Angriff auf Venezuela

Flugzeugträger und Bomber gegen „Narco-Terroristen“?

Rund um Venezuela haben die USA eine militärische Drohkulisse aufgebaut wie seit der US-Invasion in Panama 1989 nicht mehr. Zu der Streitmacht mit etwa 10 Tausend US Soldaten gehören Kampfbomber, Kampfjets, Kampfdrohnen, ein U-Boot, acht Marineschiffe und der größte Flugzeugträger der Welt.

Wer da glaubt, es geht um die Bekämpfung von Drogenkartellen, der glaubt auch an den Weihnachtsmann.

Im folgenden ein Beitrag zu Historie und Hintergründen der aktuellen militärischen Agressionen der USA gegen Venezuela. Die gegenwärtige venezuelanische Regierung ist in keiner Weise die Verwirklichung einer sozialistischen Vision, aber sie verfolgt eine unabhängigere nationale Politik, hält die Hand über die größten Erdölreserven der Welt und entzieht sie dem Zugriff der US Konzerne.

Nicht nur, dass das Imperium nach dem Öl giert für seine eigenen Konzerne, sondern die Kontrolle über solch strategische Ressourcen ist geopolitisch entscheidend für die Aufrechterhaltung einer globalen Dominanz.

In Rahmen dieser „geopolitischen Dominanz“ soll wohl das sogenannte „Umland“ weitmöglichst ökonomisch wie machtpolitisch angebunden werden, sei es von Kanada über Grönland und dem Golf von Mexiko als „Golf von Amerika“ bis Mittel- und Südamerika als Hinterhöfe. Denn wer glaubt, daß Trump bei Venezuela Halt macht, wenn man ihn lässt, hat das Spiel nicht verstanden. In einem Wechselbad von Drohung und Gewalt solll das Hinterland Stück für Stück gefügig gemacht werden.(Peter Vlatten)

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poiler-Alarm: Es ist bereits geschehen. Dies ist keine leichtfertige Antwort, sondern ein Kommentar zum Wesen des Konflikts. Die US-Mission, die Bolivarische Revolution Venezuelas an den Wurzeln zu packen, kann auf ein Vierteljahrhundert Geschichte zurückblicken.

Lesen Sie den Artikel bis zum Ende, um eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines offenen militärischen Angriffs in Venezuela zu erhalten. Aber zuerst der historische Kontext in Kürze.“ (Pressenza)

Von Roger D. Harris, Pressenza, 23.Oktober 2025

Regimewechsel ist gescheitert… bisher

Im Jahr 2002 wurde Hugo Chávez durch einen von den USA unterstützten Militärputsch vorübergehend entmachtet. Knappe 47 Stunden später erhob sich spontan das venezolanische Volk und setzte seinen rechtmäßig gewählten Präsidenten wieder ein.

Washington hat sich beharrlich in die inneren Angelegenheiten Venezuelas eingemischt und Millionen von Dollar in Wahlmanipulationen gesteckt. Doch die ständig gespaltene und unpopuläre, von den USA geförderte Opposition ist isolierter und diskreditierter denn je.

Unbeirrt von ihrem gescheiterten Putsch 2002 haben die USA wiederholt Versuche unterstützt, mit Gewalt das zu erreichen, was sie durch eine Einmischung in die venezolanischen Wahlen nicht erreichen konnten. Im Jahr 2020 wurde die sogenannte „Operation Gideon“ entwickelt, um Präsident Maduro zu entführen. Dieser Putschversuch, der spöttisch als „Schweinchenbucht“ bezeichnet wurde, scheiterte zusammen mit zahlreichen anderen. Einheimische Fischer ergriffen die Söldner.

