Gegen Spardiktate und Nationalismus

Dokumente internationaler gewerkschaftlicher Solidarität über mehr als ein Jahrzehnt.

Seit 2012 fahren wir, Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Gewerkschaften und unterschiedlichen politischen Zusammenhängen, jährlich nach Griechenland und organisieren hierzulande Gegenbesuche und Veranstaltungen. Wir besuchen in Griechenland Betriebe, soziale Einrichtungen, Selbsthilfegruppen und Gewerkschaften, Gedenkstätten wie in Distomo und Lyngiades, verneigen uns vor den Opfern, denen die Mahnmale gewidmet sind, gemeinsam mit ihren Nachkommen, mit denen uns der Widerstand gegen Faschismus, Rassismus, Nationalismus und jegliche Art von Diskriminierung von Minderheiten innerhalb unserer Gesellschaften verbindet. Wechselseitiger Austausch als kleines Zeichen internationaler Solidarität. Zeichen der Verbundenheit im Widerstand von unten gegen die zunehmenden Angriffe von oben, die zur Ausplünderung und Verelendung ganzer Völker führen. Zeichen im Bemühen um ein politisch vereinigtes, friedliches und soziales Europa seiner arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerungen statt eines Europas unter dem Diktat des Kapitals.

In den folgenden PDFs lässt sich ein guter Einblick in diese Arbeit gewinnen.

2022 – 2021 – 2019

Tagebuch 2022
Tagebuch 2021
Tagebuch 2019

2018 – 2017 – 2016 Teil 2

Tagebuch 2018
Tagebuch 2017
Tagebuch 2016 – Teil 2

2016 Teil 1 – 2015 – 2014

Tagebuch 2016 – Teil 1
Tagebuch Gegenbesuch 2015
Tagebuch 2014

2013 – 2013 Gegenbesuch

Tagebuch 2013
Tagebuch – Gegenbesuch 2013

Ewiges Palituch

Bis vor Kurzem war sie eine versunkene Protestkultur: Kurzer Abriss der linken Palästina-Solidarität

Von Gerhard Hanloser

Linke Palästina-Solidarität gehört nach dem Willen so einiger Tageskommentatoren lediglich in den Bereich des Antisemitismus. Tatsächlich zählt sie zu dem internationalistischen Engagement einer Bewegung, die sich als antiimperialistisch, antirassistisch und antikolonial definiert und bereits als Teil der globalen Revolte von 1968 entstand. Sie ist beseelt von einem Geist des Einspruchs gegen eine Zeit, in der »nur Unrecht war und keine Empörung«, um mit Bertolt Brecht zu sprechen. Als empathischer Bewegung mit den Unterdrückten ist ihr ein gerüttelt Maß an Einseitigkeit eingeschrieben.

Jean-Paul Sartre, Herbert Marcuse und noch Ulrike Meinhof als »Konkret«-Kolumnistin wollten während des Sechs-Tage-Krieges 1967 die blinden Flecken einer zu dichotomen Zeichnung des Nahost-Konfliks aufhellen. Schließlich gebe es bei dem konfligierenden Anspruch zweier Völker auf ein Land keine einfache Lösung; eine Lösung müsse die legitimen Interessen beider Seiten berücksichtigen. Doch Bewegungslogiken widerständiger Praxis vertragen sich zuweilen kaum mit Differenzierung und Komplexitätssteigerung. »Antizionismus« hieß damals die spezifische Radikalisierung.

Der breiteste Teil der solidarischen Bewegung mit dem Schicksal der Palästinenser, die seit dem arabisch-jüdischen Krieg von 1948 eine Vertriebenengeschichte vorzuweisen hatten, sprach sich allerdings für eine Zweistaatenlösung aus. Diese Form einer moderaten Palästina-Solidarität war in den Gewerkschaften und bis weit in die Sozialdemokratie anzutreffen. Ein kleinerer Teil nahm den Konflikt als Kampf eines unterdrückten Volkes wahr, dem das Selbstbestimmungsrecht genommen wurde und das sich nun eines unterdrückerischen Staates erwehren musste, der nur als »kolonialistisches Gebilde« zu betrachten sei und dem das Existenzrecht abgesprochen wurde. Ein noch kleinerer Teil sah sich moralisch und politisch genötigt, in der privilegierten Situation als Bewohner der Ersten Welt »im Herzen der Bestie« (Che Guevara) militant kämpfend Teil des Konflikts zu werden.

