„Unsere europäischen Werte“: 1,21 Euro Mindestlohn in der Ukraine

Die Ukraine ist korrupt – wissen wir, macht nichts, ist ja für die gute Sache. Aber die ärmste und kränkeste Bevölkerung, Land als Drehscheibe der europaweiten Niedrigstlöhnerei und des Zigarettenschmuggels, Weltspitze beim Handel mit dem weiblichen Körper – und mehr Soldaten als jeder europäische NATO-Staat.

Von Werner Rügemer.

Bei der ersten Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in der Ukraine, im Jahre 2015, betrug er 0,34 Euro, also 34 Cent pro Stunde. Danach wurde er erhöht: 2017 betrug er 68 Cent, 2019 betrug er 10 Cent mehr, also immerhin 78 Cent, und seit 2021 liegt er bei 1,21 Euro. Schon mal gehört?

Selbst dieser Niedrigstlohn wird nicht immer bezahlt

Das bedeutet natürlich nicht, dass dieser Mindestlohn in diesem Staat tatsächlich korrekt bezahlt wird. Bei einer vollen Arbeitswoche im Jahre 2017 betrug so der monatliche Mindestlohn 96 Euro. Aber zum Beispiel in der Textil- und Lederindustrie kam dieser Mindestlohn bei einem Drittel der meist weiblichen Beschäftigten nur durch erzwungene und nicht eigens bezahlte Überstunden zustande. Auch Bezahlung nach Stücklohn ist verbreitet – die bestimmte Zahl an Hemden muss in einer Stunde fertiggenäht sein; wenn das nicht klappt, muss unbezahlt nachgearbeitet werden.

Wenn keine Aufträge vorlagen, wurde unbezahlter Urlaub angeordnet. Der gesetzlich zustehende Jahresurlaub wurde vielfach nicht gewährt bzw. nicht bezahlt. Die Unternehmensleitung verhinderte die Wahl von Belegschaftsvertretungen. Mit diesem Mindestlohn lagen die Menschen weit unterhalb des offiziellen Existenzminimums: Es betrug im besagten Jahr 166 Euro.

Die Hungerlohn-Kette aus der Ukraine in die EU-Nachbarstaaten

Es gibt etwa 2.800 offiziell registrierte Textilunternehmen, aber auch eine vermutlich ebenso hohe Zahl an nicht registrierten Kleinunternehmen. Sie bilden seit Jahrzehnten eine ganz normale Schattenwirtschaft, oft in Kleinstädten und Dörfern.

Dabei rangieren die meisten dieser Unternehmen nur als Zweitklasse-Zulieferer für die international besser vernetzten Billigproduzenten in den benachbarten EU-Staaten, vor allem in Polen, aber auch in Rumänien und Ungarn.

So gehen 41 Prozent der Schuhe als Hungerlohn-Halbfertigware aus der Ukraine erstmal in die Niedriglohnfabriken Rumäniens, Ungarns und Italiens: Dort kriegen sie dann das unschuldige und schöne Etikett „Made in EU“.

Textilbeschäftigte selbst können sich nur Second-hand-Importe aus Deutschland leisten

Die Mehrheit der etwa 220.000 Textilbeschäftigten sind ältere Frauen. Sie halten sich nur durch eigene Subsistenzwirtschaft über Wasser, etwa durch einen eigenen Garten mit Hühnerstall. Krankheiten wegen Mangelernährung sind verbreitet.

Ihre eigenen Kleider kaufen die Textilarbeiterinnen meist aus Second-hand-Importen: Die kommen vor allem aus Deutschland, Polen, Belgien, der Schweiz und den USA. Die Ukraine importiert nämlich viel mehr Textilien als sie exportiert.

Die teuren, in der Ukraine vorproduzierten Importe von Boss und Esprit aus dem reichen EU-Westen sind für die reiche Elite und die NGO-Blase in Kiew bestimmt – während die Mehrzahl der Importe billigste Second-hand-Textilien sind. Die Textilarbeiterinnen, aber auch die Mehrheit der Bevölkerung können sich nur die fast kostenlosen Wegwerf-Textilien aus den reichen Staaten leisten.[1]

Aber westliche Gewerkschaften und „Menschenrechtler“ blicken immer noch nach Asien und Bangladesh, wenn es um menschenrechtswidrige Niedriglöhnerei in der Textilindustrie geht. Obwohl die Niedriglöhne in der Ukraine viel niedriger sind. Auch bei den aktuellen Diskussionen in der EU und im Deutschen Bundestag über ein Lieferkettengesetz: Da geht der Blick weit hinaus, global, nach Asien, während die EU-ukrainische Armutskette verleugnet wird.

Hier sitzt sie, die Korruption: C&A, Hugo Boss, Adidas, Marks&Spencer, New Balance, Esprit, Zara, Mexx sind die profitierenden Endabnehmer. Sie leben von der menschenrechtswidrigen Ausbeutung. Hier in den reichen EU-Staaten sitzen die wichtigsten Akteure der Korruption. Klammheimlich begrüßen sie freudig die nicht vorhandene bzw. komplizenhafte Arbeitsaufsicht des ukrainischen Staates, und die EU deckt das systemische Arbeitsunrecht ebenfalls, mit rituell-heuchlerischer und folgenloser Anmahnung der Korruption in der Ukraine.[2]

Autozulieferer, Pharma, Maschinenbau

So ähnlich wie in der Textil- und Lederindustrie läuft es auch in anderen Bereichen. Die Ukraine war ein Schwerpunkt industrieller Produktion in der Sowjetunion. Nach der Selbstständigkeit 1991 übernahmen Oligarchen die Firmen, holten Gewinne raus, steckten nichts in die Innovation. Für westliche Firmen standen Millionen gut qualifizierter Beschäftigter bereit – zu Niedrigstlöhnen.