Unter den vielen diplomatischen Bemühungen Washingtons um einen Regimewechsel wurde die Lima-Gruppe im Jahr 2017 zusammengestellt. Die Kabale aus elf rechtsorientierten lateinamerikanischen Staaten und Kanada hatte als Ziel, einen „friedlichen Ausgang“ herbeizuführen, um den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro aus dem Amt zu drängen. Bis 2021 hatte fast die Hälfte der Länder der Lima-Gruppe progressive Regierungen gewählt, und diese diplomatische Offensive verlief im Sand.

Unterdessen haben die USA 2019 den unbekannten 35-jährigen Juan Guaidó zum „Interimspräsidenten“ Venezuelas geweiht. Am 21. Dezember 2022 fand seine eigene Opposition die Marionette so toxisch und korrupt, dass sie ihn rausschmissen.

Bereits im Jahr 2015 bestätigte Barack Obama, dass Venezuela eine „außergewöhnliche Bedrohung“ für die nationale Sicherheit der USA darstellt. Er verhängte unilaterale Zwangsmaßnahmen, um die venezolanische Wirtschaft zu zerstören. Diese Form der kollektiven Bestrafung, euphemistisch als „Sanktionen“ bezeichnet, ist nach internationalem Recht illegal. Unabhängig davon hat jeder nachfolgende US-Präsident den Wirtschaftskrieg fortgesetzt und in unterschiedlichem Maße verschärft.

In Kombination mit dem Einbruch der Ölpreise, der Quelle fast aller Einnahmen aus dem Ausland, erlebte Venezuela den größten wirtschaftlichen Rückgang in Friedenszeiten in der jüngeren Weltgeschichte. Die Inflation erreichte 2.000.000% und die Tage der Bolivarischen Revolution schienen gezählt. Bis 2023 konnte Venezuela jedoch in einer heroischen Anstrengung unter der entschlossenen politischen Führung von Präsident Maduro den wirtschaftlichen freien Fall umkehren und eine BIP-Wachstumsrate von 5 % verzeichnen, und in eine positive Richtung fortsetzen.

USA gefangen in ihrem imperialen Imperativ

Ohne die Vielzahl der illegalen US-Regimewechsel-Machenschaften weiter zu vertiefen, genügt es zu sagen, dass gerade die Erfolge der Venezolaner den US-Fiskus (Uncle Sam) gezwungen haben, den Konflikt zu eskalieren. Gezwungen, weil die Vereinigten Staaten als imperiale Macht strukturell von ihrem inhärenten Streben nach Hegemonie angetrieben werden, über alle potenziellen Herausforderer herrschen zu wollen. Dieser Zwang ist in der offiziellen Sicherheitsdoktrin der „Full-spectrum dominance“ (Überlegenheit auf allen Ebenen) kodifiziert.

Venezuela war in der Tat eine Herausforderung. Bereits 1976 verstaatlichte Präsident Carlos Andrés Pérez die venezolanischen Ölreserven – noch bevor Chávez 1998 gewählt wurde, und damit die größten der Welt. Chávez verschärfte die staatliche Kontrolle über die Ölindustrie und enteignete das Vermögen internationaler Ölgesellschaften.

Chávez‘ Präzedenzfall, die natürlichen Ressourcen des Landes, einschließlich der beträchtlichen venezolanischen Reserven an Erdgas, Eisenerz, Bauxit, Gold, Kohle und Diamanten, zur Finanzierung von Sozialprogrammen zu nutzen, anstatt sie für private Profite zu übergeben, ist für die USA ein Gräuel. Nicht nur, dass das Imperium nach dem Öl giert für seine eigenen Konzerne, sondern die Kontrolle über solch strategische Ressourcen geopolitisch entscheidend ist für die Aufrechterhaltung einer globalen Dominanz.

