Nan Goldin spricht die Wahrheit – für das offizielle Berlin ein Eklat! – eine Rückschau!

Die berühmte Künstlerin Nan Goldin bot Zeitenwende und deutscher Staatsräson die Stirn. Für die Eliten hierzulande ein Skandal. Für uns ist dieser Skandal ein Skandal. Hier die ganze Geschichte. Der Reihe nach.

Ein internationales Prestigekunstprojekt

Mit der Retrospektive „This Will Not End Well“ in der Neuen Nationalgalerie „wird erstmals ein umfassender Einblick in das Schaffen von Nan Goldin von 1980 bis heute gegeben“. Nach dem Auftakt in Stockholm und Amsterdam wird die Ausstellung nun in Berlin gezeigt und reist im Anschluss nach Mailand und Paris.

Die Künstlerin Nan Goldin

Die Fotografin Nan Goldin gehört aktuell zu den global bedeutendsten Künstler:innen. 2022 wurde sie auf der Power-100 Liste der Zeitschrift Art Review weltweit als Nummer 2 geführt. Ebenfalls im Jahr 2022 hob das deutsche Kunstmagazin Monopolin in seinem Ranking der 100 weltweit einflussreichsten Künstlerinnen und Künstler Nan Goldin auf den ersten Platz. Die Akademie der Künste (Berlin) verlieh ihr 2022 noch den Käthe-Kollwitz-Preis. Im gleichen Jahr erhielt sie den Goldenen Löwen beim 79. Internationalen Filmfest von Venedig für ihre Dokumentation „All the Beauty and the Bloodshed’’ und 2007 den Hasselblad Award, Göteborg, Schweden.

Wer Nan Goldins Werke ausstellen darf profitiert von ihrem Ruhm.

Künstler:innen im Fadenkreuz geopolitischer Konflikte

Mit der doppelten Zeitenwende von Ukrainekrieg, endgültig aber mit dem Nahostkonflikt geraten Künstler:innen wie Nan Goldin, die ihre Kunst als Ausdruck und Sprachrohr ungeschminkter Wahrheiten wie auch unbequemer Parteinahme für die Opfer rassistischer, patriachaler und imperialer Strukturen ansehen, ins Kreuzfeuer geopolitischer Interessen des Westens.

Bislang verlief ihre Ausstellung ohne Zwischenfälle, doch nun in Berlin ist Goldin bereits vor Ausstellungsbeginn in eine aufgeheizte Debatte um Antisemitismus in der Kunstszene geraten. Die US-amerikanische, jüdische Künstlerin gilt als Unterstützerin der BDS-Bewegung und kompromisslose Kritikerin der zionistischen und rechtsextrem durchseuchten Politik Israels, was in Deutschland als „antisemitisch“ diffamiert wird. Goldin ist nicht bereit, den Kotau vor diesen Absurditäten zu machen und besteht auf ihrem Recht, die Eröffnungsrede zu halten.
Aufgrund der internationalen Einbindung und des Renommees der Künstlerin schien es den Berliner Kulturverantwortlichen als nicht opportun, der Künstlerin das Rederecht zur Eröffnung ihrer Ausstellung zu versagen.

Eine Rede, die das Schweigen bricht

Rede von Nan Goldin am 22.11.2024 in der Neuen Nationalgalerie Berlin anlässlich der Eröffnung ihrer Ausstellung „This Will Not End Well“. Video Adam Broomberg.

Nan Goldin begann ihre Rede mit einer vierminütigen Schweigepause, um an die Todesopfer in den palästinensischen Gebieten, im Libanon und auch in Israel zu erinnern, wie sie sagte.

»Was ich in Gaza sehe, erinnert mich an die Pogrome, denen meine Großeltern entkommen sind« Sie zeigt eine empathische Erinnerungskultur, die aus den Verbrechen der Vergangenheit die Ablehnung der Verbrechen der Gegenwart herleitet. Absurd die neuen Verbrechen mit Verweis auf den Holocaust verharmlosen oder sogar rechtfertigen und die neuen Verbrecher damit reinwaschen zu wollen!

Die Fotografin kritisierte unmissverständlich Deutschlands Haltung zum Nahostkonflikt. Deutschland sei die Heimat der größten palästinensischen Diaspora Europas. „Dennoch werden Proteste mit Polizeihunden bekämpft“. Obwohl die deutsche Regierung „die Zungen geknebelt hat“ spricht Nan Goldin die Wahrheit ungeschminkt aus! Im Zentrum staatlicher Kulturhohheit , in den Hallen der Neuen Nationalgalerie !

Die ganze eindrucksvolle Rede könnt ihr hier im Video von Adam Broomberg sehen. Natürlich wurde die Rede festgehalten trotz offiziellem Verbot von Filmkameras.

