Sozialstaats-Radar 2025: Sozialstaat stärken? Ja bitte! Große Mehrheiten für einen starken Sozialstaat

Reiner Heyse 6. April 2025 News

Sozialstaats-Radar 2025: Sozialstaat stärken? Ja bitte!

Große Mehrheiten für einen starken Sozialstaat, der auch mehr kosten darf. Klare Absage an Privatisierungen. Das Schweigekartell verhindert öffentliche Debatte.

Welchen Sozialstaat wollen die Menschen in Deutschland? Wie hoch sollen Rentenleistungen sein? Wie sollen Sozialleistungen finanziert werden? Zu diesen Fragen gibt es sehr eindeutige Willensbekundungen in der Bevölkerung. Eine repräsentative Umfrage unter 3.000 Personen über 18 Jahren brachte klare und teilweise überraschende Ergebnisse*. Die Überraschung liegt in der Deckungsgleichheit unseres RentenZukunft-Reformkonzepts mit dem Willen der Mehrheit in diesem Land.

Keine Überraschung ist, dass der Wille der Mehrheit von den politischen Verantwortlichen und den Hauptmedien völlig ignoriert und verschwiegen wird. Stattdessen wird das Gegenteil zum Regierungsprogramm. Die Vorstände der großen Interessenvertretungen von Gewerkschaften und Sozialverbänden ducken weg. Teilweise blockieren sie sogar klare Reformforderungen. 

80 Prozent sind für eine verbindliche soziale Sicherung

… die staatlich organisiert ist. Lediglich 15 % wollen ein Mindestmaß bis gar keine verbindliche soziale Sicherung und setzen eher auf private Vorsorge.

Grafikquelle: SoRa 1/2025 – SozialstaatsRadar

75 Prozent: Ja zu höheren Beiträgen für eine gute Absicherung

… das sagen vor allem junge Menschen. Befragt wurden sozialversichert Beschäftigte, inclusive Auszubildende. Diese klare Mehrheit bezieht sich sowohl auf die Renten-, die Kranken- und die Pflegeversicherung. Dass gerade junge Menschen bereit sind, höhere Beiträge für die Altersvorsorge auszugeben, wird durch zahlreiche Umfragen der letzten Jahre ständig bestätigt. Natürlich wird dafür eine sichere und höhere Rente erwartet.

Grafikquelle: SoRa 1/2025 – SozialstaatsRadar

75 Prozent sollen die Renten vom erzielten Lohneinkommen betragen

… sagt im Mittel die Bevölkerung. Oberhalb der Hälfte (des Medians) wird sogar ein höheres Niveau für angemessen gehalten. Gefragt wurde nach dem Nettorentenniveau zu dem im Arbeitsleben erzielten Nettolohn. Man spricht dann von der Nettoersatzrate. Die beträgt in Deutschland aktuell 56 Prozent ** (zum Vergleich: in Österreich 87 Prozent). Erstaunlich ist, dass auch bei der abgefragten Parteipräferenz der Befragten keine großen Unterschiede erkennbar sind.

Grafikquelle: SoRa 1/2025 – SozialstaatsRadar – 75% Linie vom Autor eingezogen

Die Einführung einer echten Mindestrente von 1.327 Euro monatlich

… wurde für erforderlich gehalten. Auf die Frage, wie hoch die Mindestrente sein müsste, wurden zwar sehr unterschiedliche Beträge benannt. Der errechnete Durchschnitt traf dann aber nahezu auf den Euro genau die Armutsgefährdungsschwelle des Jahres 2023. Die Armutsgefährdungsschwelle wird jährlich durch destatis berechnet. Sie beträgt nach internationaler Konvention 60% der mittleren (Median-) Nettoeinkommen eines Landes. Die entsprechende Armutsschwelle 2023 betrug genau 1.320 Euro.

75 Prozent sind für eine Erwerbstätigen- bzw. Bürgerversicherung

…. sowohl in der Renten-, der Kranken- und der Pflegeversicherung. In der Erwerbstätigenversicherung wären auch Beamte, Selbständige und Politiker versichert. In der Bürgerversicherung würden zusätzlich Einkünfte aus Kapitalerträgen beitragspflichtig.