Letzteres, die Praxis des »bewaffneten Kampfes«, die sich nur aus der Entwicklung und Krise der Protestbewegung der späten 60er begreifen lässt, überwuchert in der historischen Wahrnehmung die Vielzahl der politischen Formen der Palästina-Solidarität.

In der DDR gehörte Palästina-Solidarität in Form des »Antizionismus« und der Unterstützung der sozialistischen PLO von Jassir Arafat zur Staatsideologie und Außenpolitik. Interessanterweise hielt sich das Gros der dem Antifaschismus zuneigenden DDR-Künstlerinnen und -Künstler mit propalästinensischen Kunstwerken zurück. Es ist ein Leichtes, Bilder zum algerischen oder vietnamesischen Befreiungskampf von engagierten und staatsnahen Künstlern wie Willi Sitte, Lea Grundig oder Karl Erich Müller zu finden; DDR-Kunst für Palästina und gegen Israel ist Mangelware – was gegen ein beliebtes Bild der »antisemitischen DDR« spricht, das Historiker wie Jeffrey Herf zeichnen.

Die linke außerinstitutionelle Palästina-Solidarität gehörte bis vor Kurzem zu einer versunkenen Protestkultur der Bundesrepublik. Kaum jemand erinnert sich noch an das Wandbild, das an den besetzten Häusern der Hamburger Hafenstraße zur Zeit der Intifada 1988 auftauchte. Darauf wurde der Boykott israelischer Waren, Kibbuzim und Strände gefordert und Israel, der militant antizionistischen Weltanschauung folgend, in Anführungszeichen gesetzt.

Innerhalb der radikalen Linken wurde von 1988 bis 1991 über die Grenzen des linken Antizionismus ernsthaft diskutiert und gestritten, eröffnet wurde dies vom Hamburger Kommunistischen Bund (KB), der die Hafenstraßenparole zurückwies. Für die militante Linke war die Wortmeldung der drei Gefangenen aus dem antiimperialistischen Widerstand, Michi Dietiker, Ali Jansen, Bernhard Rosenkötter, nicht ohne Bedeutung, die erklärten: »Linke Kritik an der Herrschaftsideologie des israelischen Siedlerkolonialismus ist das fundamentale Gegenteil von antisemitischen Klischees und antisemitischen Denkstrukturen, oder es ist tatsächlich verkappter Antisemitismus.« In den folgenden Jahren sorgte die lautstarke antideutsche Szene mit ihrer Meinung, wonach jede Kritik am Staat Israel antisemitisch sei, für eine moralische und politische Diskreditierung eines israelbezogenen Antiimperialismus.

Andere Orte des Konflikts und des Kampfes um Befreiung bewegten Internationalist*innen wie die zapatistischen Selbstverwaltungsversuche in Chiapas/ Mexiko oder die Kämpfe der kurdischen Milizen rund um Rojava in Syrien. Der alte Antiimperialismus der 70er Jahre hatte durch die Entwicklung von Sehnsuchtsorten wie dem sandinistischen Nicaragua, das sich zur Familiendespotie der Ortegas entwickelte, einen gehörigen Dämpfer bekommen. Russlands Krieg gegen die Ukraine und regional neoimperial oder auf Hegemonie abstellende Regime wie Iran, die Türkei oder Saudi-Arabien ließen einen alten Antiimperialismus, der nur USA und Israel in den Fokus der Kritik nimmt, schlicht antiquiert und sehr ideologisch aussehen.

