Protestkundgebung gegen die Militarisierung des Gesundheitswesens

Protestkundgebung

20.11.20 25 von 8:30 – 11:00 Uhr
Charité Virchow Klinikum /U-Bahn, Amrumer Straẞe

Vom 20. -22.11.25 findet an der Charité das Symposium ,Zivile Notfall- und Rettungsmedizin im Bevölkerungsschutz“ statt, bei dem es auch um die Einbindung, Vorbereitung und Unterwerfung des Gesundheitssystems unter militärische Erfordernisse geht.

Unter dem Vorwand der zivilen Katastrophenvorbereitung wird das Gesundheitswesen zunehmend in militärische Strukturen eingebunden und deren Logik untergeordnet. Gesundheitsarbeiter*innen werden dabei ungefragt als menschliche Ressourcen verplant.

Gleichzeitig wird im Gesundheits- und Sozialwesen gekürzt.

Wir sagen: Schluss damit! Wir als Gesundheitsarbeiter*innen wollen eine gerechte und angemessene Gesundheitsversorgung für alle Menschen.

Das wollen auch die Patient:innen! Der aktuelle Kurs im Gesundheitssystem ist kein Schutz, sondern fordert heute schon zivile Opfer! Gesundheit statt Profite, Kriegsvorbereitung und Krieg!

„The golden Age is coming“

Der Autor nimmt die ökonomischen Folgen der US-amerikanischen Zollpolitik unter die Lupe. Er geht davon aus, dass die Weltwirtschaft in Schwierigkeiten kommt, wenn bei ihrer steigenden Arbeitsproduktivität und erweiternden kapitalistischen Mehrwertproduktion eine entsprechende Ausdehnung des Marktes zur Realisierung des Mehrwertes ausbleibt.

Von Robert Schlosser

Bild: freepic

Wir leben zweifellos nicht im Jahr 1930, als der Smoot-Hawley Tariff Act in den USA in Kraft trat. Das Gesetz sollte durch Zölle auf tausende von Waren zusätzliche Einnahmen für die US-Regierung bringen und gleichzeitig Bauern sowie Industrien schützen. Stattdessen entwickelte sich ein Handelskrieg zwischen den kapitalistischen Ländern. Andere Staaten reagierten auf den Protektionismus der USA ebenfalls mit Zollerhöhungen. Der sich verallgemeinernde Protektionismus sorgte schließlich dafür, dass die schwere Wirtschaftskrise, die mit dem „Schwarzen Freitag“ von 1929 begann, sich in eine lang anhaltende und schwere Depression der Weltwirtschaft verwandelte. Alle ernst zu nehmenden Ökonom:innen und Ökonomiekritiker:innen sind sich darin einig, dass der Handelskrieg sich verheerend auf die erweiterte Reproduktion von Kapital („Wachstum“) auswirkte.1

Ein „revolutionärer Denker“ kommt jetzt zu ganz anderen Erkenntnissen. Unter dem Titel „Trump erklärt Handelskrieg und Zölle mit wirren Thesen“ heißt es in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau vom 3. April:

„So erklärte Trump, dass die USA die Große Depression mit Zöllen hätten vermeiden können. (…) Während seiner Rede deutete Trump an, dass der wirtschaftliche Abstieg der USA bereits 1913 begonnen habe, als die Einkommenssteuer eingeführt wurde. ‚Im Jahr 1913 wurde aus Gründen, die der Menschheit unbekannt sind, die Einkommenssteuer eingeführt, sodass nicht mehr ausländische Staaten, sondern die Bürger selbst das Geld für den Betrieb unserer Regierung zahlen mussten‘, so Trump. Weiterhin sagte er: ‚Dann, im Jahr 1929, fand das alles ein abruptes Ende mit der Großen Depression. Und das wäre niemals passiert, wenn sie bei der Zollpolitik geblieben wären.‘“

„Libertären“ Größen des Geistes wie Trump erscheint es ganz unerhört, wenn Einkommenssteuern für „den Betrieb der Regierung“ eines Landes erhoben werden. Zumindest für den Betrieb der US-amerikanischen Regierung sollen gefälligst „ausländische Staaten“ das nötige Geld zahlen. Was soll man auch von jemandem erwarten, der im Kampf gegen das Coronavirus Desinfektionsmittel spritzen lassen wollte? Es soll hier jedoch überhaupt nicht um die Blödheit gehen, mit der Reaktionäre wie Trump ihre Politik begründen2, sondern um die politische Praxis selbst und was sie für die kapitalistische Ökonomie und die darauf gegründete Gesellschaft bedeutet.

