EU: Ausweg aus dem gefährlichen Vasallen-Status

Im Zangengriff des kapitalistisch-militärisch-medialen US-Imperiums wird die EU volkswirtschaftlich, politisch, sozial und kulturell verarmt, degradiert, mit Kriegshaushalten überzogen und als Stellvertreter in die tödliche US-Geopolitik einbezogen, auch in einen möglichen 3. Weltkrieg. Das hat eine Vor-Geschichte. Und der Ausweg?

Werner Rügemer

Foto. Ingo Müller, Werner Rügemer 2023


Das erste Muster: Marshall-Plan mit NATO

Mit dem Marshall-Plan förderten die USA nach 1945 die Re-Industrialisierung in Westeuropa, aber auch neue Industrialisierung durch US-Konzerne. Die Gelder gab es nur, wenn antifaschistische, linke, kommunistische Parteien und nationalbewußte Politiker wie Charles de Gaulle aus den Regierungen vertrieben oder korrumpiert waren. In Griechenland flossen die Gelder erst, als US-Militär die antifaschistische Befreiungsbewegung niedergebombt und die Monarchie wieder eingesetzt hatte. Der Marshall-Plan förderte den Absatz von US-Produkten, die Anbindung der Währungen an den Dollar. Hinzu kam Hollywood-Kultur und neue kapitalfinanzierte Wissenschaft, zu der z.B. die „Kritische Theorie“ gehörte.

Unternehmen und Banken, die NS-Komplizen und Kriegsgewinnler waren, in Deutschland, aber auch im NS-besetzten West-, Nord- und Südeuropa – und auch in den USA selbst – , wurden weder bestraft noch entflochten noch enteignet. Diese Politik war abgesichert durch hard power: Das von den USA geführte Militärbündnis NATO, verstärkt durch US-Militärstützpunkte in den NATO-Mitgliedsstaaten.1

In Westeuropa, insbesondere im „westlichen Schaufenster“, dem provisorischen Separatstaat Bundesrepublik Deutschland, blühte deshalb nicht nur der alte Reichtum der NS-Kollaborateure. Auch für große Teile der abhängig Beschäftigten entstand ein steigender Wohlstand: Er war aber nur ein Zugeständnis auf Zeit.

EU-Osterweiterung: abhängiger Oligarchen-Kapitalismus

Ab 1990 organisierten US-Berater die Umgestaltung der ex-sozialistischen Staaten. In der deutschen Treuhand-Anstalt dominierten McKinsey, Price Waterhouse Coopers, JP Morgan: Die Unternehmen der sozialistischen DDR wurden zu Schleuderpreisen verkauft, nach einigen Jahren verkleinert oder stillgelegt. Mithilfe von EU-Subventionen ersetzten Filialen und Zulieferer westlicher Konzerne die alte Industrie – die Löhne sind auch 30 Jahre später noch niedriger als im „vereinten“ Westdeutschland, junge Menschen wandern aus.

So wurde in den Staaten Osteuropas der Typus des abhängigen Oligarchen-Kapitalismus etabliert: Ausländische Konzerne – Auto-, Energie-, Logistik-, Handels- und Pharmabranche – nutzen die Standorte selektiv für Zulieferfirmen oder Filialen, so etwa der Handelskonzern Amazon. Die Regierungen erlassen Steuern und finanzieren Infrastruktur. Die EU vergibt Subventionen, Gewerkschaften werden geschwächt, Löhne sind niedrig. Die strategischen Entscheidungen fallen im Ausland. Gleichzeitig bilden einheimische Oligarchen privat-staatliche Monopole. Bis zu einem Viertel der arbeitsfähigen Einwohner sind als billige Wanderarbeiter im Ausland unterwegs, saisonal oder dauerhaft, im Bau, in der häuslichen Pflege, in Krankenhäusern und Altenheimen, in Gastronomie und Prostitution.

Politisch vollzogen wird dies – wie schon bei Marshall-Plan und NATO – durch politisch rechtsgerichtete Regierungen unterschiedlicher Couleur, ob konservativ, liberal oder auch sozialdemokratisch. In Jugoslawien förderten NATO und EU rassistische, rechte bis faschistoide Kräfte und damit die nationalistische Aufspaltung in sechs Kleinstaaten – obwohl dieselben westlichen Propagandisten Nationalismus und Rassismus ansonsten heftig anprangern.2

Priorität NATO: Alle osteuropäischen Staaten wurden zuerst Mitglied der NATO, erst danach durften sie Mitglied der EU werden. Weitere Staaten sind schon Mitglied der NATO, so Nordmazedonien, Montenegro und Albanien. Sie bleiben volkswirtschaftlich verarmt, wichtig als Militärstützpunkte in Richtung Russland.

Nur Russland wehrte sich gegen den US-Zugriff

Zunächst klappte diese Strategie auch gegenüber dem wichtigsten US-Zielstaat, Russland: Der nach 1990 erste, prowestlich-korrupte Präsident Boris Jelzin förderte den Ausverkauf der Unternehmen mithilfe westlicher Investoren und Berater und einheimischer Oligarchen. Die Volkswirtschaft schrumpfte, die Bevölkerung verarmte, Selbstmorde und Alkoholkonsum nahmen zu.

Putin wurde zur Führungsfigur des Widerstands: Der Kapitalismus wurde zwar nicht abgeschafft, wird aber im nationalen Interesse gestaltet. Einige Oligarchen machen mit, einige haben ihren Sitz nach London oder Israel verlegt. Die russische Wirtschaft erholte sich, die NATO blieb draußen: So wurde Russland zum verhetzten Systemfeind – obwohl das NATO-Gründungs-Narrativ „böser Kommunismus“ erstens gefälscht war und zweitens sowieso gegenstandslos ist.

Fazit: Die USA wollen keineswegs die Demokratie und „die freie Marktwirtschaft“ verbreiten, auch nicht „den Kapitalismus“, auch keine volkswirtschaftliche Entwicklung, sondern nur eine selektive Standortpolitik für US- und verbundene westliche Investoren und deren antisoziale private Gewinne. Dies wird abgesichert durch die NATO, zusätzliche US-Militärstützpunkte, US-Berater und -Stiftungen und mithilfe politisch rechter Kräfte.

