Millionen sind stärker als Millionäre

Von Andreas Buderus

Bild: Foto aus „100 Jahre im Wort“; Zur Geschichte der IG Metall. (S. 482) Herausgegeben vom Vorstand der IG Metall 1983. Wir Linken können auch sehr konservativ sein. Gute Traditionen entsorgt man nicht. (Jochen Gester)

Die Industriekonferenz der IG Metall (IGM) Mitte September markierte einen wichtigen Moment der gewerkschaftlichen Selbstverständigung. Vor über 250 Betriebsräten, Gewerkschaftern, Politikern und Wissenschaftlern haben die beiden Spitzenfunktionäre der Gewerkschaft, Christiane Benner und Jürgen Kerner, die Bedeutung industrieller Arbeit für Wohlstand, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt betont. Benner erinnerte daran, dass »Millionen stärker sind als Millionäre«, und forderte eine Industriepolitik mit Gestaltungsanspruch, finanziert durch höhere Steuern für Vermögende. Kerner wiederum hob hervor, dass die Zukunft von Industriearbeit eine Frage des politischen Willens sei: Standort- und Beschäftigungssicherung, Tarifbindung und Investitionen in erneuerbare Energieträger gehörten zu den Stellschrauben für »gute Arbeit«.

Leerstelle Militarisierung

Die Botschaften von Benner und Kerner sind klar: Industriearbeit gilt als systemrelevant, sie soll erhalten und erneuert werden. Doch die entscheidende Leerstelle bleibt die Frage der Militarisierung. Während die IGM-Spitze den Erhalt industrieller Wertschöpfung und von Arbeitsplätzen zu Recht betont, drängt die Kriegswirtschaft auf die Tagesordnung: Bundes- und Landespolitik, Konzerne und Verbände drängen darauf, Rüstung als »Zukunftsindustrie« zu verankern. Rheinmetall und andere Kriegskonzerne melden Rekordgewinne, die Bundesregierung plant ein Aufrüstungsprogramm historischen Ausmaßes.

Die Satzung der IG Metall verpflichtet die Organisation ausdrücklich auf andere Ziele: den Einsatz für Frieden, Völkerverständigung, Abrüstung, demokratische Kontrolle der Wirtschaft und Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien. Schon in den 1980er Jahren formulierte die Gewerkschaft, dass sie Rüstungskonversion – also die Umwandlung militärischer in zivile Produktion – befördern müsse. Diese Grundsätze sind kein formales Beiwerk, sondern Resultat der antifaschistischen Erfahrung der Arbeiterbewegung und der bitteren Niederlage in der Weimarer Republik, als Gewerkschaften und Sozialdemokratie zu spät und zu halbherzig gegen Militarismus, Kriegsvorbereitung und Faschismus opponierten.

Gerade in dieser historischen Perspektive stellt sich heute die Frage: Hält die IG Metall angesichts der weltweiten Kriege an ihren eigenen Ansprüchen und Zielen fest, oder bewegt sie sich in Richtung einer Mitverwaltung des Militarismus? Die aktuelle Forderung der IG Metall Küste nach einer Übergewinnsteuer für die Rüstungsindustrie verdeutlicht das Dilemma: Einerseits greift sie zu Recht die Profiteure des Krieges an, andererseits bleibt sie im Rahmen einer Politik, die die Existenz und Expansion der Rüstungsproduktion affirmiert, statt ihre Vergesellschaftung und ihre Umwandlung in zivile und gesellschaftlich sinnvolle Produktion einzufordern.

Damit steht die Gewerkschaft an einem Scheideweg: Folgt sie der Kriegsregierung 2.0 weiter in den rüstungskeynesianistischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, oder nimmt sie ihre eigenen Satzungsziele ernst – für eine vergesellschaftete antimilitaristische und ökologisch nachhaltige Industriepolitik?

Debatte um »Übergewinnsteuer«

Die IG Metall Küste hat Mitte September 2025 ein politisches Signal gesetzt: Sie fordert eine Übergewinnsteuer für Rüstungskonzerne. Hintergrund sind die enorm gestiegenen Profite von Rheinmetall, Hensoldt oder Leonardo seit Beginn des ­Ukraine-Krieges. Während die Beschäftigten in allen Branchen mit Inflation, steigenden Energiepreisen und wachsender Unsicherheit kämpfen, feiern die Rüstungskonzerne Börsenrekorde – gestützt durch milliardenschwere Staatsaufträge, also durch Steuergelder. Bezirksleiter Daniel Friedrich formulierte es scharf: »Rüstungskonzerne machen Rekordgewinne – nicht wegen Innovation oder Risiko, sondern wegen Krieg und staatlichen Aufträgen. Das darf keine Lizenz zum Gelddrucken sein.«

Der Vorschlag der IG Metall Küste sieht vor, dass Gewinne, die mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre liegen, mit einem zusätzlichen Steuersatz von 50 Prozent belegt werden sollen. Friedrich verweist auf historische Vorbilder: Während der Weltkriege seien Übergewinne in den USA, Großbritannien und Frankreich mit bis zu 95 Prozent besteuert worden. Auch die Energiekrise 2022/23 habe gezeigt, dass solche Sondersteuern gesellschaftlich durchsetzbar sind.

