Gerechter Frieden im Nahosten – öffentlicher Appell an die DGB Spitzen!

Während die Führungen der DGB Gewerkschaften zu Israels Besatzungspolitik und Völkermord weiterhin schweigen oder sogar verdeckt unterstützen, wird an der Basis ein grundsätzlicher Kurswechsel gefordert und immer breiter diskutiert, wie Solidarität mit Palästina aussehen soll. Bis zu 80 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnen seit Monaten das Vorgehen Israels ab. An der Gewerkschaftsbasis sieht das nicht anders aus. Auch die aktuell anstehende Zusammenkunft mit der israelischen Gewerkschaft Histadrut, deren Vorsitzender die Bomben auf Gaza signiert, stößt auf Unverständnis und Ablehnung. Wir publizieren dazu einen weiteren öffentlichen Appell als Diskssuionsbeitrag an die Mitglieder und als Aufforderung an die deutschen Gewerkschaftsspitzen, endlich ihre Haltung zu korrigieren! (Peter Vlatten)

Vier Thesen zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten – vier Ansätze für einen Kurswechsel im DGB

von Chris Müller – abgestimmt mit Gewerkschafter:innen IG BAU, GEW und IG Metall, 23.Oktober 2025

Die deutsche Nahostpolitik gerät zunehmend auf Abwege: Während Länder wie Großbritannien, Italien, Spanien, Kanada und Australien vor Kurzem einen palästinensischen Staat anerkannt haben, fiel die Bundesrepublik zuletzt dadurch auf, EU-Sanktionen gegen Israel als Reaktion auf seine zerstörerische Kriegsführung in Gaza auszubremsen.

Damit trägt Deutschland Mitverantwortung für die anhaltende Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung palästinensischen Lebens. Auch die deutschen Gewerkschaften haben bislang nicht den Mut gefunden, die sogenannte „deutsche Staatsräson“ zu hinterfragen, eine grundlegende Kritik an Israels Politik zu formulieren und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

Doch unter Gewerkschafter*innen wächst die Kritik an dieser passiven Haltung, die im Folgenden aufgegriffen wird: Vier Thesen zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten, vier Anstöße für einen Kurswechsel im DGB.

1. Besatzung befördert Widerstand

Der Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 unter der Führung der Hamas beinhaltete zahllose skrupellose Kriegsverbrechen gegen Zivilist*innen, welche nicht nur schreckliches Leid verursacht, sondern auch den Freiheitsbestrebungen der Palästinenser*innen massiv geschadet haben. Das Handeln der Hamas lässt sich jedoch nicht allein mit einem antisemitischem Vernichtungswahn erklären, sondern ist auch – wie die Hamas selbst – eine Folge der israelischen Besatzungspolitik. Das Vorgehen Israels in Gaza ruft unbändige Wut hervor. Wer gerechten Widerstand unterstützt, fördert Solidarität. Wer „Free Gaza from Hamas“ fordert, sollte zunächst das Ende der israelischen Besatzung fordern wie es zuletzt 100.000 Menschen bei einer Demonstration in Berlin taten.

Doch stattdessen wird in Deutschland Protest gegen die israelische Besatzung und den Vernichtungskrieg in Gaza wie in kaum einem anderen Land unterdrückt und kriminalisiert. Die DGB-Gewerkschaften haben es bisher nicht vollbracht, die Repressionen zu verurteilen oder selbst zu den Protesten für ein freies Palästina aufzurufen.


Anstoß für einen Kurswechsel:
Der DGB-Bundesvorstand und die Bundesvorstände der Einzelgewerkschaften solidarisieren sich mit den Gaza-Protesten, schließen sich den Forderungen der Solidaritätsbewegung an und rufen zu zukünftigen Demonstrationen auf.
Die DGB Gewerkschaften sollten sich in dieser Frage an den Beschlüssen ihrer internationalen Dachverbände wie IndustriALL, Public Services International oder der Education International orientieren.

Wer stattdessen schweigt, macht sich zum Komplizen der jahrzehntelangen völkerrechtswidrigen Politik Israels, die im Laufe des Gaza-Krieges nach Ansicht israelischer Menschenrechtsorganisationen, UN-Kommissionen und hunderter Forscher*innen in einen Genozid umgeschlagen ist.

2. Israel: Kein Interesse an einem gerechten Frieden

Die israelische Regierung hat nicht nur alle Waffenstillstandsbemühungen seit dem 7. Oktober sabotiert, sondern auch sämtliche Bemühungen zur Beendigung des historischen Konfliktes, der nur mit der Anerkennung eines palästinensischen Staates überwunden werden kann. Die regierende Likud Partei hält indes an dem in ihrem Gründungsprogramm formulierten Ziel eines „Großisrael“ fest, das auf einen jüdischen Staat zwischen Jordan und Mittelmeer abzielt. In diesem Licht fördert die israelische Regierung den jüdischen Siedlungsbau im Westjordanland und verhindert damit schon heute dauerhaft die Entstehung eines palästinensischen Staates.

Es ist eine Illusion anzunehmen, dass sich Israel in Zukunft einen palästinensischen Staat abverhandeln lassen wird. Die Haltung der deutschen Bundesregierung, einen Staat Palästina erst am Ende eines Prozesses zur Zwei-Staaten-Lösung anzuerkennen, ist daher realitätsfremd – und stabilisiert den für die Palästinenser*innen unerträglichen Status quo.

Anstoß für einen Kurswechsel: Der DGB-Bundesvorstand und die Bundesvorstände der Einzelgewerkschaften erhöhen den Druck auf die Bundesregierung, einen Staat Palästina anzuerkennen.

3. Israelis sind gleicher als Palästinenser

In der Bundesrepublik hat sich ein enges Meinungsklima etabliert, das von Regierungsstellen wie dem Antisemitismusbeauftragten über die Springer-Presse bis hin zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Amadeu-Antonio-Stiftung reicht und öffentliche Kritik erschwert. Wer Israels Vorgehen hinterfragt, sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, mit doppelten Standards zu messen und antisemitische Motive zu bedienen. Dieser Mechanismus zielt erfolgreich darauf ab, Kritiker*innen zu diskreditieren, wenn sie israelische Verbrechen als diese benennen.

Umgekehrt stimmt, dass deutsche Medien und zahlreiche Politiker*innen bei israelischen Menschenrechtsverletzungen – auch im internationalen Vergleich – gerne ein Auge zudrücken. Ein Beispiel: Tausende Palästinenser sitzen in israelischen Gefängnissen, viele ohne Anklage, darunter auch 350 Kinder und Jugendliche. Berichte über sexualisierte Gewalt, systematische Folter bis hin zu Tötungen zeigen die Brutalität dieses Systems. Doch während die Befreiung der Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas zurecht gefordert und schließlich gefeiert werden konnte, kommt das Schicksal mehrerer tausend sogenannter „Administrativhäftlinge“ in Israels Foltergefängnissen in der deutschen Debatte kaum zur Sprache. Der Westen und damit wir alle müssen uns die Frage gefallen lassen: Wie viele palästinensische Leben sind ein israelisches wert?