Hätten die USA und andere Staaten auf die 2008 sich verallgemeinernde Wirtschaftskrise mit einer Handelspolitik reagiert, wie Trump sie jetzt in die Tat umsetzt, dann wäre sie nicht so glimpflich abgelaufen. Man hätte dann vermutlich nicht nur „in den Abgrund geschaut“ (Peer Steinbrück), sondern wäre in ihn hinabgestürzt – ähnlich wie nach 1930. Damals funktionierte die unter Führung der USA nach dem Zweiten Weltkrieg installierte „kooperative Wirtschaftsordnung“ noch. Alle wichtigen kapitalistischen Länder reagierten auf gleiche oder ähnliche Weise, um die spontane Krisendynamik zu brechen und die drohende Depression zu verhindern oder zu verkürzen. Der ruinöse Kampf der „verfeindeten Brüder“ blieb aus.

Aus Sicht der marxschen Kapitalkritik verlangt die sich auf Basis steigender Arbeitsproduktivität erweiternde kapitalistische Mehrwertproduktion eine entsprechende Ausdehnung des Marktes zur Realisierung des Mehrwerts. Sind praktisch alle Länder in den kapitalistischen Weltmarkt integriert, nachdem Kolonialismus und Staatssozialismus Geschichte sind, so verlangt Ausdehnung des Weltmarktes vor allem Freihandel, eine Welt, in der das Kapital sich frei bewegen kann und vor allem die Höhe der Arbeitsproduktivität über Erfolg oder Misserfolg in der Konkurrenz entscheidet. Ein solcher Freihandel führt weder zu einer von Wirtschaftskrisen freien Entwicklung noch zu einer Aufhebung der enormen Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Länder, aber er ist notwendige Bedingung für das Wachstum des Kapitals im Allgemeinen oder für allgemeines, weltweites kapitalistisches Wachstum. Indem der Freihandel die Akkumulation von Kapital begünstigt, fördert er zugleich die Tendenzen zur Überakkumulation und damit zur Krise. Den sozialen Preis dafür zahlen primär Lohnarbeiter:innen und freigesetzte, zur Lohnabhängigkeit ohne Lohnarbeit verdammte Subsistenz- und kleine Warenproduzent:innen weltweit.

Länder, die die Industrialisierung nachholen, die Anschluss gewinnen wollen an die entwickeltesten kapitalistischen Länder, können jedoch auf Protektionismus, Schutz des nationalen Marktes nicht verzichten. Ihr Erfolg hängt wesentlich von ihrem Protektionismus und dem vorherrschenden Freihandel auf dem Weltmarkt ab. Diese Zusammenhänge lassen sich recht gut an den tatsächlichen ökonomischen Entwicklungen in der Welt ablesen.3

Die Situation heute ist wesentlich anders als 1930 und auch 2008. Trump reagiert mit seiner Zollpolitik nicht auf eine spontan einsetzende und sich rasch entwickelnde Wirtschaftskrise. Sein Protektionismus zielt vorwiegend darauf ab, den drohenden Verlust der US-Dominanz in der Weltwirtschaft zu verhindern. Was in der ökonomischen Konkurrenz immer weniger gelingt, soll nun durch Staatsintervention mit politischen Mitteln erzwungen werden. Die USA seien über Jahrzehnte von ihren Handelspartnern „geplündert, gebrandschatzt und vergewaltigt“(Trump) worden. Wie die USA dennoch seit Jahrzehnten ihre führende Position in der Weltwirtschaft ausbauen konnten, wird so zu einem großen Rätsel. Erst mit dem nicht zuletzt durch US-amerikanische Investitionen in Gang gesetzten Aufstieg Chinas zur zweitgrößten kapitalistischen Wirtschaftsmacht ist diese Dominanz in Gefahr. Der Protektionismus der USA richtet sich daher auch vor allem gegen China.