Zusätzlich äußerten Mehrheiten der Befragten sich für die Aufhebung bzw. Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen in den drei Versicherungszweigen. Damit soll ein solidarischer sozialer Ausgleich ermöglicht werden (starke Schultern tragen mehr als schwache Schultern).

Grafikquelle: SoRa 1/2025 – SozialstaatsRadar

Warum nur Warum?

… werden solche Umfragen mit starken Willensbekundungen der Betroffenen so gründlich verschwiegen? Die Ergebnisse stehen im krassen Gegensatz zu den in den dominanten Medien verbreiteten Behauptungen. Gerade die Antworten der jüngeren Befragten stellen die üblichen Klagen der Vertreter der „Jungen“ bzw. „besorgter“ Wissenschaftler auf den Kopf. In Talk-Shows ereifern sich Jungunternehmer und Jungpolitiker über die unerträglichen Belastungen der Jungen durch die Rentner und behaupten, von den Journalisten nicht hinterfragt, die umlagefinanzierte Rente wäre am Ende, es helfe nur noch Zukunftssicherung über Finanzanlagen.

Auf das „Warum?“ gibt es wohl nur eine plausible Antwort: Die Umsetzung des Mehrheitswillens in der Bevölkerung würde die Profitinteressen der großen Finanzkonzerne und Unternehmensverbände erheblich stören. Verschweigen und Vernebeln von Meinungen verhindert die Verständigung unter den Betroffenen. Eine gesellschaftsweite Diskussion über diese elementaren Fragen wird damit unterbunden. Demokratie sieht anders aus, siehe das Beispiel Schweiz (Gegen demokratiefeindliche Extremisten – von der Schweiz lernen!).

Gewerkschaftsmedien berichten zwar

… aber nur selektiv. Außer in den Gewerkschafts- und Sozialverbänden-Publikationen hat kein Presseorgan über die Ergebnisse des Sozialstaats-Radar berichtet. Dabei verkürzen die Gewerkschafts- und Sozialverbands-Artikel die Umfrageergebnisse. Die geforderten 75 Prozent Nettoersatzquote und die Mindestrente in Höhe von 1.327 Euro werden nicht einmal erwähnt. 

Der Grund dürfte darin liegen, dass das von den Verbänden geforderte Rentenniveau von 50 bis 53 Prozent (vor Steuerabzug) meilenweit von den Mehrheitsforderungen entfernt liegen. Die Forderung nach Mindestrenten wird erst gar nicht erhoben, man begnügt sich mit einer leichten Erhöhung der Grundrente, die dann immer noch einiges unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen würde.

Im Jahr 2016 stellte der DGB-Bundesvorstand seine rentenpolitischen Forderungen unter das 

„Ziel: Politische Anschlussfähigkeit insbesondere bei den großen Parteien herstellen.“ 

Das ist eine Ausrichtung, die offensichtlich bis heute das Handeln der Gewerkschaftsvorstände dominiert. Wenn die Interessenvertretung der Mitglieder dem Willen der Parteizentralen untergeordnet wird, hat das fatale Auswirkungen. Mitglieder fühlen sich nicht mehr vertreten und treten aus, andere treten gar nicht erst ein.

Das Desaster dieser Art Vertretungspolitik zeigt sich auch im Folgenden: Nach der Bundestagswahl im Februar gibt es im Parlament nur noch eine Partei, die „Renten wie in Österreich“ im Wahlprogramm hatte: das ist die AfD. Das BSW mit dieser Forderung im Programm hat die 5%-Hürde bis jetzt nicht geschafft, die LINKE hat die vorher von ihr vertretene Forderung „vergessen“ (pflegt stattdessen die völlig unzureichende Forderung nach 53 Prozent Rentenniveau). 

Die „Renten wie in Österreich“ entsprechen weitgehend den Forderungen der großen Mehrheit aus dem Sozialstaats-Radar 2025. Wer ernsthaft den Aufstieg der AfD verhindern will, muss mehr unternehmen, als „gegen Rechts“ zu demonstrieren. Der bzw. die muss endlich die Bedürfnisse der großen Mehrheit in der Bevölkerung ernst nehmen und sie zum politischen Programm machen. Das gilt vor allem für die Gewerkschaften und die Parteien, die es ernst mit der Demokratie meinen.