Venezuela war auch führend in der Förderung einer regionalen Einheit, die von den USA unabhängig ist, und schmiedete Allianzen wie CELAC und ALBA. Es ist ein enger Verbündeter mit Nicaragua und Kuba, beide ebenfalls auf der Feindesliste der USA. Durch die OPECdie Friends in Defense of the UN Charter und andere Initiativen hat Venezuela die Einheit Lateinamerikas mit Afrika und Asien gefördert. Venezuela unterhält „strategische Partnerschaften“ mit China und Russland und steht dem Iran nahe. Als Verfechter Palästinas brach es 2009 die Beziehungen zu Israel ab. Venezuela unterstützt auch eine entstehende multilaterale internationale Gemeinschaft.

Wegen all dieser „Vergehen“ ist die Existenz der Bolivarischen Revolution für die Die US-Hegemonialmacht unerträglich, und muss vernichtet werden.

Die Leitplanken sind heruntergelassen

Trump arbeitet praktisch ohne institutionelle Zwänge. Nur fünf Demokraten im Kongress erwachten kürzlich aus ihrem Schlummer und schickten einen Brief, in dem sie zaghaft andeuteten, dass die „Macht des Präsidenten nicht unbegrenzt ist“. Aber der Senat hat gerade gegen eine Kriegsermächtigungsresolution gestimmt, die die Angriffe auf Venezuela eindämmen soll.

Demokratische Abgeordnete im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses veröffentlichten auf X: „Trump und Rubio drängen auf einen Regimewechsel in Venezuela. Das amerikanische Volk will keinen weiteren Krieg.“ Ihre Kollegen im Senat erteilten jedoch denselben Republikanern, die mit einer „Maduro muss gehen„-Plattform angetreten waren, ein einstimmiges Mandat. Sie beeilten sich, dies zu tun, ohne Debatte, gleich zu Beginn der neuen Regierungszeit.

Innerhalb des parteiübergreifenden Konsenses für einen Regimewechsel in Venezuela sind die Unterschiede kosmetischer Natur. Die Demokraten würden es vorziehen, den souveränen Staat „legal“ zu stürzen. Truthout berichtet, dass einige hochrangige Demokraten „andere Mitglieder davor warnten, sich gegen Trumps Krieg zu stellen, und sagten, dass dies gleichbedeutend damit wäre, sich unterstützend hinter Maduro zu stellen“. Wenn die Republikaner einen Angriff vorantreiben, werden die Demokraten bestenfalls mit den Zielen, aber nicht mit den Mitteln einverstanden sein.

Die patriotische Presse bereitet die öffentliche Meinung auf einen Angriff vor

Am 26. September berichtete NBC News „aus dem Weißen Haus„, dass die USA Angriffe in Venezuela planen. Das einminütige Video zeigt tatsächlich einen Mann, der auf der Straße vor dem Weißen Haus steht und behauptet, er habe mit vier unbenannten „Quellen“ gechattet. Im Nachgang ging diese nicht recherchierte Pressemeldung viral und wurde von fast allen großen Presseunternehmen aufgegriffen.

Die New York Times schrieb in einem Leitartikel: „Herr Trump ist zunehmend frustriert darüber, dass Herr Maduro den amerikanischen Forderungen nicht nachkommt, seine Macht freiwillig aufzugeben, und dass venezolanische Beamte weiterhin darauf bestehen, dass sie nichts mit Drogenhandel zu tun haben.“ Was diesen Pentagon-Schreibern nicht in den Sinn kommt, ist, dass Trump auch keine Begeisterung dafür gezeigt hat, freiwillig auf Macht zu verzichten oder auch nur die dokumentierte Schlussfolgerung der Rolle der USA im Drogenhandel zuzugeben.