US-Investoren kaufen europäische Unternehmen

US-Konzerne, Banken und Berater betreiben seit hundert Jahren Filialen in West-Europa, seit 1990 auch in Ost-Europa, so Coca Cola, Ford, General Electric, IBM, Esso, UPS, McDonald’s, JP Morgan, McKinsey. Auch die neuen Digitalkonzerne wie Apple, Microsoft, Google, Amazon, Facebook, Uber, AirBnB und US-Beratungsfirmen wie Accenture und Freshfields betreiben Filialen in EU-Staaten mit führender Stellung in ihren Branchen.

Aber seit der Jahrtausendwende kaufen US-Kapitalakteure bestehende europäische Unternehmen. Private Equity-Investoren wie Blackstone und KKR („Heuschrecken“) sind spezialisiert auf mittelständische Unternehmen. „Europa ist für uns der beste Markt der Welt“, bilanzierte Stephen Schwarzman, Chef von Blackstone, nach dem Super Return International, dem Treffen von 5.000 Private-Equity-Managern 2024 in Berlin.3

Und die erste US-Kapitalisten-Liga mit BlackRock, Vanguard & Co. ist seit der Finanzkrise ebenfalls auf Einkaufstour. Sie sind nun führende Eigentümer der wichtigsten Unternehmen, Banken, Wohnungskonzerne in Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Großbritannien, den Niederlanden usw., auch in der Schweiz. Zum Beispiel sind sie in allen 40 Unternehmen des deutschen DAX vertreten sowie im MDAX.4 Die meisten Gewinne gehen in die USA, während die Lebensverhältnisse verteuert und die Arbeitseinkommen gesenkt werden, in der gesamten EU.5

Dafür werden die Regierungen und die EU beraten von US-Firmen wie McKinsey, Accenture, KPMG, PwC, EY, Freshfields, Standard&Poor’s. Beispiel Deutschland: Zusätzlich waren im Jahre 2022 mindestens 179 Ex-Mitarbeiter dieser Firmen im deutschen Bundeskanzleramt, in Bundesministerien und Bundesbehörden als hochbezahlte Mitarbeiter angestellt.6 Im deutschen Wirtschaftsministerium unter dem grünen Minister Robert Habeck wurde eine BlackRock-Managerin aus London zur Leiterin der Grundsatzabteilung ernannt. PwC wurde in diesem Ministerium als offizielle Prüfbehörde installiert: US-Berater entscheiden über staatliche Subventionen an Unternehmen bei der Energietransformation.7

Deshalb haben die seit dem Ende des 2. Weltkriegs jahrzehntelang regierenden Parteien – ob konservativ, christlich, liberal, sozialdemokratisch – die Mehrheiten der abhängig Beschäftigten verarmt, haben immer weiter an Wählerzustimmung verloren, haben als gemäßigte Rechtskräfte das Erstarken neuartiger Rechtskräfte gefördert: übrigens besonders in Staaten, die noch enger mit den USA verbunden sind: In England und Israel.

Obamas wirtschaftlich-militärische Geopolitk

Die US-Regierung unter Barack Obama ließ sich in der Finanzkrise von BlackRock beraten und förderte dessen globale Expansion. Er förderte das US-Frackinggas und machte es zu einer geopolitischen Waffe. Es ist extrem umweltschädlich, es ist zudem für die Anwohner tödlich: Sie sterben früher. Die USA wurden weltgrößter Exporteur. Obama gab dem Gas dafür einen grünen Anstrich: Er ließ es umbenennen in „natürliches“ Gas, Liquified Natural Gas, LNG. So machen auch grüne Parteien und grüne Investmentfonds bei der militärisch unterstützten Geopolitik mit.8

Mit dem Ukraine-Krieg setzten die USA ihre Ziele durch: 1. die EU vom russischen Gas abtrennen und vom viel teureren LNG abhängig machen, 2. die EU-Staaten zusätzlich auf noch höhere Kriegshaushalte festlegen, gegen Russland und China.

Deutschland I: De-Industrialisierung

So nahm die EU die US-Gesetze von 2022 zur Re-Industrialisierung der USA ohne Kritik hin: Den Inflation Reduction Act (IRA) und den CHIPS and Science Act.

So schließen energieintensive Chemiekonzerne Abteilungen in Deutschland. Bayer verlagert vor allem in die USA. BASF erweitert mit 10 Milliarden Euro den schon bestehenden, großen Standort in China – dort erweitern auch Covestro und Wacker ihre Produktion. Der erfolgreichste deutsche Heizungsbauer, Viessmann, wurde vom US-Konkurrenten Carrier gekauft. Thyssen-Krupp will – trotz zwei Milliarden an staatlichen Subventionen – tausende Beschäftigte bei der Stahltochter entlassen und den tschechischen Investor Kretinsky beteiligen. US-“Heuschrecken“ kaufen Mittelständler, andere Mittelständler machen pleite.9 US-Berater dominieren beim Arrangement von Käufen und Umstrukturierungen.10

Zwei führende deutsche Industriebranchen werden abgeschrumpft: Die Autokonzerne halten sich noch durch Produktion und Verkauf von Luxusautos, in den USA und vor allem in China; die Zulieferer werden in die USA, nach Osteuropa oder China ausgelagert, oder machen dicht, wenn sie beim e-Auto nicht mitkommen. VW will erstmals in Deutschland Werke schließen, Beschäftigte entlassen, den jahrzehntelangen Vertrag mit der Gewerkschaft beenden. Ähnliches gilt für den Maschinen- und Anlagenbau.11

Deutschland II: Re-Industrialisierung

Aber auch die Re-Industrialisierung steht unter US-Regie. Apple, Google, Microsoft, Palantir & Co. übernehmen noch mehr die Digitalisierung von Unternehmen, Finanzen, Handel, Medien, Schulen, Wissenschaft, Gesundheit, Infrastruktur und Behörden. Apple, Amazon und Microsoft errichten neue Datenzentren und Clouds. Google führt bei den transatlantischen Unterseekabeln.12

Der Pharmakonzern Eli Lilly baut eine neue Fabrik in Rheinland-Pfalz. Intel baut im strukturschwachen Ostdeutschland die größte Chipfabrik Europas – die 10 Milliarden Euro an Subventionen kommen aus allen öffentlichen Haushalten, von der EU, von der deutschen Regierung, von der Landesregierung Sachsen-Anhalt und von der Stadt Magdeburg. Intel lässt sich aber gleichzeitig neue Chipfabriken in Polen und Israel subventionieren.