SozialstaatsRadar 2025: Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Arbeitnehmerkammer Bremen und die Arbeitskammer des Saarlandes haben eine umfangreiche Befragung in Auftrag gegeben. Diese wurde vom 25. November bis zum 10. Dezember 2024 vom uzbonn anhand einer systematischen Quotenstichprobe durchgeführt, die die Ansichten der Wohnbevölkerung in Deutschland im Alter ab 18 Jahren zuverlässig abbildet. Insgesamt wurden 3.000 Personen per Online-Interview befragt und so gewichtet, dass die Resultate die tatsächliche Verteilung – etwa nach Alter, Geschlecht oder Region – repräsentieren. 

** Die Behauptung mit einer Fixierung des „Rentenniveaus vor Steuern“ auf 48 Prozent würde das Rentenniveau stabilisiert, ist falsch. Die ansteigende Besteuerung führt tatsächlich zu einer jährlich zunehmenden Verringerung des Nettorentenniveaus (Nettoersatzquote). Die Nettoersatzquote beträgt derzeit 56 Prozent, sie wird bei vollständiger Besteuerung der Renten um weitere 2 Prozentpunkte auf dann 54 Prozent gesenkt (siehe Artikel Rentenschwindsucht durch die nachgelagerte Besteuerung – der Zeitraum der vollständigen Rentenbesteuerung wurde aktuell von 2040 auf 2058 gestreckt, die Aussagen bleiben ansonsten uneingeschränkt richtig.)

(Reiner Heyse, 06.04.25)

Erstveröffentlicht auf „Seniorenaufstand“ v. 6.4. 2025
https://www.seniorenaufstand.de/sozialstaats-radar-2025-sozialstaat-staerken-ja-bitte-grosse-mehrheiten-fuer-einen-starken-sozialstaat/

Wir danken für das Publikationsrecht.

Nein zu Reallohnverlust, 27 Monaten Laufzeit und Einstieg in die 42h-Woche!

Die Vertreter von Bund und Kommunen sowie Verdi haben sich auf Basis des Schlichtungsergebnisses geeinigt. Wie befürchtet. Der Verdi Vorsitzende Werneke spricht von einem schwierigen Ergebnis in schwierigen Zeiten. Letzteres bleibt nebulös. Meint er damit, dass man Staat und Kapital in Zeiten der Ausrichtung auf „Kriegsertüchtigung“ und globale Konkurrenzfähigkeit nicht so sehr in die Parade fahren darf? Oder wofür sollen die Kolleg:innen den Kopf hinhalten? Für die Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben sie nicht einmal ein Angebot in der Höhe von 0,01 Prozent von der Schuldensumme übrig, die Mitte letzten Monat im Bundestag (für hauptsächlich militärische Zwecke) beschlossen wurde. Wir berichteten.

In der Mitgliederbefragung mit Nein stimmen und hier unterschreiben!  @netzwerk.verdi

Die Situation innerhalb Verdi sieht für deren Führung verzwickt aus. Es brodelt. Die Postler haben gerade in ihrer eigenen Tarifrunde mit 54 % gegen die Annahme des Vorschlags der Tarifkommission abgestimmt. Die Tarifkommission hat das mehrheitlich unerwünschte Ergebnis nun mit der Post trotzdem abgeschlossen, da die notwendige 75% Quote für einen Erzwingungsstreik nicht erreicht wurde. Aber warum, fragen sich viele Mitglieder, hat die Führung nicht alles oder wenigstens mehr versucht, für das Erreichen dieser Quote zu mobilisieren und damit ein besseres Ergebnis für die Kollegen?

Bei der BVG eigenen Tarifrunde haben sich in einer Urabstimmung zwar überwältigende 95,4 % der Mitglieder für einen solchen unbefristeten Streik ausgesprochen, aber statt, dass dieser Streik nun auch konsequent ausgerufen werden kann, findet zunächst hier ebenfalls parallel – auf Betreiben der BVG- eine Schlichtung statt. Und was gar nicht einzusehen ist – wieder hinter verschlossenen Türen.

