auf die Richter ausgeübt.[5] Diese entschieden dennoch mit einer deutlichen Mehrheit von fünf zu zwei, die Anträge gar nicht erst zur Entscheidung anzunehmen. Auch Straßenproteste gegen die Regierung dauern an. Polizisten werden mit Pyrotechnik, Lasern und Brandsätzen gezielt angegriffen; bereits am Dienstag wurde von 143 zum Teil schwer verletzten Beamten berichtet.[6] Auch die Zahl der ebenfalls zum Teil schwer verletzten Demonstranten nimmt zu. Darüber hinaus seien mehr als 300 Protestierende festgenommen worden, hieß es am gestrigen Donnerstag.[7]
Nicht um jeden Preis
Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht dabei die Entscheidung der Regierung in Tiflis, das Land zwar weiterhin an die EU anzunähern und auch mit der NATO zu kooperieren, dies aber nicht um jeden Preis zu tun, um eine weitere Zusammenarbeit mit dem Nachbarstaat Russland nicht unmöglich zu machen. So hält die Regierungspartei Georgischer Traum zwar am Ziel der EU-Mitgliedschaft fest. Sie hat aber zugleich das sogenannte Transparenzgesetz verabschiedet, das aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen dazu verpflichtet, sich offiziell zu registrieren und sich behördlich kontrollieren zu lassen. Vorbild ist der Foreign Agents Registration Act (FARA) in den Vereinigten Staaten – german-foreign-policy.com berichtete.[8] Das Gesetz soll die unkontrollierte Einmischung westlicher Staaten mit Hilfe der Finanzierung und der Steuerung der Opposition verhindern, wie sie vor und bei den Maidan-Protesten in der Ukraine geschah. Georgien arbeitet außerdem eng mit der NATO zusammen; so begrüßten seine Streitkräfte im August 2023 rund 3.500 Militärs aus rund zwei Dutzend NATO-Staaten zum Manöver Agile Spirit in ihrem Land.[9] An dem US-geführten Manöver Defender Europe 23 dagegen nahmen sie nicht teil: Bei dem Manöver wurde konkret der Aufmarsch für einen Krieg gegen Russland geprobt.[10]
Der Druck nimmt zu
Ähneln die Ereignisse vor allem in der georgischen Hauptstadt Tiflis mehr und mehr den Ereignissen im Winter 2013/14 auf dem Kiewer Maidan, so gleichen auch die Aktivitäten der westlichen Staaten, insbesondere Deutschlands und der EU, ihrer damaligen Unterstützung der ukrainischen Opposition. Die georgischen Proteste werden von westlichen Politikern unmittelbar befeuert; so trat beispielsweise der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth wiederholt öffentlich vor Demonstranten in Tiflis auf.[11] Nachdem die Regierung des Georgischen Traums am Donnerstag in Reaktion auf die umfassende westliche Einmischung angekündigt hatte, ihre Bemühungen um einen EU-Beitritt bis zum Jahr 2028 auszusetzen, machte sich der EU-Botschafter in Tiflis, Paweł Herczyński, zum Sprecher der Pro-EU-Kräfte im Land: Die Aussetzung der EU-Beitrittsbemühungen, behauptete Herczyński, stehe „im Widerspruch zum Willen der überwiegenden Mehrheit der georgischen Bevölkerung“.[12] Am Dienstag teilte das deutsche Entwicklungsministerium mit, es setze die Kooperation mit Georgien mit sofortiger Wirkung aus; mit der gegenwärtigen Regierung in Tiflis sei eine Zusammenarbeit „nicht mehr sinnvoll umsetzbar“.[13] Bereits am Montag hatten Estland, Lettland und Litauen rund ein Dutzend georgische Politiker und Beamte, darunter Innenminister Vakhtang Gomelauri und den Milliardär und Ehrenvorsitzenden des Georgischen Traums, Bidsina Iwanischwili, mit Einreisesperren belegt.[14] Der Druck „Europas“ auf Georgien, sich exklusiv auf seine Seite zu schlagen, nimmt ganz wie 2013/14 in der Ukraine weiter zu.
Mehr zum Thema: Der Druck der Straße und „Konsequenzen“ für Georgien.
[1] Michael Martens: Die Diaspora hat sie gerettet. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.11.2024.
[2] Joint Motion for a resolution on the democratic backsliding and threats to political pluralism in Georgia. europarl.europa.eu 08.10.2024.
[3] Statement von Kommission und Josep Borrell zur Parlamentswahl in Georgien. germany.representation.ec.europa.eu 28.10.2024.
[4] Teilweise Neuauszählung bestätigt Ergebnis. tagesschau.de 31.10.2024.
[5] Friedrich Schmidt: Georgien am Scheideweg. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.12.2024.
[6] Over 140 Georgian Policemen Injured in Ongoing Anti-Government Protests. caspianpost.com 04.12.2024.
[7] Pro-EU protesters defy Georgia crackdown after police raid opposition forces. france24.com 05.12.2024.
[8] S. dazu „Konsequenzen” für Georgien.
[9] Phillip Walter Wellman: NATO exercise Agile Spirit kicks off in Georgia amid West’s wariness of Russian clout. stripes.com 23.08.2024.
[10] Georgia Will Not Participate in “Defender 23” Military Exercise. civil.ge 02.05.2023. S. auch Am Rande des Krieges.
[11] Michael Roth: Maybe this is my last visit in Georgia as I’m going to leave politics. I hope I can come back as a friend of Georgia. 1tv.ge 11.11.2024.
[12] Othmara Glas: Georgien unterbricht EU-Beitrittsgespräche bis 2028. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.11.2024.
[13] Erklärung von Entwicklungsministerin Svenja Schulze zur Entscheidung der georgischen Regierung, die Beitrittsgespräche mit der EU auszusetzen. bmz.de 03.12.2024.
[14] Litauen, Lettland und Estland verkünden Sanktionen gegen georgische Führung. spiegel.de 02.12.2024.
Erstveröffentlicht bei German Foreign Policy
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9787
Wir danken für das Publikationsrecht.