Der größte Chiphersteller der Welt, TSMC aus Taiwan, baut ebenfalls im de-industrialisierten Ostdeutschland eine hochsubventionierte Chipfabrik – die europäischen Konzerne Bosch, Infineon und NXP dürfen mit 10 %-Anteilen mitmachen. Tesla hat die weitaus größte, subventionierte Fabrik für e-Autos in Deutschland errichtet und will weiter ausbauen, im strukturschwachen Brandenburg.13 Der US-Chiphersteller Wolfspeed baut eine Fabrik im Saarland, wo die Stahlwerke geschlossen wurden. Wie in den DAX-Unternehmen sind BlackRock&Co. auch führende Aktionäre in den genannten US-Konzernen, aber auch bei TSMC.

Zur Re-Industrialisierung unter US-Dominanz gehört auch die Rüstung. So steht der größte Rüstungskonzern in Deutschland, Rheinmetall, der in den letzten Jahren besonders stark expandierte, nach 150 Jahren deutscher Tradition jetzt unter US-Regie: Der größte Aktionär heißt nun BlackRock, danach folgen Bank of America und Goldman Sachs.

Kaputte Infrastruktur: Bahn, Brücken, Atomabfälle

Gleichzeitig bleiben elementare industrielle Strukturen Deutschlands auf dem Niveau kolonial verarmter Staaten:

*Das staatliche Bahnunternehmen Deutsche Bahn hat zu wenig und zu alte Schienen; Stellwerke und elektrische Oberleitungen sind ständig reparaturbedürftig – Zugausfälle und stundenlange Verspätungen sind tägliche Erfahrung von Millionen Kunden.

*Etwa 10.000 Brücken, die meist noch aus der Nachkriegszeit stammen, sind marode, aber nur einige Dutzend werden in jahrelangen Verfahren mühsam saniert, vorrangig für Militärtransporte.14

*Die atomaren Abfälle liegen in 16 Zwischenlagern, teilweise in maroden ehemaligen Bergwerken, teilweise ungenehmigt. Das Endlager soll jetzt bis 2074 gefunden werden.15

*Großprojekte wie der Bahnhof Stuttgart, der Flughafen Berlin, das Kölner Opern- und Theaterhaus und Renommier-Hochhäuser ausländischer Investoren ziehen sich jahrzehntelang hin, verteuern sich unkalkulierbar.

*Miet- und Eigentumswohnungen werden kaum mehr gebaut, die bestehenden werden verteuert, die Obdachlosigkeit steigt.

Leuchtturm des Kapitalismus“: Spaltung arm – reich

BlackRock koordiniert den Wiederaufbau der Ukraine: Sie soll, so Vorstandschef Lawrence Fink, digitalisiert und entbürokratisiert zum „Leuchtfeuer für die Kraft des Kapitalismus“ werden.16 Je mehr vorher zugunsten von BlackRock-Aktionären zerstört wird – BlackRock gehört zu den führenden Aktionären der Rüstungs-, Energie-, Digital- und Frackingindustrie der USA -, desto lukrativer ist die Re-Industrialisierung der Ukraine.

Durch die Kriegshaushalte der europäischen NATO-Staaten werden die abhängig Beschäftigten noch mehr verarmt: Die Arbeitsverhältnisse werden noch mehr flexibilisiert, verbilligt, entrechtet – Ältere werden vorzeitig ausgesondert; immer mehr Überstunden werden nicht bezahlt. Junge willige Fachkräfte werden nicht mehr vorrangig aus Osteuropa geholt, sondern aus noch ärmeren Drittstaaten wie Indien, Argentinien und Marokko. Lebensmittel, Energie, Mieten, Mobilität, Krankheitsbehandlungen und Medikamente, Altersheime werden verteuert, die Renten werden abgesenkt und privatisiert, die Lebenserwartung sinkt.17 Dies trifft auch die jahrzehntelang als systemrelevant gehätschelte middle class, in den USA schon seit drei Jahrzehnten, in den reichen EU-Staaten einige Zeit später.

Gleichzeitig kommen die neuen Aufsteiger im Gefolge von BlackRock&Co. zusammen mit ihrer zivilen Privatarmee der Berater, ihrer politischen Mittäter und deren „neuen Werte“ der egoistischen Ich-Inszenierung zu neuem, elitärem Reichtum. BlackRock&Co. anonymisieren ihre superreichen Geldgeber mithilfe von Briefkastenfirmen in einem Dutzend Finanzoasen zwischen den Cayman Islands, Luxemburg und Amsterdam und verarmen damit die westlichen Staaten, die sich immer mehr überschulden, auch durch immer mehr Schattenhaushalte, ohne Aussicht auf reguläre Rückzahlung – die USA an erster Stelle: Gleichzeitig verlangen und erhalten die führenden Kapitalisten beispiellos hohe staatliche Subventionen.