Anstoß für einen Kurswechsel: Der DGB-Bundesvorstand und die Bundesvorstände der Einzelgewerkschaften schützen die menschliche Würde von Palästinenser*innen ebenso wie die von Israelis. Zu dieser Verantwortung gehört auch, sich bei der Bundesregierung für die Freilassung aller willkürlich eingesperrten Palästinenser*innen einzusetzen.

4. Die Rolle des DGB – einseitig solidarisch

Die palästinensischen Gewerkschaften warten seit zwei Jahren auf ein Zeichen der Solidarität von den deutschen Gewerkschaften. Offizielle Bemühungen aus dem DGB, mit den vom Tod bedrohten Gewerkschafter*innen in Gaza Kontakt aufzunehmen, sind bislang ausgeblieben. Während bei humanitären Katastrophen sonst sofort Spendenkampagnen gestartet werden, haben sich der DGB und seine Einzelgewerkschaften immer noch nicht zu einer Unterstützung für die Menschen im zerbombten Gazastreifen durchringen können.

Stattdessen hält der DGB unbeirrt an seinen Kontakten zur zionistischen Histadrut fest. Diese hatte während des gesamten Gaza-Feldzuges zu lediglich einem Protest gegen den Kriegskurs der Regierung aufgerufen, um die Freilassung der israelischen Geiseln zu bewirken. Dass es der Gewerkschaft dabei weniger um das Leid der Palästinenser*innen geht, zeigte Arnon Bar-David, Vorsitzender des Dachverbandes: Zu Beginn des Krieges reiste er durch sein Land und besuchte Rüstungsfabriken, wo er sich beim Signieren von Bomben fotografieren ließ. Dokumentiert ist, wie er auf einem der Morderzeugnissen einen „Gruß von der Histadrud und den israelischen Arbeitern“ hinterließ. In wenigen Tagen wird eine große DGB-Delegation mit Vertreter*innen der Gewerkschaften und der Hans-Böckler-Stiftung zu einer von der Histadrud organisierten Konferenz nach Tel Aviv aufbrechen, wo es zum Hände schütteln mit Bar-David kommen wird.

Anstoß: Der DGB-Bundesvorstand und die Bundesvorstände der Einzelgewerkschaften sagen die Delegationsreise nach Israel Ende Oktober ab. Sollte die Reise stattfinden, wird die Delegation nicht darauf verzichten, die fragwürdige Rolle der Histadrud in der Vergangenheit und während des zweijährigen Vernichtungskrieges in Gaza offen anzusprechen.

Titelbild: Peter Vlatten

Neuerscheinung: „Die radikale jüdische Tradition“

Die Themen Antisemitismus, der Krieg in Palästina und die Haltung der Linken zu beidem stehen in Deutschland gegenwärtig im Mittelpunkt der politischen Debatte. Das Buch beleuchtet die Hintergründe und widerspricht zugleich der insbesondere in Deutschland weit verbreiteten Identifikation von Judentum und Israel. Die Mehrheit der Juden lebte vor dem Zweiten Weltkrieg in der Diaspora, gehörte zur Arbeiter:innenklasse und war Teil eines breiteren Kampfes an der Seite ihrer nichtjüdischen Genoss:innen auf der Linken. Das Buch würdigt diese radikale jüdische Beteiligung an Befreiungsbewegungen in zahlreichen Ländern. Der Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung nahm vielfältige Formen an, von linkem Zionismus, über den Bundismus bis hin zum revolutionären Marxismus. Diese inspirierende radikale Tradition wurde schließlich durch das Grauen von Auschwitz gestoppt. Die Lehren daraus müssen jedoch an die heutigen Generationen weitergegeben werden, damit diese wieder zu Partisanen, Revolutionären und Widerstandskämpfern werden.

Zum Autor, zur Autorin

Donny Gluckstein ist der Sohn eines antizionistischen jüdischen palästinensischen Flüchtlings und einer jüdischen südafrikanischen Mutter. Er ist der Autor mehrerer Schriften, die das Thema dieses Buches tangieren, unter anderem „The Nazis“, „Capitalism and the Working Class“, „A People’s History of the Second World War“, „The Western Soviets“ und „The Tragedy of Bukharin“. Er gab außerdem „Fighting on all Fronts: Popular Resistance in the Second World War“ heraus.

Janey Stone ist Zeit ihres Lebens Sozialistin und politische Aktivistin. Sie war Gewerkschaftsdelegierte, beteiligte sich an den Studentenbewegungen gegen den Vietnamkrieg und für Frauenbefreiung. Als antizionistische Jüdin hat sie über den Widerstand gegen die Nazis in Deutschland und in Polen sowie über jüdischen Widerstand, über Arbeiterinnen, Geschlechterpolitik, den Nahen Osten und die radikale jüdische Tradition geschrieben und Vorträge gehalten.

Stimmen zum Buch:

„Dieses Buch zeichnet eine Geschichte nach, die vielen Menschen – auch Linken – wenig bekannt ist. Gerade in Deutschland, mit seiner zeitlich eingefrorenen Vorstellung jüdischer Menschen als ewiger Opfer, ist es wichtiger denn je, mehr über kämpferische jüdische Bewegungen zu lernen und zu verstehen, dass nicht der Zionismus die Lösung für den Antisemitismus bietet, sondern der gemeinsame Klassen- und Befreiungskampf.“
                 

–Wieland Hoban, Vorsitzender der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ und Autor des Buches „Germany’s Jewish Problem: Genocides Past and Present“

„Dieses hoch aktuelle Buch ist ein hervorragendes Gegenmittel gegen jeden Versuch, Konflikte wie den im historischen Palästina zu enthistorisieren. Diese Entkontextualisierung ist der Ursprung der israelischen und zionistischen Erzählungen, die nach wie vor die Mainstream-Medien und die Politik dominieren. Die Vielfalt des vorzionistischen jüdischen Lebens und der jüdischen Kultur, insbesondere in ihren marxistischen und radikalen Formen, entkräften, wie dieses Buch so prägnant darlegt, den absurden Versuch, Zionismus mit Judentum und Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen. Dieses Buch handelt von der verschwundenen Linken, die wir wieder brauchen, und von der Rolle der Juden darin, die uns das Erbe des unermüdlichen Kampfes gegen Rassismus, Imperialismus und Zionismus hinterlassen.“

–Ilan Pappé, israelischer Historiker und Autor zahlreicher Bücher zu Israel, u. a. „Die ethnische Säuberung Palästinas“