Update. Seit 7. April liegt eine  Schlichtungsempfehlung auf dem Tisch mit u. a. 430 Euro statt der geforderten 750 Euro Erhöhung. Der Dauerstreik scheint mit dieser Schlichtungsempfehlung nun erst einmal weg vom Tisch. Viele der Bus-, U-   und Strassenbahrer:innen aber sind richtig  sauer. Mit diesem Ergebnis hinken ihre Einkommen noch immer hinter dem Durchschnitt hinterher.  Lachhaft die Aussage, es sei kein Geld da. Während Rüstungsaktionäre und ihre privaten Geldgeber mit Staatsknete ohne Limit zugeschüttet werden, wird  den Beschäftigten beim ÖNPV die Arschkarte gezeigt. Aber auch die Drohungen an alle Berliner:innen, das ÖNPV Angebot einzuschränken statt auszubauen, ist eine Frechheit und eine soziale wie ökologische Kampfansage. 

Die Schlichtungsempfehlung soll jetzt den Kolleg:innen zur Abstimmung vorgelegt werden. Ob das dann so wie bei der Post abläuft?

Oder geht es den BVG Kolleg:innen am Ende wie bei bei der Charité-Tochter CFM (Charité Facility Management) ? Verdi blies dort zum Wochenende den Dauerstreik ab. Warum? Das Gericht hat zwar den Streik erlaubt, aber die vom Gericht geforderte Einhaltung der Notdienste gehe weit über das hinaus, was für die direkte Patientenversorgung nötig ist, sagte Verdi-Verhandlungsführerin Gisela Neunhöffer. Die Auflagen des Gerichts zur Notversorgung gingen sogar darüber hinaus, was zur Normalversorgung notwendig ist. So kann „Streiken“ ins Absurde geführt werden.

Eine Verdi Kollegin meinte, es verwundere sie nicht, dass viele Ergebnisse weit unterhalb der Forderungen liegen, „kämpfen wir doch ständig mit eingebauten Bremsen„. Die Kapitalseite fordert von der neuen Regierung, „Schlichtungen“ als verbindliches Verfahren vor Streiks generell vorzuschreiben. Die Kolleg:innen benötigen das Gegenteil: ein Streikrecht, dass sie ungehindert ausüben können!

Auch die „Einigung“ für den Öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen geht jetzt in die Mitgliederbefragung. Wir erwarten, daß diese demokratisch und mit ausreichend Zeit durchgeführt werden kann. Aus unserer Sicht ist das Ergebnis abzulehnen. Die Gründe wurden in der folgenden Stellungnahme zum Schlichtungsergebnis bereits ausführlich erläutert.

In der Mitgliederbefragung mit Nein stimmen und hier unterschreiben! @netzwerk.verdi

Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di

Nein zu Reallohnverlust, 27 Monaten Laufzeit und Einstieg in die 42h-Woche!

Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle sagt: „Wir sind an einem schwierigen Punkt. Die Einigungsempfehlung ist ein hart errungener Kompromiss, mit dem wir einige Pflöcke einschlagen können, der aber auch an Schmerzgrenzen führt. Wir müssen diesen nun sehr ernsthaft diskutieren und abwägen, ob das noch akzeptabel ist. Und wenn nicht, welche nächsten Schritte

erforderlich sind.“ Für ernsthafte Diskussionen bräuchte es jetzt unmittelbar Versammlungen in den Betrieben, an deren Ende auch abgestimmt werden sollte. Leider wird nun ein erheblicher Zeitdruck gemacht und wird es meist erst Mitgliederversammlungen nach den Verhandlungen am 5. April geben. Uns ist nicht bekannt, wie die ver.di-Vertreter*innen in der Schlichtungskommission abgestimmt haben. Wir sagen aber:

Diese Schlichtungsempfehlung sollte dringend abgelehnt werden!

Die Schlichtungsempfehlung sieht vor:

  • Laufzeit von 27 Monaten
  • Ab April 2025 plus drei Prozent mehr Geld, mindestens 110 Euro.
  • Ab Mai 2026 plus 2,8 Prozent
  • Auszubildende und dual Studierende jeweils Erhöhung um 75 Euro
  • Ab 2027 ein zusätzlicher freier Tag für alle
  • Ab Juli 2026 Anhebung von Schicht- und Wechselschichtzulage auf 100 bzw. 200 Euro und ab 2027 Dynamisierung entsprechend den Tarifsteigerungen.
  • Ab 2026 Anhebung der Jahressonderzahlung und Möglichkeit, diese in drei freie Tage umzuwandeln. Ausgenommen davon: Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
  • Ab 2026 im Rahmen einer „doppelten Freiwilligkeit“ Möglichkeit einer befristeten Arbeitszeitverlängerung auf eine 42-Stundenwoche.