Die Forderung ist ohne Zweifel populär – sie setzt an einem verbreiteten Gerechtigkeitsempfinden an. Doch aus marxistischer Perspektive bleibt sie ambivalent. Denn die Übergewinnsteuer greift nicht die Eigentums- und Machtverhältnisse an, die diese Profite hervorbringen. Sie stellt lediglich sicher, dass ein Teil der Kriegsgewinne abgeschöpft und für »gesellschaftliche Aufgaben« wie Bildung, Transformation oder Soziales verwendet wird. Damit wird die Rüstungsproduktion jedoch nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil als unvermeidlicher Bestandteil der ökonomischen Ordnung akzeptiert.

Mehr noch: Die Gewerkschaft bewegt sich mit dieser Forderung in den Bahnen einer kriegskeynesianistischen Logik, die von der Bundesregierung längst verankert ist. Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) spricht offen von einem »Investitionsbooster«, der mit Steuergeldern und Sonderfonds vorrangig den Ausbau des Rüstungssektors subventioniert. Die neue Schuldenpolitik priorisiert Aufrüstung gegenüber Klimaschutz und Infrastruktur. Während Panzer, Munition und Kampfflugzeuge ohne Budgetbegrenzung finanziert werden, stehen Mittel für Schulen, Krankenhäuser oder den ökologischen Umbau unter »Finanzierungsvorbehalt«.

In dieser Konstellation wirkt die Übergewinnsteuer wie ein Feigenblatt. Sie macht den Rüstungsboom nicht rückgängig, sondern tarnt ihn als »sozial gerecht«. Statt das kriegsgetriebene Produktionsmodell in Frage zu stellen, akzeptiert die IG Metall Küste damit die Logik des Militarismus und beschränkt sich auf dessen Umverteilungseffekte.

Der entscheidende blinde Fleck bleibt dabei die Eigentumsfrage. Vom gewerkschaftlich klassenautonomen Standpunkt aus ist es eben nicht entscheidend, ob ein kleiner oder größerer Teil der Rüstungsprofite in die öffentliche Kasse fließt, sondern ob diese Profite überhaupt entstehen dürfen – also ob die Rüstungsproduktion als solche akzeptiert und staatlich gepampert oder vergesellschaftet, konvertiert und überwunden wird. Eine Steuerpolitik, die lediglich Kriegsgewinne abschöpft, bedeutet in letzter Konsequenz die politische Anerkennung des Rüstungssektors als legitimer Teil der Wertschöpfung. Damit gerät die Gewerkschaft in Widerspruch zu ihren eigenen Satzungszielen.

Wenn also Gewerkschafter wie IGM-Bezirksleiter Küste Daniel Friedrich betonen, es gehe um »Solidarität und Verantwortung in Krisenzeiten«, so ist zu fragen: Solidarität mit wem? Verantwortung gegenüber wem? Eine Politik, die die Rüstungskonzerne als gegeben hinnimmt und nur ihre Extraprofite besteuern will, läuft Gefahr, zur sozial verbrämten Begleitmusik einer Militarisierungspolitik zu werden, die im Kern kapitalistische Klasseninteressen absichert.

Kriegskeynesianismus

Militär- bzw. Rüstungskeynesianismus ist keineswegs neu. Schon im Zweiten Weltkrieg wurde diese Form der Wirtschaftspolitik geprägt: Aufrüstung und Krieg beseitigten in den USA und in Großbritannien die Massenarbeitslosigkeit der 1930er Jahre, das Wachstum lag zeitweise bei über 17 Prozent jährlich. Auch die Nachkriegsjahrzehnte waren davon geprägt: In den USA machten Militärausgaben bis in die 1970er Jahre hinein die Hälfte des Bundeshaushalts aus. Doch schon damals war klar: Der militärische Konjunkturzyklus erzeugte keine nachhaltige Wohlfahrtsentwicklung, sondern verschob gesellschaftliche Ressourcen auf zerstörerische Bahnen.