„Nirgendwo sonst wird man eine derart schlüssige Darstellung der Strömungen der jüdisch-sozialistischen Tradition in Osteuropa, London und New York finden. Die faszinierenden Geschichten werden durch überzeugende Argumente untermauert, die aufzeigen, dass Kämpfe der Arbeiterklasse für Befreiung, die sich über ethnische und religiöse Grenzen hinwegsetzen, möglich und unerlässlich sind. Diese Tradition steht im Gegensatz zur zionistischen Erzählung, dass Juden Sicherheit nur durch Militarismus und Kolonialisierung erreichen können.“

–Rick Kuhn, australischer marxistischer Wissenschaftler, Aktivist und Preisträger des Isaac-Deutscher-Preises

Erschienen in: DIE BUCHMACHEREI 2025
480 Seiten, Übersetzung aus dem Englischen, ISBN 978-3-9826199-9-6, 20,00 €
https://diebuchmacherei.de/de_de/produkt/die-radikale-juedische-tradition/

VERANSTALTUNG MIT DEN BUCHAUTORINNEN:
7. November um 19 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin

Veranstalter: Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost in Kooperation mit Revolutionäre Linke Berlin, Verlag Die Buchmacherei

„General(s)versammlung der Barbarei“

Die USA inszenieren erstmals ein Treffen aller Generäle – und machen Kriegsverbrechen, Faschisierung und Angriffskrieg zur offenen Doktrin

Von Andreas Buderus

Andreas Buderus ist Mitinitiator der Initiative „SAG NEIN!, die sich couragiert bis in die Gewerkschaftstage dafür verdient gemacht hat, dem Anpassungkurs der Gewerkschaftsführungen zur Politik der sog. Zeitenwende zu widersprechen. Er hat diese Position auch nochmal ausführlich in dem Beitrag „Millionen sind stärker als Millionäre“ begründet. Auch diesen Beitrag hatten wir übernommen. Jetzt analysiert er die jüngste Entwicklung der Politik der Trump-Administration in den USA. Er macht keinen Hehl daraus, dass diese Politik starke faschistische Züge trägt, deren Ursachen vor allem darin liegen, dass die dortigen Oligarchen mit dem Zentrum auf dem militärisch-industriellen Komplex auf eine entgrenzte Gewaltpolitik nach Innen und Außen setzen, um die Rolle der USA als Welthegemonialmacht gegen die chinesische Herausforderung zu verteidigen. Vielleicht gibt er auch dem Teil der Linken Anlass zum Nachdenken, die faschistische Gefahren nur in Moskau entdecken können. Der Autor hebt auch hervor, dass diese Bedrohungen nicht nur ein Problem der USA sind, sondern der „Trumpismus“ auch zur Blaupause des gesamten „Werte-Westens“ werden kann. (Jochen Gester)

Bild: Screenshot DoW-Video

Der Krieg ist ein methodisches, organisiertes, riesenhaftes Morden. Zum systematischen Morden muß aber bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch erzeugt werden. Dies ist seit jeher die wohlbegründete Methode der Kriegführenden. Der Bestialität der Praxis muß die Bestialität der Gedanken und der Gesinnung entsprechen, diese muß jene vorbereiten und begleiten.“ (Rosa Luxemburg, Juniusbroschüre, 1916)

Am 30. September 2025 zeigte die immer noch ´Weltmacht Nummer Eins´ vor laufenden Kameras[1], leutselig und offen, wie sie sich die weitere Zukunft der Welt vorstellt.[2] Auf der Marine-Corps- Base Quantico treten sämtliche Admiräle und Generäle aller Waffengattungen des US-Militärs gemeinsam auf. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten versammelt das Imperium seine obersten Militärs in einem einzigen Saal. Dieses Meeting ist keine militärisch-strategische Stabsversammlung, sondern eine ideologische und politische Ansage an die eigene Bevölkerung und an die Welt – eine Kriegserklärung nach innen und außen.

General Dan Caine eröffnet. Er erinnert an die fünfzig ´Gold Star Families´, die am Vorabend im Weißen Haus geehrt worden sind. Nicht als stille Mahnung, sondern als Zeichen. „The business we are in – fighting and winning.“ Opfer sind einkalkuliert, Krieg ist das Geschäft, Sieg die Pflicht. Das Pathos der Opferfamilien als sakralisierte Figur dient erkennbar nicht der Trauer und der Anerkennung menschlichen Leids, sondern als notwendige ideologische Einstimmung zur Erzeugung des für die ´Bestialität der Praxis´ erforderlichen national autoritären ´Rauschs´- ernsthaft und unversöhnlich.[3] Die Botschaft richtet sich nicht nur an die Generäle im Saal, sondern an die Öffentlichkeit, die Kameras, die Welt: Wer die Opfer ehrt, verpflichtet sich zum nächsten Krieg.

Die Wahl des Ortes ist Programm. Quantico – Heimatbasis des US Marine-Corps. Nicht die ´schwerfällige´ Army, zuständig für langwierige Stellungskriege und großflächige Besatzungen, sondern die Marines: kleiner, härter, schneller. „First to fight“ – das ist ihr Selbstverständnis. Elite und Härte, jederzeit einsatzbereit, unabhängig, mit eigener Stimme in den Joint Chiefs of Staff. Wer sich hier versammelt, erklärt: Wir stehen an vorderster Front, wir sind die Faust, die als erste zuschlägt.

Die Bilder sind kalkuliert. Fahnenmeere, straffe Reihen, makellose Uniformen. Eine Choreografie, die an faschistische Härteästhetik erinnert. Die Kameras transportieren das Ritual in die Welt: ein Imperium zeigt sein Offizierskorps und erklärt, dass militaristische Logik Staatsraison ist. Nicht mehr ´Verteidigung´, nicht mehr ´Werte´, nicht mehr ´Demokratie´ – ab heute lautet die US-Staatsraison offen, unverhohlen und unmissverständlich Krieg.

Pete Hegseth, seit dem 05. September auch wieder ganz offiziell ´Kriegsminister´[4], tritt auf. Mit Kreuzritter-Tätowierungen und der Sprache des Fanatikers verkündet er die Rückkehr zum „Department of War“.

Er fordert „maximale Tödlichkeit“, verspricht die „Reinigung“ der Armee von allem, was liberal, kritisch, zivil gilt, von ihm kurz und prägnant als „Ideologischer Müll“ gebrandmarkt. Er verzichtet auf das Pult. Er läuft über die Bühne wie ein Prediger oder Verkäufer, der sein Publikum mit Parolen und Schlagworten bearbeitet. Kurze Sätze, laute Wiederholungen, aggressives Lächeln – eine Rhetorik, die weniger Argument als Stimulans ist. Ein Stil, der die Härte, die er propagiert, bereits in seiner Körperlichkeit vorführt. Was er inszeniert, ist ein Kulturkampf: gegen Vielfalt, gegen abweichende Stimmen, gegen jeden Rest ziviler Kontrolle.

