20 000 in Berlin für eine andere Zeitenwende

Von Jochen Gester

Dem fies-feuchten Winterwetter zum Trotz hatten sich am Samstag, dem 25. 11 nach glaubwürdigen Angaben der Veranstalter gut 20 000 Friedensbewegte in der Bundeshauptstadt zu Kundgebungen und einer Demonstration versammelt. Es dauerte bis in den fortgeschrittenen Abend, bis dass diese Protestaktion gegen die Wiederkehr des Krieges und die Militarisierung der Republik Spuren in den Medien hinterlassen hatte. Zuerst war von einer Demo einiger Tausend die Rede. Erst gegen 22 Uhr konnte man dann lesen, dass sich hier nach Polizeiangaben 10 000 Menschen versammelt hatten. Auf jeden Fall konnten die Demonstrant:innen einen machtvollen Zug durch das Regierungsviertel organisieren, der auch ohne sichtbare Störungen ablief. Dies mag auch daran gelegen haben, dass es am Samstag keinerlei Versuche rechter Akteure gab, sich als Friedensaktivisten getarnt unter die Menge zu mischen. Im Vorfeld war auch mehr als deutlich seitens der Organisatoren klargestellt worden, dass diese Chamälions unerwünscht sind. Auch hat wohl die Vereinbarung der Veranstalter, das Zeigen von Nationalfahnen nicht zuzulassen – was auch kontrolliert wurde – die Lust an einer solchen Demo in dieser Szene deutlich gedämpft.

Prägend waren am Samstag Meinungskundgebungen aller Art, bei denen die Sorge und auch die Empörung darüber zum Ausdruck kam, dass die herrschende Politik die Chancen zu einer friedlichen Entwicklung der Beziehungen zwischen den den nationalen Konfliktparteien in Europa sowie in Nahost torpediert statt fördert. Die Gesamtaktion hatte ein deutlich linkeres Profil als die vorangegangene Großdemo im Februar. Die meisten Gruppen der arbeiterbewegungsorientierten Linken waren vertreten und auch die auf der Bühne gehaltenen Redebeiträge argumentierten mehrheitlich aus einer Tradition des linken Antimilitarismus. Dies blieb auch den meinungsbildenden Medien nicht verborgen. Die gewerkschaftliche Linke war ebenfalls präsent und setzte durch ihre organisierte Teilnahme auch einen klaren Kontrapunkt zur Politik der Vorstände, die sich wohl darüber abgesprochen hatten, nicht durch Unterstützung einer Aktion, die offen das Programm der sog “Zeitwende” infragestellte, die Gesprächskanäle in die Zentralen der Macht zu verbauen. Ausdruck des völkerverbindenden und antirassisstischen Geistes, der diese Demonstration prägte, war auch der gemeinsame Auftritt von Iris Hefets von der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost und der deutsch-palästinensischen Rechtsanwältin Nadjia Samour, die verdeutlichen konnten, welcher Geist wirklich hinter der verkündeten Staatsräson einer großen Koalition aus Regierung und Opposition steckt.

In den nächsten Tagen wird es ein You Tube-Video mit Bildern der Demo und den gehaltenen Reden geben. Wir werden es hier sofort verlinken, wenn es verfügbar ist.

Bilder: Ingo Müller

Die deutsche Staatsräson und die bedingungslose Solidarität mit Israel

von ANGELA KLEIN

Bundeswirtschaftsminister Habeck hat eine Rede gehalten, die als staatsmännisch gefeiert wurde, weil sie verbindlich im Ton war. In der Sache war sie das ganz und gar nicht, sie zeigte das ganze Elend einer weithin defizitären Verarbeitung der Naziverbrechen bis auf den heutigen Tag. Das Elend lässt sich in drei Punkte fassen:

1. Habeck sieht den Grund für den neuen Gazakrieg im Antisemitismus von Hamas und zieht eine Parallele: “Der Zweite Weltkrieg war ein Vernichtungskrieg gegen die Juden.”