Der Ausweg: Souveränitäten und Kooperationen

Die anhand von Deutschland verdeutlichte Logik wuchert abgeschwächt und unterschiedlich in der ganzen EU. Deshalb warnte die Chefin des größten italienischen Unternehmens, ENI (Erdöl, Energie), Emma Marcegallia, vor dem G-7-Treffen 2024: „Wenn wir so weitermachen, werden wir unseren Wohlfahrtsstaat nicht aufrechterhalten, an den Technologiesprüngen scheitern und unsere Lebensqualität verlieren.“18

Deshalb brechen Widersprüche auf, noch verhalten: Die deutschen Autokonzerne VW, BMW und Daimler lehnen die von der EU geplanten Strafzölle auf China-Importe ab.19 Spanien, Frankreich und Belgien importieren Gas aus Russland. Serbien beschloss mit China 2024 eine Schicksalsgemeinschaft und einen Freihandelsvertrag, China baut die Bahnverbindung zwischen den Hauptstädten Budapest und Belgrad. Spanien, Irland und Norwegen erkennen Palästina als eigenen Staat an. China baut eine Batteriefabrik in Ungarn, die beiden Staaten bauen ihre Kooperationen aus, Regierungschef Viktor Orban verhandelt gegen die Spitze der EU mit der Ukraine, Russland und China über einen Waffenstillstand in der Ukraine.20

US- und EU-Sanktionen werden immer erfindungsreicher umgangen. Indien wurde zum größten Zwischenhändler der sanktionierten russischen Energie. Nach zwei Jahren westlicher Sanktionen überholte Russland Mitte 2024 die USA als Gaslieferant in Europa und blüht wirtschaftlich auf.21

Eigentlich müssen die unregulierten Schattenbanken BlackRock & Co. und ihre neuartigen Monopole reguliert, entflochten, enteignet, in Gemeineigentum überführt werden. Aber dies sind bisher nur vereinzelte Stimmen. Sogar der US-orientierte European Council on Foreign Relations (ECFR) stellte fest, nach einem Jahr Ukraine-Krieg: „Europa als US-Vasall – das ist unklug für beide Seiten“, und, so der ECFR: Nur die VR China wolle und könne „die internationale Ordnung neu gestalten, wirtschaftlich, diplomatisch, militärisch, technologisch“; China sei zudem „das Herzstück vieler kritischer Lieferketten, von denen die USA und ihre Verbündeten abhängen“.22

Wobei „China“ eben nicht nur den Staat China bedeutet, sondern auch die kontinentalen Formate SCO (Asien), CELAC (Lateinamerika), FOCAC (Afrika), 14+1 (Osteuropa) und vor allem BRICS: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika mit inzwischen weiteren Staaten wie VAE, Ägypten, Iran – und alle ohne chinesische Militärstützpunkte – im systemlogischen Unterschied zur militärisch begleiteten, kriegstreibenden Globalisierung nach US-Muster.

Selbst das Forschungsinstitut der deutschen Unternehmer stellt fest: Es war und ist die nationale Souveränität, die Chinas Aufstieg zur erfolgreichsten Volkswirtschaft ermöglicht hat.23 Also: Deutschland, Frankreich, Europa – auf zur Souveränität!

*Raus aus der NATO!

*Raus mit den US-Militärstützpunkten!

*Raus aus den Rüstungs- und Kriegshaushalten!

*Europäische Sicherheit mit Russland!

*Industrielle und Handels-Kooperationen mit den aufbrechenden Staaten, die sich in internationalen Formaten wie BRICS organisieren!

*Ausbau der öffentlichen Infrastruktur!

*BlackRock & Co. und ihre Unternehmen wie Amazon, Apple, Microsoft, Facebook & Co. regulieren, entflechten, enteignen, die sinnvollen Teile in national und sozial gestaltetes Eigentum überführen!24


Aktuelle Buchveröffentlichung zum Thema: Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft.

Verhängnisvolle Freundschaft
Wie die USA Europa eroberten
Erste Stufe: Vom 1. zum 2. Weltkrieg

www.werner-ruegemer.de


1Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten, zunächst vom 1. zum 2. Weltkrieg, Köln 2023, Seite 241 ff.

2 Werner Rügemer: Imperium EU. ArbeitsUnrecht, Krise, neuer Widerstand. Köln 2020

3„Europa ist für uns der beste Markt der Welt“, Handelsblatt 7.6.2024

4Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, 4. aktualisierte Auflage, Köln 2024

5Reallöhne in der EU deutlich unter Vorkrisenniveau, Hans Böckler-Stiftung 1.7.2024

6Bundesregierung gibt 580 Millionen Euro für Berater aus, Der Spiegel 11/2022

7PwC: Wie Habecks Haus eine Beratungsfirma glücklich macht, Die Zeit 39/2023

8Werner Rügemer: Tödliches Fracking, telepolis.de 29. März 2022

9Firmeninsolvenzen auf Zehn-Jahres-Hoch, ntv.de 8.8.2024

10Werner Rügemer: Waschstum pervers – Die neuen „Dealmaker“ der deutschen Wirtschaft, nachdenkseiten.de 22.9.2023

11Deutscher Maschinenbau auf Talfahrt, PwC Frankfurt/Main 22. 4.2024

12Amazon investiert 10 Milliarden Euro in Deutschland, FAZ 20.6.2024

13Tesla wants to double size of plant near Berlin, New York Times 22.7.2023

14Brückensanierung wird teurer als gedacht, tagesschau.de 8.5.2024

15Endlager für Atommüll verzögert sich, zdf.de 7.8.2024

16Der Billionenplan für die Ukraine, Wirtschaftswoche 21.6.2023

17DPWV: Paritätischer Armutsbericht 2024. Berlin März 2024

18„So wird Europa irrelevant“, FAZ 12.6.2024

19Ein Schutz, den niemand will. Warum die deutsche Autoindustrie Strafzölle auf China-Importe ablehnt, FAZ 2.7.2024

20Hungary’s Orban meets China’s Xi in mission to end Russia-Ukraine war, Al Jazeera 9 Jul 2024

21Russia overtook US as gas supplier to Europe in May, Financial Times 15.06.2024

22ECFR: The art of vassalisation – How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations, 4 April 2023

23IW: Konkurrenzdruzck aus China für deutsche Firmen, IW-Report 30/2024, Seite 6

24Werner Rügemer: BlackRock & Co. enteignen! 3. Auflage Frankfurt/Main 2023, siehe auch www.blackrocktribunal.de: Materialien nnd Veranstaltungen


Dank an Werner Rügemer

„Dieser Beitrag erschien zuerst im „Freidenker Nr. 3-24 und wir bedanken uns bei Werner Rügemer zur Verfügungstellung seines Beitrag für unsere Webseite“

Frankreich – neoliberal küsst extrem Rechts – Katalog der Grausamkeiten

Die neue Regierung in Frankreich -stramm neoliberal und rechts – setzt sich rigoros über Interessen und Mehrheitsmeinungen der Franzosen hinweg. Der Katalog der Grausamkeiten zeigt ein Stück weit, was uns auch in Deutschland blüht, wenn Friedrich Merz & Co. das Ruder übernehmen, wohl vorbereitet durch die Politik der Ampel. Hier eine Zusammenstellung von Kommentaren von Sebastian Chwala zu den aktuellen Ereignissen in Frankreich. (Peter Vlatten).

