Helga Merkelbach analysiert in ihrem Beitrag die Details von Trumps 20-Punkte-Plan und dessen Umfeld. Wenn wir die kenntnisreichen und sehr sachlich gehaltenen Ausführungen genau lesen, lässt sich aus unserer Sicht eigentlich nur folgendes Fazit ziehen: Stopp des Mordens und „Zugang zu Hilfsgütern“ würde unmittelbar den Menschen in Gaza helfen. Aber geschieht das wirklich?
Kommt zu UNITED FOR GAZA – Berlin 11.Oktober
Letzte Meldung Freitag 10.Oktober 12 Uhr: noch Stunden nach Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens gab es von Israel massiv Bombenangriffe und Artillerie Feuer in Gaza Stadt und Khan Younis (MEE)
Der Trumpplan bedeutet mittel- und langfristig keinen tragfähigen Frieden, sondern die Verstetigung des Unrechts gleich einem Friedhof mit Totenstille. Von überall im Westen und Nahost stehen Investoren in den Startlöchern. Über den vergessenen Gräbern Kapitalsmus in voller Blütenpracht. Es ist zu befürchten, dass alle Palästinenser:innen, die nicht getötet oder vertrieben wurden, zu rechtlosen Arbeitssklav:innen degradiert werden. Von Selbstbetimmung der Palästinenser:innen keine Spur. Ebenso bleibt oder kommt die Westbank endgültig unter den Hammer! Auch Friedrich Merz liebt die Stille: „ich hoffe, daß auf unseren Strassen jetzt endlich wieder Ruhe einkehrt“. Wir werden ihm diesen Gefallen nicht tun wollen. (Peter Vlatten)
05.10.25 – Helga Merkelbach, Pressenza
Trumps 20-Punkte-Plan (am 27.9.25 veröffentlicht) wird von Politiker:innen in aller Welt als Lösung für den Gazakrieg gelobt, als Basis für einen künftig friedlichen und blühenden Nahen Osten. Manch andere halten ihn lediglich für eine weitere Selbstinszenierung und Profilierung von Trump für den Friedensnobelpreis. Palästinensische Menschen und die friedensbewegte internationale Zivilgesellschaft haben Bedenken hinsichtlich des Inhalts des Plans.
Es ist in meinen Augen wichtig, sich einmal die einzelnen Punkte dieses Plans genauer anzuschauen:
Ursprünglich enthielt er 21 Punkte, doch Netanjahu hat bereits Trumps Wunsch entsprochen, sich bei Katar für den Angriff auf die Hamas in Doha, die Tötung eines katarischen Soldaten entschuldigt und gelobt, so etwas nicht wieder zu tun – und damit diesen Punkt obsolet gemacht. Hintergrund hierfür ist, dass die USA großen Wert auf gute Beziehungen zu Katar legen, denn US-Firmen sind an der Ausbeutung des größten Gasfeldes der Welt im Persischen Golf beteiligt, das sich der Iran und Katar teilen. Auch den 12-Tage-Krieg Israels gegen den Iran beendete Trump mit einem Machtwort, nachdem der Iran (mit Ankündigung) Raketen über den Persischen Golf hinweg auf den größten US-Stützpunkt im Nahen Osten in Katar abschoss.
Unterschiedliche und ungleiche Erwartungen an die Hamas und an die israelische Regierung
Der 20-Punkte-Plan liest sich eher wie ein Ultimatum an die Hamas. Von ihr wird erwartet:
Punkt 1. Die Entradikalisierung Gazas
Punkt 4. Die völlige Freilassung der Geiseln
Punkt 6. Hamasmitgliedern, die ihre Waffen abgeben und sich zu friedlicher Koexistenz bekennen wird Amnestie gewährt; Hamasmitgliedern, die Gaza zu verlassen wünschen, wird sicheres Geleit zugestanden.
Punkt 17. Sollte die Hamas diesen 20-Punkte-Plan nicht annehmen oder auch nur später als innerhalb der gesetzten Frist von wenigen Tagen, wird der Plan nur in den sogenannten terrorfreien Gebieten umgesetzt, also in den Enklaven, in welche die Palästinenser:innen zusammengedrängt wurden.