Donald Trump krönt die Szenerie. Er tritt – begleitet von der Präsidentenhymne ´Hail to the Chief´[5]– nicht als Präsident einer Republik auf, sondern als ´commander in chief´- Oberbefehlshaber, als Imperator, der seine Legionen mustert. Die Kommandeure stehen stramm beim Einmarsch aber niemand applaudiert… Der Oberbefehlshaber scheint einen Moment verwirrt: „Niemals habe ich einen Raum betreten, in dem es so leise war. (…) Lachen sie nicht, denn das dürfen sie nicht. (…) Aber wenn sie nicht mögen, was ich gleich sage, dann können sie den Raum verlassen. Können sie. Und mit ihnen geht ihr Rang und ihre Zukunft…[6]

Der Oberbefehlshaber stellt so klar, dass jeder, der ihm nicht bedingungslos folgt keine Zukunft mehr hat. Das ist nicht weniger als die öffentliche Aufforderung zum Bruch des Soldateneides, der zuerst auf die ´Verteidigung der Verfassung´, nicht auf die Person des Präsidenten. Die  Forderung nach bedingungslosen Gehorsam gegenüber seiner Person steht im Gegensatz zum Eid, der den Soldaten gegenüber dem Präsidenten lediglich dazu verpflichtet, ´Befehle gesetzlicher Natur´ zu befolgen, nicht persönlichen Willkürforderungen.[7] Ähnlichkeiten mit der Einführung des ‚Führereides‘ zu Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland sind nicht zufällig. Auch damals wurde der Eid, der in der Weimarer Republik noch auf die Verfassung lautete, 1934 nach Hindenburgs Tod umgebogen in einen persönlichen Treueschwur auf Adolf Hitler. Aus Treue zur Rechtsordnung wurde Treue zur Person. Aus Gehorsam gegenüber der Verfassung wurde Gehorsam gegenüber dem Führer.[8] Die Parallele ist unübersehbar – und sie markiert den entscheidenden Schritt von einer republikanischen Militärtradition in den offenen Faschismus. Nachdem das also direkt zu Beginn klargestellt ist, droht der Führer mit dem Einmarsch der Nationalgarde in Chicago, den er vier Tage später anordnet und exekutieren lässt.[9] Damit ist die Brücke geschlagen: nach außen Aggression gegen Rivalen, nach innen Militär als Antwort auf Protest, Opposition, Dissens.

Das Ritual erklärt, dass die Feinde nicht nur in Moskau, Peking oder Teheran sitzen, sondern auch in New York, Washington D.C., Portland, Chicago, die zu „Kriegsgebieten[10] erklärt werden, die als ´Trainingsgelände für unser Militär´ genutzt werden sollten, so der Oberbefehlshaber Trump vor seinen versammelten über 800 Kommandierenden.[11] Niemand steht auf. Niemand widerspricht. Niemand verlässt den Saal – konzentrierte Friedhofsruhe. Die Nachricht wird verstanden.

Die historische Bedeutung liegt nicht darin, dass die USA etwa zum ersten Mal Krieg führten – sie führen ihn seit ihrer Unabhängigkeit und verschärft seit 1945 ohne Unterbrechung: in Korea, Vietnam, Irak, Afghanistan, in zahllosen Putschen und Interventionen in Lateinamerika, Afrika, Asien.[12] Neu ist, dass die Regierung öffentlich zugibt und zur Schau stellt, dass sie die Maske bürgerlicher Wohlanständigkeit, republikanischer Regeln und der Demokratie nicht mehr braucht.

Jahrzehntelang verkaufte die USA Aggression als Verteidigung, stilisierten sich als Hüter und Verteidiger der „freien Welt“ gegen „totalitäre Systeme“. Faschismus und Kommunismus wurden gleichgesetzt, um das eigene Blutvergießen als ´moralisch´ notwendig erscheinen zu lassen. Diese Maske fällt endgültig am 30. September in Quantico.

Trump und sein Kriegsminister erklären offen und öffentlich: Wir sind Kriegsmacht. Demokratie, Menschenrechte, Freiheit – all das sind leere Vokabeln, die in diesem Saal und außerhalb ab sofort nicht mehr gebraucht werden. Das Imperium zeigt sein wahres Gesicht: Krieg als Normalität, Militarismus als Staatsraison.

Quantico ist keine Routine, sondern ein Bruch.

Eine Botschaft an die Rivalen: Wir sind jederzeit bereit!

Eine Botschaft an die eigene Bevölkerung: Widerspruch gilt als Feindschaft!

Eine Botschaft an die Menschheit: Welt, pass nur ja auf!

Die Welt sieht zu. Die Welt erlebt die faschistoid ästhetisierte Selbstdarstellung eines Imperiums im Niedergang. In Quantico präsentieren sich die USA nicht als Republik, nicht als Demokratie, sondern als Kriegsmaschine – umrahmt von Fahnen, untermalt von Marschmusik, aufgestellt wie ein sakrales Schauspiel.

Das Podium ist erhöht, streng gerahmt von allen Flaggen der Teilstreitkräfte, flankiert von der Nationalflagge und dem Präsidentenbanner. Mittig davor die Redner, darunter die eng gesetzten Reihen der Zuhörer. Ein monolitischer uniformierter Block, die Blicke starr nach vorn gerichtet auf das Podium. Keine Bewegung, kein Widerspruch. Nur die visuelle Botschaft der Unterordnung.

Drei Minuten dreißig Marschmusik eröffnen das Schauspiel. Gespielt wird auch der Radetzky-Marsch – kein Zufall, sondern bewusste Setzung. Entstanden inmitten der Märzrevolution von 1848 in Wien, komponiert zu Ehren der kaiserlichen Armee, nachdem Radetzky die revolutionären Hoffnungen auf Demokratie, Pressefreiheit und soziale Rechte blutig niederschlug.[13]

Radetzky steht für die Rückkehr der Restauration, für die blutige Zerschlagung von Arbeiteraufständen, für die Vernichtung demokratischer Ansätze. Wer heute diesen Marsch spielt, ruft genau diese Tradition auf: Militär als Instrument gegen Demokratie, Sieg über Revolution als Jubelmotiv.

Die Kameras fangen die Bilder ein: die Flaggen, die Reihen, das Podium. Die Logik dieser Inszenierung ist bekannt. Leni Riefenstahl hat sie im Dritten Reich perfektioniert: der Führer auf erhöhter Bühne, die Masse starr ausgerichtet, das Individuum unsichtbar, das Kollektiv überwältigend. In Quantico wird diese Bildgrammatik fortgeschrieben: Unterordnung als Schönheit, Disziplin als Tugend, Härte als Ästhetik. Die Welt soll sehen: Hier herrscht Ordnung, hier herrscht Stärke, hier herrscht Gewalt.