In einem ihrer typischen Propagandaartikel in Form eines Versuchs, als Nachrichtenmeldung durchzugehen, erzählt uns die Times, „was wir wissen“ über Washingtons Offensive gegen Venezuela: „Das Endspiel bleibt undurchsichtig.“ Anscheinend haben sie keine Ahnung, denn das Endspiel ist ein Regimewechsel. In an Venezuela gerichteten Bemerkungen drohte Trump: „Wir werden euch vernichten.“

Alle Voraussetzungen für einen Angriff in Venezuela sind bereit
  • Diplomatische Beziehungen mit Venezuela sind seit 2019 abgebrochen.
  • Im Jahr 2020 klagten die USA Präsident Maduro wegen Drogenterrorismus an und setzten ein Kopfgeld von 15 Millionen Dollar auf ihn aus, das später auf 25 Millionen und jetzt 50 Millionen erhöht wurde.
  • Die diplomatische Isolation Venezuelas wurde durch eine Reihe von Sanktionen und internationalen Maßnahmen weiter verschärft. Während die politische Führung in Caracas bemüht war, neue Bündnisse zu schließen, verschlechterte sich die humanitäre Lage im Land zunehmend. Gleichzeitig verstärkten die Vereinigten Staaten ihre militärischen Drohgebärden und setzten auf maximale wirtschaftliche und politische Druckmittel, um einen Regierungswechsel zu erzwingen.
  • Am 20. Januar trat Trump sein Amt an. Die Executive Order 14157 erklärte einen „nationalen Notstand“ und bezeichnete internationale Drogenhandelsgruppen als „ausländische terroristische Organisationen“ (FTOs) und „speziell ausgewiesene globale Terroristen“, wobei sie sich auf die Befugnis des Alien Enemies Act beruft.
  • Bis Februar argumentierte Außenminister Marco Rubio, dass FTOs eine „existenzielle Bedrohung“ darstellten, und legte damit den Grundstein dafür, Kartelle, die angeblich mit Präsident Maduro in Verbindung stehen, als feindliche Kämpfer zu behandeln.
  • Im Mai ebnete die Regierung den Weg für den Einsatz militärischer Gewalt gegen FTOs.
  • Im Juli genehmigte dann eine „Geheimdirektive“ militärische Operationen gegen FTOs auf See und auf fremdem Boden.
  • Bis August starteten die USA einen massiven Marineeinsatz vor der Küste Venezuelas. Bis Oktober erreichte die Truppenaufstellung Berichten zufolge 10.000 Mann.
  • Am 2. September sprengte die USA das erste von vier oder fünf mutmaßlichen Drogenbooten in internationalen Gewässern vor Venezuela, was außergerichtliche Ermordung der Besatzungen zur Folge hatte.
  • Bis Mitte September benachrichtigte das Pentagon den Kongress im Rahmen der War Powers Resolution, dass die US-Streitkräfte in einen „nicht-internationalen bewaffneten Konflikt“ mit Drogenkartellen verwickelt seien.
  • Dem folgten am 1. Oktober das „vertrauliche Memo“ des Verteidigungsministeriums und weitere Briefings des Kongresses, dass die USA in einen bewaffneten Konflikt verwickelt seien.
  • Trump beendete daraufhin die letzten inoffiziellen diplomatischen Kontakte mit Venezuela.

Wenn die „internationale Gemeinschaft” den anhaltenden Völkermord der USA und Israels in Palästina nicht stoppen kann, stößt der Yankee-Moloch in der Karibik auf wenig effektiven Widerstand. Ein US-Angriff in Venezuela steht unmittelbar bevor!

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ursula Nollenberger vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Roger D. Harris, Gründungsmitglied des Venezuela Solidarity Network, ist Mitglied des Vorstands der Task Force on the Americas und des Sekretariats des US-Friedensrates.

Der Beitrag in Deutsch ist zuerst erschienen bei Pressenza, 23.Oktober 2025. Wir danken für die Publikationsrechte.

Titelbild: Collage Peter Vlatten

Ohne Zuständigkeit: EU beschließt Aufrüstungsprogramm EDIP

Bald überall, wo man hinschaut, lugt die Krake Militarismus durch. (Peter Vlatten)

Attac Östereich am 17.10.2025, Pressenza

Rüstungslobby übt immer mehr Einfluss aus, Friedenspolitik bleibt auf der Strecke

Neben der Vorstellung des EU-Aufrüstungsfahrplans „Defence Readiness Roadmap“ hat die EU gestern auch das Programm zur Förderung der Rüstungsindustrie (European Defence Industry Programme, EDIP) beschlossen.