Mit US-Unterstützung würde weiter versucht, die Hamas völlig zu vernichten. Für die Bevölkerung von Gaza würde das fortgesetzte Zerstörung, Vertreibung, Traumatisierung und Tod bedeuten. Sie würde dabei in Al Mawasi auf immer enger werdendem Raum zusammengedrängt.
Erst wenn die Hamas die genannten Bedingungen erfüllt hat, soll Israel in Gesamtgaza in folgender Weise reagieren:
Punkt 3. Rückzug der Armee in Etappen, ohne zeitliche Vorgaben.
Punkt 5. Freilassung von 1700 seit dem 7.10.23 gefangen genommenen Palästinenser:innen (inklusive Frauen und Kinder) sowie von 250 zu lebenslanger Haft Verurteilten und der Überstellung von Getöteten.
Punkt 15. Für langfristige Sicherheit in dem Gebiet soll eine International Stabilization Force (ISF) geschaffen werden, angeführt von den USA und in Kooperation mit arabischen und internationalen Partnern.
Punkt 16. Hier wird einfach behauptet, dass Israel darauf verzichten wird, Gaza zu besetzen oder zu annektieren.
Punkt 7. Zulassen von Hilfsleistungen, mindestens in der Form, wie es am 19.1.25 im Zuge des Waffenstillstandsabkommens vereinbart worden war.
Punkt 8. Verteilung der Hilfsgüter durch die UN, den Roten Halbmond und anderen internationalen Institutionen, wobei der Zugang nur über Rafah, wie in der Waffenstillstandsvereinbarung vom 19.1.25 vereinbart, zu geschehen hat.
Festzuhalten ist, dass zurzeit Israel ca. 40 % der bereitstehenden Hilfsgüter nicht nach Gaza hineinlässt. Die von Israel als sicher erklärte humanitäre Zone Al Mawasi ist überfüllt; und sicher vor israelischen Angriffen sind die Palästinenser:innen auch dort nicht. Hilfsgüter werden schon beim Transport von Bedürftigen geplündert.
Die Verweigerung von Versorgung der Bevölkerung wird in Trumps 20 Punkten weder angeprangert noch von Israel gemäß internationalem Recht eingefordert.
Israel werden (anders als der Hamas) keine Konsequenzen angedroht, sollte es den Bedingungen nicht Folge leisten. Die UN wird in keiner Weise mit einbezogen – tatsächlich ein „Schlag ins Gesicht“ dieser Organisation mit ihren seit der Generalversammlung von 2024 verstärkten Bemühungen um eine Friedenslösung.
Eine Internationale Friedensregelung – oder eine US-dominierte?
Die UN hatte mit der New York Declaration on the Peaceful Settlement of the Israeli-Palestinian Conflict eine international ausgehandelte Roadmap vereinbart, die von der UN Generalversammlung am 22.9.25 mit 142 Stimmen angenommen wurde, bei 10 Gegenstimmen und 12 Enthaltungen. Israel und die USA hatten dagegen gestimmt. In den 20 Punkten von Trump wird sich auf die New York Erklärung lediglich als „französisch-saudische Initiative“ bezogen und in einem Atemzug mit seinem Friedensplan von 2020 genannt und diesem gleichgestellt.
In Punkt 9. wird von Trump festgelegt, dass Gaza von einer vorübergehenden Übergangsregierung eines technokratischen und unpolitischen Komitees, bestehend aus palästinensischen Fachkräften und internationalen Experten, verwaltet werden, welches die alltäglichen öffentlichen Dienste am Laufen erhält, und das unter der Aufsicht und Kontrolle einer neuen internationalen Übergangsbehörde steht, dem sogenannten Board of Peace, deren Vorsitz Präsident Trump übernehmen wird. Dieser Friedensrat setzt dann den Rahmen und gibt die Finanzierung für ein Wiedererschließungsprogramm vor.
Die Zukunft Gazas
In Punkt 10. wird verlautbart, dass ein Wirtschaftsentwicklungsplan zum Wiederaufbau und zur Belebung des Gazastreifens durch eine von Trump einberufene Expert:innengruppe erstellt werden soll, welche bereits zur Entstehung einiger florierender moderner Wunderstädte im Nahen Osten beigetragen habe.