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Heute knüpft die deutsche Regierung offen an diese Tradition an. Die Aufhebung der Schuldenbremse für militärische Zwecke markiert einen historischen Einschnitt. Lars Klingbeil nennt sich selbst »Investitionsminister«, vermeidet jedoch jeden Hinweis auf zivile Infrastrukturprojekte. Der einzige konkrete »Investitionsbooster« betrifft steuerliche Vorteile für Erweiterungen im Rüstungssektor. Damit ist Deutschland in einer Phase angekommen, die Beobachter als »vorkeynesianischen, von konservativen Kräften tolerierten Militarismus« bezeichnen. Keynesianische Wirtschaftspolitik – die eigentlich in Form von öffentlichen Aufträgen soziale Infrastruktur, Verkehr oder Bildung fördern sollte – wird auf den Rüstungsbereich reduziert. Das Militär gilt als einzige akzeptierte Form staatlicher Nachfragepolitik. Die Folgen sind absehbar:

– Ökonomisch: Rüstungsausgaben schaffen keine nachhaltigen Produktivkräfte. Waffen sind unproduktive Güter – sie verkörpern gesellschaftliche Arbeit, die in ihrer Zerstörung enden muss. Studien zeigen seit Jahrzehnten, dass mit derselben Investitionssumme in Bildung, Gesundheit oder Wohnungsbau zwei- bis dreimal so viele Arbeitsplätze entstehen könnten wie in der Rüstungsindustrie. Jeder Arbeitsplatz in der Waffenproduktion ist also nicht nur teurer, sondern auch volkswirtschaftlich ineffizient.

– Sozial: Militarisierung geht mit Sozialabbau einher. Während Milliarden für Panzer und Kampfflugzeuge bereitstehen, werden Renten, Krankenhäuser oder Kitas der Schuldenbremse unterworfen. Militärkeynesianismus bedeutet damit die Priorisierung von Tod und Zerstörung vor Leben und Daseinsvorsorge.

– Politisch: Wer die Wirtschaft auf Rüstung ausrichtet, plant den Krieg. Waffen, die produziert werden, wollen eingesetzt werden. Militarisierte Ökonomien erzeugen nicht nur materielle Abhängigkeiten, sondern auch ideologische: Sie verschieben das gesellschaftliche Klima in Richtung »Kriegstüchtigkeit« und autoritäre Formierung.

Die gegenwärtige Bundesregierung hat sich offen auf diesen Kurs festgelegt. Das neue Grundgesetz zur Schuldenpolitik schreibt die Priorisierung von Militärausgaben über alle anderen Staatsaufgaben fest. Kommentatoren sprechen von einem »dauerhaften Bekenntnis zum Militärkeynesianismus«, das die Klimaziele unmöglich macht.

Aus gewerkschaftlicher Sicht ist dieser Weg nicht nur falsch, sondern auch illusionär. Er verschleiert die tiefere Ursache der Krise: den tendenziellen Fall der Profitrate und die Überakkumulation von Kapital. Rüstungsausgaben wirken kurzfristig als Ventil für überschüssiges Kapital – sie schaffen Nachfrage für Waren, die keine zivilen Märkte finden. Doch sie lösen das Grundproblem nicht, sondern verschärfen es. Militärkeynesianismus ist eine Sackgasse: Er mag kurzfristig Konjunktur und Aktienkurse stützen, er zementiert jedoch Krieg als Strukturprinzip des Kapitalismus. Er ist nicht der Ausweg aus der Krise, sondern Ausdruck ihres destruktiven Charakters.

Alternative: Vergesellschaftung

Die Debatte um eine Übergewinnsteuer zeigt: Mit bloßen fiskalischen Korrekturen wird das Grundproblem nicht gelöst. Die Satzung der IG Metall weist einen anderen Weg. Dort ist festgeschrieben, dass die Gewerkschaft für »die Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentum« einzutreten hat und dass sie sich für Frieden, Völkerverständigung und Abrüstung einzusetzen verpflichtet. Diese Grundsätze sind Resultat der antifaschistischen Erfahrung: Militarismus, Profitgier und die Schwäche der Arbeiterbewegung trugen wesentlich zum Scheitern der Weimarer Republik und zum Aufstieg des Faschismus bei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus bestand ein antifaschistisch-kapitalismuskritischer Konsens – bis hinein in das Ahlener Programm der CDU von 1947, in dem festgestellt wurde, dass »das kapitalistische Wirtschaftssystem den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden ist. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.«

Vergesellschaftung bedeutet: Produktionsmittel werden der privaten Profitlogik entzogen und unter demokratische Kontrolle gestellt. Für die Rüstungsindustrie heißt das, ihre Ressourcen und Belegschaften aus der Logik der Kriegsprofite zu lösen und in den Dienst gesellschaftlicher Bedürfnisse zu stellen – Mobilität, erneuerbare Energieträger, Gesundheit, Pflege. Die IG Metall könnte hier eine Vorreiterrolle spielen. Statt die »Zeitenwende«-Rhetorik zu begleiten, müsste sie die Eigentumsfrage offensiv stellen: Wem gehört die Industrie – Konzernen und Aktionären oder der Gesellschaft?