Im Anschluß an Ihre Rede stürzt Kurator Biesenbach ans Mikrofon, um das Deutsche „Ja aber“ dagegen zu setzen. Laute Unmutsbekundungen aus dem Publikum. Menschenrecht und Solidarität mit den Palästinenser:innen sollen uneingeschränkt gelten. Da darf es kein „Ja aber“ geben.

Nach der Rede – das offizielle Berlin schäumt vor Wut

Das offizielle Berlin und nicht zuletzt die Presse regten sich darüber auf, dass Demonstranten den Kurator Klaus Biesenbach bei seiner „Widerrede“ unterbrachen. Bei einem Bückling vor der deutschen Staatsräson. Bei der Verharmlosung und der Verteidigung der Unterstützung eines Staates, der gerade weltweit des Massen- und mutmaßlichen Völkermords sowie Verstößen gegen das internationale Völker- und Menschenrecht angeklagt ist. Gegen dessen verantwortlichen Ministerpräsidenten ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Die anwesenden Demonstranten riefen: „Verstehen Sie nicht?“

Die führende deutsche Kaste und ihre Presseschreiber erdreisten sich am Folgetag, die lautstarke Empörung aus dem Publikum als „kulturloses“ und nicht „akzeptbables Niederschreien“ und „Gekreische“ abzutun. Die Schreie von Zehntausenden Kindern und Babys, von Frauen, das Stöhnen der Erde, die von Israels Gift heimgesucht wird – all das berührt diese Leute wohl nicht. Aber wenn Demonstranten laut werden, während ein Vertreter der „deutschen Staatsräson“ spricht, das geht absolut nicht. Der Skandal könnte nicht größer sein!

„untergründige“ Kommentare jenseits des Mainstreams

Berlin ist in der Zwickmühle. Man will sich mit den Kunstwerken einer weltberühmten Künstlerin schmücken und ihre Kunst von ihrer „nicht staatstreuen“ Meinung abtrennen. Diese Künstlerin aber läßt sich nicht den Mund verbieten und widerspricht unüberhörbar.

Der Titel der Ausstellung „This Will Not End Well“ könnte auch als die passende Prognose für die aktuelle politische Leit- und Cancelculture des Berliner Senats interpretiert werden. Prägte einst der Spruch „Berlin ist arm, aber sexy“ diese Stadt, die damit zum internationalen Magneten von Kultur, Wissenschaft und Freiheitsrechten heranwuchs, so müsste es heute heißen: „Berlin ist ugly, arm und ärmer“! Nicht Kultur und Wissenschaft, sondern prügelnde „bad cops“ prägen inzwischen das weltweite Bild von Berlin. Vornedran ein Regierender Bürgermeister, der auch schon mal von Mitbürgern als „Netanyahu im Westentaschenformat“ tituliert wird.

Viele aus der Kulturszene drücken ihre Hoffnung aus, daß Nan Goldin durch ihren mutigen Auftritt Zeichen gesetzt und damit der extremen Cancelculture des Berliner Senats Grenzen aufgezeigt hat. Nicht zuletzt auch, weil ein Interesse besteht, irreparable wirtschaftliche Schäden zu vermeiden.

So hart es auch klingt: Gerade angesichts der massiven Kürzungen im Kultursektor durch fu*ing CDU baut diese Aktion Druck auf, den fu*ing Joe Chialo nicht einfach wegrationieren kann.(…) Es ist traurig, dass das hier das Potential hat, mehr Druck auf die Kulturpolitik aufzubauen, als all die Arbeit, all das Engagement kleinerer Kunstorte und Kulturzentren, aber am Ende wollen wir ja alle nur: FREE PALESTINE. [1]Quelle IG Candice Breitz 23.11.24

„Berlin hat seit letztem Jahr massiv seinen Ruf als internationale Kulturmetropole eingebüẞt. Die Neue Nationalgalerie ist ein absolutes Prestige-Projekt in der Stadt, (…) Mit Biesenbach hat sich Berlin einen Starkurator zurückgeholt, der (…) zum Posterboy der SMB geworden ist und internationale Stars (v.a. lebende) in die Stadt geholt hat. Krasses Marketing (…)
Und kulturelles Kapital ist für die Politik nach wie vor, oder auch gerade jetzt, wichtig-auch für die CDU. Eine Ausstellung von NAN GOLDIN, die gerade in den letzten Jahren nochmal so in den Fokus gerückt ist, zu canceln, eine groẞe Sonderausstellung in der NN, die ursprünglich vom Moderna Auseet kuratiert wurde und auch schon im Stedelijk zu sehen war, wäre ein internationaler Skandal „[2]Quelle IG Candice Breitz 23.11.24

Kann sein, daß der mutige Auftritt von Nan Goldin dazu führt, dass die Berliner Kulturlverantwortlichen die „Zwänge der Staatsräson“ in naher Zukunft etwas geschmeidiger umzusetzen versuchen. Aber wir sollten uns keinen Illusionen hingeben. Die Reaktion ist auf dem Vormarsch. Nan Goldins standhafte Haltung ist vor allem eine Ermutigung für eine wachsende wlderständige Kultur von unten. Hier liegt die Zukunft für wirkliche Veränderungen, nicht in den Tempeln der Eliten.