Tausende Unternehmen vor allem aus den USA und EU-Staaten – allein aus Deutschland etwa 2.000 – vergeben Zuliefer-Aufträge für eher einfachere Teile: Porsche, VW, BMW, Schaeffler, Bosch und Leoni etwa für Autokabel; Pharma-Konzerne wie Bayer, BASF, Henkel, Ratiopharm und Wella lassen ihre Produkte abfüllen und verpacken; Arcelor Mittal, Siemens, Demag, Vaillant, Viessmann unterhalten Montage- und Verkaufsfilialen. Hier werden durchaus Löhne von zwei bis drei Euro gezahlt, also mehr als der Mindestlohn, aber eben noch niedriger als in den angrenzenden EU-Staaten Ungarn, Polen, Rumänien.

Deshalb sind die ukrainischen Standorte mit den Standorten derselben Unternehmen in diesen benachbarten EU-Staaten eng vernetzt, wo die gesetzlichen Mindestlöhne über 3 Euro und unter 4 Euro liegen. Die Vernetzung gilt aber genauso mit den noch ärmeren Nachbarstaaten Moldau, Georgien und Armenien, die nicht EU-Mitglieder sind. Hier werden ebenfalls Filialen betrieben. Im Zuge der „Östlichen Nachbarschaft“, organisiert von der EU, werden alle Unterschiede der Qualifikation, der noch niedrigeren Bezahlung ausgenutzt – mit der Ukraine als Drehtür.

Millionenfache Arbeits-Migration

Diese selektive Ausnutzung von Standortvorteilen durch westliche Kapitalisten hat nicht zur volkswirtschaftlichen Entwicklung geführt, im Gegenteil. Die Ukraine wurde volkswirtschaftlich verarmt. Die Bevölkerungsmehrheit wurde ärmer und kränker gemacht. Eine massenhafte Reaktion ist die Arbeitsmigration.

Sie setzte schon früh ein. Bis Ende der 1990er Jahre wanderten mehrere hunderttausend Ukrainer nach Russland aus. Die Löhne waren zwar nicht viel höher, aber in Russland schlagen nicht die exzessive Verwestlichung des Lebensstils und die Verteuerung der Lebenshaltungskosten für Nahrung, Mieten, Gesundheit und staatliche Gebühren durch.

Seit den 2000er Jahren und beschleunigt durch die Folgen des Maidan-Putsches 2014 sind etwa 5 Millionen UkrainerInnen als Arbeitsmigranten unterwegs – etwa zwei Millionen mehr oder weniger dauerhaft im Ausland, etwa drei Millionen pendeln in die Nachbarstaaten. Insbesondere der polnische Staat, der ohnehin Ansprüche auf westliche Teile der Ukraine erhebt, fördert die Arbeitsmigration aus der Ukraine. Etwa zwei Millionen UkrainerInnen verdingen sich in Polen vor allem in niedrigen Diensten als Putzkräfte, Haushaltshilfen, Kellner, Altenbetreuer, LkW-Fahrer.[3] In Polen blüht auch das Geschäft von Vermittlungsagenturen: Die erklären Ukrainer zu polnischen Staatsangehörigen und vermitteln sie etwa als häusliche Pflegekräfte nach Deutschland und in die Schweiz: Da wird dann schon mal der dortige Mindestlohn bezahlt, für eine 40-Stunden-Woche, aber in Wirklichkeit müssen die Pflegekräfte 24 Stunden in Bereitschaft sein, so steht es im Vertrag mit der polnischen Agentur.

Hunderttausende UkrainerInnen verdingen sich zudem dauerhaft, auf Zeit oder hin- und herpendelnd in Rumänien, Ungarn, der Slowakei und Tschechien, mit Mindestlöhnen zwischen 3,10 Euro und 3,76 Euro. Da freuen sich die UkrainerInnen, auch wenn sie ein bisschen unter diese Mindestlöhne gedrückt werden – das ist immer noch viel besser als in ihrer Heimat, und die Arbeitsaufsicht sagt nichts und die EU sagt auch nichts.

Studierende aus der Ukraine sind gern engagierte Saisonkräfte in der EU-Landwirtschaft. Allein in Niedersachsen sind es jährlich etwa 7.000 Studierende, die freilich nicht unbedingt studieren, sondern mit gefälschten Immatrikulationspapieren einreisen. Weder in der Ukraine noch in Deutschland wird kontrolliert, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ergab.[4]

Mindestlohn in Litauen: 2015 betrug er 1,82 Euro, also fünf mal höher als damals in der Ukraine; 2020 betrug er 3,72 Euro. Die EU fördert den Ausbau Litauens zur europäischen Speditions-Zentrale: Mithilfe Künstlicher Intelligenz werden billige und willige LkW-Fahrer aus Drittstaaten wie Ukraine, Moldau, aber auch von weiter her wie von den Philippinen quer durch Europa gelenkt. Sie brauchen keine Sprache zu lernen, sie bekommen ihre Anweisungen über Smartphone und Navigator. So fehlten mit Beginn des Krieges in der Ukraine den Speditionen in Litauen und Polen plötzlich über 100.000 LkW-Fahrer – aus der Ukraine, sie durften wegen des Militärdienstes nicht mehr ausreisen.[5]

Frauen-Armut I: Es blüht die verbotene Prostitution

Der patriarchale Oligarchenstaat Ukraine hat die Ungleichheit zwischen Mann und Frau extrem vertieft. Mit 32 Prozent gender pay gap stehen ukrainische Frauen an der allerletzten Stelle in Europa: Im Durchschnitt bekommen sie ein Drittel weniger Lohn und Gehalt als ihre männlichen Kollegen, im Bereich Finanzen und Versicherung sind es bei gleicher Arbeit sogar 40 Prozent[6] – der EU-Durchschnitt ist 14 Prozent. Wegen der patriarchalen Stereotype werden Frauen zudem besonders häufig in prekäre Teilzeitjobs abgedrängt, sogar noch weit mehr als in Merkel-Deutschland, das bei der Benachteiligung von Frauen unter den EU-Staaten mit an vorletzter Stelle steht.