Doch es ist mehr als Härte. Es ist auch Dekadenz. Was sich hier zeigt, erinnert an die Zurschaustellung alter Männer, die ihre eigene Vergänglichkeit mit theatralischem Machismo übertönen. Der noch nicht vollständig abgestumpfte Betrachter denkt unwillkürlich an Trump und Berlusconi, die sich in frauenfeindlicher Pose mit jungen willfährigen Frauen schmück(t)en, um Vitalität zu simulieren, wo längst Verfall herrscht. So auch hier: ein Imperium, das sich in martialischen Bildern aufbläst, um zu verbergen, dass es innerlich zerfällt.

Die Inszenierung in Quantico ist auf Stärke und archaische Männlichkeit codiert, auf Härte und Einheit. Sie will die Welt glauben machen, hier trete eine ungebrochene Macht auf. Doch bei genauerem Hinsehen wird die dialektische Spannung sichtbar: ein Imperium im Niedergang, das sich selbst in faschistoid ästhetisierter Pracht darstellt, um den eigenen Verfall zu übertönen.

Das macht das Ganze nicht harmloser, sondern gefährlicher. Denn wo reale Stärke fehlt, wächst die Gewalt der Inszenierung. Wer seine eigene Vergänglichkeit nicht akzeptiert, neigt dazu, sie mit Vernichtung zu kompensieren. Trump und Berlusconi sind dafür die grotesken Beispiele: alte Männer, die ihren virilen Verfall mit Frauenfeindlichkeit, Erniedrigung, Vergewaltigung zu übertünchen versuchen. In Quantico wird dieses Muster politisch. Hier geht es nicht mehr ´nur´ um einzelne Menschen und Körper, die benutzt, vernutzt und zerstört werden. Hier geht es um die Menschheit insgesamt, die zur Projektionsfläche imperialer Gewalt gemacht wird.

Die Welt sieht zu – und die Welt sollte verstehen: Ein Imperium, das seine Schwäche in dieser Form zur Schau stellt, ist bereit, seinen eigenen Verfall mit dem Untergang anderer zu bezahlen.

Welt, pass nur ja auf!

Quantico ist nicht nur Spektakel. Quantico ist Programm. Pete Hegseth legt „10 Direktiven“ vor, mit denen die Armee umgebaut wird. Kein Verwaltungsakt, kein Organisationspapier – ein Manifest.[14] Sie richten sich nicht nur an die Soldaten, sondern an die ganze Gesellschaft: So wird in Zukunft gehorcht, so wird geherrscht.

Es beginnt beim Körper. Die Rückkehr zu alten Fitnessnormen, täglicher Drill, gnadenlose Tests. Wer nicht passt, fliegt. Körper werden nicht trainiert, sie werden geformt. Härte ist der Maßstab, Abweichung gilt als Schwäche. Der Soldat als muskulöses Werkzeug, der Körper als Disziplinmaschine. Faschistische Logik in Reinform: der normierte Körper, der sich der Autorität fügt.

Auch das Äußere wird normiert. Rasurpflicht, Uniformstrenge, Verbot von Abweichung. Keine Eigenheit, keine Differenz. Der Soldat soll verschwinden hinter der Uniform, hinter der Reihe, hinter der Disziplin. Unterordnung wird sichtbar gemacht. Schönheit ist nicht Vielfalt, Schönheit ist Gleichschritt.

Die Direktiven stärken die Vorgesetzten. „Toxische Führung“ – der Begriff wird gestrichen. Härte wird belohnt, Schikane wird legitim. Der Offizier ist nicht mehr Vorgesetzter, sondern Herr. Beschwerdewege werden zugeschüttet, Rechtsnormen ausgehöhlt. Der Kommandeur erhält freie Hand, ein kleiner Diktator in Uniform.

Auch die Sprache wird neu geregelt. Kritik, anonyme Posts, Whistleblowing – alles soll verschwinden. Soldaten dürfen nicht mehr öffentlich reden, sie haben zu funktionieren. „No more walking on eggshells“ –  ´Kein Eiertanz mehr´, ruft Hegseth aus. Was er damit meint, wird im Weiteren unzweideutig klar: Keine Rücksicht mehr, keine Einmischung von außen. Das Militär kapselt sich ab, schottet sich gegen gesellschaftliche Einflüsse ab. Fehler werden nicht mehr geahndet, wenn sie aus Härte resultieren. Aggression soll nicht bremsen, Risiko wird zur Tugend erklärt. Wer brutal zuschlägt, soll nicht fürchten müssen, dass die Karriere leidet. Die Direktiven sind ein Freibrief für Rücksichtslosigkeit. „Diese Direktiven sind darauf ausgelegt, Ihnen den Affen vom Rücken zu nehmen und Sie, die Führung, wieder auf den Fahrersitz zu setzen. Ziehen Sie mit Dringlichkeit aus, denn wir halten Ihnen den Rücken frei. Ich halte Ihnen den Rücken frei, und der Oberbefehlshaber hält Ihnen den Rücken frei.“[15]

Das Muster ist eindeutig. Der Körper wird normiert, das Denken gleichgeschaltet, die Führung autoritär, die Sprache kontrolliert. Was bleibt, ist ein archaisch mannhaftes Kriegerkorps, das Härte, Gehorsam und Aggression zur DNA erklärt. Eine Armee, die nicht mehr zivilisatorisch ´eingehegt´ wird durch die rudimentären Ergebnisse gesellschaftliche Kämpfe um Emanzipation, Gleichberechtigung und Demokratisierung, sondern sich gegen eben diese extremistisch abschottet. Was seit der Bürgerrechtsbewegung, durch Feminismus, MeToo oder Black Lives Matter zumindest auf dem Papier erstritten wurde – gleiche Rechte, Schutz vor Willkür, Anerkennung von Vielfalt – war niemals umfänglich gelebte und verwirklichte gesellschaftliche Realität. Aber selbst gegen diese brüchigen Fortschritte zivilisatorischer Errungenschaften wird jetzt extremistisch vorgegangen. Vielfalt gilt als Schwäche, Humanität als Gefahr. Die Armee befreit sich nicht, sie entledigt sich aller Reste humaner ´Zivilisierung´. Was bleibt, ist die offene Drohung: Härte statt Recht, Unterordnung statt Vielfalt.

Wilhelm Reich hat den Mechanismus beschrieben: Der autoritäre Charakter wächst aus der Unterdrückung des Körpers, der Sexualität, der Vielfalt. Drill und Unterordnung schaffen die Lust am Gehorchen, die Lust am Befehligen. Aus ihr entsteht die Aggression nach außen.[16]

In Quantico wird dieser Charakter zur Staatsnorm erklärt.