Wenn hier von den USA oder China die Rede ist, dann sollte nicht vergessen werden, dass es kapitalistische Unternehmen sind, die Waren produzieren und verkaufen. Nicht Staaten! Trump und seinesgleichen schwätzen immer nur von Staaten. Deren Regierungen setzen Rahmenbedingungen für den Handel, die sich entweder stärker am Freihandel oder am Protektionismus orientieren. Vom Freihandel profitieren am meisten die Einzelkapitale mit der höchsten Arbeitsproduktivität und besonders jene, die durch technologischen Vorsprung in Schlüsseltechnologien marktbeherrschend sind. Der Vorsprung in der Arbeitsproduktivität und technologischer Vorsprung in Schlüsseltechnologien waren lange Zeit der Garant für die Vorherrschaft der US-amerikanischen Wirtschaft. Diese Zeiten nähern sich dem Ende. Trump will alle Unternehmen, die nicht in den USA produzieren und in ihren Branchen dem US-Kapital in der Konkurrenz überlegen sind, „bestrafen“. Er will ihren ökonomischen Erfolg mit politischen Mitteln brechen. Dafür nimmt er eine Rezession in Kauf und erwartet von der Bevölkerung der USA, dass sie durchhält, bis das versprochene goldene Zeitalter anbricht. Wie nach dem Zweiten Weltkrieg? Trump ist nicht nur eine Knalltüte, sondern auch eine sehr gefährliche Knalltüte!

China ist im Bewusstsein seiner Stärke offensichtlich dazu bereit, mit gleicher Münze heimzuzahlen und Zölle in gleicher Höhe zu erheben. Sollte auch die EU als dritte große Wirtschaftsmacht der Welt sich zu einer ähnlichen Reaktion durchringen, dann braucht es nur noch etwas Zeit, bis die drastischen Zölle sich in ebenso drastischen Preiserhöhungen für Produktions- und Konsumtionsmittel niederschlagen. Ist es so weit, dann werden Waren in großem Umfang unverkäuflich und die Überproduktionskrise wird sich als Weltwirtschaftskrise entfalten. In Anbetracht der enormen Überakkumulation von Kapital in allen seinen Formen ist eine gigantische Entwertung und Vernichtung von Kapital dann nicht ausgeschlossen. Die sozialen Konsequenzen kann man sich kaum ausmalen.

Als Kommunist sehe ich das heute mit sehr gemischten Gefühlen. Seit dem Scheitern der europäischen Revolutionen von 1848/49 waren Marx und Engels überzeugt: „Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krise. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese.“4 Seit diese Sätze geschrieben wurden, hat es viele zyklische Krisen der Kapitalakkumulation gegeben. Nicht einmal die große Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre hatte eine Revolution zur Folge, wie sie Marx und Engels damals vorschwebte. Es existiert kein Automatismus, der eine kapitalistische Krise in eine beginnende soziale Revolution umschlagen lässt. Sicher erscheint aber auch, dass eine große soziale Revolution, die auf die ökonomische Befreiung von Lohnarbeit zielt, nur möglich wird auf Basis einer allgemeinen Weltwirtschaftskrise, die die Lebensverhältnisse der Masse der Lohnarbeiter:innen in allen entwickelten kapitalistischen Ländern grundlegend erschüttert. Ohne diese Voraussetzung kann es überhaupt nicht zu einer kommunistischen Revolution kommen.

Die bisherigen revolutionären Versuche von Lohnarbeiter:innen, den Kapitalismus zu überwinden und sich ökonomisch zu befreien (hauptsächlich die Pariser Kommune, die Russische Revolution und Revolutionen in Deutschland und Ungarn), entwickelten sich alle auf Basis eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs, der allerdings jeweils Folge eines Krieges war. In diesen revolutionären Versuchen handelten Lohnarbeiter:innen als politisch selbstständige Klasse, mit einem mehr oder weniger entwickelten Klassenbewusstsein, von dem heute nicht mehr viel übrig geblieben ist. Ein radikales Bedürfnis nach ökonomischer Befreiung und allgemeiner sozialer Emanzipation wird von Lohnarbeiter:innen in den entwickelten kapitalistischen Ländern kaum noch artikuliert. Wer das tut, gehört zu einer einflusslosen Minderheit, die obendrein in Sekten zersplittert ist und teilweise Ziele propagiert, deren praktische Umsetzung im Staatssozialismus man nur als antikommunistisch bezeichnen kann.

Man kann als individuelle Lohnarbeiterin in einem entwickelten kapitalistischen Land heute teilweise ein ganz passables Leben führen. Das ändert aber nichts daran, dass die Arbeits- und Lebensumstände der Lohnarbeiter:innen und Erwerbslosen weltweit beschissen sind und nach ökonomischer Befreiung verlangen. Die Notwendigkeit einer sozialrevolutionären Umgestaltung der Gesellschaft mit dem Ziel der „Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht“ (Marx) auf der Basis von Gemeineigentum an Reproduktionsmitteln in Selbstverwaltung ist nicht vom Tisch.