Zu dieser patriarchalen Frauen-Armut gehört das Verbot der Prostitution, die aber genau unter diesen Bedingungen besonders blüht. Auch Grundschullehrerinnen, die mit ihren 120 Euro im Monat nicht auskommen, zählen zu den geschätzten 180.000 Frauen, die in der Ukraine als Prostituierte arbeiten, geschiedene alleinstehende Frauen mit Kind, Arbeitslose.

Weil die Prostitution verboten ist, verdienen Bordellbetreiber ebenso mit wie Polizisten und Taxifahrer, weil sie durch Schweigen gute Einnahmen haben. Auch Privatwohnungen werden genutzt, wie die Bordelle in bester Lage in der Hauptstadt Kiew. Touristen werden angelockt – mit 80 Euro sind sie dabei. Acht Dienstleistungen pro Nacht – keine Seltenheit. Etwas weniger als die Hälfte der Einnahmen bleibt bei den Frauen. So manche hoffen auf eine Übergangszeit von einem Jahr, zwei oder auch drei Jahren. Oft vergeblich. Ein Drittel wird drogensüchtig, ein Drittel gilt als HIV-positiv.[7]

Nach der „Liberalisierung“ der Sexualdienste durch die Bundesregierung aus Schröder/SPD und Fischer/Grünen wurde Deutschland zum „Bordell Europas“. Die bundeseigene Entwicklungsgesellschaft GTZ warb in ihrem „Deutschland-Reiseführer für Frauen“ um Ukrainerinnen, die jetzt gute Aussichten im Sex-Geschäft hätten. Viele kamen. Merkel-Deutschland wurde zum europäischen Zentrum für gewerbliche Prostitution, mehrheitlich zudem illegal und behördlich geduldet – günstige Bedingungen für Frauen, die nicht aus einem EU-Mitgliedsstaat kommen. So liegt es nahe, dass Zuhälter jetzt im Jahre 2022 flüchtende ukrainische Frauen schon an der Grenze anzuwerben versuchen.[8]

Frauen-Armut II: Der weibliche Körper als Nutzungsmaterial

Die Ukraine ist für westliche Unternehmen ein gefälliger Standort für Praktiken, die sonst verboten sind, ein tausendfach genutzter Standort für die US-geführte Globalisierung. Das gilt auch für die gewerbliche Nutzung des weiblichen Körpers, weit über illegale Prostitution hinaus.

Die Ukraine ist der globale hot spot für industrielle Leihmutterschaft, mit weitergehender „Liberalisierung“ als sonst. Die weit verbreitete Frauen-Armut bietet ein unerschöpfliches Reservoir.

Vittoria Vita, La Vita Nova, Delivering Dreams oder etwas prosaischer BioTex – unter solchen Namen preisen in Kiew und Charkiw Agenturen für Leihmutterschaft ihre Dienste bzw. ihre Frauen an. In Katalogen werden, für zahlungskräftige Ausländer, hübsche gesunde Ukrainerinnen angeboten. Zwischen 39.900 und 64.900 Euro liegen die Preise für ein gesund abgeliefertes Baby. Aus den USA, Kanada, Westeuropa, China kommen die Wunschkind-Touristen.[9]

Das Wunscheltern-Paar liefert in einer der Dutzend Spezialkliniken Ei und Samen ab. Die werden in der Retorte befruchtet. Dann wird das fremde Embryo der Leihmutter eingepflanzt. Diese trägt ein genetisch fremdes Kind aus. Das wurde in den USA entwickelt, ist aber viel teurer: Zwischen 110.000 und 240.000 Euro. In der Ukraine ist es weniger reguliert. Die austragende Frau darf genetisch nichts mit dem Kind zu tun haben, sie ist nur ein fremdes Werkzeug, das nach Benutzung sofort vergessen werden soll, gar nicht mehr existiert – und für die nächste Nutzung für ein ganz anderes fremdes Paar bereitsteht.

Die Preise unterscheiden sich je nachdem, ob die Wunscheltern für ihr bestelltes Baby ein bestimmtes Geschlecht haben wollen oder nicht: Ohne Geschlechtswahl kostet es bei BioTex 39.900 Euro, mit zweimaligem Versuch auf das gewünschte Geschlecht kostet es 49.900 Euro, und bei zahlenmäßig unbegrenzten Versuchen kostet es 64.900 Euro. Zu diesen Angeboten gehört die Hotel-Unterbringung, die Ausstellung der Geburtsurkunde und des Reisepasses im deutschen Konsulat. Bisher wurden mehr als 10.000 solcher Babys weltweit ausgeliefert.

Die Leih- oder Surrogatmutter – eine Leihmutterfirma trägt den dazu passenden Namen: Surrogacy Ukraine – bekommt während der Schwangerschaft eine monatliche Prämie zwischen 300 und 400 Euro, nach gelungener Ablieferung des Produkts wird die Erfolgsprämie auf 15.000 Euro aufgestockt. Wenn es eine Fehlgeburt gibt, das Kind behindert ist oder dessen Annahme verweigert wird, bekommen die Leihmütter nichts. Deren seelische Verfassung bleibt unbeachtet, gegen gesundheitliche Schäden besteht keine soziale Absicherung. Untersuchungen über Langzeitfolgen werden nicht angestellt.