Heftige Kritik daran kommt von Attac: Denn mit dem Programm verschiebt die EU ihre Zuständigkeiten Schritt für Schritt in Richtung Aufrüstung – ohne laut EU-Verträgen dafür überhaupt zuständig zu sein. Die Kommission beruft sich deshalb nicht auf militärische, sondern auf industrie- und forschungspolitische Zuständigkeiten.

„EDIP ist kein technisches Industrieprogramm, sondern ein weiterer Schritt hin zu einer militarisierten EU. Faktisch werden Waffen, Munition und militärische Technologien und damit ein weiteres Wettrüsten gefördert“, kritisiert Hax Hollweg von Attac Österreich. Dieser Etikettenschwindel ist demokratiepolitisch hochproblematisch. Denn so entsteht eine Rüstungspolitik durch die Hintertür, ohne öffentliche Debatte und mit minimaler parlamentarischer Kontrolle, kritisiert Attac.

„Europa darf Konfliktlösung nicht nur durch die militärische Brille betrachten. Das heißt nicht, dass man Aggressoren neutral gegenübersteht oder imperialem Machstreben nachgibt”, sagt Hollweg.

Rüstungslobby übt immer stärkeren Einfluss aus

Besonders besorgniserregend ist der wachsende Einfluss der Rüstungslobby. Werden Rüstungskonzerne in die Strategieentwicklung eingebunden, bestimmen sie auch die politische Logik maßgeblich mit. „Entscheidungen orientieren sich zunehmend an Profitinteressen statt an friedens- und sicherheitspolitischer Vernunft“, kritisiert Hollweg.

Recherchen belegen, dass zentrale Formulierungen in der „Europäischen Industriestrategie für den Verteidigungsbereich“ (EDIS) teilweise wortwörtlich mit Positionen des Bundesverbands der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) übereinstimmen. Laut einer Politico-Analyse haben die größten europäischen Rüstungskonzerne ihre Lobbybudgets schon zwischen 2022 und 2023 um rund 40 Prozent erhöht. Auch die Zahl der Rüstungslobbyist*innen ist zwischen 2022 und 2024 deutlich gestiegen.

Attac startet Kampagne, um Aufrüstung kritisch zu beleuchten

Attac startet in den kommenden Monaten eine neue Kampagne, um die aktuellen Aufrüstungspläne der EU und Österreichs mit Recherchen und Veranstaltungen kritisch zu beleuchten.

„Der alleinige Fokus auf mehr Waffen verfestigt eine gefährliche Aufrüstungslogik und internationale Spannungen. Wettrüsten führt uns nicht nur weg von einer künftigen Friedensordnung, sondern auch weg vom politischen Ziel, eine solche zu schaffen. Zugleich verschlingt die Aufrüstung dringend benötigte Ressourcen und heizt die Klimakrise an. Für umfassende Sicherheit braucht es aber nicht mehr Waffen, sondern vor allem mehr Geld für Klima, Soziales und Frieden“, betont Hollweg.

Dieser Beitrag ist im Original zuerst bei Attac Östereich am 17.10.2025 hier erschienen und auf unserer Partnerseite Pressenza

Titelbild: KI generiert Pressenza

Wohin ein solcher Wahnsinn führt

Rheinmetall streut wie eine Streubombe. Überall entstehen Kriegsfabriken und militärische Einrichtungen. Das hinterlässt hässliche Spuren und kostet – nicht nur Geld. In Berlin hat sich ein Bündnis gegen Rüstungsproduktion zusammengefunden, das der Ausbreitung dieses militärisch-industriellen Komplexes in der Hauptstadt entgegentritt. Das Beispiel sollte Schule machen! (Peter Vlatten)

Wohin ein solcher Wahnsinn führt

German Foreign Policy , 27. August 2025

Rheinmetall eröffnet Deutschlands größte Munitionsfabrik und will zu den weltgrößten Rüstungskonzernen aufschließen. Berlin stellt zur Finanzierung Sozialkahlschlag in Aussicht. Kriegsgegner sind zunehmend Repression ausgesetzt.