Sie wird aber erst zu einer praktischen Notwendigkeit vor dem Hintergrund einer tiefen Krise der von Kapitalverwertung abhängigen gesellschaftlichen Reproduktion. Es ist dabei ganz gleichgültig, ob diese Krise sich einstellt als Resultat spontaner Marktentwicklung, der Zerstörung der stofflichen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten oder als Resultat von protektionistischer Staatsintervention in den „freien Markt“, wie sie Trump und Konsorten gerade in die Tat umsetzen. Letztlich ist das ganze Schlamassel ein Produkt des Privateigentums.

Gemischt sind meine Gefühle, weil ich einerseits die Bedrohung sehe, die von einer tiefen Krise der gesellschaftlichen Reproduktion ausgeht, und andererseits die geringen Chancen für eine soziale Revolution. Diese Chancen werden außerdem dadurch getrübt, dass die Macht in Händen von einem Typen wie Trump für eine weltweite Rechtsentwicklung steht, die entweder bereits in etlichen Ländern solche Reaktionäre an die Macht gebracht oder zumindest bedrohlich gestärkt. Sofern sich dagegen überhaupt Widerstand entwickelt, will er jene Formen bürgerlicher Demokratie erhalten, in deren Schoß ebendiese reaktionären Kräfte erstarken. Wie die „Krise der Demokratie“ und der für sie einstehenden Parteien mit der immer bedrohlicheren Entwicklung der Kapitalakkumulation zusammenhängt, die immer neue Probleme schafft, ohne dass die Politik auch nur eines von ihnen wirklich lösen könnte, wird in aller Regel ignoriert. Das Bekenntnis zum Privateigentum verbindet letztlich die Reaktionäre mit den Liberalen und Sozialliberalen. Ohne radikale Kritik am Privateigentum hat der Widerstand gegen die Rechtsentwicklung wenig Aussicht auf Erfolg.

  • 1. Kürzlich warnte der langjährige Generaldirektor der Welthandelsorganisation Roberto Azevdo: „Erinnern Sie sich, was in den 1930er-Jahren passierte, als die USA die Zölle mit dem Smoot-Hawley-Zollgesetz angehoben hatten und sich dann die anderen Länder mit Gegenzöllen rächten? Es kam zu einer weltweiten Zoll-Eskalation. Und wir verloren zwei Drittel des weltweiten Handels in nur fünf Jahren.“
  • 2. Über den „Arcchitekten“ von Trumps Zoll-Politik (Peter Navarro)  sagt eine andere geistige Größe aus Trumps Mannschaft (Elon Musk), er sei „wirklich ein Idiot“ und „dümmer als ein Sack Ziegel“. (Vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/musk-kritik-100.html.)
  • 3. Vergleiche zu den hier angesprochenen Punkte auch mein Arbeitsmanuskript über Freihandel, Protektionismus und Kapitalakkumulation: https://www.robert-schlosser.de/Web_Buchprojekt/_private/Freihandel%20und%20Protektionismus.pdf.
  • 4. Karl Marx, Friedrich Engels: Revue, in: MEW, Bd. 7, S. 440.

Erstveröffentlicht im Portal communaut am 3.5. 2025
https://communaut.org/de/golden-age-coming

Wir danken für das Publikationsrecht.

Arbeiten die Deutschen zu viel?

Man kann die Frage über die Arbeitsbelastung genau anders herumstellen als Friedrich Merz, und damit vom Kopf auf die Füsse stellen. (Peter Vlatten)

Von Suitbert Cechura, 28.Mai 2025 , gewerkschaftsforum.de

Diese Frage stellt sich hierzulande natürlich niemand, obgleich die Produktivität der Arbeit ständig steigt und die Krankheitsstatistiken der Krankenkassen die negativen Gesundheitsfolgen der Arbeit dokumentieren. Stattdessen sind die Medien voll von Äußerungen von Industriellen, Politikern und Journalisten, dass die Deutschen zu wenig arbeiten. Was ist da eigentlich der Maßstab, an dem das zu viel oder zu wenig gemessen wird?