Null-Stunden-Verträge, Enteignung der Gewerkschaften

Die Selensky-Regierung erhöhte zwar den Mindestlohn auf 1,21 Euro, schwächt und zerstört aber gleichzeitig die ohnehin schon seit der Unabhängigkeit immer mehr geschwächten Gewerkschaften. Das Arbeitsgesetz vom Dezember 2019 ist der bisherige Höhepunkt des extremen Arbeitsunrechts:

*Der Null-Stunden-Arbeitsvertrag ist zulässig: Arbeit auf Abruf. Wenn der Unternehmer Arbeit zu vergeben hat, holt er sich kurzfristig den Beschäftigten. Da kann die Zahl der Arbeitsstunden und das Arbeitseinkommen auch mal Null betragen.

*Entlassungen müssen nicht mehr begründet werden.

*Die individuelle Aushandlung der Arbeitsverträge wird gefördert – „Aushandlung“ ist natürlich ein beschönigender Begriff für alternativlose Angebote, was bei der hohen Arbeitslosigkeit kein Problem ist. In Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten – das sind über 95 Prozent der Unternehmen – können Tarifverhandlungen ausgesetzt werden. Die davon profitierenden Unternehmen sind insbesondere staatliche, dann die Agrar- sowie Nahrungsmittel- und Tabakkonzerne wie Nestle und Philip Morris.

Außerdem sollen die Gewerkschaften enteignet, das Vermögen soll eingezogen werden. Auch wenn sie geschwächt sind, so haben sie aus sowjetischer Zeit noch Grundstücke und teilweise große Häuser, und zwar in den Zentren der Städte. Für Selensky sind das „russische Überreste“ – also enteignen!

Hunderttausende Ukrainer protestierten gegen das neue Gesetz – darüber berichtete keine westliche Tagesschau. In einem gemeinsamen Brief vom 9. September 2021 haben die Internationale Gewerkschafts-Föderation und die Europäische Gewerkschafts-Föderation – ITUC, CSI, IGB – die ukrainische Regierung und das mit der Integration der Ukraine beauftragte EU-Komittee darauf hingewiesen: Die Ukraine verletzt mit dem neuen Arbeitsgesetz nicht nur alle Arbeitsrechte der UNO und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, sondern auch die niedrigen Standards der EU – keine Reaktion.[10]

Enteignung und Verarmung der Bauern

Nach der Selbstständigkeit bekamen die etwa 7 Millionen Bauern aus ihren Kollektivfarmen im Durchschnitt etwa vier Hektar Land als Eigentum zugeteilt. Das ist zu wenig, um eine eigenständige Landwirtschaft zu betreiben. Deshalb verpachten die Bauern bisher ihr kleines Land an in- und ausländische Oligarchen für eine niedrige Pachtgebühr, gegenwärtig im Durchschnitt für 150 Dollar pro Jahr, 2008 waren es noch 80 Dollar.

So hat etwa der Oligarch Andry Werewsky mit dem Konzern Kernel 570.000 Hektar Pachtland zusammengerafft, der Oligarch Oleg Bachmatjuk schaffte es mit UkrLandFarming auf 500.000 Hektar, der US-„Heuschrecken“-Investor NCH Capital aus New York brachte es auf 400.000 Hektar, der Oligarch Juriy Kosuk für MHP auf 370.000 Hektar, der Oligarch Rinat Achmetov für seine Agro-Holding auf 220.000 Hektar, während die Continental Farmers Group aus Saudi-Arabien „nur“ 195.000 Hektar pachtet. Schwedische und niederländische Pensionsfonds mischen mit. Aus Bayern kommen Klein-Oligarchen wie Dietrich Treis und Hans Wenzel, die zuhause 60 Hektar haben, in der Ukraine aber unvergleichlich günstig gepachtete 4.500 Hektar bewirtschaften.[11] Alexander Wolters aus Sachsen hat sich 4.200 Hektar zusammengepachtet, für 60 Euro pro Hektar im Jahr.[12]

Sie alle sind voll in die EU und den westlichen Weltmarkt integriert:

*Die rechtlichen und Steuersitze sind vorzugsweise in den EU-üblichen Finanzoasen Zypern, Luxemburg und der Schweiz, die ukrainischen Regierungen brachten Steuererlasse und Subventionen bei.

*Sie erhalten immer wieder hohe Kredite der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und der Europäischen Investitionsbank (EIB).

*Die Samen-, Düngemittel-, Pestizid- und Landtechnik ist v.a. in den Händen von US- und deutschen Konzernen wie Cargill, Archer Daniels, John Deere, Corteva, Bayer und BASF.

Hochbezahlte Manager führen die Geschäfte. Einige wenige der Bauern können zum Mindestlohn Hilfsdienste in diesem großflächig organisierten Agrobusiness ausführen. Ein bisschen nicht-verpachtetes Land ermöglicht ihnen kümmerliches Überleben.[13]

Doch die Selensky-Regierung hat die Pacht-Praxis beendet: Seit 1. Juli 2021 können die Bauern ihr Land verkaufen, zunächst nur an Käufer mit ukrainischer Staatsangehörigkeit. Dafür richtet die Regierung ein Auktionsportal ein, in dem auch anonym geboten werden kann. Die Freigabe des Verkaufs der höchst fruchtbaren ukrainischen Schwarzerde wurde nicht nur von oligarchischen land grabbern verlangt, sondern auch vom Internationalen Währungsfonds IWF, der der hochverschuldeten Ukraine für einen neuen 5-Milliarden-Kredit u.a. diese Auflage machte: Land darf verkauft werden, das führt zu wirtschaftlichem Aufschwung! Ein späteres Referendum 2024 soll dann den nächsten Schritt einleiten: Verkauf des Bodens auch an Ausländer. Die weitere Verarmung der Bauernfamilien ist eine der Folgen, die unter diesen Bedingungen eingeleitet wird. Deshalb protestierten viele Bauern gegen diese „Landreform“ – ohne Wirkung.