Die Idee der Konversion ist seit Jahrzehnten in der Gewerkschaftsbewegung präsent. Sie kann verschiedene Formen annehmen, sei es Produktionskonversion, bei der Waffenfabriken zu zivilen Fabriken werden, Humankonversion, bei der Beschäftigte aus der Rüstungsindustrie in zivile Bereiche wechseln, oder finanzielle Konversion, bei der Gelder entsprechend umgeleitet werden.

Schon in den 1980er Jahren gab es zahlreiche betriebliche Arbeitskreise der IG Metall, die mit Vorschlägen für »alternative Produktion« ­Stillegungen abwehren wollten. Legendär bleibt das Beispiel von Lucas Aerospace in Großbritannien: Arbeiterinnen und Arbeiter entwickelten Pläne für gesellschaftlich nützliche Produkte – ein direkter Angriff auf das kapitalistische Direktionsrecht und zugleich Beweis, dass Belegschaften die besseren Ideen haben.

Heute ist die Frage wieder hochaktuell. In Florenz beispielsweise hat die Belegschaft des Autozulieferers GKN seit 2021 den Betrieb besetzt und einen eigenen Plan für Konversion entwickelt: Statt Entlassungen und Schließung fordern sie eine Überführung in Gemeineigentum und die Umstellung auf Produkte für die Energiewende und nachhaltige Mobilität. In Osnabrück droht die Übernahme des VW-Werks durch Rheinmetall. Beschäftigte und Initiativen fordern: »Busse statt Panzer« – also eine Umstellung auf nachhaltige Mobilität.

Beide Fälle zeigen: Konversion ist keine abstrakte Utopie, sondern eine realistische Strategie, die Beschäftigte selbst formulieren. Sie verbindet Arbeitsplatzsicherung mit gesellschaftlicher Verantwortung – und steht in offenem Widerspruch zum Kurs des Militärkeynesianismus.

Im Kern geht es um einen Systemgegensatz: Kapitalistische Profitmaximierung bedeutet, dass Produktion einzig der privaten Aneignung von Gewinn dient. Produkte – ob Panzer oder SUVs – werden hergestellt, solange sie maximale Rendite versprechen. Ihre gesellschaftlichen und ökologischen Folgen sind zweitrangig. Vergesellschaftete Produktion dagegen orientiert sich am gemeinsamen Fortschritt der Gesellschaft und am Schutz des Planeten. Sie fragt nicht nach dem höchstmöglichen Profit, sondern nach dem höchsten gesellschaftlichen Nutzen: sichere Arbeitsplätze, klimaneutrale Mobilität, Gesundheitsversorgung, Bildung, Kultur.

Konversion ist daher nicht nur ein technischer Umbau, sondern eine politische Entscheidung: Soll menschliche Arbeit Zerstörung oder Leben dienen? Waffenproduktion schafft Profite, indem sie Tod vorbereitet. Vergesellschaftete Konversion schafft Produkte, die Zukunft sichern.

Die gesellschaftliche Lage ist paradox: Auf der einen Seite liegen vielfältige Konzepte, technologische Möglichkeiten und gewerkschaftliche und Belegschaftserfahrungen für eine sozial-ökologische Konversion vor – vom Lucas Aerospace-Plan in den 1970ern bis zu GKN Florenz und Osnabrück heute. Auf der anderen Seite erleben wir eine Entwicklung, die Konversion in ihr Gegenteil verkehrt: Zivile Industrien – Automobil, Maschinenbau, Halbleiter – werden zunehmend in die Rüstungslogik hineingezogen.

Während Gewerkschafter in den 1980ern mit Nachdruck forderten: »Schwerter zu Pflugscharen«, erleben wir heute die Umkehrung: Pflugscharen zu Schwertern – »Konversion pervers«. Zivile Betriebe werden »konvertiert«, aber nicht zum Nutzen der Gesellschaft, sondern für die Kriegsproduktion. Automobilzulieferer liefern Militärfahrzeuge, Stahlwerke produzieren Panzerstahl, Forschungsgelder für Energiewende und Transformation werden umgeleitet, um Drohnen und Raketen zu entwickeln.