Im Gegensatz dazu die ver.di-Forderungen:

  • 8 Prozent, mindestens 350 Euro im Volumen
  • 200 Euro für Dual Studierende bzw. Auszubildende
  • Drei freie Tage und ein weiterer für Gewerkschaftsmitglieder
  • All das bei einer Laufzeit von 12 Monaten.
Was bedeutet die Empfehlung?

Die Taktik der Arbeitgeber ist zunehmend eine Art Schockstrategie. So mag eine Laufzeit von 27 Monaten angesichts des vorherigen letzten „Angebots“ von drei Jahren plötzlich als Erfolg erscheinen. Doch wenn man es mit der geforderten Laufzeit von 12 Monaten vergleicht, ist es das ganz und gar nicht. Außerdem sollten Laufzeiten auch von zwei Jahren nicht mehr akzeptiert werden. Denn in den aktuellen wirtschaftlich und geopolitisch extrem unsicheren Zeiten ist völlig unklar, wie die Situation in einem Jahr aussieht. Ein schneller Anstieg von Energiepreisen oder allgemeinen Preisen ist jederzeit möglich. Dazu kommt, dass Anfang dieses Jahres bereits die Krankenkassenbeiträge gestiegen sind. Zudem dürfen die Ergebnisse nicht schön gerechnet werden. So werden die drei Prozent ab 1.4.2025 und 2,8 Prozent ab 1.5.2026 sicher wieder aufaddiert, als ob es sich um 5,8 Prozent handeln würde. Das ist aber nicht der Fall.

So würden auch die 3 Prozent Lohnerhöhung nach erst einmal drei Nullmonaten auf das Jahr 2025 gerechnet möglicherweise gerade mal die Inflation ausgleichen. Aber die höheren Krankenkassen- und Sozialversicherungsbeiträge kommen obendrauf – also gibt es netto weniger. Auch für das nächste Jahr und darauf würde es voraussichtlich einen weiteren Nettoverlust bedeuten, nur die Höhe ist offen.

Anstatt einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung – notwendigerweise bei vollem Lohn- und Personalausgleich wie wir als Netzwerk meinen – soll es ab 2026 die Möglichkeit einer freiwilligen befristeten Arbeitszeitverlängerung auf 42 Stunden pro Woche geben. Das bedeutet aus unserer Sicht eine sehr große Gefahr. Denn dies soll höhere Arbeitszeiten normalisieren und geht in die völlig falsche Richtung. Zu Recht sagt Bernd Riexinger, der ehemalige ver.di Geschäftsführer von ver.di Stuttgart und später ehemalige Ko-Vorsitzende der Partei die Linke, in Reaktion auf die Schlichtungsempfehlung: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass meine Gewerkschaft einer Verlängerung der Arbeitszeit auf 42 Stunden zustimmen kann. Auch nicht auf freiwilliger Basis. Gegen den Vorstoß zur Arbeitszeitverlängerung durch die Arbeitgeberverbände haben wir 2006 neun Wochen gestreikt. Letztes Jahr jährte sich der Kampf um die 35-Stunden-Woche zum 40. Mal. Im ÖD werden immer noch jede Woche 4 Stunden mehr gearbeitet. Längst hätte die kollektive Verkürzung der Arbeitszeit auf die Tagesordnung gesetzt werden müssen.“ Genau so ist es. Dieser Schlichtungsempfehlung darf auch aus diesem Grund nicht zugestimmt werden! Leider sieht es zurzeit danach aus, als ob die ver.di-Führung dennoch zur Annahme der Schlichtungsempfehlung tendiert. Hier sollte man jetzt versuchen, Druck von unten zu machen, damit es nicht dazu kommt.