Schmuggelzentrale Ukraine: Seit 30 Jahren

Ab 1992 kauften die größten Zigarettenkonzerne Philip Morris, R.J. Reynolds, Britisch American Tobacco und Japan Tobacco die Zigarettenfabriken in der Ukraine. Teilweise blieb der Staat ein paar Jahre als Minderheitsgesellschafter dabei.

Die Produktion mit guten, aber nun schlechter bezahlten Fachkräften galt zum wenigsten für den ukrainischen Markt. Das große Spektrum der Luxusmarken wie Marlboro und Chesterfield bis hinunter zu Billigstmarken wurde für den Export produziert. Dafür senkte die komplizenhafte Regierung die Tabaksteuer auf ein international konkurrenzloses Niveau, weniger als die Hälfte der in Europa sonst geltenden Steuer. Gleichzeitig blieben die Zollkontrollen auf niedrigstem Niveau.

Ende der 1990er Jahre erkannte die Europäische Kommission: Philip Morris & Co produzieren in der Ukraine mehr als 90 Prozent für den Export, einschließlich mit den Billigzigaretten für den globalen Schmuggel in arme Staaten, aber auch in die reichen EU-Staaten. Durch den Schmuggel würden die EU-Staaten jährlich um 4 Mrd. Euro geschädigt. Die EU klagte gegen Philip Morris und Reynolds auf Schadenersatz. Das Gericht in New York wies die Klage 2001 ab. Drei Jahre später willigte Philip Morris ein, an die EU 1,3 Mrd. Dollar zu zahlen, um den Kampf gegen Schmuggel und gefälschte Etiketten zu unterstützen.

Morris zahlte aber erstmal nicht, 2010 wurde das Abkommen erneuert. Morris hat sich verpflichtet, die Summe, auf 12 Jahre verteilt, an Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien zu bezahlen. Diese Staaten haben das Abkommen unterzeichnet – aber alle osteuropäischen EU-Staaten nicht. Gleichzeitig blühte hinter den Kulissen die Komplizenschaft: Michel Petite, von 2001 bis 2007 Generaldirektor des Juristischen Dienstes der EU-Kommission, wechselte 2008 zur US-Kanzlei Clifford Chance, übernahm dort den Mandanten Philip Morris und wurde auch noch Vorsitzender des „Ethik-Komitees“ der EU.[14]

In der Ukraine kostet eine Schachtel Marlboro-Zigaretten trotz inzwischen etwas erhöhter Tabaksteuer 2,50 Euro und im Kosovo 1,65 (Stand 2021) – während die Schachtel in Deutschland 7 Euro kostet, in Belgien 6,20, in Frankreich 10, in Italien 6 usw. Deshalb gehen natürlich der Export und der Schmuggel aus der Ukraine weiter. Deshalb wird rituell-ergebnislos verhandelt, so auch beim 21. Gipfeltreffen EU-Ukraine. „Die Ukraine ist zu einer weltweiten Drehscheibe für die Lieferung illegaler Zigaretten nach Europa geworden“, so gestand der Vizechef des ukrainischen Präsidentenamtes, Alexej Hontscharuk. Präsident Zelensky hat natürlich wieder zugesagt, dass die Ukraine den Tabakschmuggel noch heftiger bekämpfen wird als bisher.[15]

Ukraine: Höchste Militärausgaben in Europa

Durch den von westlichen Akteuren – NATO, Horizon Capital, Swedbank, National Endowment for Democracy, Black See Trust, Soros Foundation – organisierten Maidan-Putsch 2014 wurde der kleine Banker Arsenij Jazeniuk ins Amt des ukrainischen Ministerpräsidenten gehievt.[16] Die Boykotte gegen Russland führten zum Verlust mehrerer hunderttausend Arbeitsplätze in der Ukraine – allein für deutsche Unternehmen wie den Autozulieferer Leoni waren es etwa 40.000.

Die ukrainische Regierung orientierte sich nun an der EU und führte 2015 einen gesetzlichen Mindestlohn ein: 34 Cent pro Arbeitsstunde. Das war eine deutliche Ansage, auf welchem Niveau sich die Arbeitseinkommen bewegten. Die Beschäftigten wie in der Textilindustrie und im Agrobusiness freuen sich, wenn der Mindestlohn wirklich gezahlt wird. Andere Beschäftigte freuen sich, wenn der Stundenlohn in die Nähe von drei Euro kommt. Die Arbeitsmigration Richtung Ausland beschleunigte sich, wurde und wird von den nicht so stark verarmten osteuropäischen Nachbarstaaten gern genutzt. Die Ukraine wurde endgültig zur „Lieferantin billiger Arbeitskräfte in die EU-Länder.“[17]

