Mahnwache gegen Streubomben – der Protest formiert sich !

Es hatte gerade eine Handvoll „Omas gegen Rechts“ die Initiative ergriffen. Zu einer Mahnwache gegen den Einsatz von US Streubomben in der Ukraine. Menschenrecht ist unteilbar. Vor der US Botschaft in Berlin am Brandenburger Tor. Am Donnerstag, den 20.Juli.

Wir luden ein und berichteten ausführlich, um was es bei diesen verheerenden Waffen geht!

Trotz aller Kurzfristigkeit. Auch weitere „Omas“ stießen dazu, viele Aktive von Ärzten gegen den Atomkrieg, Attac, Gewerkschafter von Ver.di und IG Metall. Heiss diskutiert wurde auf dem Platz !

Streubomben sind international greächtet. Aus gutem Grund. Es handelt sich quasi um konventionelle Massenvernichtungswaffen, unterhalb der Schwellé taktischer Atomwaffen, die in großem Stil eingesetzt, ganze Landstriche zerstören und noch nach Jahrzehnten wegen der vielen Blindgänger auf grausamste Weise Gesundheit und Leben von Zivilisten bedrohen. Es ist zynisch, hier noch von Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung zu sprechen. Es ist eine verlogene Moral: “Streubomben aus den USA sind gut und nützlich. Streubomben aus Russland böse und ein Verbrechen”. Wer Streubomben in einem Land einsetzt, dem ist Wohl und Zukunft der dort lebenden Bevölkerung maximal gleichgültig!

Laut US Präsident Biden dienen die US Streubomben als Ersatz für die ausgehende herkömmliche Munition in der Ukraine. Das bedeutet in der Konsequenz: nicht selektiver Einsatz dieser verheerenden Waffen, sondern massiver und flächendeckender Einsatz. Die USA haben heute viel effektivere und wirkungsvollere Streubomben. Man versucht zu beschwichtigen, dass diese neuen Waffen ja nur noch 5% statt 20 bis 30% Blindgänger hätten. Aber 5% bei einer um ein Vielfaches erhöhten Sprengkraft sind absolut eben mehr.

Die konventionelle Tötungsmaschinerie wurde perfektioniert, jedoch ist sie in keiner Weise harmloser für Bevölkerung und Soldaten. Eine einzige Clusterbombe vernichtet ein Gelände zwischen 120 tausend und 240 tausend m2 ! Die Fantasie der meisten von uns dürfte kaum ausreichen, sich diesen Todesregen und die nachhaltige totale Umweltzerstörung vorzustellen! Mit dem zu erwartenden voll entfesselten breiten Einsatz dieser Streubomben ist es der Westen, der eine neue Stufe der brutalen Kriegseskalation lostritt

Aus der „kleinen“ Mahnwache wurde ein „bombiger “ Protest gegen diese geächteten menschenverachtenden Bomben. Es gab viel Sympathie von den vorbeigehenden Menschen. Ein einfältiges „Putintroll“ oder „demonstriert doch vor der russichen Botschaft“ war selten zu hören. Nicht wenige Passanten wollten ausführlicher informiert werden und es kamen lebendige Diskussionen zustande. Und etliche , insbesondere Jugendliche schlossen sich sogar aktiv dem Protest vor der US Botschaft an! Trotz des ernsthaften Anlasses machte sich eine fast fröhliche Stimmung breit.

Eine „Oma“ trug ein Plakat „Streubomben und Dann?“ Diese Frage ist mehr als berechtigt. Schon werden neue Rote Linien zur Diskussionn gestellt: Phosphorbomben , kontaminierte Uranmunition und Napalm. Natürlich nur “wenn sie militärisch notwendig sind!” In Talkshows gehen Worte wie “Fleischwolf” und “totaler Krieg” wie Selbstverständlichkeiten über die Lippen. Wer nur noch nach dem Motto “der Zweck heiligt die Mittel” verfährt, stellt in letzter Konsequenz alle Werte von Menschenrecht und Menschenleben auf dem Altar des Krieges zur Disposition. Wie glaubwürdig kann man am Ende dieses Monats in Magdeburg noch der AFD gegenübertreten, wenn man zu diesem Kriegsgemetzel nicht nur schweigt, sondern dessen Eskalation auch noch gutheisst und vorantreibt?