Die neueren Formen der Palästina-Solidarität gehorchen so auch weniger der Grammatik des alten Antiimperialismus. Sie sind global stark geprägt von der antirassistischen Bewegung Black Lives Matter. Mit dieser Bewegung entstand ein neues Selbstbewusstsein bei von Rassismus betroffenen Personen und Gruppen. Linke und liberale jüdische Künstler*innen üben sich in dekonstruktivistischen Praxen des »Undoing Zionism« und bilden intersektionale Bündnisse der Solidarität, Empathie und des Kampfes um Befreiung.

Nun mag für so manches Engagement gelten, was Brecht in die Verse packte, wonach der Hass gegen die Niedrigkeit die Züge verzerre und der Zorn über das Unrecht die Stimme heiser, zuweilen hysterisch mache. Aber jedem lauten und deutlichen Einspruch gegen den Krieg Israels gegen die Zivilbevölkerung in Gaza das Etikett »antisemitisch« anzupinnen, verweist nicht nur auf eine intellektuelle Verflachung der deutschen Debattenkultur, sondern auf eine generelle Tendenz des autoritären Liberalismus, der unter moralisierenden Anklagen Meinungs- und Kunstfreiheit einzuschränken gedenkt.

Das denunziatorische Markieren von Pro-Palästina-Stimmen als »antisemitisch« kennt man von der reaktionären Springer-Presse der späten 60er Jahre und vom antideutschen Szenediskurs der 90er und 00er Jahre. Eine Mischung aus beidem scheint eine gewisse Hegemonie in Deutschland erlangt zu haben, was sich nicht nur darin zeigt, dass Antisemitismusbeauftragte dem antideutschen Milieu entstammen und Personen aus dieser wenig um Redlichkeit bemühten Politströmung als Experten zum Thema »linker Antisemitismus« bis ins Öffentlich-Rechtliche durchgereicht werden.

Die neue propalästinensische Empörungsbewegung, die mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams auf ungeteilte Menschenrechte und »Waffenstillstand« pocht, sieht sich einem ideologischen und institutionellen Gegendruck ausgeliefert, der in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellos ist. Die Gegnerschaften sind kurios: Deutsche, meist dem rechten politischen Lager entstammende Israel-Unterstützer, die sich einer aus Schuld schöpfenden Staatsräson verpflichtet sehen, stehen zuweilen jüdischen Internationalist*innen und People of Color gegenüber, die einem radikalen menschenrechtlichen Universalismus folgen.

Erstveröffentlicht im nd v. 1. Mäz 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180414.protestpolitik-palaestina-solidaritaet-ewiges-palituch.html?sstr=Ewiges|Palituch

Wir danken für das Publikationsrecht.

Gegensätzliche Strategien der USA und Chinas: Aussichten auf Frieden und die Lösung globaler Probleme

29.12.23 – USA – Pressenza New York, von Roger D. Harris

Es ist geradezu ein tragisches Defizit, dass die westliche Presse uns weigehend uninfomiert lässt über die weltpolitischen Vorstellungen und Konzepte von China. In der Regel wird uns einseitig das Narrativ der USA und des mit ihr verbündeten „Wertewestens“ erzählt.

Am 13.Januar ist Wahl in Taiwan. Die USA versuchen alles, dass die auf Konfrontation mit China ausgerichtete aktuelle Regierungspolitik durch die Wahl bestätigt und fortgesetzt werden kann. Allerdings erreicht die Regierungsfraktion in den Umfragen lediglich noch 33 Prozent Zustimmung bei den taiwanesischen Wählern. Eine übergroße Mehrheit lehnt die Konfrontationspolitik ab. Eine fast gleichgroße relative Mehrheit wie die Konfronteure wünscht sich sogar eine enge politische Kooperation mit dem chinesischen Festland. Der Rest will mindestens eine friedliche Koexistenz. Zuletzt gelang es den Hardlinern, dass ein gemeinsames Vorgehen der Opposition verhindert wurde. So hoffen sie weiter auf den Sieg, da aufgrund des taiwansesischen Wahlrechts auch jemand Präsident werden kann, der nur die relaltive Mehrheit ereicht und nicht einmal ein Drittel der abgegebenen Wahlstimmen repräsentiert. Es ist zu befürchten, dass uns suggeriert wird, dass dieser Präsident dann den Mehrheitswillen und die „Freiheit“ der taiwanesischen Bevölkerung gegen den „undemokratischen“ Kohtrahenten China verteidigen würde. [1]https://www.deutschlandfunk.de/taiwan-wahl-2024-102.html [2]https://hbapp.handelsblatt.com/cmsId/100003024.html?utm_medium=app&utm_source=verschicken&utm_campaign=freiartikel