Das ist faktisch richtig, der Grund für den Krieg war jedoch ein anderer. In den Planungen der Nazis ging es vor allem um “ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land”; es ging um die Unterwerfung des osteuropäischen Raums, seine Kolonialisierung, die Niederschlagung des Bolschewismus und die Etablierung Deutschlands als Führungsmacht in der Welt. Für dieses Verbrechen hat Deutschland sich nie verbindlich entschuldigt, die 20 Millionen toten Sowjetbürger wurden von der Bonner und der Berliner Republik kaum gewürdigt. Um ein Eingestehen und den Versuch einer Wiedergutmachung für den industriell betriebenen Judenmord kam man nicht herum, das war sozusagen das Eintrittsticket für die Wiederaufnahme in die internationale Gemeinschaft.

Adenauer hat sich des mörderischen Antisemitismus im Deutschen Reich auf die billigstmögliche Weise entledigt: durch Geldzahlungen an das neu gegründete Israel und in vielen, nicht allen, Fällen die Rückübereignung des den Juden gestohlenen Eigentums. Das stand der Weiterbeschäftigung von Nazis auch in hohen Ämtern der frühen Bonner Republik nicht entgegen… Es brauchte noch Jahrzehnte und das radikale Aufbegehren der jungen Generation, bis Richard von Weizsäcker 1985 sagen konnte: “Der 8.Mai war ein Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus.”

Nach dem Fall der Mauer ermöglichte eine völlig neue politische Konstellation die Staffelübergabe an ein Führungspersonal, das nicht mehr die Last der persönlichen Verstrickung trug. Die Erinnerung an den Holocaust wurde zum Bestandteil der politischen Erziehung.

Das war’s dann aber auch, Ansprüche anderer Völker, die unter der Nazi-Besatzung und dem Krieg gelitten hatten, wurden und werden grundsätzlich abgewehrt – die der Griechen, der Polen, der Roma und Sinti, von den Russen ganz zu schweigen… Die deutsche Schuld gilt mit dem Bekenntnis zur “bedingungslosen Solidarität Deutschlands mit Israel” als abgegolten. Das ist der Kern dessen, was seit Merkel deutsche Staatsräson genannt wird. Sie ist der Schlussstrich, der das Gewissen entlastet.

Indem der Antisemitismus für den Zweiten Weltkrieg hauptverantwortlich gemacht wurde, wurden andere Ursachen wie etwa die Weltherrschaftspläne der deutschen Konzerne ausgeklammert, wo nicht aktiv bekämpft – u.a. mit der Behauptung, das ganze deutsche Volk sei Hitler ergeben (“Hitlers Voilksstaat”) gewesen. Der Antisemitismus und seine Bekämpfung “in jeder Gestalt”, wie Habeck betont – und in Deutschland hat der Staat Israel faktisch die Deutungshoheit darüber –, ist das alles überwölbende Narrativ geworden, die endgültige Legende, die die “Vergangenheitsbewältigung” hinter sich lässt.

Das “kriegstaugliche” Deutschland, so scheint es, hat die Lektion gelernt und darf sich nun aufmachen zu neuen Abenteuern. Es ist kein Zufall, dass es die Grünen sind, die diesem neuen deutschen Staatsverständnis zum Durchbruch verhalfen und dass es Habeck war, der diese Rede gehalten hat.

2. Damit eine solche Legende unangreifbar wird, muss sie zu einem Dogma erhoben, tabuisiert werden, unhinterfragbar. Wer daran rüttelt, auf den geht die Keule der Inquisition nieder: Du darfst nicht sagen, dass Israel ein Kolonialstaat ist, dass seine Grundlagen rassistisch sind. Du darfst Israel kritisieren, aber nicht dafür, dass sie die Palästinenser aus ihrer Heimat vertreiben.

Dogmen sind absolut, sie haben keinen Kontext. Wer versucht, die Bibel zu historisieren, ist schon halb auf dem Weg in die Ungläubigkeit.