Der hinsichtlich der Bevölkerungsmehrheit allerärmste Staat in Europa rüstete mithilfe der NATO, insbesondere der USA und Großbritanniens, ab 2016 noch schneller auf, von 2,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für das Militär innerhalb eines halben Jahrzehnts auf das Doppelte bis 2020, also schon vor dem Krieg: auf 5,9 Prozent – hochprozentigster Musterknabe für die Forderung von US-Präsident Obama, die Militärbudgets auf 2 Prozent zu erhöhen. Damit steht die Ukraine nach Saudi-Arabien weltweit an 2. Stelle, noch vor dem zweitbesten US-Musterknaben, dem hochgerüsteten Israel.[18]

Das Nicht-NATO-Mitglied Ukraine mit jetzt 41 Millionen Einwohnern hat mit seinen 292.000 Soldaten mehr Militärs als die anderen und auch größeren NATO-Mitglieder (USA natürlich ausgenommen), also mehr Soldaten als Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Griechenland, Spanien, Polen, Rumänien… Der Staat mit der allerärmsten Bevölkerungsmehrheit in Europa leistete sich bzw. seinen Herren und Damen in Washington, Brüssel, London, Paris und Berlin zugleich die weitaus höchsten Militärausgaben, vielleicht zur Vorbereitung eines Krieges, oder wofür?

Die ärmste und kränkeste Bevölkerung Europas

Der IWF vergab dem „korruptesten Staat Europas“ (Transparency International) Kredite mit Auflagen für Sozial- und Rentenkürzungen, für Erhöhung der Kommunalgebühren (Wasser, Abwasser, Müll) und der staatlichen Energiepreise sowie für weitere Privatisierungen. Der IWF war auch Kriegstreiber: Der Verlust des Donbass würde sich negativ auf die Höhe der westlichen Kredite auswirken, ließ er verlautbaren.[19]

Die Staatsverschuldung wurde 2020 auf optisch hübsche 60 Prozent herabgedrückt – hervorragend für einen Beitritt zur EU. Begleitfolge: Die Bevölkerungsmehrheit ist noch ärmer, die Lebenshaltungskosten, Nahrungsmittel, Kommunalabgaben, Mieten, Gesundheits- und Energiekosten sind gestiegen – sind nur noch teilweise bezahlbar oder eben gar nicht mehr. Die Durchschnittsrente betrug 2013, vor dem Maidan-Putsch, noch 140 Euro, das war der Höhepunkt in der Geschichte der unabhängigen Ukraine. Seit 2017 beträgt die Durchschnittsrente 55 Euro. Immer mehr RenterInnen müssen weiterarbeiten.[20]

Seit der westlich orientierten Unabhängigkeit schrumpfte die Bevölkerung der Ukraine von 51 Millionen Einwohnern auf jetzt 41 Millionen. Schon vor dem jetzigen Krieg prognostizierte die Internationale Organisation für Migration (IOM) für das Jahr 2050 eine weitere Schrumpfung: 32 Millionen Einwohner, und die würden dann noch mehr im Durchschnitt noch älter sein als jetzt schon.

Die ärmste Bevölkerung Europas ist auch die kränkeste: Die Ukraine steht in Europa an erster Stelle der Todesfälle wegen Mangelernährung.[21]

Wie lobte doch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Frau von der Leyen, so überschwenglich: „Die Ukraine verteidigt beeindruckend unsere europäischen Werte!“ Deshalb soll die Ukraine EU-Mitglied werden. Die Präsidentin fügte hinzu: „Die Ukraine verdient diesen Status, denn sie ist bereit, für den europäischen Traum zu sterben.“[22]

Die christlich lackierte Politikerin hat mehr recht, als sie glaubt.

Titelbild: Protasov AN / shuttestock


[«1] Oksana Dutschak: Sweatshops am Rande Europas. Wie Markenkleidung in der Ukraine genäht wird, Bundeszentrale für politische Bildung 4.12.2017; siehe auch: Clean Clothes Campaign: Länderprofil Ukraine 2017, herausgegeben von der Rosa Luxemburg-Stiftung.

[«2] Werner Rügemer: Imperium EU. ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr. Köln 2020

[«3] Die nützlichen Migranten. Zwei Millionen Ukrainer in Polen, Deutschlandfunk 27.2.2018

[«4] Ukrainische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, fes.de, 6.4.2022

[«5] Lastwagenfahrer fallen aus. Viele Ukrainer eingezogen, FAZ 9.3.2022

[«6] Gender Pay Gap in the Ukraine, globalpeoplestrategist.com/

[«7] Käufliche Liebe im Untergrund, Der Spiegel 30.6.2012

[«8] Ukrainerinnen auf der Flucht: „Oft schon an Grenze von Zuhältern angesprochen“, MDR Sachsen 3.6.2022

[«9] Geschäft mit dem Babyglück – Leihmütter in der Ukraine, arte-TV 29.1.2021; Babys für die Welt. Das Geschäft mit ukrainischen Leihmüttern, DLF/SWR/ORF 30.11.2021; In der Ukraine boomte das Geschäft mit der Leihmutterschaft. Dann kam der Krieg, Stern 25.3.2022

[«10] Sharan Burrow/ITUC and Luca Visentini/ETUC: Letter to Mr. Volodymyr Zelenskyy and others, Brussels 9 September 2021, pmguinfo.dp.ua/images/photo-news/09_2021/original_lista.pdf

[«11] Ukraine-Krieg: Niederbayerischer Landwirt bangt um seine Mitarbeiter, Bayerischer Rundfunk 4.3.2022; ARD Tagesschau 17.5.2022

[«12] Deutsche Landwirte in der Ukraine ächzen über Preisschwankungen und Transportprobleme, mdr.de 21.5.2022