Schlichtung

Es ist ein Problem, dass die Tarifrunden im öffentlichen Dienst immer mehr über Schlichtungsverfahren geregelt werden. Entscheidend für Tarifergebnisse ist der Druck aus den Betrieben. Dieser entsteht durch Streiks. Leider hat die ver.di-Führung schon in den letzten Jahren das Mittel von Erzwingungsstreiks kaum noch angewendet. Das Tarifprozedere ist zu einer Routine geworden und man hat sich daran gewöhnt, dass man etwa bei der Hälfte der Forderungen bzw inzwischen darunter anlangt, insbesondere durch lange Laufzeiten. Durch die Schlichtungsvereinbarung, die ver.di seit Jahrzehnten mit den Arbeitgebern von Bund und Kommunen abgeschlossen hat, hat sich die Gewerkschaft selbst die Hände gebunden, denn durch diese Vereinbarung können die Arbeitgeber mit Anrufung des Schlichters ein solches Verfahren durchsetzen. Diese Vereinbarung muss dringend gekündigt werden!

Eine „Schlichtung“ klingt so, als ob diejenigen, die den Streit schlichten, „von außen“ kommen und eine neutrale Position einnehmen würden. Das ist aber nicht der Fall. Sowohl der von den Arbeitgebern eingesetzte Schlichter Roland Koch (CDU) als auch der von ver.di einberufene Schlichter Hans-Henning Lührs (SPD) haben in der Vergangenheit auf Arbeitgeberseite Verschlechterungen gegen die Beschäftigten durchgesetzt.

Hans-Henning Lührs war Vorsitzender des Kommunalen Arbeitgeberverbandes sowie Staatssekretär unter dem Bremer Finanzsenator Ulrich Nußbaum, der sich Anfang der 2000er Jahre mit einem Kürzungsprogramm im Stadtstaat bekannt machte. Roland Koch hat von 1999 bis 2010 als Ministerpräsident von Hessen ein massives Sparprogramm im öffentlichen Dienst durchgezogen, inklusive des Ausstiegs aus dem Ländertarifvertrag und einer Arbeitszeitverlängerung für hessische Beamte! Dieser hatte nun den Vorsitz in der Schlichtungskommission, was ihm das entscheidende Stimmrecht gab. Und er sagte wohl, mit ihm kann es keine Arbeitszeitverkürzung geben. Das glauben wir ihm gerne. Doch mit ver.di darf es auch keine Arbeitszeitverlängerung geben! Die freiwillig längere Arbeitszeit von heute ist die verpflichtende von morgen! Es ist genau die Richtung, in die die Arbeitgeberverbände jetzt gehen wollen! Arbeitszeitverlängerung – und das in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit! Stattdessen müssen die Gewerkschaften jetzt Gegenwehr gegen solche Vorstöße organisieren, und es mit dem Kampf für Verbesserungen anstatt Verschlechterungen verbinden.

Mehr ist drin!

Häufig wird gesagt, die Mobilisierungsfähigkeit sei begrenzt bzw. die Kampfbereitschaft zu gering. Doch diese hängt natürlich auch von der Entschlossenheit der Führung der Gewerkschaft ab. Diese war in dieser Tarifrunde nicht erkennbar. Es gibt eine bedeutende Anzahl von entschlossenen aktiven ver.di-Mitgliedern, die bereit sind zu kämpfen. Die Aufgabe wäre jetzt, dass dieser Kern auf diejenigen zugeht, die noch überzeugt werden müssen. Dafür sollten Arbeitsstreiks und Schulungen organisiert werden, Mitgliederversammlungen und Informationsabende, in denen die Sachlage dargestellt wird. Wichtig ist auch aufzuzeigen, dass genügend Geld in den öffentlichen Kassen für den öffentlichen Dienst da wäre bzw. bei den Milliardären geholt werden könnte, wenn es den politischen Willen gäbe. Da dieser nicht da ist, muss entsprechender Druck aufgebaut werden – und zwar mit Streiks und Demonstrationen. Auf dieser Grundlage sollte die Urabstimmung durchgeführt werden. Bei den Versammlungen sollten auch überall Streikdelegierte gewählt werden. Wir sind der Meinung, damit es eine demokratische Streikführung geben kann und auch eine gute Einschätzung über die Kraft im Arbeitskampf auf bundesweiter Ebene, sollte eine bundesweite Streikdelegiertenkonferenz gebildet werden, wo gewählte Delegierte aus allen Bezirken zusammen kommen. Diese sollten über alle Angebote diskutieren und über Annahme oder Ablehnung auf Grundlage von Rückkopplung und Abstimmungen in den örtlichen Streikversammlungen entscheiden. Auf einer solchen Streikdelegiertenkonferenz könnten auch Streikstrategien und die Möglichkeiten für eine Eskalation in den Arbeitskampfmaßnahmen sinnvoll diskutiert und entschieden werden.