Neuer Burgfrieden

Die »Konversion pervers« ist nicht einfach ein Betriebsunfall, sondern nachgewiesener volkswirtschaftlicher Irrsinn und ein politisches Armutszeugnis. Denn die Gewerkschaften – und allen voran die IG Metall – verfügen trotz aller Schwächungen immer noch über reale Organisationsmacht und über das Spezialistenwissen ihrer Mitglieder und Betriebsräte. Sie hätten es überhaupt nicht nötig, sich in die Profitmaximierungslogik des militärisch-industriell-digitalen Komplexes und seiner Steigbügelhalter in den Regierungen einzureihen. Die parallel geführte Debatte um eine »Übergewinnsteuer« wirkt dabei wie eine Nebelkerze: Sie soll den Eindruck erwecken, der Rüstungsboom lasse sich irgendwie »sozial zähmen«. Tatsächlich kann sie aber nicht verdecken, dass Gewerkschaften mit ihrem Schweigen oder ihrem aktiven Zutun zur »Konversion pervers« und damit zur Fütterung der Kriegsbestie beitragen. So wird aus ökonomischem Unsinn ein politischer Offenbarungseid: der erneute Burgfrieden, der – historisch belegt – stets in Verrohung, Krieg, Zerstörung, Verstümmelung und massenhaften Tod mündet. Genau dadurch wird die Preisgabe eigener Ziele und Möglichkeiten nicht nur zum Verrat an der eigenen Geschichte – schlimmer noch: zur kapitulantenhaften Selbstaufgabe.

Das Kapital »ernährt« sich zunehmend von Ressourcen, die es nicht selbst schafft: von öffentlichen Mitteln, von der Zukunft der nächsten Generationen, von der Zerstörung ökologischer Grundlagen. Es produziert nicht mehr in erster Linie Waren für menschliche Bedürfnisse mit realem Gebrauchswert, sondern Waren, die nur durch Vernichtung – durch Krieg – ihren profitschöpfenden »Sinn« erhalten.

Statt Übergänge zu einer neuen, zukunftsfähigen Gesellschaft zu schaffen, verzehrt das System seine Grundlagen – ökonomisch, ökologisch, sozial: Die Rüstung bindet Kapital in unproduktiven Sektoren und treibt die Verschuldung voran. Das Militär zerstört Ressourcen, die für die Energiewende nötig wären. Und Beschäftigte werden in Kriegsproduktion gedrängt, während zivile Bereiche verfallen.

Gerade deshalb ist Konversion heute notwendiger denn je. Sie stellt die Eigentumsfrage: öffentliche Kontrolle statt privater Kriegsprofite. Sie sichert Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Sektoren. Sie setzt gesellschaftliche Ressourcen dort ein, wo sie gebraucht werden – für den Fortschritt der Gesellschaft und den Erhalt des Planeten.

Zurück zu eigenen Ansprüchen

Die IG Metall ist nicht irgendeine Organisation. Mit immer noch knapp zwei Millionen Mitgliedern, tiefer Verankerung in den Schlüsselindustrien und einer stolzen Geschichte antifaschistischer und antimilitaristischer Kämpfe trägt sie eine Verantwortung, die weit über Tarifpolitik hinausreicht. Ihre Satzung verpflichtet sie ausdrücklich zu Frieden, Völkerverständigung, Abrüstung und Vergesellschaftung. Genau daran muss sie sich messen lassen. In ihren Grundsatzerklärungen formuliert die IG Metall immer wieder hohe Ansprüche: Demokratie stärken, Transformation gestalten, gute Arbeit sichern. Auf der aktuellen Industriekonferenz betonten Christiane Benner und Jürgen Kerner, Industriepolitik müsse im Interesse der Beschäftigten gestaltet werden.

Doch ausgerechnet die zentrale Frage – die Kriegsertüchtigung und Militarisierung der Industrie – bleibt ausgeklammert. Statt dessen schiebt die Führung die Debatte um eine »Übergewinnsteuer« vor. Anstatt ihre reale Organisationsmacht und das enorme Spezialistenwissen der Mitglieder und Betriebsräte zu nutzen, beschränkt sich die IG-Metall-Führung aktuell noch darauf, die Militarisierung zu verwalten. Kerner sprach auf der Handelsblatt-Tagung »Wirtschaftsfaktor Rüstung« – ausgerechnet am 1. September, dem Antikriegstag! – über Zertifizierungsverfahren, die Unternehmen beim Einstieg in die Waffenproduktion zu beachten hätten. Nicht die Frage »Wie stoppen wir diese Entwicklung?« sondern »Wie begleiten wir sie?« stand im Zentrum. Diese Haltung markiert einen Rückschritt hinter die eigene Geschichte. In den 1980er Jahren formulierte die IG Metall klare Positionen gegen die Militarisierung. Noch bis in die frühen 2000er Jahre hinein war die Orientierung eindeutig: Rüstung schafft keine Zukunft, Konversion ist notwendig.