Die Protestierenden äusserten ihre klare Erwartungshaltung an die Verantwortlichen im Westen, nicht mit dem Finger auf andere Kriegsverbecher zu zeigen, um die gleichen Verbrechen ihrerseits damit zu rechtfertigen oder das Kriegsgeschehen sogar noch zu eskalieren. Wenn Deutschland den von ihm ratifizierten Vertrag einhalten will, muss es verhindern, dass von deutschem Boden Streumunition in die Ukraine gelangt. Denn Deutschland hat sich verpflichtet keine Hilfe beim Einsatz zu leisten. Die Bundesregierung müsste, wenn sie zu ihren eigenen Aussagen in der Vergangenheit stehen würde, sprich „unsere verantwortlichen Politiker Eier in der Hose hätten“, an dieser Mahnwache selbst teilnehmen.

Die Aktion hat Mut gemacht. Es gibt viele Menschen, die unsere Sorgen teilen und Argumente anhören. Der Gedanke greift um sich, hier regelmäßig aufzutreten. Wenn schon die Regierung nicht für die Umsetzung ihrer eigenen Verträge und vorgegebenen Werte eintritt, müssen wir das wohl selber tun!

Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin und Arbeitkreis Internationalismus IG Metall Berlin rufen auf, sich an der Kampagne gegen den Bundesparteitag der #NoAfD 2023 zu beteiligen!
lesenswert: internationale Völkerechtler zum Thema Streubomben!

Titelbild oberer Teil P. Vlatten, unterer Teil Klaus Ihlau 

Mahnwache gegen US Streubomben an die Ukraine

Donnerstag, 20.Juli 17:30 Uhr vor der US Botschaft in Berlin, Pariser Platz am Brandenburger Tor

Eine rote Linie nach der anderen kippt!

Im Februar schrieben wir bei einer Auswertung zur Münchner Sicherheitsskonferenz : „Die ukrainische Regierung lässt derweilen ohne jede Scham ihre “menschenrechtlichen und moralischen Hüllen” fallen und fordert unverhohlen (die Kampfflugzeuge und Raketen sind noch nicht geliefert), die Lieferung und den Einsatz international geächteter Streumunition und Phosphorbomben (swp.de 19.2.2023 )[1] Forderung der Ukraine nach Streubomben: Geächtete Waffen gegen Russland – Was sind der Ukraine westliche Werte wert? | Südwest Presse Online (swp.de „.

Noch im Februar dieses Jahr gab es allgemein Kritik gegen dieses „unmenschliche Ansinnen“ seitens der ukrainischen Regierung, das die eigene Bevölkerung hart treffen könne. Die Südwestpresse stellte die Frage: “ Was sind der Ukrainie westliche Werte wert?“ Aber schon damals fiel die Kritik auf der Münchner Sicherheitskonferenz seitens der offiziellen westlichen Vertreter auffällig verhalten aus. Obwohl hier doch der Einsatz international geächteter Waffen gefordert wurde.

Vom breitflächigen Einsatz solcher Waffen seitens Russland war übrigens auf der Konferenz vor wenigen Monaten noch gar keine Rede. [2]von Anfang an gab es Hinweise auf Streubomben durch die russische Seite, allerdings auch von der Ukraine verbreitete Fake News dazu, die selbst von der westlichen Presse als solche aufgedeckt  … Continue reading Berichte von Amnesty International und Fotos folgten inzwischen, die Streubomben durch die russische Armee im Kriegsgeschehen nachweisen, aber von einem massiven durchgängigen Einsatz in den von der Ukraine kontrollierten zivilen Gebieten kann dabei bisher (zum Glück für die Ukrainische Bevölkerung) nicht gesprochen werden. Nicht wenige Experten befürchten, dass sich dies nun als Reaktion auf die westliche Ankündigung ändern kann.

Am 7.Juli gab Präsident Joe Biden nach wochenlangen Spekulationen seine Entscheidung bekannt: Die USA werden der Ukraine die gewünschte Streumunition liefern.

In einem Interview mit dem Fernsehsender CNN sagte Biden, der Beschluss sei mit den Bündnispartnern abgestimmt. Der US-Präsident nannte offen den Grund für seine Entscheidung: »Der Ukraine geht die Munition aus«! Diese harmlos klingende Aussage verrät einiges. Zum einen war wohl die Intensität der westlich unterstützten Kriegsführung in der Ukraine so hoch, dass dadurch die gesamten verfügbaren westlichen Munitionsreserven aufgezehrt wurden. Zum andern ist zu befürchten, dass Streubomben als Ersatz für herkömmliche Munition besonders massiv und flächendeckend eingesetzt werden. Die Verminung ganzer Landstriche nicht zuletzt durch die russichen Truppen ist schon extrem schlimm. Mit dem voll entfesselten breiten Einsatz von Streubomben, der nicht zuletzt wegen seiner verheerenden Wirkung auf die zivilen Strukturen nahe der Schwelle taktischer Atomwaffen eingestuft und geächtet wird, ist es der Westen, der eine neue Stufe der brutaler Kriegseskalation lostritt.