Haushalt des sozialen Kahlschlags

Der Haushaltsenwurf der französischen Regierung steht und wie erwartet handelt es sich um eine wirtschafts- und gesellschaftspolitisch völlig unverantwortliche Kürzungsorgie der öffentlichen Haushalte. So sollen im kommenden Jahr 60 Milliarden Euro eingespart, von denen 40 Milliarden durch Kürzungen in den öffentlichen Haushalten und den Leistungen der Sozialversicherung erzielt werden sollen. Weitere 20 Milliarden sollen durch Steuerhöhungen erzielt werden, die zumindestens zum Teil durch „Sondersteuern“ auf hohe Einkommen und hohe Umsätze von Großunternehmen fällig werden sollen.

Doch keine Maßnahme regt das progressive“ Lager heute derart auf, wie der erschreckende Plan der Barnierregierung im kommenden Jahr 4.000 Lehrer*innenstellen abzubauen, während gleichzeitig der Rüstungsetat deutlich steigen soll (was wiederum zu wenige Menschen stört). Die selbsterklärte Bildungsnation Frankreich, die ohnehin schon unter einem massiven Mangel an Lehrkräften leidet, treffen solche Ankündigungen ins Mark. Soll jetzt der Aufbau eines massiven privaten Bildungssektors in Gang gesetzt werden, wie es führende „Macroniten“ und andere Rechte schon lange wünschen ?

Zusätzlich plant die neue Regierung aber auch, die Kommunen und Regionen ausbluten zu lassen, die 5 Milliarden Euro einsparen sollen. Zudem werden die Renten in den nächsten Monaten nicht an die Inflatiosnentwicklung angepasst und eine Erhöhung der Stromsteuern ist geplant. Außerdem drohen Zuzahlungen für Arztbesuche und die Steigerung derselben für Medikamente, um die öffentliche Krankenversicherung zu entlasten. Alles dies trifft die „kleinen Leute“ besonders stark.

Zudem werden die Mittel für zahlreiche Investititionsfonds, welche die ökologische Transformation des Landes vorantreiben sollten, deutlich gekürzt. Alle diese Maßnahmen würden die Armut im Land weiter steigen und die wirtschaftliche Aktivität im Lande weiter sinken lassen. Noch bleibt allerdings offen, ob der RN dieses Spiel mitspielt und sich von Macron faktischer Koalition mit den „Republikaner“ einfangen lassen und sich endgültig als „Systempartei“ zu erkennen gibt.

Beispiele für politische Grausamkeiten

Schon vorher wurden politische Grausamkeiten bekannt. S. Chwala zählt einige von ihnen auf:

  • „das Mittel der Abschiebhaft soll ausgeweitet werden, um die Zahl der Ausweisungen deutlich erhöhen zu können“;
  • „droht die Regierung damit, bewußt höhere Strafen gegen Minderjährige als gegen Erwachsene verhängen zu wollen“;
  • „Sippenhaft der Eltern. Ermöglichung von Strafverfahren wegen vermeintlicher Vernachlässigung der Erziehungspflichten“;
  • “ massive Ausweitung digitaler KI-gesteuerter Überwachungstechniken für den öffentlichen Raum“.

Bezeichnenderweise kündigte Marine Le Pen nach der Regierungserklärung von Barnier auch an, aus „patriotischen“ Gründen das kommende Mißtrauensvotum der Linken erst einmal nicht zu unterstützen. In Frankreich ist die „wirschaftsliberale“ Mitte nun also erst einmal dauerhaft mit der Ultrarechten politisch zusammengewachsen.

Das Mißtrauensvotum der französischen Linken in der Nationalversammlung gegen den neuen Premierminister Barnier ist gescheitert. Nur 197 Abgeordnete stimmten gegen Barnier. Deutlich weniger als die erforderlichen 289 Stimmen. Der rechte Block inklusive des RN und der „Macroniten“ (die zu großen Teilen ihre Abgeordnetensitze nur mit linken Leihstimmen erhielten) ist damit endgültig Fakt.

Das Positive aber ist, dass der linke Block geschlossen für den Antrag stimmte und die von Macron beabsichtigte Spaltung der Linken gründlich misslungen ist.

Während im Parlament neue Grausamkeiten beschlossen wurden, haben die linken Gewerkschaften zu Demonstrationen für höhere Löhne, gute Arbeit und eine Revision der Rentenreform vom vergangenen Jahr aufgerufen. In zahlreichen Städten kam es zu Protesten.

Wir danken für die Publikationsrechte

Titelfoto eigene Collage

Die Attacke von VW und ihre Hintergründe

Die Ereignisse bei VW haben für die arbeitenden Menschen in Deutschland Signalwirkung. Sie sind ein Anschlag auf die Lebensstandards der unmittelbar Betroffenen des Konzerns. Aber auch ein Drohpotential für alle Beschäftigen im Metallbereich und darüber hinaus auf die gesamte arbeitende Klasse. Zum Auftakt der Tarifrunde vonseiten des Kapitals perfekt getimt. Die Kapitalseite versucht unsere Köpfe zu vernebeln, zu spalten und falsche Spuren zu legen, was die Ursachen des Konflikts betrifft. Umso wichtiger ist, dass wir dem unserere eigenen Analysen und Perspektiven entgegenstellen. Und Handlungsspielräume zur Gegenwehr aufzeigen. Hier ein weiterer wichtiger Gastbeitrag zum Linken Diskurs über VW. (Peter Vlatten)

Mattis Molde, Infomail 1263, 6. September 2024

VW kündigt Massenentlassungen und Werksschließungen an. Der Konzernvorstand hält drastische Einschnitte für notwendig und der Vorstand des Markenbereichs VW hat gedroht, die bis 2029 geltende Beschäftigungssicherung aufzukündigen. Das ist ein Schlag gegen die Arbeiter:innenklasse, ihren bestorganisierten und -bezahlten Teil.