Das erinnert fatal an Netanyahus Plan „Gaza 2035“ (vom Mai 2024), den Trump Plan „Vom Frieden zum Wohlstand“ (vom 28.1.2020) sowie an Trumps Ausführungen zu den sogenannten „Riviera“-Vorstellungen (ab Februar 2025), die auf Prof. Joseph Pelzmans „An Economic Plan for Rebuilding Gaza: A BOT Approach“ vom 21.7.2024 beruhen.
Netanyahus Vorstellung für die nächsten 5 bis 10 Jahre sah ein multilaterales Gremium vor, das eine Art Marshallplan umsetzt, unter Führung durch die USA und mit Beteiligung arabischer Staaten und Ägyptens. Direktinvestitionen in deren Volkswirtschaften und finanzielle Anreize sollten diese Länder von der Idee begeistern. – Vor Bekanntmachen der Trumpschen 20 Punkte hatte der US-Präsident sich u.a. mit Führern von acht mehrheitlich muslimischen Ländern getroffen, darunter auch die Türkei, Pakistan und Ägypten. Trump versicherte, er werde eine Annexion der Westbank nicht zulassen; die besetzten palästinensischen Gebiete (Ostjerusalem und Westbank) werden im 20-Punkte-Plan jedoch mit keiner Silbe erwähnt. Auf dem Treffen am 22. September 2025 getroffene diesbezügliche Abmachungen wurden nicht öffentlich bekannt gegeben.
Der renommierte US-amerikanische Thinktank Carnegie Endowment for International Peace hat vier verschiedene Zukunftspläne für Gaza analysiert und mit wenigen Schlagworten charakterisiert: „Destruction, Disempowerment, and Dispossession: Disaster Capitalism and the Postwar Plans for Gaza“ (Zerstörung, Entmachtung der Palästinenser:innen und Landnahme: Katastrophenkapitalismus und die Nachkriegsplanung für Gaza). Palästinensische Selbstbestimmung und Souveränität, sowie lokale Handlungsfähigkeit würden weitaus eher für einen nachhaltigen Frieden sorgen.
Vor allem Saudi-Arabien hat unter dem erweiterten Gazakrieg wirtschaftlich gelitten. Das Rote Meer war wegen des Krieges zwischen den jemenitischen Huthis und Israel nicht sicher; die Luxusorte im Rahmen des geplanten saudischen Megaprojekts NEOM wurden von Tourist:innen gemieden. Saudi-Arabien reduzierte sein NEOM-Vorhaben (Wohnstadt, Hafen, Industriezone, Luxusferienorte) und legte seine Pläne von einem Land mit zukunftsweisenden Energieprojekten erst einmal auf Eis. Wenn die Trumpschen Punkte umgesetzt werden, kann Saudi-Arabien seine Vorstellungen für die Zukunft wieder aufgreifen und obendrein in eine Gaza-„Wunderstadt“ mitinvestieren.
Netanyahus Gaza 2035 nennt als Vorteil für die palästinensische Bevölkerung massive Beschäftigungsmöglichkeiten. – Dem entspricht Trumps gegenwärtiger Plan voll und ganz. Er sieht nicht mehr, wie Anfang 2025 für eine neue „Riviera“, die völlige Vertreibung der Bevölkerung Gazas vor, sondern in Punkt 12. lediglich freiwillige Emigration mit zugestandener Rückkehrmöglichkeit.
Explizit sieht Trump für Gaza in Punkt 11. eine Sonderwirtschaftszone mit Vorzugszöllen und Zugangsgebühren vor, welche mit den teilnehmenden Ländern auszuhandeln sind.
Der Netanyahu-Plan nannte Gaza einen Dreh- und Angelpunkt für die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Ein regionales Industrieproduktionszentrum für die Herstellung von Elektrofahrzeugen solle entstehen und China Konkurrenz machen. Energie käme aus dem Gaza Marine Gasfeld und von Solarfeldern, Rohstoffe (Metalle) aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Märkte ständen in Richtung Europa ebenso offen wie in Richtung der Golfstaaten und nach Asien.