Aktuelles Update. Die Fortschrittspartei stellt nach einer Aufholjagd mit 39 oder 40 Prozent wie befürchtet wieder den Präsidenten. Das ändert nichts an der grundsätzlichen Einschätzung. Die Vorgängerin erzielte noch 57 Prozent. Also ein Minus von 17 Prozent. Die Opposition, die jegliche Konfrontation ablehnt, erzielte zusammen 60 Prozent. Auch dürfte der neue Ministerprasident nicht mehr über eine Mehrheit im Parlament verfügen! [3]https://www.handelsblatt.com/politik/international/taiwan-wahl-taiwans-vizepraesident-lai-ching-te-wird-neuer-praesident/100003031.html 

Der folgende Artikel unserer Partnerseite Pressenza soll helfen, unser Informationsdefizit – was die aktuellen geopolitischen Strategien der beiden weltweit bedeutendsten Kontrahenten betrifft- zu schliessen. Wir hoffen und fordern ausdrücklich dazu auf zu helfen, den Beitrag zu verbreiten. (Vorbemerkung Peter Vlatten)

Gegensätzliche Strategien der USA und Chinas: Aussichten auf Frieden und die Lösung globaler Probleme

29.12.23 – USA von Roger D. Harris

Xi Jinping: „Es ist unrealistisch, dass eine Seite die andere umgestaltet… der Planet Erde ist groß genug, damit beide Länder erfolgreich sein können.“
Joe Biden: „Wir werden unsere Zukunft nicht den Launen derjenigen überlassen, die unsere Vision nicht teilen.“

In der jüngsten Salve, mit der die USA auf eine Konfrontation mit China vorbereitet werden, sagte Nicholas Burns ganz offen: „Ich bin nicht optimistisch, was die Zukunft der Beziehungen zwischen den USA und China angeht.“ Burns sollte es wissen. Er ist Washingtons Botschafter in Peking.

Die Haltung der USA zu den bilateralen Beziehungen mit China, so Burns, sei eine des „strategischen Wettbewerbs in den kommenden Jahrzehnten… im Wettstreit um globale und regionale Macht“. In der Tat bereiten sich die USA auf einen Krieg mit China vor. Der hochrangige US-Luftwaffengeneral Mike Minihan sieht einen Krieg bereits für das Jahr 2025 voraus.

Im Gegensatz dazu steht der chinesische Ansatz der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen bei der Lösung der dringendsten globalen Probleme. Kurz gesagt, die Führungen der beiden Länder präsentieren unterschiedliche Paradigmen für die Beziehungen. Die chinesische Strategie ist mit einer sozialistischen Form der Zusammenarbeit und Gemeinschaft vereinbar. Das US-Konstrukt spiegelt einen kapitalistischen Fundamentalismus der sozialen Wettbewerbsbeziehungen wider.

Welches Paradigma sich durchsetzen könnte, wird im Folgenden auf der Grundlage von Beobachtungen erörtert, die wir im Rahmen einer kürzlich durchgeführten Delegation des US-Friedensrats in China gemacht haben, wo wir mit unserem Partner, der chinesischen Volksvereinigung für Frieden und Abrüstung, zusammentrafen.

Sichtweise aus Peking

Nach chinesischer Auffassung, die auf dem so genannten „Xi Jinping-Gedanken“ beruht, ist die Partnerschaft zwischen den USA und China die wichtigste bilaterale Beziehung der Welt. Wie der chinesische Präsident Xi Jinping erklärt hat: „Wie China und die USA miteinander auskommen, wird die Zukunft der Menschheit bestimmen“. Diese Ansicht beruht auf der Akzeptanz eines hohen Maßes an Integration zwischen den Volkswirtschaften der beiden Länder. Sie sehen diese Verflechtung“ als etwas, das gefördert werden sollte, weil beide Länder von der Entwicklung des jeweils anderen profitieren können.