123 Staaten der Welt haben den Einsatz von Streubomben in einem internationalen Vertrag ausgeschlossen und ihre Produktion, aber auch die Weitergabe und Duldung verboten und sich verpflichtet, gegen den Einsatz dieser Waffen vorzugehen. Deutschland hat federführend mit dem heutigen Bundespräsidenten Steinmeier als Aussenminister diesen Verbotsvertrag ausgehandelt. Die aktuellen Reaktionen aus Berlin zur Ankündigung der USA sind aber nun, sehr moderat ausgedrückt, kleinlaut und opportunistisch. Die USA, die Ukraine und Russland fallen nicht unter die Vertragsbindung. Aber sogar Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan gab auf der Pressekonferenz im Weißen Haus zu, man wisse, dass von Streumunition ein Risiko ausgehe, dass Zivilistinnen zu Schaden kommen könnten.

Irmgard Schuster kommentiert die Haltung der Bundesregierung so: "Deutschland schweigt zu Lieferungen von geächteter Streumunition von den USA an die Ukraine. Offenbar gut vorbereitet, denn die Munition liegt bereits in Europa, eingeflogen über die Airbase Ramstein? Was nutzt eine Unterschrift, Streumunition nicht zu nutzen, wenn man unkommentiert zulässt, dass unser wichtigster Verbündeter USA und der Staat, den wir mit Millionen und Waffen unterstützen, sie im Krieg einsetzt?"

Wer Streubomben in einem Land einsetzt, dem ist das Wohl der dort lebenden Bevölkerung maximal gleichgültig!


Was ist eigentlich Streumunition? Man nimmt eine handelsübliche 500-Kilo-Bombe, packt dort 145 kleine Bomben hinein. Im Flug platzt die Bombe auf und verteilt sich auf eine Fläche von 150 x 60 Metern (Daten zur britischen Bombe BL755). Da lebt dann nichts mehr. Ein Teppich von 1-Kilo-Bomben vernichtet alles in einem noch größeren Umkreis – da sind erhebliche zivile Verlusten unvermeidlich. Inzwischen haben die USA heute viel effektivere und wirkungsvollere Streubomben. Die konventionelle Tötungsmaschinerie wurde perfektioniert.“Eine einzige Clusterbombe deckt einen Bereich von minimal 120.000 m2 und maximal 240.000m2 ab! Das ist ein Geländebereich von 240m Breite mal 1000m Länge! Ich bin mir nicht sicher, ob die Fantasie der meisten hier ausreicht, sich diesen Todesregen vorzustellen!“ (Cornelia Warnke 12. Juli)

Blindgänger gibt es ebenfalls in Massen. Nach vorliegenden Erfahrungen bis zu 30 Prozent. Diese „Blindgänger“ bleiben noch jahrzehntelang gefährlich. Nicht explodierte Sprengkörper aus Streubomben, die die USA vor Jahrzehnten in Vietnam, Laos und Kambodscha und später im Irakkrieg und in Serbien gemeinsam mit der Nato eingesetzt hatten, fordern nach wie vor jährlich Hunderte Todes- und Verstümmelungsopfer unter der Zivilbevölkerung der betroffenen Länder. Humanitäre Hilfsorganisationen rechnen mit bis zu weiteren 50 Jahren bis zur vollständigen Räumung dieser Munition. Darum sind diese konventionellen Massenvernichtungswaffen geächtet, weil die Gefahren und Grausamkeiten für die Zivilbevölkerung maximal sind.

Kriegsverbrechen auf allen Seiten des Militarismus und Kriegsgeschehens!