[«13] Who Benefits from the Creation of a Land Market in Ukraine? oaklandinstitute.org, December 2020; Christina Planks: Land grabs in the Black Earth: Ukrainian Oligarchs and International Investors, Heinrich Böll-Stiftung 30.10.2013; Transnational Institute: Land Concentration, Land Grabbing and Peoples’ Struggles in Europe, June 2013

[«14] Geschichte der EU-Vereinbarungen zum Tabakschmuggel: Unfairtobacco.org

[«15] Schmuggel: Ukraine will Kooperation mit der EU verbessern, euraktiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/schmuggel-ukraine-will-kooperation-mit-der-eu-verbessern/, abgerufen 15.7.2022

[«16] Werner Rügemer: Jazeniuk made in USA, Ossietzky 9/2014

[«17] Olga Gulina / Oleksii Pozniak: Ukraine – Migrationsströme im Wandel, zois-berlin.de/publikationen/ukraine-migrationsstroeme-im-wandel, 11.4.2018

[«18] Militärausgaben der Ukraine von 2006 bis 2021, de.statista.com, abgerufen 15.7.2022

[«19] cnbc.com/2014/05/01/ukraine-gets-17bn-bailout-russian-risks-remain.html

[«20] Ukraine-analysen Nr. 200, 27.4.2018, laender-analysen.de/ukraine

[«21] Cardioviscular mortality attribuable to dietary risk factors in 51 countries in the WHO European Region from 1990 to 2016, European Journal of Epidemiology 34, 37ff. (2019)

[«22] Die Ukraine und die EU – Eine geopolitische Entscheidung, FAZ 17.5.2022

Erstveröffentlichung in „nachdenkseiten“, 21.7. 2022
Wir danken dem Autor für das Recht auf Veröffentlichung.

Veranstaltung mit Assaf Adiv von der „MAAN Workers Association“ zu Organisierung palästinensischer Arbeiter in Israel

Arbeitskreis Internationalismus IG Metall Berlin und verd.i laden ein zur Diskussion mit Assaf Adiv, dem Gründer und Geschäftsführer der „MAAN Workers Association“ zu Organisierung palästinensischer Arbeiter in Israel.

24. August um 18.00, IG Metall Haus , Raum E02, Alte Jakobstraße 149, 10969 Berlin (Nähe U Bahnhof Hallesches Tor)

Am Sonntag, den 7. August, endete eine weitere tödliche Eskalation im Gazastreifen, doch ohne eine politische Lösung, die die Besatzung beendet und den Palästinensern Freiheit gewährt, hat der Countdown für den nächsten Krieg begonnen.

Assaf Adiv ist eine führende Stimme innerhalb der vielfältigen demokratischen Bewegung von Palästinensern und Israelis, die versuchen, einen neuen Weg der sozialen und politischen Gerechtigkeit für alle zu beschreiten.

MAAN ist einzigartig in seiner Arbeit zur Organisation von Palästinensern, die in Israel arbeiten. Seit 2021 führt sie eine Kampagne gegen das Genehmigungssystem, das Israel 200.000 palästinensischen Arbeitnehmern auferlegt, und hat einen öffentlichen Aufruf zur Ausstellung einer Green Card für palästinensische Arbeitnehmer veröffentlicht.

Wer ist die MAAN Workers Association und was sind wesentliche Hintergründe?

Über WAC-MAAN

WAC-MAAN, das Workers Advice Center (ein eingetragener gemeinnütziger Verein), ist eine unabhängige repräsentative Arbeitnehmerorganisation, die Arbeitnehmer unabhängig von Nationalität, Religion, Geschlecht oder Hautfarbe vereint. WAC versucht, die Unorganisierten in einer breit angelegten Gewerkschaft zu organisieren.

Der WAC wurde Ende der 1990er Jahre gegründet, um der zunehmenden Arbeitslosigkeit, der wachsenden Zahl mittelloser Arbeitnehmer und der sich vertiefenden sozialen Kluft entgegenzuwirken. Heute ist der Mindestlohn das Maximum. Die meisten haben keine Rentenversicherung. Die Bosse halten sich nicht an die bestehenden Tarifverträge und bekämpfen alle Versuche, sich zu organisieren.

Nur ein Drittel der drei Millionen Beschäftigten in Israel ist gewerkschaftlich organisiert. Von den übrigen finden Tausende im WAC Unterstützung, Beratung, Rechtsschutz und Hilfe bei der Organisierung.

Das globale Zeitalter und die Privatisierung
Seit Mitte der 1990er Jahre, als Israel in das globale Zeitalter eintrat, hat sich eine Privatisierungsepidemie in der israelischen Wirtschaft ausgebreitet. Organisierte Arbeitskräfte wurden abgebaut, zunächst im Dienstleistungssektor (z.B. Reinigungskräfte, Sicherheitspersonal), später auch im Baugewerbe, im Verkehrswesen und in der Industrie. Angesichts der Haushaltskürzungen förderten die Ministerien selbst den Einsatz von Subunternehmern und Zeitarbeitern. Alle Wirtschaftszweige folgten diesem Beispiel.

Es kam auch zu einer massiven Einfuhr von Wanderarbeitern unter den Bedingungen der Schuldknechtschaft. Mit dieser modernen Form der Sklaverei machten die Arbeitsvermittlungsunternehmen ein Vermögen. Migranten aus China, Thailand und anderen Ländern wurden zunächst nach Israel gebracht, um Palästinenser zu ersetzen, deren Einreise ab 1993 verboten wurde. Die Einreise dieser unorganisierten und ihrer Rechte beraubten Arbeiter in den Bereichen Bau, Landwirtschaft und Körperpflege hatte zur Folge, dass die Löhne auf breiter Front sanken.