Aus chinesischer Sicht überwiegt in den bilateralen Beziehungen eine Haltung der freundschaftlichen Zusammenarbeit. Ein „gemeinsamer Wohlstand“, so glauben sie, kann auf drei Prinzipien aufgebaut werden. Das erste ist der gegenseitige Respekt. Ein entscheidender Aspekt dieses Pfeilers der gegenseitigen Beziehungen besteht darin, die roten Linien der beiden Weltmächte nicht zu überschreiten. Zweitens: die friedliche Koexistenz. Dazu gehört die Verpflichtung, Meinungsverschiedenheiten durch Kommunikation und Dialog zu bewältigen. Und drittens die Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitieren. So hat beispielsweise der verstärkte Handel mit China die jährliche Kaufkraft der US-Haushalte erhöht.

Die Tatsache, dass die USA und China eine derart dominante Stellung in der Welt einnehmen, bringt auch eine entsprechende Verantwortung mit sich. Die Chinesen sind der Meinung, dass die führenden Länder eine besondere Verantwortung für die Menschheit haben. Sie weisen darauf hin, dass globale Probleme wie der Klimawandel ohne die Zusammenarbeit zwischen den USA und China nicht gelöst werden können. Tatsächlich tragen die USA und China zusammen zu 40 % der derzeitigen Treibhausgasemissionen der Erde bei.

Peking kontrastiert seine Haltung mit dem, was es ausdrücklich als „Nullsummen-Mentalität“ der Regierung Biden kritisiert. In einem Nullsummenspiel ist der Gewinn des einen Spielers gleichbedeutend mit dem Verlust des anderen. Dies steht im Gegensatz zur chinesischen Vision von „Win-Win“-Beziehungen, die auf Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen beruhen. Die Chinesen lehnen es ab, dass die USA die bilateralen Beziehungen als einen antagonistischen „strategischen“ Wettbewerb definieren.

Konfrontation zwischen Biden und Xi

Die gegensätzlichen Paradigmen wurden auf dem APEC-Gipfel in San Francisco am 15. November deutlich, wo sich die beiden Staats- und Regierungschefs zum ersten Mal seit zwei Jahren von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Wir wissen nicht, was bei dem Treffen hinter verschlossenen Türen besprochen wurde. Aber in einer anschließenden Pressekonferenz sagte US-Präsident Joe Biden über die Person, mit der er gerade vier Stunden verbracht hatte: „Nun, sehen Sie, er ist ein Diktator in dem Sinne, dass er ein Land regiert, das ein kommunistisches Land ist, das auf einer völlig anderen Regierungsform basiert als unseres.“

Selbst der neokonservative US-Außenminister Antony Blinken zuckte bei der Pressekonferenz zusammen. Seine Grimasse wurde in einem Video festgehalten, das im Internet verbreitet wurde.

Später an diesem Tag erklärte der chinesische Präsident Xi als Reaktion auf Bidens Indiskretion gelassen: „Es ist unrealistisch, dass eine Seite die andere umgestaltet. Eine friedliche Koexistenz setzt für die Chinesen Toleranz und Akzeptanz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme und Lebensweisen voraus. Xi sagte weiter: „Der Planet Erde ist groß genug, damit beide Länder erfolgreich sein können“.

Fortune erkannte an, dass Xi eine andere Vision als Bidens „Winner-take-all“-Mentalität vertrat. Das Wirtschaftsmagazin wies darauf hin, dass Biden Trumps Zölle auf einige chinesische Produkte beibehalten und gleichzeitig die Exportkontrollen und Investitionen in High-Tech-Bereiche wie moderne Chips verschärft habe.