Die ´10 Direktiven´ sind damit mehr als ein militärisches Regelwerk. Sie sind ein politisches Programm. Sie sagen: Vielfalt ist Schwäche, Härte ist Stärke. Sie sagen: Gehorsam ersetzt Recht, Autorität ersetzt Kontrolle. Sie sagen: Die Armee steht nicht mehr in der Gesellschaft, sie steht über ihr.[17]

Quantico ist damit nicht nur Inszenierung, sondern Neugründung. Ein Imperium formatiert seine Krieger neu, um seine Herrschaft zu sichern. Die Armee wird zur Blaupause für den Staat: autoritär, homogen, brutal – in jeder Weise kriegerisch; nach innen wie nach außen.

Weit entfernt davon, dass die Vor-Trumpsche US-Kriegsmaschine je ein Hort von demokratischer Beteiligung, Gleichberechtigung oder Antidiskriminierung gewesen wäre, ist sie andererseits längst kein homogener White-Supremacy-Männerbund mehr. Das US-Militär rekrutiert sich heute auch aus Afro-Americans, Latinos, Migrantenkindern, aus Frauen – und selbst offen queer lebende Offiziere hatten sich trotz aller Widerstände seit 2010´ihren Platz´ erkämpft.[18]

Die Zahlen[19] zeigen es unmissverständlich: Nur noch knapp 54 Prozent der aktiven Soldaten sind „weiß, nicht-hispanisch“. 20,2 Prozent sind Schwarze, 17,2 Prozent Hispanics, 6,9 Prozent Asiaten. Frauen stellen insgesamt 15,6 Prozent, und auch in den Offizierskorps finden sich inzwischen offen queer lebende Soldat*innen. In der US-Armee gibt es laut Schätzungen etwa 15.000 Trans-Soldat*innen. [20]  Diese zunehmend diverse Zusammensetzung ist widersprüchlich und prekär. Sie lebt im Konflikt: auf dem Papier anerkannt, in der Praxis permanent diskriminiert, erkämpft und zugleich bedroht.[21] Sie ist nicht etwa Ausdruck ´liberaler Großzügigkeit´ oder gar zivilgesellschaftlicher ´Einsicht´, sondern das Ergebnis von Bürgerrechtsbewegung, feministischer Militanz und gesellschaftlich erkämpften Antidiskriminierungsgesetzen. Das Programm von Quantico setzt mit seiner rückwärtsgewandten Brechstange genau hier an: Vielfalt gilt nicht länger als Stärke, sondern als Schwäche. Integration ist ´Ballast´ – ´ideologischer Müll´. An die Stelle der widersprüchlich erkämpften Vielfalt tritt das Ideal des sendungsbewussten homogenen weißen Männerbundes, bereinigt von allem ´Abweichenden´; autoritär, aggressiv, kriegs-, tötungs- und vernichtungsbereit – nach innen und nach außen.

Wie konsequent das gedacht ist, zeigt der Fall von Colonel Bree Fram.[22] 22 Jahre Dienst, hochdekoriert, loyal – und dennoch am 26. März per Präsidialdekret ausgemustert, weil sie trans ist. Ihre Existenz genügt, um sie zur Gefahr zu erklären. Fram spricht selbst von einer „Säuberungsaktion“. Und tatsächlich: Hier wird ein Exempel statuiert. Nicht ´Leistung´ entscheidet mehr, sondern ideologische Passform.

Die Quantico-Direktiven sind damit auch eine weitere Kampfansage der sich zunehmend autoritär selbstermächtigenden Exekutive an die Judikative. Zwar hat der Supreme Court die Diskriminierung von Trans-Soldat*innen Anfang Mai zwar vorläufig erlaubt, ohne jedoch bis jetzt abschließend zu urteilen.[23] Die Frage ist rechtlich also schwebend. Doch die Trump-Administration nutzt diesen Zwischenstand in Qunatico, um Fakten zu schaffen. Mit den Direktiven wird durchgezogen, was juristisch noch gar nicht entschieden ist – ein demonstrativer Vorgriff, der zeigt: Es geht nicht um rechtliche Auseinandersetzung, es geht um die technokratische Exekutierung von Macht und die Eliminierung einer unabhängigen Justiz.

Nicht in Frage gestellt wird dabei das historische Muster, dass vor allem die Unterprivilegierten, die Armen und Nicht-Weißen, das Kanonenfutter für die imperialistischen Kriege der USA stellen, während die Offiziersschmiede West Point nach wie vor zu über achtzig Prozent weiße Offiziere aus den privilegierten sozialen Schichten hervorbringt.[24] Ausschließlich ´schwarze´, streng segregierte Regimenter, die vom Bürgerkrieg bis noch in den zweiten Weltkrieg meistens in subalternen Logistikeinheiten, nicht selten aber auch in vorderster Reihe zum ´Bresche schlagen´ oder als ´Brückenkopf´ verheizt wurden.[25] Vietnam, der ´Krieg der Armen´, in dem Schwarze, Latinos und weiße Unterschichten überproportional fielen, während die Kinder der Eliten durch Studienplätze, gesellschaftliche Verbindungen oder plumpe politische Korruption vornehm aus dem Gemetzel herausgehalten wurden.[26] Bis heute sind es neben den Opfern der US-Bestie auf Seiten der Attackierten, die Unterprivilegierten und Marginalisierten der eigenen Bevölkerung, die die menschliche Hauptlast der Kriege der USA tragen.[27]

Auch militärisch bleibt die Bruchlinie offensichtlich. Der Sieg der vietnamesischen Revolution konnte nicht verhindert werden, obwohl das Land durch die US-Kriegsbestie in ´killing fields´ verwandelt, mit Napalm überzogen, durch Massaker und bestialische Vernichtungsstrategien terrorisiert wurde. Auch in Irak und Afghanistan erwies sich, dass Enthemmung, Rigidität und eine noch so entfesselte Tötungsmaschinerie keine Unterwerfung erzwingen kann. In allen genannten Fällen zeigte sich die gleiche Wahrheit: Selbst modernste und überlegene Armeen können trotz haushoher materieller und waffentechnischer Überlegenheit  und Dauerbombardement eine Gesellschaft nicht brechen, die sich nicht unterwerfen will – und die bereit ist, für ihre Befreiung und Selbstbestimmung gegen die imperialistische Bestie zu kämpfen.

Doch in Quantico werden diese Tatsachen ignoriert. Statt aus dem eigenen Scheitern zu lernen, wird ´das Mehr vom Selben´ extremistisch zugespitzt: noch mehr Härte, noch mehr Drill, noch rigorosere Enthemmung. Und das Ganze verknüpft mit einem massiven Aufrüstungsversprechen – Ausbau von Rüstungshaushalten, Programme für automatisierte, KI-gesteuerte tödliche autonome Systeme.