Ausserdem zum Diskurs VW aktuell: "Kampfansage des Kapitals"

Eine genaue Zahl steht noch nicht im Raum, aber es geht wohl um mehr als 10.000 Stellen, alles andere wäre auch mit Abfindungen etc. regelbar. Werksschließungen drohen, ganze Städte und Regionen in den Ruin zu treiben. Die Aufkündigung der Beschäftigungssicherung stellt die gesamten bisherigen Gepflogenheiten des Umgangs zwischen Unternehmen und Arbeiter:innen in dieser lange als privilegiert geltenden Branche in Frage. All das hat mit der Besonderheit der Autoindustrie zu tun und spezieller noch mit VW.

Autokonzerne

Personalabbau ist überall in der Industrie ein Thema, Sparprogramme sind es auch. Es gibt in Deutschland eine Wirtschaftskrise, die besonders die Industrie betrifft und noch spezieller die Autoindustrie. Neu ist, dass über Entlassungen und Werksschließungen bei einem der großen drei deutschen Endhersteller, VW, BMW, Daimler, geredet wird, die schon lange nicht mehr von Entlassungen betroffen waren. Bei VW in Deutschland gab es noch nie welche. Bei Werken von ausländischen Konzernen wie Ford oder Opel ist das anders und erst recht bei den Autozulieferunternehmen. Auch die großen deutschen Konzerne letzterer, die zugleich alle globale Bedeutung haben, Bosch, Continental und Mahle, machen seit der Coronakrise verschärft Werke dicht und schrecken nicht vor Massenentlassungen zurück. ZF hat diese lange vermieden, aber vor kurzem auch den Abbau von 14.000 Arbeitsplätzen angekündigt.

Dass die Großen Drei bislang ausgenommen waren, hat drei Gründe:

  • Sie haben als riesige Monopole genug Profite, um Personalabbau mit Abfindungen und Altersteilzeit zu gestalten. Im Frühjahr wurden die letzten Zahlen des VW-Konzerns bekannt: Wer weniger als fünf Jahre in der niedrigsten Tarifgruppe tätig war, kann laut SPIEGEL nach einer internen Tabelle mit einer Abfindung von 17.700 Euro rechnen. Bei einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren erhöht sich die Zahlung für Beschäftigte derselben Gruppe auf 117.700 Euro. Beschäftigte der sogenannten „Tarif Plus“-Gruppe, der höchsten Stufe bei Volkswagen, würden zwischen 60.700 und 404.700 Euro erhalten. Das Angebot galt für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich zwischen 29. April und 31. Mai für das Programm meldeten. Wer sich innerhalb von zwei Wochen mit VW auf einen Aufhebungsvertrag geeinigt hat und mehr als 5 Jahre im Unternehmen arbeitet, erhält zudem eine sogenannte Turboprämie von 50.000 Euro. [1]https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/vw-sparprogramm-volkswagen-zahlt-bis-zu-450000-euro-abfindung/ar-AA1nvMe9?ocid=feedsansarticle
  • Sie haben für den deutschen Imperialismus nicht nur wirtschaftliche Bedeutung, sondern auch politisch-strategische. Der Automobilbau wurde nach dem 2. Weltkrieg als Beschäftigungsmotor in Westdeutschland forciert und gilt seither als Säule der auf Export orientierten Wirtschaft, da die Autoindustrie eine zentrale Rolle für die Position Deutschlands auf dem Weltmarkt und in der Kette der führenden imperialistischen Staaten spielt. Profite aus Autos – aber auch aus den Branchen Maschinenbau, Chemie oder Rüstung – sichern nicht nur „unsern Wohlstand“, sondern auch die politische Dominanz in Europa. Hohe Exportüberschüsse bringen Verschuldung. Schuldner:innen sind erpressbar. Wir erinnern an Griechenland.
  • In den Autokonzernen ist die Sozialpartner:innenschaft sowohl der Betriebsräte als auch der IG Metall aufs Höchste entwickelt. Das belegen unter anderem die langfristigen Verträge zur Beschäftigungssicherung, die entweder als Betriebsvereinbarung (Betriebsrat und Geschäftsführung) oder als Tarifverträge (Einbeziehung der IG Metall) abgeschlossen werden. In ihnen werden Zugeständnisse seitens der Betriebsräte wie Zustimmung zu begrenztem „sozialverträglichen“ Personalabbau, Ausgliederungen von bestimmten Bereichen, die langfristig in Niedriglohnsektoren überführt werden, begrenzter Lohnverzicht gegen eine Beschäftigungsgarantie, also den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen vereinbart.
Sozialpartner:innenschaft und Geklüngel ohne Ende

VW nahm insofern eine Sonderstellung ein, weil sich anfangs der Bund am Aufbau beteiligte. VW war von den Nazis gegründet worden, um sowohl ein Massenauto – den Käfer – herzustellen als auch Militärfahrzeuge auf hohem industriellen Niveau zu fertigen. Dazu verwendeten die Nazis die beschlagnahmten Gewerkschaftsvermögen, was dann nach dem Krieg den Gewerkschaften und Betriebsräten zusätzliche Rechte verschaffte. So darf kein Werk im Inland ohne Zustimmung der Arbeit„nehmer“vertreter:innen im Aufsichtsrat geschlossen werden. (Inland heißt übrigens bei VW nach wie vor Westdeutschland; die ostdeutschen Werke unterliegen auch nicht dem Haustarifvertrag des VW-Konzerns).