Damals wie heute gilt: Wer meint, im herrschenden kapitalistischen System einen »sozialen Frieden« um den Preis von Kriegsproduktion erkaufen zu können, landet am Ende wieder bei Krieg, Zerstörung und Tod. Die IG Metall muss sich entscheiden: zwischen ihrer Satzung und einem verordnetem »There is no alternative!«. Zwischen den Erfahrungen der Vergangenheit und den erneuten nationalistischen Sirenengesängen der Kriegstreiber. Zwischen Frieden und Krieg. Will sie zum verlängerten Arm des Rüstungsbooms werden – oder knüpft sie an ihre eigenen Satzungsziele an, die eine klare antimilitaristische Orientierung verlangen?

Darum muss der Appell lauten: IG Metall, nimm deine eigenen Ansprüche ernst! Keine Anpassung an die Kriegslogik, keine Nebelkerzensteuer, kein Burgfrieden. Statt dessen: antimilitaristische Klassenpolitik, vergesellschaftete Industriepolitik, sozial-ökologische Konversion.

Andreas Buderus ist Mitinitiator der gewerkschaftlichen Basisinitiative »SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden«. An dieser Stelle schrieb er zuletzt am 15. September 2025 über den Niedergang des Kapitalismus: »Reale Barbarei«

https://www.jungewelt.de/templates/article-donation.inc.php

Erstveröffentlicht in der jungen Welt v. 9.10. 2025
https://www.jungewelt.de/artikel/510029.gewerkschaften-millionen-sind-st%C3%A4rker-als-million%C3%A4re.html

Wir danken für da Publikationsrecht.

Die deutsche Treue und der Tod

Zugriff auf russisches Vermögen?

Von Klaus Dallmer

10.10.2025

Bild: Russische Zentralbank. Moskau Times


Deutschland steht in Treue fest zu seiner boomenden Rüstungsindustrie und zum mordenden Israel, obwohl die International Association of Genocide Scholars (IAGS) offiziell den Völkermord festgestellt hat.
Bei einem Land, das mittlerweile bei seinem siebten Völkermord angelangt ist (fünf eigene und zwei unterstützte: Hereros, Nama, Armenier, Vernichtungsfeldzug gegen die Völker Osteuropas, Juden, Sinti und Roma, Palästinenser), nimmt es nicht Wunder, wenn es auch stiehlt. Selbstredend stehen die Massenmorde des Kaiserreichs und der Nazis nicht auf einer Stufe mit den Massenmordunterstützungen und Massenmordvorbereitungen des modernen demokratischen Deutschland, aber gestohlen haben sie alle, Kaiserreich, Naziregime und BRD (hier sagen wir nur: Treuhand). Besonders perfide war 1938 die Kaschierung der Enteignung der Juden (7,5 Milliarden Reichsmark) durch treuhänderische Überführung in Staatsanleihen zur Kriegsvorbereitung; bei der Deportation in den Tod wurde der Raubmord dann vollendet durch Streichung der Namen der Gläubiger aus dem Schuldbuch des Deutschen Reiches (so der Historiker Götz Aly).


Nun ist die EU in argen Schwierigkeiten, will sie den Staatshaushalt der Ukraine und den Krieg zur Rückeroberung von Elsass-Lothringen – äh, des Donbas zugunsten von BlackRock und Co weiter aufrechterhalten, denn die USA zahlen da nicht mehr mit. So viele Milliarden sind in das Projekt investiert, und die herrschenden Großprofiteure wollen dafür natürlich Ergebnisse sehen, sprich: Gewinnversprechende Anlagemöglichkeiten. Je länger der Krieg dauert, desto mehr kann auch am Wiederaufbau verdient werden. Und keinesfalls darf der ukrainische Großschuldner dem westlichen Zugriff abhanden kommen. Dieser wirtschaftliche Zwang zum Kriege wird ergänzt durch die Notwendigkeit, ein glaubhaftes Vorbild zu sein für Aktivisten anderswo, die – statt ihre herrschende Klasse zu stürzen – unter den Fittichen der EU ein gutes Leben suchen und dafür Bürgerkrieg, Krieg und Zerstörung riskieren wollen. Nächster Kandidat ist da Georgien.