Die Brüche sind also vierfach: sozial, weil die Rekrutierung und Zusammensetzung der Truppe den Widerspruch zur Ideologie offenlegen; juristisch, weil Direktiven gegen noch nicht abschließend geklärte Grundrechte vorgehen; militärisch, weil Erfahrung lehrt, dass Gewalt Legitimität nicht ersetzt; technologisch, weil die angekündigte Automatisierung die eliminatorische Gewaltpotenz potenziert.

Quantico ist damit mehr als ein Umbau des Militärs. Es ist die Blaupause für das Imperium selbst: antiemanzipatorisch, heterosexistisch, autoritär, homogen, aggressiv, kriegerisch und vernichtungsbereit. Was im fundamental christlichen White-Supremacy-Männerbund eingeübt wird, soll das Modell der Gesellschaft werden.

Die zehn Direktiven sind in diesem Sinn keine Verwaltungsakte, sondern politische Signale. Sie erklären Vielfalt und Dissens zu Gefahren. Wer abweicht – Übergewichtige, Frauen, queere Soldat*innen, Kritiker*innen, Whistleblower – wird als Störfaktor gebrandmarkt, ausgeschlossen und bekämpft.

Exakt diese Logik prägt faschistische Ideologie: Vielfalt ist Schwäche, Homogenität ist Stärke. Die Armee wird zum Spiegelbild eines Gesellschaftsmodells, das, Abweichung´ nicht duldet, sondern eliminiert.

Die Sprache selbst verrät die Nähe. Wenn Hegseth fordert, es dürfe kein „walking on eggshells“ mehr geben, dann ist das nichts anderes als die Absage an Rücksicht, Zivilität, Recht. Es ist die Parole des autoritären Charakters: Härte statt Menschlichkeit. In den Säuberungen gegen Trans-Soldat*innen und im demonstrativen Angriff auf Bürgerrechtsstandards wird die alte Nazi-Logik fortgeschrieben: Die Nation muss ´rein´ sein, die Volksgemeinschaft ´gesäubert´, die einzelnen Körper ´abgehärtet´ und ´normiert´.

Auch die Inszenierung trägt den faschistischen Stempel: Das erhöhte Podium, die Fahnen, die strikt geordneten, eng aneinander stehenden, jede Bewegung verhinderten Sitzreihen, die Marschmusik – das sind Instrumente kollektiver Gleichschaltung. Sie folgen der Bildgrammatik, die Leni Riefenstahl für das Dritte Reich prägte: Erhöhung der Führung, Unterordnung der Masse, Disziplin als Ästhetik. Faschismus lebt von Bildern, die kollektive Unterwerfung und Gehorsam zu Schönheit verklären. Quantico aktualisiert diese Bildsprache im 21. Jahrhundert.

Hinzu kommt die Feindmarkierung. Die Antifa wird zur ´terroristischen Vereinigung´ erklärt, Proteste im Inneren als Aufstand denunziert, gegen den entgegen bestehender Verfassungsgrundsätze, Einstweiliger Verfügungen und rechtswirksamer Urteile die Nationalgarde per präsidialem Dekret in Marsch gesetzt wird[28]; zuletzt nur wenige Tage nach Quantico in Chicago, ganz entsprechend der dortigen Ankündigung. Es wird nicht mehr nur geredet, sondern durchgezogen… Das Muster ist klar: Jeder Widerspruch gilt als Bedrohung. Demokratischer Protest wird kriminalisiert, Opposition als „innerer Feind“ gebrandmarkt. Faschistische Logik in Reinform.

Quantico markiert nicht die ´Abkehr´ von Demokratie, sondern dass die bürgerlich-demokratische Maske überflüssig geworden ist. Der Imperialismus reißt sie sich selbst herunter. Das ist die offene unverhohlene Ansage: Wir sind Gewalt! Wir sind Krieg! Wir sind Eliminierung! Wir sind Herrschaft! Das Imperium präsentiert sich in der Pose des Herrn: autoritär, aggressiv, enthemmt.

Quantico markiert die Grundrichtung eines Imperiums im Verfall: mehr Krieg, mehr Militarismus, mehr autoritäre Formierung. Nicht mehr Beratung und öffentlicher Diskurs, sondern Verkündung und Exekutierung. Die Botschaft lautet: Gewalt stiftet Ordnung – innen wie außen.

Deshalb fällt auch die Maske bürgerlicher ´Wohlanständigkeit´. Bürgerrechte und internationales Völkerrecht, Ergebnisse jahrzehntelanger Kämpfe, Schranken von Recht und Zivilisation – all das wird nicht mehr als verpflichtend anerkannt, sondern offen negiert. Der White-Supremacy-Männerbund tritt nach vorn und erklärt: Gelten soll nur noch das Dekret, das Kommando, die Säuberung.

Doch Quantico ist keine US-amerikanische Ausnahme. Es ist Blaupause für den gesamten selbst ernannten ´Werte-Westen´. Der autoritäre Umbau, die Militarisierung, die Faschisierung – sie sind keine Laune Trumps, nicht die Irrlichterei eines narzisstisch Enthemmten, sie sind die Tendenz der Epoche des in Fäulnis übergegangenen globalen Kapitalismus imperialistischen Stadiums. Der Militärisch-Industriell-Digitale-Komplex sucht Rettung im Ausnahmezustand, Stabilität in Unterordnung, Legitimität in Gewalt, Profitmaximierung im Krieg.

Damit kehrt die alte Grundfrage zurück, schon 1916 von Rosa Luxemburg markiert: Die bürgerliche Gesellschaft steht in der imperialistischen Krise vor der Wahl – Sozialismus oder Barbarei. Die ökonomischen Rahmenbedingungen und Erscheinungsformen sind andere, die Instrumente und Bilder zunehmend digital und KI-getriebener, die Waffen moderner und tödlicher. Doch die Alternative bleibt; zusätzlich verschärft durch den real drohenden Klimakollaps und die Möglichkeit der atomaren Vernichtung…

Quantico ruft sie mit brutaler und ungeschminkter Klarheit auf: Wer nicht spätestens jetzt bereit ist, für Befreiung und Selbstbestimmung zu kämpfen, wird von der Barbarei verschlungen.

Quantico war keine Militärshow. Es war eine Kriegserklärung – an die eigene Bevölkerung, an die Völker der Welt, an jede Idee von Emanzipation und Befreiung. Die Zukunft, die dort vor laufenden Kameras inszeniert wurde, ist ein Abgrund.

Welt, pass nur ja auf!