Die Produktivität der Arbeit steigt ständig

Diese Tatsache wird eigentlich von niemandem bestritten. Das heißt ja nichts anderes, dass für die Herstellung der verschiedenen Güter immer weniger Zeit aufgewandt werden muss. Um die Menschheit mit dem notwendigen zum Leben oder auch Annehmlichkeiten zu versorgen, braucht es also immer weniger Arbeit. Warum also die Forderung nach Mehrarbeit? Auch das ist kein Geheimnis: Es geht eben nicht um die Versorgung der Menschen mit einem Dach über den Kopf, Essen, Kleidung, Kultur und Urlaub, sondern alles ist Mittel des Geschäfts, Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen. Und für diesen Zweck gibt es nie ein Genug, sondern dieser Zweck ist maßlos und daher kann es nie genug lohnende Arbeit geben. Deshalb gibt es auch die Forderung nach ständigem Wachstum.

Vom Standpunkt der Versorgung könnte es auch reichen, wenn alle Menschen ausreichend versorgt und vergnügt sind, dass nicht die Wirtschaft, sondern die Freizeit wachsen könnte. Nicht so im Kapitalismus. Technische Neuerungen dienen daher auch nicht der Entlastung derer, die arbeiten, sondern sind ein Mittel in der Konkurrenz um Marktanteile, in der die Billigkeit der Produkte Konkurrenzvorteile verschafft. Billigkeit heißt eben auch, dass die Kosten für die Arbeitskräfte ebenfalls billig zu sein haben. Viel Arbeit für wenig Geld ist daher die ständig gültige Devise.

Das Wachstum der Wirtschaft in Deutschland stockt

Ein Zustand, der Wirtschaftsbossen, Politikern, Medien und Gewerkschaftern keine Ruhe lässt. Wirtschaftsbosse haben ein unmittelbares Interesse an der Vermehrung ihres Reichtums. Die Politik ist davon abhängig, dass in dem von ihr regierten Land möglichst viel Wachstum stattfindet, an dem sie sich durch Steuern bedienen kann. Und das umso dringlicher, da sich Deutschland auf einen Krieg vorbereitet, der jetzt schon viel kostet. Die Medien begleiten die Politik kritisch, ob ihr Handeln auch vom Erfolg für Deutschland gekrönt ist. Arbeitnehmer sind vom Gang des Geschäfts abhängig, das gilt Gewerkschaftern nicht als Übel, sondern sie haben es zum Anlass genommen, sich mehr um das Wohl von Unternehmen als um das ihrer Mitglieder kümmern.

Wenn nun alle Parteien ein Mehr an Arbeit von denen fordern, die arbeiten müssen und nicht von der Arbeit anderer leben, dann kann einem dies auch zu denken geben. Schließlich verzichten viele Großunternehmen gerade auf die Beschäftigung einer erheblichen Zahl ihrer Mitarbeiter. Entlassungen im großen Stil bei VW, Thyssen-Krupp, Siemens, ZF, Schäffler, Bosch, Ford usw. füllen die Titelseiten von Zeitungen. Mit der Forderung nach Mehrarbeit ist offensichtlich etwas anderes gemeint, als dass deutschen Unternehmen die Beschäftigten ausgehen würden. Gedacht ist bei dieser Forderung wohl an etwas anderes: Mehr Arbeit fürs gleiche oder weniger Geld. Das soll die Arbeit lohnender machen und die Gewinne für die Unternehmen wieder sprudeln lassen. Und dies Anliegen stößt in der deutschen Öffentlichkeit auf weitgehende Zustimmung und keinerlei Kritik.

Die nationale Einigkeit

Angestoßen wurde die Debatte im letzten Jahr von Wirtschaftsvertretern wie dem Telekom-Chef Tim Höttges . Die Politiker ließen sich nicht zweimal bitten mit vorne dran der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Und so fand die Forderung denn auch Eingang in den Koalitionsvertrag. Und auch die Gewerkschaft Verdi wollte sich dieser Forderung nicht verschließen und hat im Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes einer Verlängerung der Arbeitszeit zugestimmt.