Widerstand gegen die Diskriminierung von Arabern
Die Araber, die etwa 20 % der israelischen Bevölkerung ausmachen, befinden sich am unteren Ende der Skala, wenn es um Arbeitsplätze, Lohnbedingungen und Aufstiegschancen geht. Der WAC setzt sich für die Verbesserung ihres Status und ihrer Chancen ein, um eine Grundlage für Gleichheit und Partnerschaft in der gesamten Gesellschaft zu schaffen. Der WAC setzt sich gegen alle Formen der Diskriminierung ein.

Die soziale Kluft hat die israelische Gesellschaft verändert
Das Israel des Jahres 2010 bietet keine Beschäftigungssicherheit. Junge Arbeitnehmer sind mit ziemlicher Sicherheit von Ausbeutung, fehlenden sozialen Rechten und Mindestlöhnen bedroht. Die Struktur des Wohlfahrtsstaates, die Israel in seinen Anfängen auszeichnete, diskriminierte schon damals seine arabischen Bürger, bot aber ein breites Sicherheitsnetz für jüdische Arbeitnehmer. Dies hat sich geändert. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich ein soziales und wirtschaftliches System entwickelt, das durch große Einkommensunterschiede gekennzeichnet ist. Diese haben zu einem Gefühl der Entfremdung und Unruhe sowohl unter Juden als auch unter Arabern geführt, insbesondere in den geografischen Randgebieten. Selbst bei fortschrittlichen Arbeitsgesetzen oder bei Unterzeichnung eines Tarifvertrags bleiben die Errungenschaften in den Händen einiger weniger. Ohne die Mittel zur Durchsetzung der Gesetze und in Anbetracht der Schwäche der Histadrut seit den 90er Jahren haben die meisten Arbeitnehmer keinen Schutz vor der kleinen Gruppe superreicher Familien, die Israel faktisch politisch und wirtschaftlich beherrschen.

Beendigung der Besatzung

Der Aufbau einer neuen Gewerkschaftsbewegung erfordert einen grundlegenden politischen Wandel in den Gesetzen, Prioritäten und der Politik Israels. Die Besatzung muss beendet werden. Jedes künftige Friedensabkommen muss auf zwei souveränen Staaten beruhen. Darin sieht der WAC den Schlüssel zum sozialen Wandel und zum Aufbau einer egalitären Gesellschaft.

Der WAC sieht es als eine grundlegende moralische Pflicht an, den Arbeitern, die in den besetzten Gebieten leben, zu helfen. Der WAC fordert gleiche Rechte für alle Arbeiter – israelische, Wanderarbeiter und Palästinenser. Der WAC fordert, dass die Regierung ihre Politik des Imports von billigen, rechtlosen Arbeitskräften beendet.

WAC und die internationale Arbeiterbewegung
Der WAC unterhält enge Beziehungen zu Gewerkschaften im Ausland. Sie ist ein Partner in deren Kampagne zur Bewahrung der Errungenschaften der Arbeiterbewegung in einer Zeit, in der das neoliberale kapitalistische System gescheitert ist. In der internationalen Bewegung von heute wird nach kreativen Wegen gesucht, um die Verbindung zu den Arbeitern zu vertiefen und der Arbeiterschaft ihren rechtmäßigen Platz im Zentrum des politischen Lebens zurückzugeben. Der WAC sieht sich selbst als Teil dieses Trends. Nachdem ihre Rechte mit Füßen getreten wurden, müssen sich die Arbeitnehmer in Israel mobilisieren und kämpfen.

Der WAC ist relativ neu – als Gewerkschaft steht er noch ganz am Anfang. Die Unterstützung der internationalen Arbeiterbewegung durch den Austausch von Ideen und Erfahrungen ist von entscheidender Bedeutung. Sie kann dem WAC bei seiner Kampagne für die Rechte der Arbeitnehmer in Israel – Juden und Araber gleichermaßen – sehr helfen.

Weitere Informationen über MAAN hier

http://eng.wac-maan.org.il

Appell zur Ausstellung einer Green Card für palästinensische Arbeitnehmer siehe hier:

hhttp://eng.wac-maan.org.il/?p=2680

Wir sind alle Aldo, Arafat, Carlo und Bruno*

Etwa 40 Menschen hatten sich am Dienstag im Berliner Tiergarten – das ist ein innerstädtisches Waldstück – direkt gegenüber der italienischen Botschaft versammelt, um dort eine Protest- und Solidaritätsaktion mit den von der Justiz verfolgten italienischen Gewerkschafter:innen durchzuführen. Aufgerufen zu dieser Aktion hatte der Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall Berlin. Die Teilnehmenden der Versammlung waren weitgehend Mitglieder aus sozialistischen und kommunistischen Gruppen, die mit der Situation der Arbeiter:innenbewegung in Italien vertraut sind und hier die Kolleg:innen der Basisgewerkschaften USB und Si Cobas als Brüder und Schwestern im Geiste wahrnahmen. Eine Mobilisierung gewerkschaftlicher Strukturen war in der kurzen Zeit nicht möglich. In verschiedenen Redebeiträgen wurde zusammengetragen, was man so über die Situation in Italien wusste. Revolutionäres Liedgut wurde angestimmt und eine Solidaritätserklärung verabschiedet, die an das Unterstützernetzwerk ging. „Standesgemäß“ wurde die Aktion durch den antifaschistischen Partisanenklassiker „Bella Ciao“ beendet

  • die vier verhafteten Gewerkschafter

Und hier ein Streifzug zu andern bekannten Aktionen:

https://solidarisch-in-groepelingen.de/video-ueber-solidaritaetsaktionen-vor-italienischen-konsulaten/

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