Streikbereitschaft und Strategie

Es ist gut, dass besondere Druckbetriebe mit ökonomischer Wirkung und Streikbereitschaft identifiziert wurden. So könnte ein Streik in diesen beginnen, sollte aber im Laufe eines Erzwingungsstreiks ausgebaut werden bis hin zum mehrtägigen bzw. unbefristeten Vollstreik, je nachdem wie stark die Stimmung an der Basis ist. Ein solcher Arbeitskampf müsste mit einer systematischen Solidaritätskampagne aus allen ver.di-Bereichen wie auch den DGB-Gewerkschaften unterstützt werden. Es müsste eine massenhafte Informationskampagne in alle Betriebe hinein geben, um der Hetze aus den bürgerlichen Medien etwas entgegenzusetzen. Solidaritätsbesuche aus anderen Betrieben und Solidaritätsdemonstrationen sollten Teil einer solchen Tarifbewegung sein, die auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung erlangen würde. Denn letztlich geht es beim öffentlichen Dienst um essenzielle Dienstleistungen für die Masse der arbeitenden Bevölkerung – von den Kitas bis zu den Krankenhäusern, von den Ämtern bis zu den Schwimmbädern, von der Müllentsorgung bis zu den Flughäfen etc.

Es ist wichtig, klare Signale von der Basis zu organisieren, damit die Bundestarifkommission ein Ergebnis entlang der Schlichtungsempfehlung nicht annimmt. Wir rufen dazu auf, in den Betrieben Diskussionen und Abstimmungen durchzuführen, die Ergebnisse an die BTK-Mitglieder zu überreichen, Fotos mit Botschaften wie „Wir sind streikbereit“ von Kolleg*innen zu machen und sie zu posten, alle Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen, um dieses Signal an die Bundestarifkommission zu senden: Nein zum Schlichterspruch! Wir sind bereit, für unsere mehr als berechtigten Forderungen zu kämpfen.

Vernetzung

Es wird angesichts der Arbeitgeberoffensive und der Regierung unter Merz, die voraussichtlich harte Angriffe gegen die Arbeiter*innenklasse fahren wird, immer dringender, kämpferische und demokratische Gewerkschaften zu haben. Dafür sollten sich kämpferische Kolleg*innen und Betriebsgruppen bundesweit systematisch miteinander vernetzen, um einen Kurswechsel auch in ver.di herbeizuführen – weg von einer Haltung vorauseilender Kompromisse hin zu einer kämpferischen und konsequenten Gewerkschaftspolitik. Meldet euch beim Netzwerk!

„Löhne erhöhen. Mieten senken. Frieden schaffen.“ – Demo

Forum Gewerkschaftiche Linke Berlin unterstützt die Demo am Vorabend zum 1.Mai

Mi., 30.04.2025 | 17:00 Uhr | Elise-und-Otto-Hampel-Platz/ U-Bhf. Leopoldplatz
Endpunkt: S-Bhf. Humboldthain

Hände weg vom Wedding ruft auf:

Seit Jahren wird in Berlin gespart und gekürzt. Diese Kürzungspolitik wurde jetzt auf einen neuen Höhepunkt getrieben: In den Bereichen Bildung, Soziales, Kultur und der öffentlichen Infrastruktur wird mit neuer Wucht eingespart und kaputtgespart. Dieser Angriff auf unsere Lebens- und Versorgungssituation kommt trifft auf eine ohnehin schon katastrophale Wohnsituation, mit der wir es in Berlin seit Jahren zu tun haben:
Große Immobilienkonzerne bereichern sich an unseren viel zu hohen Mieten.

Gebaut werden vor allem überteuerte Neubauwohnungen und Eigentumswohnungen – wer sich das nicht leisten kann, wird verdrängt. Viele von uns fragen sich, wie lange sie noch im Wedding leben können. Wir sollen in überfüllten Bahnen und auf gestauten Straßen zu unseren schlecht bezahlten Jobs pendeln, vorbei an Cafés, die wir uns nicht leisten können, in Vierteln, in denen wir nicht mehr leben dürfen.