Die Eskalation von Grausamkeiten, Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen wird von allen Kriegsparteien auf die Spitze getrieben und auf den Schlachtfeldern der Ukraine ausgetragen. Die Streubomben der USA werden aus der Ukraine für Jahrzehnte ein verseuchtes Land machen! Alle Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die USA nicht vor einem massenhaften Einsatz solcher Waffen zurückscheuen [3]Vietnam Folgen der US Kriegsverbrechen! Auch nach 47 Jahren Leiden ohne Ende [4] Hanoi vor 50 Jahren im Bombenhagel. Tödliche Weihnachtsgrüße aus den USA ! Die Verletzungen der sich in die Knochen von Menschen bohrenden Splitter und Nägeln sind barbarisch. Es ist zynisch, hier noch von Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung zu sprechen. Es ist eine verlogene Moral: „Streubomben aus den USA sind gut und nützlich. Streubomben aus Russland böse und ein Verbrechen“. Die Kriegspropaganda eines großen Teils der Presse läuft auf Hochtouren. Schon letztes Jahr haben wir zur Debatte „Gute Drohnen – Schlechte Drohnen“ geschrieben: „Die von Drohnen zerfetzten Leiber von Menschen sind entsetzlich – gleichermaßen ob von Russland oder den USA eingesetzt. Nur haben die USA diese Art des Killings weltweit erst hoffähig gemacht. “ Was kommt als nächstes? In der Diskussion sind bereits kontaminierte Uranmunition und Napalm. Natürlich nur „wenn sie militärisch notwendig sind!“ In Talkshows gehen Worte wie „Fleischwolf“ und „totaler Krieg“ wie Selbstverständlichkeiten über die Lippen. Wer nur noch nach dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel“ verfährt, stellt in letzter Konsequenz alle Werte von Menschenrecht und Menschenleben auf dem Altar des Krieges zur Disposition und unterscheidet sich nicht mehr vom noch so verbrecherischsten Feind. Und in einem Facebook Kommentar heisst es: “ Wie glaubwürdig kann man noch der AFD gegenübertreten, wenn man zu diesem Kriegsgemetzel nicht nur schweigt, sondern dessen Eskalation auch noch vorantreibt?“

Unsere Vietnam Korrespondentin Cathrin Karras gibt aus Sicht eines betroffenen asiatischen Landes ein vernichtendes Urteil: „Stand der Vernichtungskrieg gegen Nordvietnam fuer den “Kampf gegen den Kommunismus” und dessen Vormarsch in Asien, so galten die Feldzuege mindestens gleicher Intensitaet gegen Afghanistan, Irak, Libyen usw. dem weltweiten “Kampf gegen den Terrorismus”. Die Parolen haben sich geaendert, nicht aber die Methode und auch nicht die mit brutaler militaerischer Gewalt demonstrierte Ueberzeugung Washingtons, auserkoren zu sein, den Lauf der Welt zu bestimmen.“

Seien wir solidarisch mit den Menschen in der Ukraine! Verteidigen wir Menschenrecht! Kommt am 20.Juli 17:30 Uhr Berlin , Pariser Platz , Brandenburger Tor zur Mahnwache! Gegen die Kriegseskalationsspirale mit Streubomben ! Gegen den totalen Krieg! Weltweites Verbot von Streubomben !

Ukraine: „Müssen wir den Krieg gewinnen?“

Eine Antwort auf Sotsialny Ruch

Im letzten „express“ (www.express-afp.info) war ein interessantes Interview zu lesen, das ein Genosse der polnischen IP mit Vatali Dudin, dem Begründer der ukrainischen Sozialbewegung Sotsialny Ruch geführt hatte. Gegenstand des Artikels war die Kriegssituation in der Ukraine. Insbesondere ging es um die soziale und politische Sitiuation der arbeitenden Bevöllkerung. Und schließlich darum, wie sich Sotsialny Ruch zum Krieg verhält. Der Artikel ist hier als pdf zu lesen:

Die Positionierung der Gruppe ist für mich sehr verstörend. Deshalb habe ich dem express den folgenden Kommentar geschickt, der auch in der Juni-Ausgabe der Zeitung abgedruckt wurde.

KOMMENTAR

In seiner Situatisationsbeschreibung der gesellschaftlichen Realität der Ukraine lässt Dudin keinerlei Zweifel am arbeiterfeindlichen Charakter des gegenwärtigen politischen Systems seines Landes. Keinen Moment lang käme man dabei auf die Idee, mit seinen Repräsentanten einen solidarischen Schulterschluss zu suchen. Da überrascht es doch, dass er kurz vor Ende des Interviews mit eben diesem Oligarchensystem gemeinsam Krieg führen und in einem militärischen Sieg gegen Russland eine linke Perspektive erkennen möchte.