DÜSSELDORF/BERLIN (Eigener Bericht) – Rheinmetall eröffnet Deutschlands größte Munitionsfabrik, rechnet mit Rüstungsaufträgen in dreistelliger Milliardenhöhe und will zu den größten Rüstungskonzernen der Welt aufschließen. In der neuen Munitionsfabrik in Unterlüß, die am heutigen Mittwoch im Beisein von Verteidigungsminister Boris Pistorius, Finanzminister Lars Klingbeil und NATO-Generalsekretär Mark Rutte eröffnet werden soll, will Rheinmetall künftig bis zu 350.000 Artilleriegranaten jährlich produzieren. Der Höhenflug der Unternehmens dauert an; bis 2030 werde man womöglich Rüstungsaufträge im Wert von bis zu 300 Milliarden Euro akquirieren können, sagt Firmenchef Armin Papperger voraus. Papperger stebt bis 2030 einen Konzernumsatz von bis zu 50 Milliarden Euro an. Auf diesem Niveau bewegen sich heute die zwei größten Waffenschmieden der Welt, Lockheed Martin und RTX (beide USA). Während Berlin brutale Sozialkürzungen in Aussicht nimmt, um die Hochrüstung zu finanzieren, nimmt die Repression gegen Kriegsgegner zu. Ein am Dienstag eröffnetes Anti-Kriegs-Camp in Köln war zuerst wegen der Nutzung der Parole „Krieg dem Kriege“ verboten worden. Diese entstammt einem 1919 publizierten Gedicht des Schriftstellers Kurt Tucholsky.

Globaler Rüstungschampion

Rheinmetall, größter deutscher Rüstungskonzern, ist bislang auch der größte Gewinner der gewaltigen Aufrüstung, die die Bundesregierung im Jahr 2022 gestartet hat und jetzt in beispiellosem Ausmaß intensiviert. Der Umsatz des Unternehmens, der im Jahr 2022 bei 6,4 Milliarden Euro lag, erreichte 2024 bereits 9,8 Milliarden Euro und könnte laut Konzernchef Armin Papperger bis 2030 auf 40 bis 50 Milliarden Euro steigen. Damit stieße die Firma in die erste Liga der globalen Waffenschmieden vor; die beiden weltgrößten Rüstungskonzerne Lockheed Martin und RTX (beide USA) erzielten im Jahr 2023 Rüstungsumsätze von rund 61 respektive 41 Milliarden US-Dollar. Rheinmetall sei auf dem Weg, „ein globaler Rüstungschampion zu werden“, konstatierte Papperger Anfang August trocken.[1] Das Volumen der Aufträge, die die Waffenschmiede aus Düsseldorf in ihren Büchern hat, wächst kontinuierlich und liegt gegenwärtig laut Eigenangaben auf dem Rekordniveau von 63 Milliarden Euro. Schwach entwickelt sich lediglich das zivile Geschäft. Rheinmetall verfügt über eine Kfz-Zuliefersparte, die einst dem Zweck diente, wiederkehrende Schwächen im Rüstungsgeschäft auszugleichen. Einige zuvor zivile Rheinmetall-Standorte werden jetzt für die Rüstung genutzt; ein Verkauf der nicht zur Waffenproduktion verwendbaren zivilen Fabriken ist im Gespräch.