Seit Jahren steigen die Preise für Lebensmittel, Energie und Wohnen – unsere Löhne aber bleiben gleich, und jetzt sind sogar unsere Arbeitsplätze bedroht. Während in unserem Leben alles teurer wird, niemand mehr bezahlbaren Wohnraum findet und nun Tausende ihre Stellen zu verlieren drohen, gibt die Bundespolitik, eingebettet in einen europaweiten Wahn, Milliarden für Aufrüstung und Militarisierung aus.

Die Bundeswehr soll einsatzbereit gemacht werden, die Rüstungsproduktion soll hochgefahren werden, die Bevölkerung soll sich auf einen Krieg vorbereiten. Plötzlich werden Schulden zugelassen, wo immer gesagt wurde, das Geld könne nicht ausgegeben werden. Die Regierung schreit nach Krieg, und wir müssen den Gürtel enger schnallen. Denn wer wird für diese Ausgaben geradestehen? Wir.
Krieg und Krise werden auf unserem Rücken ausgetragen und auf uns abgewälzt. Doch darauf haben wir keinen Bock. Wir wollen nicht für ihre Profite zahlen und uns nicht in ihre Kriege einbinden lassen.

Was wir wollen oder nicht wollen, interessiert hier aber keinen. Um unseren Protest zu ersticken, wird versucht, uns zu spalten. Schuld an unserem Elend seien nicht die Profitgier der Eigentümer:innen und Großunternehmer:innen, sondern die Schutzsuchenden. Sie hetzen gegen Migrant:innen, gegen unsere Klassenbrüder und Klassenschwestern, gegen Menschen, die Schutz vor Krieg, Naturkatastrophen und Armut suchen. Wir erleben mit, wie rechte Parteien immer stärker werden – dabei folgen ihnen die sogenannten Parteien der Mitte und setzen ihre Politik bereits heute um. Die neue Bundesregierung wird diese Entwicklung nicht nur nicht aufhalten, sondern beschleunigen.

In Zeiten wie diesen ist es besonders wichtig, dass wir zusammenstehen. Gemeinsam können wir uns wehren – gegen Verdrängung, gegen Kürzungen und gegen Spaltung. Wir als „Hände weg vom Wedding“ bieten Nebenkosten-, Jobcenter- und Migrationsrechtsberatung an, um gemeinsam mit euch Lösungen und Anknüpfungspunkte für den Kampf zu finden.

Wir organisieren uns im Betrieb, mit den Nachbar:innen und als Eltern, denn gemeinsam können wir etwas verändern. Wir gründen Betriebsräte, planen Aktionen, gehen auf Demos, tauschen uns aus und unterstützen uns gegenseitig. Denn für uns ist klar: Sie können uns nicht kriegstüchtig machen, wenn wir ihren Krieg ablehnen.

Sie können unsere Löhne nicht weiter kürzen, wenn wir uns zum Streik zusammenschließen.
Sie können uns nicht spalten, wenn wir zusammenstehen.

Deshalb kommt mit uns am 30.04. auf die Straße und zeigt mit uns: Der Wedding wehrt sich! Berlin wehrt sich! Es ist an der Zeit, dass sie unsere Löhne erhöhen, unsere Mieten senken und Frieden schaffen!

Wir fordern:

  • Eine sofortige Rücknahme der Kürzungen im sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Bereich,
  • das Ende der Aufrüstung: Ein Stopp der milliardenschweren Finanzierung von Kriegstüchtigkeit und der Rüstungskonzerne,
  • die sofortige Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung der großen Immobilienkonzerne, direkte Entlastung bei unseren Mieten,
  • eine dauerhafte und bedarfsgerechte Finanzierung der Bereiche Gesundheit, Kultur, Soziales und Wohnen!

Löhne erhöhen. Mieten senken. Frieden schaffen!

Gehen wir gemeinsam auf die Straße!

Aktuelles: Wegner will ausländische Berliner:innen abschieben! Mehr Info zu den Hintergründen und Protesten hier! Beteiligt Euch!

hier zum Originalaufruf der Veranstalter

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