Anmerkungen:

[1] https://www.youtube.com/watch?v=8gxLOWfKtcc ; 06.10.25

[2] https://www.geopoliticaleconomy.report/p/us-empire-hegseth-war-crimes-trump https://www.rev.com/transcripts/hegseth-and-trump-address-to-military ; 06.10.25

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Radetzky-Marsch#:~:text=Der%20%EE%80%80Radetzky%EE%80%81-%EE%80%80Marsch%EE%80%81;  04:34; 07.10.25

[4] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/trump-usa-kriegsministerium-100.html ; 07.10.25

[5] https://www.youtube.com/watch?v=9AIAKVst7jw ; 07.10.25

[6] https://www.youtube.com/watch?v=8gxLOWfKtcc 01:16:52 ; 07.10.25

[7] https://www.govinfo.gov/content/pkg/USCODE-2011-title10/html/USCODE-2011-title10-subtitleA-partII-chap31-sec502.htm?utm_source=chatgpt.com ; 07.10.25

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BChrereid´: 07.10.25

[9] https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/einsatz-der-nationalgarde-ministerin-kristi-noem-nennt-chicago-kriegsgebiet/ar-AA1NUDqz?ocid=BingNewsSerp ; 07.10.25

[10] https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/einsatz-der-nationalgarde-ministerin-kristi-noem-nennt-chicago-kriegsgebiet/ar-AA1NUDqz?ocid=BingNewsSerp ; 07.10.25

[11] „We should use some of these dangerous cities as training grounds for our military.“ https://www.reuters.com/world/us/trump-preside-over-unusual-military-gathering-virginia-2025-09-30/?utm_source=chatgpt.com ; 07.10.25

[12] Die Linie der US-Außenpolitik lässt sich in einer Kette von Doktrinen nachzeichnen: Beginnend mit der Monroe-Doktrin von 1823, die Europa aus der westlichen Hemisphäre verbannen und Lateinamerika zum Hinterhof der USA erklären sollte, über das Manifest Destiny (ab 1845) als Ideologie der Expansion nach Westen, bis hin zum Roosevelt Corollary von 1904, das Interventionen in Lateinamerika ausdrücklich legitimierte. Im Kalten Krieg folgte die Truman-Doktrin (1947) mit ihrer globalen Eindämmungsstrategie, ergänzt durch die Eisenhower-, Kennedy- und Johnson-Doktrinen, die jede sozialistische Regierung in Nahost, Asien oder Lateinamerika zum Gegner erklärten und Interventionen von Kuba bis Vietnam rechtfertigten. Mit der Nixon-Doktrin (1969) wurden Stellvertreterkriege zum Modell, während die Carter-Doktrin (1980) den Persischen Golf als vitales US-Interesse festschrieb. Die Reagan-Doktrin der 1980er führte zur direkten Unterstützung antikommunistischer Aufstandsbewegungen. Nach 2001 setzte die Bush-Doktrin auf Präventivkriege im „Krieg gegen den Terror“. Obamas „leading from behind“ ersetzte Invasionen durch Drohnen und gezielte Schläge, während Trumps „America First“ den Nationalismus mit innerer Militarisierung verband. Unter Biden wird die Linie fortgeführt: Rückkehr zur Allianzpolitik, aber in klarer Konfrontation zu Russland und China. Die Konstante bleibt: militärische Gewalt als selbstverständliches Mittel der Hegemonie, ins extreme Gesteigert unter Trump II – „America First 2.0“: Generalsversammlung in Quantico, Rebranding des Pentagon zum „Department of War“, Militarisierung nach innen (Antifa = „terroristisch“, Nationalgarde in US-Städten), erneutes Trans-Verbot, massive Aufrüstung.; https://de.wikipedia.org/wiki/Au%C3%9Fenpolitik_der_Vereinigten_Staaten ; 27.10.25

[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Radetzky-Marsch#:~:text=Der%20%EE%80%80Radetzky%EE%80%81-%EE%80%80Marsch%EE%80%81 ; 07.10.25

[14] https://www.rev.com/transcripts/hegseth-and-trump-address-to-military ; ab 33:44 ; 07.10.25

[15] ebd.

[16] Reich, Wilhelm: Massenpsychologie des Faschismus. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt, 1969

[17] „Wir sind keine Zivilisten. Ihr seid keine Zivilisten. Sie sind für einen bestimmten Zweck abgesondert. Wir als Abteilung müssen also aufhören, wie Zivilisten zu handeln und zu denken, und zu den Grundlagen zurückkehren und die Macht wieder in die Hände von Kommandeuren und Unteroffizieren legen. Kommandeure und Unteroffiziere, die über Leben und Tod entscheiden. Kommandeure und Unteroffiziere, die Standards durchsetzen und die Bereitschaft sicherstellen. Kommandeure und Unteroffiziere, die in diesem Kriegsministerium in den Spiegel schauen und den Test der goldenen Regel bestehen müssen, meine Kinder, eure Kinder, Amerikas Söhne und Töchter.“; https://www.rev.com/transcripts/hegseth-and-trump-address-to-military ; 33:03; 07.10.25

[18] https://www.abendblatt.de/politik/article107901811/US-Soldaten-duerfen-jetzt-schwul-und-lesbisch-sein.html  ; 06.10.25

[19] https://api.army.mil/e2/c/downloads/2022/08/05/90d128cb/active-component-demographic-report-june-2022.pdf ; 06.10.25

[20] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/ausschluss-von-trans-menschen-aus-der-us-armee-offizierin-spricht-von-sauberungsaktion-der-regierung-13352623.html ; 07.10.25

[21] https://taz.de/Trans-Autorin-und-Veteranin-Drew-Pham/!5858412/ ; 07.10.25

[22] vgl. Fn 20

[23] https://www.zdfheute.de/politik/ausland/usa-supreme-court-ausschluss-transmenschen-militaer-100.html ; 07.10.25

[24] https://www.fr.de/politik/ungeliebt-unverzichtbar-11072730.html ; 05.10.25

[25] https://www.planet-wissen.de/geschichtepwieschwarzenregimenterexsklavenkaempfenfuerdieunion100.html  ; https://www.sueddeutsche.de/politik/schwarze-us-soldaten-im-zweiten-weltkrieg-apartheid-in-uniform-1.2302949 ; 05.10.25 ;

[26] https://www.spiegel.de/politik/black-and-white-a-e8a8b31c-0002-0001-0000-000046251903 ; 05.10.25

[27] https://www.zeit.de/wirtschaft/2009-10/us-armee-jobs ; 06.10.25

[28] https://www.dw.com/de/usa-portland-oregon-gericht-stoppt-entsendung-us-nationalgarde-sicherheit-trump-richterin-immergut/a-74249019 ; 07.10.25

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Der Autor:

Andreas Buderus ist Mitinitiator der gewerkschaftlichen Basisinitiative ´SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden

Erstveröffentlicht beim Gewerkschaftsforum Dortmund
https://gewerkschaftsforum.de/generalsversammlung-der-barbarei/

Wir danken für das Publikationsrecht.

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