Der Kommentar der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost fasst die Ereignisse um die Rede von Nan Goldin wohl am treffendsten zusammen:

Wenn Deutschland und Berlin nicht so viel Geld und PR-Mühe in die Retrospektive gesteckt hätten, die u.a. zwischen Amsterdam, Mailand und Berlin wandert, hätten sie Nan Goldin längst abgesagt. Doch eine Absage in diesem Fall hätte Deutschland weiteren Schaden zugefügt – in einer Zeit, in der Deutschland Synonym für Provinzialität, Zensur von Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit geworden ist.
So blieb der Leitung der Nationalgalerie keine Wahl, als sich mit dieser Jüdin mit einer selbstständigen Meinung auseinanderzusetzen. Und sie nutzte das ihr gewährte Privileg, um den Opfern eine Stimme zu geben –so wie Yuval Abraham, Nancy Fraser, Masha Gessen, Jonathan Glazer, Judith Butler, Naomi Klein, Noam Chomsky und viele andere jüdische Stimmen, die Deutschland kleinredet und zum Schweigen bringt.

Nan Goldin erinnerte Deutschland daran, dass sie als Jüdin, deren Familie Opfer christlicher Verbrechen war, sich heute mit den Opfern solidarisiert. Und diese Opfer sind nicht die Deutschen mit einem Nazi-Opa, die so „sensibel“ sind und für die man Rücksicht nehmen muss, indem man nicht ausspricht, dass Israel einen Völkermord begeht – weil sie es nicht hören wollen. Die Opfer des Völkermords, den Israel mit Unterstützung Deutschlands begeht, während es die Geschichte der jüdischen Opfer instrumentalisiert, sind die Palästinenser. Nan Goldin beginnt mit ihnen, endet mit ihnen und ruft zu Handlungen auf.

Sie erinnerte Klaus Biesenbach (Direktor der neuen Nationalgalerie) daran, dass seine Trennung zwischen Nan Goldin als Künstlerin und Nan Goldin als Aktivistin nichts anderes als ein Abwehrversuch ist – ein Versuch, die Ausstellung zu retten und ein guter deutscher Beamter zu bleiben. Doch sie lässt ihm das nicht durchgehen. Sie erlaubt keinem weißen deutschen Mann, ihre Biografie oder die für ihn unbequemen Teile ihrer Geschichte und Persönlichkeit nach seinen Vorstellungen zu löschen.

Als jemand, die einer Minderheit angehört und es zu einer Position der Macht geschafft hat, kriecht sie nicht vor dieser Macht wie Joe Chialo. Sie nutzt diese Macht auch nicht, um andere Schwachen zu unterdrücken und sich vor der Herrschaft zu verbeugen. Chialo hat viele Gründe, nicht zu mögen, was sie gesagt hat. Nan Goldin ist all das, was Joe Chialo nicht ist.

Sie bietet der Hegemonie keine unterwürfige Performance: Sie konzentriert sich ausschließlich auf zivile Opfer – Hunderttausende Palästinenser und Libanesen
so wie im Vergleich dazu die Hunderte israelischen Opfer. Sie ignoriert die israelischen Soldaten, die nach internationalem Recht legitime Ziele sind. Sie verdeckt nicht die Realität des Völkermords mit Phrasen wie „Israels Existenzrecht“. Sie fürchtet sich nicht vor Kai Wegner oder einem anderen Politiker, dessen Name in zehn Jahren vergessen sein wird. Er kann morgen oder übermorgen das twittern was er will. Egal.

Sie erinnert Iris Spranger, die Polizisten mit Hunden gegen ihre eigenen Bürger einsetzt, daran, dass das barbarisch ist. Und dass Deutschland nichts gelernt hat. Nan Goldin spricht truth to power – an einem zentralen Ort in Berlin und als Jüdin. Solange das noch möglich ist, und in der Hoffnung, dass viele ihr folgen werden, auf die Straßen gehen und sich nicht fürchten.

Hörst du das, Deutschland?

Mehr Kommentierung braucht es wohl nicht.

Titelbild , Collage Peter Vlatten , Candice Breitz, Never Again (200 Wassermelonen), 2024. Foto: Armin Marewski

Wir danken für das Publikationsrecht für das Video!

Deutschlandfunk 24.11.

References

References
1, 2 Quelle IG Candice Breitz 23.11.24

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