Termin: 28. November 19.30 Uhr
Die Spore Initiative befindet sich in der Hermannstraße 86, 12051 Berlin-Neukölln.
Bild: Spore Hosts
Mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichst Du uns mit der U8 (U-Bahnhof Leinestraße) und der Ringbahn (S-Bahnhof Hermannstraße, dort gibt es einen Aufzug).
Kaum ein Begriff sorgt in Deutschland für so viele Diskussionen und Missverständnisse wie der des Antisemitismus. Während sich alle einig sind, dass Antisemitismus entschlossen bekämpft werden muss, herrscht große Uneinigkeit darüber, was als antisemitisch und was als legitime Kritik an Israel einzustufen ist. Seit dem siebten Oktober sind die Grenzen weiter verschwommen – welcher Vorwurf darf erhoben, welche Forderung gestellt, welche Parole skandiert, welches Schild hochgehalten werden? Und wer soll in Deutschland darüber bestimmen – Politik, Gerichte oder Sicherheitskräfte? Können deutsche Behörden überhaupt festlegen, was antisemitisch ist, wenn selbst die Wissenschaft bis heute über verschiedene Definitionen und Ausprägungen diskutiert?
Wir wollen uns dem Phänomen des Antisemitismus annähern, indem wir seine geschichtliche Entwicklung beleuchten und untersuchen, welche Formen er in der heutigen Gesellschaft angenommen hat. Wie hat sich seine Definition im Laufe der Zeit verändert? Hat der moderne Antisemitismus dieselben Wurzeln wie der historische? Was bedeutet die Entstehung des Staates Israel für die Juden selbst und welche Rolle spielt der Zionismus für das Selbstverständnis jüdischer Menschen weltweit? Ist Kritik am Zionismus eine versteckte Kritik an Juden und folglich eine neue Form des Antisemitismus? Oder hilft der Antizionismus bei der überfälligen Abgrenzung von einem israelischen Staat, der auf Unrecht, Besatzung und Ungleichbehandlung aufbaut und deshalb grundlegend verändert werden müsste?
In Deutschland hat die Verantwortung für den Holocaust und die daraus abgeleitete „Staatsräson“ zu einer bedingungslosen Unterstützung Israels geführt. Im Zentrum des Kampfes gegen Antisemitismus steht deshalb weniger das anti-jüdische Verschwörungsnarrativ als vielmehr die Kritik an Israel und am Zionismus. Der Vorwurf des israelbezogenen Antisemitismus ist dadurch zum Instrument extremistischer Akteur*innen geworden, mit dem sich sowohl arabische als auch jüdische kritisch-progressive Personen diffamieren lassen.
Der Aufstieg rechtsradikaler Kräfte in Europa weckt Erinnerungen an eine dunkle Vergangenheit. Während diese Bedrohung von Tag zu Tag realer erscheint, diskutiert die deutsche Öffentlichkeit vor allem über „muslimischen“ und „linken“ Antisemitismus. Fokussiert sich die Politik auf marginalisierte Gruppen, um vom real existierenden Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft abzulenken? Sind nicht Juden und Muslime beide Opfer von Rassismus und Ausgrenzung? Und wie ließe sich im Interesse einer menschenrechtsbasierten Innen- und Außenpolitik besser zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik unterscheiden?
Zur Diskussion einladen:
Stefanie Schüler-Springorum, Prof. Dr., Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin und Mitglied im Direktorium des Zentrums Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Forschungsschwerpunkte: Deutsch-jüdische Geschichte, Geschichte des Nationalsozialismus, Spanische Geschichte, Geschlechtergeschichte im 19. und 20. Jahrhundert; Veröffentlichungen u.a.: Gender History of German Jews: A Short Introduction. New York City 2024; Hans Litten – Anwalt gegen Hitler. Eine Biographie, überarbeitete und ergänzte Neuauflage, Göttingen 2022 (mit K. Bergbauer und S. Fröhlich); Krieg und Fliegen. Die Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg, Paderborn 2010.
David Ranan (1946 in Tel-Aviv geboren) ist Politikwissenschaftler und Sachbuchautor. Er ist Fellow des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU, Berlin und des Birkbeck for the Study of Antisemitism, University of London. Er veröffentlichte Studien zu Einstellungen von jungen Israelis zum Wehrdienst und Einstellungen junger Juden in Deutschland. Er untersucht den Antisemitismus-Diskurs in Deutschland und dessen Politisierung, wie auch die Problematik der Gleichsetzung von Israelkritik und Antisemitismus, insbesondere unter Araber*innen und Muslim*innen. Antisemitismus unter Muslim*innen ist Gegenstand seiner 2018 erschienenen Studie: Muslimischer Antisemitismus: Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?
Moderation
Die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Kristin Helberg berichtete sieben Jahre lang von Damaskus aus über den Nahen und Mittleren Osten für deutsche, österreichische und Schweizer Hörfunkprogramme sowie verschiedene Print- und Onlinemedien. Heute arbeitet sie als Autorin, Nahostexpertin und Moderatorin in Berlin. Im Herder Verlag erschienen von ihr „Verzerrte Sichtweisen – Syrer bei uns. Von Ängsten, Missverständnissen und einem veränderten Land“ (2016) und „Der Syrien-Krieg. Lösung eines Weltkonflikts“ (2018). Als Stipendiatin der Stiftung Mercator untersuchte sie die syrische Diaspora in Deutschland.