Es ist also dringend notwendig, den eingesetzten Milliarden neues Geld hinterherzuwerfen, und zwar in erheblich größerem Umfang. Aber wo stehlen? Die galoppierende Verschuldung für die Aufrüstung, für die die Steuerzahler haften müssen, reicht dafür nicht aus. Die Verkommenheit der regierenden Millionäre, aber auch ihre hektische Suche nach Auswegen, wird vollends deutlich durch ihre Angriffe auf die Ärmsten, auf die Bürgergeldempfänger und die Pflegebedürftigen.

Von den 300 Milliarden russischen Vermögens, die in der EU blockiert sind, hat man bisher nur die Zinsen gestohlen. Alles zu stehlen traut man sich nicht, weil andere Großinvestoren ihr Kapital aus der unsicher gewordenen EU abziehen könnten. Nun ist der deutsche Kanzler (Bundes-, nicht Reichs-) mit dem Vorschlag hervorgetreten, das blockierte russische Vermögen (un)treuhänderisch als Sicherheit für 140 Milliarden Euro „Reparationsanleihen“ einzusetzen, die zukünftig aus dem Schuldbuch gestrichen werden können, wenn Russland in Friedensverhandlungen Reparationen zustimmt. In welchem Fall wird Russland dies tun? Wenn es geschlagen ist. Dieser Diebstahl zu Siegeszwecken wird vom Vizekanzler unterstützt, der Vorsitzender einer sozialdemokratischen Partei ist.

Die Perspektive, die sich für Deutschland und die EU daraus zwangsläufig ergibt, dürfte deutlich sein. Dafür werden Paul, Kai, Ismail und Susanne dem Vaterland dienen. Dafür sollen auch weitreichende Hyperschallwaffen ab 2026 in Deutschland stationiert werden. Wie man dieses ganze zwanghafte Abenteuer gegen die stärkste Atommacht der Welt unterhalb der Atomschwelle halten kann, dazu äußern sich unsere militaristisch vorwärtsstolpernden Hasardeure nicht. Wohin soll sich der bemitleidenswerte demokratische Imperialismus denn sonst ausbreiten, wenn nicht gen Osten?

Wir erinnern uns noch: einst war die Erkenntnis verbreitet, dass Kapital immer wachsen muss, und wird nicht eine gewisse Gewinnrate erzielt, so werden die Kredite faul und die Banken brechen ein. Gaukelt man dem braven Volk aber eine äußere Bedrohung vor – die man im übrigen selbst erzeugt hat – so lässt es sich die vorgespiegelte Frechheit nicht bieten und will mit den Herrschenden gemeinsam auf die Pauke hauen. Erkenntnisse lösen sich in Luft auf. So war es beim „Ausbruch“ des Ersten und des Zweiten Weltkrieges

Eigentlich sollte es nun allgemein deutlich werden, wes Geistes Kind die Eigner des Großkapitals sind, die unsere Gesellschaft bestimmen, und wem sich die Gewerkschaften, zumindest die deutschen, sozialpartnerschaftlich weiterhin unterwerfen. Noch sind nur wenige zaghafte Ansätze der Arbeiterklasse zu sehen, mit diesem System endlich aufzuräumen.

Gaza United – „Waffenruhe“ heißt nicht Ende des Unrechts und damit des Widerstands!

Die Berliner Behörden haben mal wieder alles getan, um sich mit ihrer demokratischen Doppelmoral weltweit zu blamieren. Seit Wochen war die Groß – Demonstration Gaza United angekündigt gewesen mit dem Brandenburger Tor als Versammlungsort .

Für diese kleine Gruppe von Unterstützern der israelischen Kriegs- und Völkermordpolitik – viel später angemeldet – mussten 10 Tausende weichen. Ganz im Sinne des Berliner Regierenden, der alles versucht, die Flaggen der unterdrückten Palästinser:innen und Parolen für ungeteiltes Menschen- und Völkerrecht vom Brandenburger Tor fern zu halten.