In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass am 9. September 2023 (also vor dem 7. Oktober 2023) während des G20-Gipfels 2023 auf Initiative der USA in Neu-Delhi bereits eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding) zu einem geplanten India-Middle East-Europe Economic Corridor (Wirtschaftskorridor zwischen Indien, über den Nahen Osten nach Europa, IMEC) von den Regierungen Indiens, der Vereinigten Staaten, der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabiens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens und der Europäischen Union unterzeichnet worden war. Schon kurz nach seinem Amtsantritt besuchte der indische Premierminister Modi Trump in Washington und zum Abschluss ihrer Gespräche erklären sie, dass sie diesen voranbringen wollen. Die Umsetzung von IMEC ist wegen des Gazakrieges bis jetzt noch nicht erfolgt; bzw. bietet sich durch die Zerstörung von Gaza über einen dortigen Wiederaufbau eine Alternative zum Hafen von Haifa oder Ashdod an. Die Route über den Persischen Golf (eine noch zu bauende Bahnlinie, neu zu legende Gasleitungen und Kommunikationsstränge) soll dann der Belt and Road Initiative („neue Seidenstraße“) von China über das Rote Meer und dem Suezkanal Paroli bieten.
Schaut man sich also an, von wem dieses MoU zu IMEC unterzeichnet wurde, wird verständlich, dass westeuropäische Länder ebenso wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Trumps Plan begrüßen. Selbst Frankreich und Saudi-Arabien, die sich ein Jahr lang im Rahmen der UN um einen Weg zum Frieden angestrengt haben, insistieren nicht auf die New York Erklärung als weitergehenden Weg zu einem gerecht(er)en und nachhaltig(er)en Frieden. Die Verwirklichung von IMEC ist profitabler.
Selbstbestimmung und Frieden?
Während die New York Erklärung die Palästinensische Autonomiebehörde im Friedensprozess einbezog, zeigte Trump schon mit der Einreiseverweigerung von Präsident Abbas zur UN-Generalversammlung, dass er nicht nur die Hamas von der Gestaltung eines unabhängigen palästinensischen Staates ausschließt, sondern Palästinenser:innen überhaupt nicht auf dem Weg zum Frieden eingeplant sind (außer als ausführende Technokrat:innen oder Arbeiter:innen).
So verspricht Trump in Punkt 19, dass, wenn die Wiedererschließung Gazas gelaufen ist (Netanjahus Projekt Gaza 2035 sah dafür, wie oben schon erwähnt, 5 bis 10 Jahre vor) und wenn die Palästinensische Autonomiebehörde in gewünschter Weise reformiert sei, dann die Bedingungen erfüllt sein könnten für einen glaubwürdigen Weg zur Schaffung eines palästinensischen Staates und für Selbstbestimmung.
In Punkt 18 wird ein interreligiöser Dialogprozess angesprochen, der Denkweise und Narrative von Palästinenser:innen und Israelis verändern könne. Als ob es bei dem Konflikt in erster Linie um einen religiösen Konflikt ginge!
Die USA verbriefen sich in Punkt 20, einen Dialog zwischen Israel und den Palästinenser:innen zu etablieren, der einen politischen Horizont für friedliche und prosperierende Koexistenz anvisiert. Nicht einmal hier ist von einem palästinensischen Staat die Rede, nur von einem Israel, dem palästinensische Menschen gegenüberstehen.
Anders als in der New York Erklärung fehlt jedwede Beteiligung von Zivilgesellschaft am Friedensprozess. Die USA und ganz besonders Präsident Trump werden es schon richten – und die Welt wird sich anschauen können, was sie, unter dem Beifall Israels und westlicher sowie arabischer Staaten anrichten.
Der Beitrag von Helga Merkelbach wurde 5.1025 in Pressenza veröffentlicht. Wir danken für die Publikationsrechte.
Titelbild: Trump stellt seinen „Friedensplan“ gemeinsam mit Netanjahu vor (eldiariodesanluis.com)
Helga Merkelbach ist pensionierte Lehrerin, Aktivistin für Frieden, Gender-Gerechtigkeit, Klima/Umwelt/Natur und Menschenrechte. Sie hat viele Länder bereist, in Großbritannien, Äthiopien und Brasilien auch gelebt, Menschen vor Ort in ihrer Lebenslage kennengelernt, so dass ihr Engagement zur persönlich untermauerten Herzenssache geworden ist.