Aufträge bis zu 300 Milliarden Euro

Dazu errichtet Rheinmetall nicht nur in Deutschland, sondern auch in diversen weiteren Ländern Europas neue Fabriken – etwa in Ungarn oder in Litauen, wo jeweils ab dem Jahr 2026 produziert wird, in der Ukraine oder in Bulgarien, wo Papperger, wie zu Beginn dieser Woche berichtet wurde, mehr als eine Milliarde Euro investieren wird, um eine Munitions- und die größte Schießpulverfabrik Europas zu errichten.[3] Über die Größenordnung, in der sich die Munitionsgeschäfte bewegen können, äußert Papperger im Hinblick darauf, dass NATO-Staaten offiziell Munition für 30 Tage Krieg vorhalten müssen: „Allein bei 30 Tagen benötigen wir [für die Bundeswehr, d. Red.] etwa 300 Schuss am Tag pro Geschütz. Bei 5.000 Geschützen sind das 45 Millionen Schuss Artilleriemunition.“[4] Nicht nur mit Blick auf die Munitionsproduktion geht Rheinmetall – wie die gesamte Rüstungsbranche – davon aus, dass die Nachfrage nach Kriegsgerät in den NATO-Staaten Europas nach dem Fünf-Prozent-Beschluss des jüngsten NATO-Gipfels noch dieses Jahr drastisch steigen wird – am stärksten freilich in Deutschland, das das höchste Potenzial hat, mit neuen Schulden eine gewaltige Hochrüstungswelle zu finanzieren. Papperger sagt insgesamt allein „bis 2030 ein Auftragspotenzial“ für seinen Konzern „von bis zu 300 Milliarden Euro“ voraus.[5]

Rekordetats und Finanzierungslücken

Die Planungen der Bundesregierung für die dazu erforderliche dramatische Aufstockung des Militärhaushalts sind bekannt. Der Bundeswehretat für dieses Jahr ist gegenüber dem Vorjahr um rund 20 Prozent auf 62,4 Milliarden Euro erhöht worden; es kommen rund 24 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen hinzu. Für 2026 sehen die Planungen ein Budget von 82,7 Milliarden Euro zuzüglich 25,5 Milliarden Euro aus dem „Sondervermögen“ vor. 2027 – im letzten Jahr, in dem Mittel aus dem „Sondervermögen“ fließen – soll der Etat 93,4 Milliarden Euro betragen, 2028 beinahe 136,5 Milliarden Euro, 2029 gut 152,8 Milliarden Euro.[6] Noch nicht eingerechnet sind die Ausgaben für militärisch nutzbare Infrastruktur, für die 2029 ungefähr 70 Milliarden Euro in Aussicht stehen. Um die Rüstungskosten bezahlen zu können, sollen die Regierungsausgaben im Jahr 2029 laut aktuellem Finanzplan der Bundesregierung auf über 572 Milliarden Euro gesteigert werden. Der Militäretat verschlingt davon 26,7 Prozent.[7] Zur Finanzierung ist für 2029 zusätzlich eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 126,9 Milliarden Euro vorgesehen – ein Plus von mehr als der Hälfte gegenüber 2025 (81,8 Milliarden Euro). Dennoch besteht laut Finanzminister Lars Klingbeil eine riesige Finanzierungslücke: 34 Milliarden Euro 2027, 64 Milliarden Euro 2028, 74 Milliarden Euro 2029.[8]

Sozialabbau und Kahlschlag

In Berlin hat die Debatte um die dramatischen Ausgabenkürzungen begonnen, die nötig sind, um die beispiellosen Hochrüstungspläne der Bundesregierung zu realisieren. Bundeskanzler Friedrich Merz äußerte Ende vergangener Woche, „der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben“, sei „nicht mehr finanzierbar“; krasse Kürzungen („Reformen“) seien unumgänglich. „Ich werde mich durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt nicht irritieren lassen“, kündigte Merz an.[9] CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verlangte einen „Paradigmenwechsel“, „weil der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar geworden ist“. In der Bundesregierung ist weithin von einem „Herbst der Reformen“ die Rede, den auch Vizekanzler Klingbeil, zugleich Bundesvorsitzender der SPD, nicht prinzipiell in Frage stellt. Klingbeil fordert, niemand dürfe sich „auf die faule Haut“ legen; die Regierung müsse „ran an die sozialen Sicherungssysteme“. Allerdings dürfe man nicht bloß „30 Milliarden beim Sozialstaat ein[sparen]“: Auch „Menschen, die sehr hohe Vermögen und Einkommen haben“, müssten „ihren Teil … beitragen“, erklärt der Sozialdemokrat.[10]