Ich befürchte, dass genau das Gegenteil der Fall sein wird. Der Verzicht auf eine innergesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Kriegsgründen und seiner Vorgeschichte, deren Verantwortung nicht allein Russland zugewiesen werden kann, wird nur zur Stärkung der tonangebenden neoliberalen und völkischen Kräfte in der Ukraine führen, die diesen Krieg führen und eskalieren wollen. Zudem wird er eine Ermutigung für den konfrontativen Kurs sein, den die USA und mit ihr die NATO steuern, um den Übergang des von den USA dominierten imperialistischen Weltsystems zu einer mulitpolaren Ordnung zu verhindern.

Krieg ist an sich ein Verbrechen. Er ist dies angesichts der ökologischen Existenzkrise der Menschheit noch einmal ganz besonders. Er zerstört und löscht Leben aus, löst keine Probleme, sondern schafft täglich neue, immer unlösbarere, verhindert kooperative Lösungen, ohne die Höllenszenarien auf der Erde nicht zu verhindern sind.

Und: wie stellt sich denn Sotsialny Ruch den militärischen Sieg über eine Atommacht vor, deren staatliche Existenz einige nicht mal garantieren wollen? Liebe Genossen – das sind völlig entrückte Ideen. Einer linken Tradition können sie jedenfalls nicht folgen.

Die Ukraine ist, so Dudin, durch eigene Verantwortung heute Peripherie. Der erhoffte Sieg der Verkünder „der regelbasierten Ordnung“ wird nur die Namen und die Ideologie der „Oligarchen“ ersetzen. Den Peripherie-Status der Ukraine wird er weiter zementieren und der Arbeiterklasse droht dies insbesondere.

Ein Problem der „Ukraine-Solidarität“, der sich ja auch ein Teil der Linken verschrieben hat, ist, dass sie den Kriegskonflikt mit Russland rein auf einer völkerrechtlichen Ebene betrachtet. Die ist natürlich eindeutig. Russland ist des Völkerrechtsbruchs schuldig. Doch daraus lässt sich weder eine „Alleinschuld“ ableiten noch weist sie Perspektiven, die am Ende des Konflikts den Frieden sicherer macht. Denn im Völkerrecht sind nur die Beziehungen zwischen Staaten Gegenstand. Ihre Akteure sind die herrschenden Klassen der Länder, die in einem Gesellschaftssystem agieren, das den Krieg in sich birgt wie die Wolken den Regen (Jaures). Vorwärts geht es nur, wenn sich die Bevölkerungen von deren Logik lösen und sich in Bewegung setzen. Das zu befördern heißt, zu einer Klassenperspektive zu wechseln.

Betrachten wir unter diesem Blickwinkel die herrschenden Klassen Russlands und der Ukraine, so ist doch offensichtlich, dass sie Fleisch vom Fleisch sind – hervorgegangen aus einem staatskapitalistischen System, dessen Produktionsmittel de Jure der Allgemeinheit gehörten, doch realiter den Produzenten entfremdet blieben. Die obsiegenden Nachlassverwalter der KPdSU haben dann in beiden ehemaligen Republiken der Sowjetunion das nominell gesellschaftliche in ihr real privates Eigentum verwandelt. Ihnen gegenüber stehen die jetzt getrennten Abteilungen der vormals politisch unfreien,aber sozial relativ geschützten Arbeiterbevölkerung, die jetzt im neoliberalen Sinne freie Lohnarbeiter geworden sind und um existenzielle gewerkschaftliche Rechte kämpfen müssen. Man kann über den Grad der Entrechtung in den beiden Nachfolgestaaten streiten. Einen wirklich qualitativen Unterschied mag ich nicht erkennen.

Dies aus einer herrschaftskritischen Sicht nüchtern zu konstatieren, bedeutet auch nicht, der in westlichen Medien zur ideologischen Stützung eines pro-westlichen nationabuildings erfundenen Erzählung zu folgen, es habe bereits in Sowjetzeiten eine Art neokoloniale Beherrschung der Ukrainer durch Russland gegeben und diese bestünde jetzt noch verstärkt. In Bezug auf die UdSSR ist das erkennbarer Unsinn. Die Ukraine gehörte zu den industriellen Zentren der SU und im Führungspersonal der KPdSU waren wohl die in der Ukraine Geborenen stärker vertreten als es dem Bevölkerungsanteil der Sowjetrepublik entsprach. Auch in kulturellen Fragen gab es keine Abwertung des Ukrainischen. Und nach der Implosion der Sowjetunion haben die staatlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern nie den Charakter angenommen, der etwa mit den Gewaltverhältnissen zu vergleichen wäre, die z. B zwischen den USA und Vietnam oder Nicaragua bestanden haben und der Zementierung von Abhängigkeit und Unterentwicklung dienten.