Und deshalb reißt Habeck den 7.Oktober aus dem Kontext, war Israel seiner Meinung nach vor diesem Tag auf dem Weg zum Frieden mit seinen arabischen Nachbarn und selbst einer Zweistaatenlösung, nur Hamas will das nicht. Deshalb gab es hierzulande einen Aufschrei, als UN-Generalsekretär Guterres sagte: “Der Anschlag fand nicht in einem Vakuum statt.” Deshalb hat Israel ein Recht sich zu verteidigen, aber die Palästinenser haben es nicht, ihre Unterdrückung existiert nicht. Bedingungslose Solidarität heißt heute: Wir stimmen zu, dass mit zweierlei Maß gemessen und der Siedlerstaat Israel für unantastbar erklärt wird.

So etwas fällt nur einer deutschen Regierung ein. In den USA unterzeichnen Tausende von Beschäftigten in verschiedenen Ministerien Petitionen gegen die Israelpolitik der Biden-Regierung. Keiner wird dafür sanktioniert oder vor Gericht gezerrt, im Gegenteil: Außenminister Blinken lädt die Dissidenten zum Gespräch ein. Die Bundesregierung aber verhängt einen Glaubenssatz, der keinen Raum für Politik lässt, auch nicht im Umgang mit einem terroristischen Akt wie dem der Hamas. Denn wie Israel derzeit im Gazastreifen vorgeht, ist nicht Verteidigung, es ist Rache, zehn Augen für ein Auge…

3. Habeck ist nicht herzlos: “Jedes tote Kind ist eines zuviel.” Er fordert für Gaza humanitäre Hilfe, aber weder eine Feuerpause noch gar ein Ende der Vertreibung. Das Völkerrecht liegt – mal wieder – in Scherben, denn es gilt nicht für alle gleich. Und die Bundesregierung ist bei seiner Beerdigung ganz vorne mit dabei.

Erstveröffentlicht in “Sozialistische Zeitung” (SoZ) Dezember 2023
https://www.sozonline.de/

Wir danken für das Publikationsrecht.

25 .11. und Die Linke auf der Suche nach Zeit und Ort

Uns hat gefreut, dass sich letztlich auch der Parteivorstand der Linken dazu durchgerungen hat, zur Antikriegsdemonstration am 25 11. mit aufzurufen.

Allerdings doch mit einigem organisatorischen Wirrwarr. Falsches Jahr und falscher Platz! Na ja das mit dem Jahr wurde inzwischen nach einigen Stunden bemerkt und ausgetauscht.

Einer von vielen Kommentaren auf Social Media: “Ehrlich gesagt, habe ich kein Problem mit Dilettantismus. Perfektionismus und Erbsenzählerei muss alles nicht sein. Ein einfaches Plakat herstellen, sollte aber machbar sein.” Ergänzung: “..vor allem, wenn man soviele hauptamtliche Mitarbeiter hat. …. ” und etwas herzlicher: “Wir Automobilarbeiter nennen sowas Durchstarten mit angezogener Bremse“… Und: “Nehmen wir es mit Humor, hoffentlich die unsere Kommentare auch.”

Nun aber bitte auch noch den richtigen Platz! Die Kundgebung findet auf der Westseite statt. Der heißt “Platz des 18. März” und der befindet sich auf der anderen Seite des Brandenburger Tors! Also nicht Stehen bleiben, sondern einfach durchs Tor laufen. Wir empfangen Euch mit offenen Armen!

Und wohlgemerkt. Es geht nicht um “Wahl” Kampf, sondern um Friedenskampf und einen breiten und schlagkräftigen Zusammenschluss gegen die Politik des eigenen Kapitals, seiner Vertreter und imperialen Bestrebungen. Also nicht vergessen bei all den vielen extorialen Imperialisten und Terroristen, es gibt auch noch Teufel im eigenen Land. Da gilt, wer die Mittel, die Aufrüstung ablehnt, kann die Ziele nicht billigen!