Über das Undenkbare nachdenken

Es ist kein geografischer Zufall, dass China von einem Ring aus rund 400 US-Militärstützpunkten umgeben ist. Biden hat (1) das 2007 ins Leben gerufene Quad-Militärbündnis mit Indien, Australien und Japan, (2) den 2021 gegründeten AUKUS-Sicherheitspakt mit dem Vereinigten Königreich und Australien und (3) den auf den Beginn des Ersten Kalten Krieges zurückgehenden Geheimdienstaustausch der Five Eyes mit dem Vereinigten Königreich, Australien, Neuseeland und Kanada gestärkt und (4) im vergangenen August ein neues Mini-NATO-Bündnis mit Japan und Südkorea geschmiedet.

Obwohl die Chinesen keine Stützpunkte in Nordamerika haben, stellte ein chinesischer „Spionageballon“, der sich vor einem Jahr über den „amerikanischen Himmel“ verirrte, laut Pentagon eine „noch nie dagewesene Herausforderung“ dar. Eine Studie der halbstaatlichen RAND Corporation gibt weiteren Aufschluss über die offizielle Haltung der USA. Der Titel der Studie, die von der US-Armee in Auftrag gegeben wurde, sagt alles: „War with China – thinking through the unthinkable“. Die besten Köpfe, die man für Geld kaufen kann, wurden von den US-Steuerzahlern bezahlt, um das Armageddon durchzuspielen.

Ausgehend von der offiziellen nationalen Sicherheitsdoktrin der USA, der „Dominanz des gesamten Spektrums„, spielten die Analysten von RAND verschiedene Kriegsszenarien der USA mit China durch. Das Ergebnis, so sagten sie voraus, würde für beide Seiten katastrophal sein. Doch gemäß der Moral, die auf einem Autoaufkleber zum Ausdruck kommt, den ich in meiner Nachbarschaft gesehen habe, nämlich „Wer am Ende das meiste Spielzeug hat, gewinnt“, würden die USA als Sieger hervorgehen.

Ja, die USA würden sich laut RAND durchsetzen. Aber der Bericht enthielt auch einen Vorbehalt… wenn sich ein solcher Krieg in Grenzen hält. Das heißt, wenn andere Länder sich nicht in das Handgemenge einmischen und wenn es nicht zu einem Atomkrieg kommt, könnte der Konflikt eingedämmt werden.

Die Militärstrategen warnen jedoch davor, dass die Chancen auf eine Eindämmung mit dem Fortschreiten eines Konflikts immer geringer werden. Wenn ein solcher Konflikt erst einmal begonnen hat, kann er zunehmend unbeabsichtigte Folgen für die Protagonisten haben. Außerdem stellen sie fest, dass es für die eine oder andere Seite einen enormen militärischen Vorteil bedeutet, zuerst zuzuschlagen.

Wettstreit um die Zukunft unserer Welt

In seiner offiziellen Nationalen Sicherheitsstrategie beschrieb Joe Biden den „Kampf um die Zukunft unserer Welt“. Dem US-Präsidenten zufolge befindet sich „unsere Welt an einem Wendepunkt“. Er fuhr fort: „Meine Regierung wird dieses entscheidende Jahrzehnt nutzen, um … unsere geopolitischen Konkurrenten auszumanövrieren“, womit er vor allem China meinte.

Biden mahnte: „Wir werden unsere Zukunft nicht den Launen derjenigen überlassen, die unsere Vision nicht teilen“. Für den kaiserlichen US-Präsidenten heißt es: „‚My way or the highway‘.

Biden versprach dann, die „amerikanische Führung“ – also die Vorherrschaft, denn niemand hat ihn zum planetarischen Machthaber gewählt – „auf der ganzen Welt“ durchzusetzen. Die Führung der USA in der Welt zeigt sich bereits in den meisten Massenerschießungen, der höchsten Staatsverschuldung und der größten Zahl an Inhaftierten. Die USA sind derzeit weltweit führend beim Verkauf von Militärgütern, bei den Militärausgaben und den ausländischen Militärstützpunkten.