Auch wenn dies im Augenblick verbauter denn je erscheint, gibt es auch im Ukrainekonflikt perspektivisch nur dann eine Hoffnung spendende Entwicklung, wenn die „postsowjetische“ Arbeiterklasse zur Einsicht kommt, dass sie mehr verbindet als der gemeinsame Pass mit den Repräsentanten ihrer oligarchischen Systeme.

Was die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungsperspektiven betrifft, sollte die Ukraine sich aus der Blockkonfrontation lösen. Es gibt weder eine Alternative zu einem militärisch neutralen Status. Noch ist es nach geografischer Lage, Geschichte und Kultur sinnvoll, das Land, das ja auch übersetzt „Brücke“ bedeutet, an einen wirtschaftlichen Block zu binden. Nikolai Asarow, der letzte Ministerpräsident der Ukraine, der nach dem Maidan-Aufstand nach Russland fliehen musste, hatte versucht, diesen Weg – Aufrechterhaltung der traditionellen wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland und Ausbau der Handelskontakte mit der EU – zu gehen. Doch nicht Russland sondern die EU hat – angetrieben durch die USA – diesen Weg blockiert und die Konfrontation gesucht. Auch Selensky hatte noch Wahlkampf gemacht mit dem Versprechen, mit Moskau eine Verhandlungslösung zu suchen, und wurde deshalb wohl auch gewählt. Doch davon löste er sich offenbar, nachdem der Westen ihm signalisierte, dies nicht zu unterstützen – und er selbst von der militanten Nazi-Szene mit dem Tode bedroht wurde, sollte er die im Minsker-Prozess andiskutierte Vereinbarung unterschreiben.

Mit meiner Kritik an Vitali Dudin möchte ich nicht die Versuche innerhalb der Linken infragestellen, die Zusammenarbeit mit Organiationen wie Sotsialny Ruch zu suchen. Dies ist bitter nötig, denn die ukainische Linke ist ja nur noch ein Schatten ihrer selbst. Fast alle Organisationen sind mittlerweile verboten. Wir sollten weiter gesprächsbereit sein und Kontakte knüpfen. Doch heißt Solidarität nicht, zu folgenschweren Fehlentscheidungen zu schweigen, auch wenn wir nachvollziehen können, warum sie zustande gekommen sind.

Der Kurs von Sotsialny Ruch in Richtung „Vaterlandsverteidigung“ erinnert sehr an die deutsche Sozialdemokratie zu Beginn des 1. Weltkrieges, die allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so verbalradikal aufgetreten ist. Die durch die Kriegsunterstützung nicht kompromittierte Linke sammelte sich damals auf der Zimmerwalder Konferenz. Bekannterweise waren unter den klandestin in die Schweiz Angereisten nicht nur linke marxistisch orientierte Sozialdemokraten sondern auch Anarchisten, von denen sich nicht wenige dieser Traditon auch heute durchaus noch bewusst sind. Wer glaubt, dass das anarchistische Spektrum heute durch die Bank der ukrainischen Linken den Gang in die Schützengräben empfielt, in dem Schulter an Schulter mit Asow-Nazis gekämpft werden muss, sollte genauer hinschauen. Die russische „Konföderation der revolutionären Anarchosyndikalisten“, Mitglied der anarchistischen IAA, steht in der Tradition des revolutionären Defäetismus und spricht sich gegen jede Art der Unterstützung der kämpfenden Armeen aus. Aber auch in der Ukraine gibt es linke Organisationen, die einer militärischen „Lösung“ keinerlei Sinn abgewinnen können. Beispiele sind die demokratischen Sozialisten der „Union der Linken Kräfte“ oder auch die Gruppe „Revolutionäre Arbeiterfront“ (RFU). Es ist klar, dass die Kontaktaufnahme hier noch schwieriger ist. Doch verspricht sie eine Kooperation zu sein, die dem proletarischen Internationalismus verpflichtet ist.

Jochen Gester

Auskunft über die Position der „Union der Linken Kräfte“ und zur „Revolutionären Arbeiterfront“ finden sich hier:
https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/19671/
https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/notizen-von-einem-treffen-mit-der-revolutionaeren-arbeiterfront-rfu-ukraine/

Mehr über die „Konföderation der revolutionären Anarchosyndikalisten gibt Ewgeniy Kasakov in seinem Buch „Spezialoperation und Frieden – Die russische Linke gegen den Krieg“,
UNRAST Verlag, Dezember 2022

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