Eine besondere Stellung von VW gegenüber den anderen Autokonzernen besteht auch in der Staatsnähe: 1960 wurde VW zwar privatisiert und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, aber das Land Niedersachsen hält immerhin noch 20 % Anteile. Diese besondere Stellung bezieht sich auf die Marke VW. Neben dieser gibt es im VW-Konzern, der VW-AG, noch weitere Markenbereiche wie Audi, Skoda, Porsche oder die Nutzfahrzeuge.

Diese Sozialpartner:innenschaft zeigt sich auch darin, dass seit Monaten die Betriebsratsspitze über immer neue Sparprogramme verhandelt und diese Gespräche hinter dem Rücken der Belegschaft erst angesichts der Aufkündigung der Beschäftigungssicherung bis 2029 eingestellt hat.

Ein anderer Aspekt der besonders engen Kollaboration der Betriebsräte und der IG Metall im VW-Konzern sind die unglaublich hohen Gehälter, die die Spitzenbetriebsräte erhalten. Spektakuläre Spitze dürfte sein, dass der frühere VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Osterloh von VW – durch Boni – bis zu 750.000 Euro in einem Jahr erhalten hat (Die Zeit, Mai 2017). Er erweist sich als würdiger Nachfolger von Klaus Volkert, der nicht nur ähnlich viel Geld kassierte, sondern auch Urlaubsflüge und eine Edelprostituierte vom VW-Vorstand bezahlt bekam. Der damalige Personalvorstand, also derjenige, der diese Zahlungen gewährte, war Herr Hartz – ein- und derselbe, nach welchem die Sozialabbaugesetze der Agenda 2010 benannt sind.

Der Clash

Das VW-Management hatte diesen Schritt vorbereitet. So titelte der NDR am 27.11.2023:  „Volkswagen stimmt Belegschaft auf Stellenabbau ein“. Im April 2024 wurden die Abfindungsangebote erhöht, wie wir oben beschrieben haben. Im Juni 2024 gab es Meldungen, dass der „freiwillige“ Abbau nicht reichen würde.

Warum war dieser Angriff in den Augen des Managements nötig? Die Begründungen der Manager:innen für das verschärfte „Sparprogramm“ lautet, dass so das Kapital für die Entwicklung neuer Autos beschafft werden soll. Die Zahlen weisen aber auf etwas anderes hin: Der Gesamtkonzern, also die VW-AG, ist keineswegs pleite. Im Jahr 2023 wurde ein operativer Gewinn von 22,5 Milliarden Euro erzielt, die Marke VW trug  dazu 3,5 Milliarden bei. Was Wirtschaftsfachleute, die Gewerkschaft, der Betriebsrat und die Bosse nicht in Frage stellen, sind die 16 Milliarden, die 2023 an die Aktionär:innen ausgeschüttet worden sind.

Belegschaft und die Betriebsräte erhöht, um immer neue Zugeständnisse zu erreichen? Fest steht, dass jetzt ein Bruchpunkt erreicht worden ist. Die Kapitalseite will mehr, als der Betriebsrat hergeben kann, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die Belegschaft kann sich nicht mehr darauf ausruhen, dass Betriebsrat, IG Metall und Unternehmen das „Beste für alle“ vereinbaren, was schon lange immer mehr zulasten der Belegschaften der Zuliefer:innen, der Werksverträgler:innen, der Leiharbeiter.innen und der ausländischen Belegschaften ging.

Zur Belegschaftsversammlung in Wolfsburg erschienen 25.000, 10.000 mussten vor der Halle warten. Mit Sicherheit ist das weit mehr als die übliche Beteiligung an Betriebsversammlungen. Plakate, Fahnen und Pfeifen waren nicht zu überhören und -sehen. Ganz offensichtlich haben viele Beschäftigte verstanden, was dieser Angriff bedeutet. Für die Werke in Braunschweig, Hannover, Kassel und Sachsen, dort also Zwickau, Chemnitz und Dresden, sind eher noch stärkere Reaktionen zu erwarten.

Was jetzt?

Was auf der Betriebsversammlung in Wolfsburg klar wurde: Der Betriebsrat und die IG Metall haben keine andere Strategie für die Situation als die Fortsetzung ihrer Partner:innenschaft mit den Bossen.

Auf der Pressekonferenz am 4.9. nach dem Briefing durch das Konzernmanagement, die bezeichnenderweise mitten im Autolärm auf dem Werksgelände stattfand, äußerten sich die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo und der IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger. Beide beeilten sich, ihre Gesprächsbereitschaft zu betonen und möglichst schnell mit dem Unternehmensvorstand in Verhandlungen einzutreten. Sie befürchten, dass die angedrohte Kündigung der Tarifverträge ihnen den Spielraum für Verhandlungen einengen würde, da sie ja Rücksicht auf die „Friedenspflicht“ nehmen müssten. Bürokrat:innenlogik!

Sie wiesen auf die machtvolle Kundgebung der Betriebsangehörigen hin, die ihre Kampfbereitschaft bekundet haben. Die beiden Sprecher:innen wichen aber ängstlich jeder näheren Ausführung über eine Mobilisierung der Belegschaften aus.

Auch der anwesende Bundesarbeitsminister Heil erklärte, dass nun die „Stunde der Betriebs-und Sozialpartnerschaft“ geschlagen habe und den Kontroversen die Schärfe nehmen müsse, denn es gehe um mehr als nur VW: „Deutschland muss Autoland bleiben.“

IG-Metall-Führung, Betriebsratsspitze, SPD, sie alle wollen also den alten Weg fortsetzen, den die Konzernspitze aufgekündigt hat. Sie wollen sein Scheitern nicht wahrhaben. Sie betteln im Grunde darum, zu Verhandlungen zurückzukehren, die ja immer nur zu weiteren Opfern, Arbeitsplatzverlusten, Auslagerungen etc. geführt haben.