Krieg dem Kriege

Während die Bundesregierung „Sozialabbau und Kahlschlag“ (Merz) vorbereitet, nimmt die staatliche Repression gegen Gegner der Hunderte Milliarden Euro schweren Hochrüstung zu. So mussten Aktivisten, die seit dem gestrigen Dienstag in Köln ein Anti-Kriegs-Camp unter dem Motto „Rheinmetall entwaffnen; gegen Waffenexporte, Aufrüstung und Krieg“ abhalten, ihr Versammlungsrecht gegen den Versuch der Behörden durchsetzen, ihr Camp zu verbieten. Zur Begründung ihres Verbotsversuchs brachten die Behörden vor, die Aktivisten nutzten die Parole „Krieg dem Kriege“, wollten also „der Aufrüstung mit ‘kriegerischen Mitteln‘ begegnen“.[11] Ob damit etwa gemeint war, die Aktivisten könnten planen, mit Panzern aus Köln ins benachbarte Düsseldorf zu fahren und dort die Rheinmetall-Zentrale zu beschießen, wurde in der Verbotsverfügung nicht näher erläutert. Das Verbot des Camps wurde letztlich vom nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in Münster gekippt. „Krieg dem Kriege“ ist der Titel eines Gedichts, das der Schriftsteller und Kriegsgegner Kurt Tucholsky 1919 verfasste. Tucholsky schilderte darin das Grauen der Schützengräben („Blut und zermalmte Knochen und Dreck“) wie auch sein Bedauern über den mangelnden Widerstand („keiner, der aufzubegehren wagt“) – und er warnte: „Es darf und soll so nicht weitergehn. Wir haben alle, alle gesehn, wohin ein solcher Wahnsinn führt“.

1] Rheinmetall trotz Rekordumsatzes mit Kursrutsch. tagesschau.de 07.08.2025.

[2] Kriegstüchtig in Rekordzeit: Rheinmetall startet Testbetrieb in seiner größten Munitionsfabrik. rundblick-niedersachsen.de 23.07.2025. S. auch Der Panthersprung nach Kiew.

[3] Ewan Jones: Rheinmetall to build Europe’s largest gunpowder factory in Bulgaria. tvpworld.com 26.08.2025.

[4], [5] Roman Tyborski, Alexander Voß, Martin Knobbe: Papperger rechnet mit Aufträgen von bis zu 300 Milliarden Euro. handelsblatt.com 17.04.2025.

[6] Deutlicher Anstieg des Verteidigungshaushalts ab 2025. bmvg.de 24.06.2025.

[7] Bundesregierung führt Investitionsoffensive fort: Bundeshaushalt 2026 und Finanzplan bis 2029 beschlossen. bundesfinanzministerium.de 30.07.2025.

[8] Klingbeil richtet dringenden Sparaufruf an alle Ministerien. Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.08.2025.

[9] Merz will harte Reformdebatte führen. tagesschau.de 23.08.2025.

[10] Vor dem „Herbst der Reformen“ wartet noch viel Arbeit. tagesschau.de 25.08.2025.

[11] Rheinmetall-Entwaffnen-Camp verboten: „Jetzt erst recht: Krieg dem Krieg!“ perspektive-online.net 13.08.2025.

Der Beitrag ist zuerst erschienen am 27.August 2025 in German Foreign Policy. Wir danken für das Publikationsrecht.


Titelbild: Collage Peter Vlatten

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