Als nun der neue Kanzler vor wenigen Tagen dies als seine Forderung bekräftigte, gab es auch gleich eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die dieser Forderung Objektivität verleihen sollte.  Die Medien griffen diese Studien sofort begierig auf (Spiegel, Bild am Sonntag 18.5.2025, rtl-aktuell 18.5.2025). Bloß Zahlen sprechen nicht für sich, wie sie erhoben und in welches Verhältnis sie gesetzt werden spricht jedoch Bände: „Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat mit Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit  und Entwicklung  (OECD) berechnet, wie viele Stunden in den einzelnen Ländern je Einwohner im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre) gearbeitet wurde.“ (BamS) Wenn die Stunden aller Menschen einer bestimmten Altersgruppe unterschiedslos zusammengezählt werden, dann heißt dies, dass diese Alterspopulation für eines da ist, ob Männlein, Weiblein, Jugendlicher oder Alter: zum Arbeiten zum Wohle der Nation. Erstellt wurde eine Rangliste, geordnet nach der Stundenzahl  in den einzelnen Ländern, in der Deutschland auf einem der letzten Plätzen rangiert.

Als Erfolgsmeldung für die Deutschen gilt dies allerdings nicht, wenn sie  weniger arbeiten müssen und mehr Freizeit haben. Schließlich ist der Erfolg Deutschlands nicht der Erfolg der Deutschen in Sachen Freizeit. Die Rangliste soll für die Konkurrenzsituation der einzelnen Länder stehen in Sachen Gewinn ihrer Unternehmen.  Und weil die Studie erstellt wurde, um den Anspruch auf Mehrarbeit zu untermauern, ist es auch völlig unerheblich, was die betreffenden Arbeitnehmer in den einzelnen Stunden leisten. Da werden Äpfel und Birnen zusammengezählt. Schließlich macht es einen Unterschied, ob ein Auto von Hand zusammengeschweißt wird oder durch einen Roboter. Im ersten Fall braucht es eine ganze Mannschaft, diese wird ihren Lohn los und überflüssig, wenn es reicht, dass ein Mensch die Roboter beaufsichtigt. Eine teure Investition, die sich durch die Lohneinsparungen schnell lohnt.

An der Bestimmung des Personenkreises, deren Arbeitsstunden wie auch immer berechnet wurden, fällt auf, dass es für die Untersuchung unerheblich scheint, wie lange Kinder oder Jugendliche sich in der Ausbildung befinden. Schließlich lernen sie ja, statt zu arbeiten, wozu sie offenbar da sind. Jede nicht geleistete Arbeitsstunde ist in dieser Rechnungsweise ein Minus.

Ein Ergebnis stößt allerdings auf, dass die Deutschen in den letzten Jahren nicht weniger gearbeitet haben. So antwortet der IW-Arbeitsmarktexperte  Holger Schäfer auf die Frage von Bild am Sonntag „Haben wir früher mehr gearbeitet?“: „Im Vergleich zu den 1970er Jahren arbeiten wir weniger, aber seit der Wiedervereinigung arbeiten wir tendenziell immer etwas mehr.“ (BamS) Das hindert allerdings einen Kanzleramtsminister Thorsten Frei in einem Artikel gleich neben der Darstellung der Studie nicht daran, das glatte Gegenteil zu behaupten: „Ungeachtet der Tatsache, dass es bei uns viele Menschen gibt, die sehr leistungsstark sind und sich reinhängen, ist die Pro-Kopf-Arbeitszeit der Deutschen in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach unten gegangen.“ (BamS) So frei gehen Politiker eben mit der Wahrheit um und ihre Behauptungen werden zu Fakten. Wenn Studien nicht in allen Belangen das hergeben, was die Politik gerne hätte, dann ist die Politik so frei, sich die Fakten selber zu erfinden, und die Medien sind so frei, jedes Geschwätz von Politikern als Fakten zu verbreiten.

Die Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) sieht sich denn auch gleich gefordert, ihrem Kollegen beizuspringen und zu überlegen, wie Mütter schneller wieder in Arbeit gebracht werden können (SZ 19.5.2025) – zwar haben diese Mütter reichlich zu tun, aber Arbeit ist nicht gleich Arbeit, es geht eben immer um lohnende Arbeit für andere.

Der Autor:

Suitbert Cechura ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut. Er arbeitete lange im Bereich der beruflichen Eingliederung junger Menschen mit Behinderung. Er hat mehrere Bücher geschrieben. Sein letztes Buch heißt „Unsere Gesellschaft macht krank – Die Leiden der Zivilisation und das Geschäft mit der Gesundheit“ und ist 2018 im Tectum Verlag erschienen.

Der Beitrag erschien auf https://overton-magazin.de/
und wird mit freundlicher Genehmigung des Autors und gewerkschaftsforum.de hier abgedruckt.

Titelbild: Bild: © Peggy_Marco @ pixabay.com / Bearbeitung L.N.

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