Dass der Klassenverrat schon vorprogrammiert ist, zeigt die Reaktion der IG-Metall-Spitze. Erste Vorsitzende Christiane Benner ließ am Rande einer tarifpolitischen Konferenz in Hannover durchblicken, welche Verhandlungslösung sich die Gewerkschaftsbürokratie vorstellt. Eine Vier-Tage-Woche wie schon bei der VW-Krise 1994 könne die Option sein. Mit der Arbeitszeitverkürzung sollten die Standorte gerettet werden. Verschwiegen wurde dabei, dass dies um den teuren Preis von drastischen finanziellen Einbußen für die Werksangehörigen erkauft worden war und diese als Vorleistung der Arbeiter:innen auch heute vorausgesetzt werden würden.

Wie kämpfen?

Alle, die den richtigen Schluss aus dem Angriff des Konzerns ziehen und kämpfen wollen, müssen auch aus dem Verhalten von Betriebsratsspitze und IGM-Führung die richtigen Schlüsse ziehen:

Sie werden alle Aktionen immer nur dazu nutzen, um die Bosse wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. „Verhandlungsbegleitende Aktionen“ nennen sie das. Dann rennen wir wieder in die Sackgasse, in die sie uns heute schon geführt haben.

Das heißt erstens, dass die Belegschaft die Kontrolle über den Kampf bekommen muss. Es braucht Aktionskomitees, die von ihr direkt gewählt werden. Natürlich können und sollen das auch Betriebsratsmitglieder und Vertrauensleute sein, aber die sollen nach ihrer Fähigkeit gewählt werden, Aktionen bis hin zum Streik zu organisieren. Die Beschäftigten, vor allem die IG-Metall-Mitglieder müssen auch lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen: Nicht einfach die üblichen Verdächtigen bei Wahlen abhaken, sondern diese auch kontrollieren und gegebenenfalls abwählen! Sonst werden wir erleben, dass nach paar Aktionen, die mit kraftvollen Drohungen enden, plötzlich nichts mehr passiert, weil die Herren und Damen Verhandler:innen was ausgedealt haben. Zweitens müssen alle Verhandlungen öffentlich sein und über Vorschläge müssen alle Beschäftigten abstimmen können.

Für was kämpfen?

Es ist klar, dass das Dogma durchbrochen werden muss, dass die Aktionär:innen eine fette Dividende brauchen und die Belegschaften dazu noch die Profite für Entwicklung und Erneuerung der Produktion erwirtschaften sollen oder mit Arbeitsplatzverlust oder mehr Arbeitsdruck bezahlen.

Also: Kein Opfer für die Aktionär:innen! Das verbindet sich gut mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung als Ausgleich für den Auftragsrückgang. Natürlich bei vollem Monatslohn, genau das können die gigantischen Gewinne finanzieren, statt in die Taschen derer zu wandern, die gar nicht für das Geld arbeiten.

Das löst aber noch nicht das Problem, was in den Werken denn zukünftig produziert werden soll. Die BR-Vorsitzende Cavallo beschuldigt das Management, die Fehler verursacht zu haben, die zu dieser Situation geführt haben. Außenstehende erklären entweder, dass VW den Zug zur E-Mobilität verschlafen habe, oder raten zur Rückkehr zum Verbrenner. Diese Diskussion lässt zweierlei außer Acht:

  • VW will weiter Autos bauen, aber weniger. Überkapazitäten werden in Deutschland, nicht bei den internationalen Töchtern gestrichen. Jetzt zu fordern, diese im Ausland oder in den ostdeutschen Werken zu sreichen, wäre ein fataler Fehler, der schon oft in diesen Konzernen begangen wurde. Die Belegschaft von Ford Saarlouis hat sich z. B. auf einen Konkurrenzkampf mit Ford Valencia eingelassen, in dem beide sich gegenseitig unterboten haben, statt gemeinsam die Kraft für eine Zukunft einzusetzen. Das Management hat sich gefreut. Saarlouis wird Stand heute dichtgemacht.
  • Ob Verbrenner oder E-Antrieb, die in Deutschland gebauten Autos sind generell alle größer und schwerer als nötig. Sie sind Hindernisse auf dem Weg zur Verkehrswende. Diese allerdings wird auch nicht dadurch kommen, dass jetzt ein VW-Werk schließt, während man z. B. neuen Wald in Brandenburg abholzt, um Teslas zu bauen, die ebensolche Klimakiller sind.

Der Kampf bei VW kann aber die Chance eröffnen, die Beschäftigung zu sichern durch den Bau von Fahrzeugen und Transportsystemen, die klimaschonend und zukunftstauglich sind: Schienenfahrzeuge im Nah- und Fernverkehr, kleine leichte Stadtfahrzeuge oder intelligente Lösungen für den Stadtrandbereich.

Dafür sollten in einem ersten Schritt alle Werke, die VW nicht mehr will, entschädigungslos enteignet werden und zusammen mit denen anderer Konzerne (z. B. Ford Saarlouis, Werke von ZF, Bosch, Continental, Mahle, GKN …) die Entwicklung und Produktion solcher Systeme beginnen, bezahlt vom Staat, kontrolliert von den Beschäftigten und Fachleuten aus der Klimabewegung.

Ausserdem zum Diskurs  VW aktuell: "Kampfansage des Kapitals" 

Die IG Metall muss also die Solidarität aller Automobilarbeiter:innen gegen diesen Angriff organisieren. Darüber hinaus ist eine Konferenz aller bedrohten Belegschaften nötig, um für eine Transformation/Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle zu kämpfen. Die IG Metall muss die Solidarität aller Autoarbeiter:innen organisieren – aber das wird nur dann im notwendigen Ausmaß geschehen, wenn Vertrauensleute und aktive Kolleg:innen dies in den Gewerkschaftsgliederungen und auf Betriebsversammlungen einfordern und selbst Kontakte zu anderen Belegschaften organisieren.

Der Beitrag ist ursprünglich erschienen am 6.September. Zum Originalartikel hier….

Wir danken für die Publikationrechte.

Titelbild : eigene Fotocollage

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