Im Dunkeln pfeifend schloss Biden: „Unsere Wirtschaft ist dynamisch“. Tatsächlich wird die US-Wirtschaft von den unproduktiven Sektoren Finanzen, Versicherungen und Immobilien dominiert, während China zur „Werkstatt der Welt“ geworden ist. Statista schätzt, dass China die USA bis 2030 als größte Volkswirtschaft der Welt überholen wird.

Im Gegensatz dazu ist Chinas Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) ein globales Infrastrukturentwicklungsprogramm, das in über 150 Länder investiert hat. Kein Wunder, dass Biden befürchtet, dass die chinesische Alternative in seinen eigenen Worten „das globale Spielfeld zu seinen Gunsten kippt“.

Die von China angebotene Alternative

Anders als der Westen, dessen Reichtum auf kolonialen Ausbeutungen beruht, hat China 800 Millionen Menschen aus der Armut geholt, ohne auf imperiale Kriege zurückzugreifen. Aber ist China, das von Xi Jinpings „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ geleitet wird, tatsächlich sozialistisch? Innerhalb der sich selbst als sozialistisch bezeichnenden Linken gibt es eine Reihe von Meinungen, je nachdem, welcher Lackmustest angewendet wird.

Für die einen existiert der Sozialismus weder in China noch irgendwo anders in der Vergangenheit oder Gegenwart. Für sie ist der Sozialismus ein Ideal, das erst noch verwirklicht werden muss. Andere halten China unter Mao Zedong hoch, aber nicht unter der nachfolgenden Revision durch Deng Xiaoping. Am anderen Ende des Spektrums stehen die Befürworter, die behaupten, China habe den Sozialismus bereits erreicht. Dazwischen gibt es, entsprechend der gemischten Wirtschaft Chinas mit staatlichen und privaten Unternehmen, verschiedene Schattierungen, die China im Übergang zwischen Sozialismus und Kapitalismus sehen. Für die einen schreitet der Übergang voran, für die anderen ist er rückläufig.

Die chinesische Führung vertritt die Auffassung, dass die materiellen Voraussetzungen für die vollständige Verwirklichung des Sozialismus noch in der Entwicklung begriffen sind.

Diese bescheidene Abhandlung wird die Frage, ob China sozialistisch ist, nicht klären, darüber wird letztlich die Geschichte entscheiden. Es ist jedoch klar, dass das chinesische Paradigma der globalen Zusammenarbeit dem Nullsummenwettbewerb der USA entgegengesetzt ist. Wenn auch nicht gerade sozialistisch, so bietet China doch zumindest ein Paradigma, das eine sozialistische Zukunft nicht ausschließt. Wichtig ist, dass in diesem umstrittenen geopolitischen Klima China und damit auch der globale Süden einen Gegenpol zur imperialen Hegemonie der USA bilden.

Die Chinesen scheinen sich der „Krieg statt Frieden“-Haltung der Yankees bewusst zu sein, aber die 4000 Jahre junge Zivilisation scheint selbstbewusst zu sein, dass sich die Rationalität einer friedlichen „Win-Win“-Entwicklung durchsetzen wird. Nach dem, was ich bei meinem Besuch gesehen habe, strahlen sie zuversichtlich die Geduld der Reife und die solide Vitalität der Jugend aus.

Wir danken unserer Partnerseite Pressenza für die Publikationsrechte, erschienen 29.12.23 – USA – Pressenza New York, von Roger D. Harris

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Pressnza sucht Freiwillige!

Der Autor Roger D. Harris arbeitet für die Menschenrechtsorganisation Task Force on the Americas und ist Mitglied des Exekutivausschusses des US Peace Council.

Titelbild: Imagem de Bing / Pressenza) (Bild von Bing / Pressenza)

References

References
1 https://www.deutschlandfunk.de/taiwan-wahl-2024-102.html
2 https://hbapp.handelsblatt.com/cmsId/100003024.html?utm_medium=app&utm_source=verschicken&utm_campaign=freiartikel
3 https://www.handelsblatt.com/politik/international/taiwan-wahl-taiwans-vizepraesident-lai-ching-te-wird-neuer-praesident/100003031.html

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