Dann meldete sich eine Gruppe Zionisten dort an. Schließlich entschieden die Berliner Behörden, dass die 40 bis 60 Tausend Demonstranten den 10 bis 20 Protagonist:innen einer unsäglichen Kriegs- und Völkermordpolitik weichen mussten. Gaza United wurde ganz kurzfristig einen halben Kilometer in die Straße des 17. Juni verschoben. Zugänge und Plätze um das Brandenburger Tor waren zeitweise abgesperrt. Die mit Palästina solidarischen Demonstranten mussten weite Umwege laufen, damit sie die Auftaktkundgebung erreichen konnten. Das ganze war wieder mal ein der Demokratie unwürdiges Theater des deutschen Staates. Aber die Menschen ließen sich nicht beirren!

Waffenruhe in Nahost führt nicht zum Ende von Protesten!

Ruhe, dass hätten viele Regierungen welweit gern. Friedrich Merz verleiht seiner Erwartungshaltung Nachdruck mit den Worten: „ich hoffe, daß auf unseren Strassen jetzt endlich wieder Ruhe einkehrt“ und: „Es gibt kelnen Grund mehr jetzt für Palastinenser In Deutschland zu demonstrieren.

Der Samstag in Berlin hat Friedrich Merz hoffentlich eines Besseren belehrt. Die Antwort an diesem Samstag lautete nämlich:Es entscheidet nicht der Bundeskanzler, wer wann und wofür (nicht) demonstrieren sollte und will. Viele Menschen entscheiden anders als er. Sie gehen weiterhin in Solidarität mit Palästinenser:innen auf die Straẞe!

Viele sind erleichtert, wenn momentan die Waffen schweigen sollten und endlich Hilfslieferungen zugelassen werden. Doch was kommt?

Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt – anders als die politsch Verantwortlichen – das Vorghen Israels schon seit Monaten ab. Demonstrant:innen und Redner:innen am 11. Oktober betonten: „Jetzt erst recht. Denn Israels Besatzung und Apartheid bleibt bestehen und Palästinenserinnen wird nach wie vor ihr Selbstbestimmungsrecht verwehrt. Solange haben sie volles Völkerrecht auf Widerstand!“

Mit seiner Aussage delegitimiert der Bundeskanzler ausserdem legitimes politisches Engagement und den Einsatz für universelle Gerechtigkeit. Staatsräson-Deutschland hat sich zum Mittäter an Israels Genozid in Gaza gemacht und ein Groẞteil der gesellschaftlichen Instiutionen hat viel zu lange geschwiegen oder sogar zu rechtfertigen versucht. Hierzu der Ruf nach Aufarbeitung. Und viele bleiben auch für die aktuelle Entwicklung skeptisch: Israel hat sich in der Vergangenheit in keiner Weise an Waffenstillstandsabkommen gehalten.

Gaza United ist eine Graswurzelbewegung. Hinter ihr steht weder die Orgnaisationsmacht noch hat sie die finanziellen Möglichkeiten der großen deutschen NGOs und auch linken Parteien. Dennoch strömten auch dieses Mal die Menschen aus allen Ritzen der Gesellschaft herbei, allen Widrigkeiten zum Trotz. Offiziell sollen es 15 bis über 20 Tausend gewesen sein, nach Aussagen der Veranstalter 60 Tausend Teilnehmer. Wir können die Zahlen nicht verifizieren. Für die erste Zusammenkunft von Gaza United im Juni lautete die offizielle Zahl 15 Tausend, später nach elektronischer Auswertung des Videomaterials konnten ca. 70 bis 80 tausend verifiziert werden. Auf alle Fälle ein riesiger Erfolg.

In den frühen Morgenstunden des Sonntags 12.Oktober führten israelische Besatzungstruppen in mehreren Städten und Ortschaften des Westjordanlands Razzien durch. Dabei nahmen sie gezielt die Häuser von Gefangenen ins Visier, die im Rahmen eines bevorstehenden Gefangenenaustauschs freikommen sollen. Den Familien wurde mitgeteilt, dass jegliche Feierlichkeiten oder das Hissen palästinensischer Flaggen bei der Rückkehr ihrer Angehörigen untersagt sind.
Äußerungen des rechten israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich wecken Zweifel. Erst gestern schrieb Smotrich auf X, dass er sich »in der Verantwortung« sehe, »dafür zu sorgen, dass Israel unmittelbar nach der Rückkehr der Entführten weiterhin mit aller Kraft für die Ausrottung der Hamas und die Entmilitarisierung des Gazastreifens kämpft, damit dieser keine Bedrohung mehr für Israel darstellt.« Wenn dieser Rassist so was sagt, muss angenommen werden, er meint damit nicht nur die Hamas, sondern die gesamte palästinensische Bevölkerung.

Wir sagen weiterhin: Free Palestine! Free Palestine! Free Gaza! Alle Menschen in Würde und frei!

Fotos: Peter Vlatten, Beteiligte

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