Der Rüstungswahnsinn der Nato trifft noch nicht auf die Kriegsangst der Deutschen

Die Nato schraubt wegen der angeblichen russischen Bedrohung die “minimal benötigten Fähigkeiten” in die Höhe. Die deutschen Militärausgaben müssten auf 3 Prozent vom BIP, die Bundeswehr um mindestens 60.000 zusätzliche Soldaten wachsen.

Von Florian Rötzer

Bild: Raptor F22. Wikimedia.

Die Angst der Deutschen vor einem Krieg, an dem Deutschland beteiligt ist, scheint trotz Beschwörungen einer russischen Kriegsgefahr und Forderungen nach weiterer Aufrüstung nicht besonders hoch zu sein. Aus der jährlichen Umfrage der R+V Versicherung zu den Ängsten der Deutschen geht hervor, dass diese steigende Lebenshaltungskosten am stärksten fürchten (57%), an zweiter Stelle kommt die Überforderung des Staats durch die Zahl der Geflüchteten (56%). Politikern traut man nicht mehr sonderlich viel zu und hält sie für überfordert (49%). Die Angst vor politischem Extremismus – wohl mit Blick auf die AfD – ist stark angestiegen.

Ziemlich weit hinten, auf Platz 16, kommt die Angst vor einem Krieg (41%). Das ist zwar noch immer deutlich höher als 2021 vor dem Ukraine-Krieg (16%), aber ein leichter Rückgang gegenüber 2023 (43%) trotz zunehmenden Crescendo aus der Nato und der schwächelnden Ukraine. Auch der Angstindex, der durchschnittliche Wert aller gemessenen Ängste, ist von 45% (2023) auf 42 % gesunken.

Wenn die Kriegsgefahr so weit hinten angesiedelt ist, nach Pflege auf dem 11 Platz, Kosten durch EU-Schuldenkrise, Naturkatastrophen, Terrorismus und Klimawandel und ebenso stark wie Angst vor Schadstoffen in Lebensmitteln, wundert dann doch, warum derzeit Verteidigungsminister Boris Pistorius bei weitem der beliebteste Politiker ist.

Dabei scheint seine Leistung im militärischen Bereich zur Ertüchtigung der Deutschen nicht entscheidend zu sein, auch wenn er dank Sondervermögen viele Milliarden in Anschaffungen steckte, in Litauen der Aufbau der 4800 Frau/Mann starken Panzerbrigade 45 vorantreibt und versucht, ohne Einführung eines Wehrdienstes durch Nudging das Personal der Bundeswehr aufzustocken. An letzterem hakt es besonders, seit Jahren soll das Bundeswehrpersonal von 180.000 auf mehr als 200.000 aufgestockt werden, aber bislang kann man gerade die Zahl so halten.

Der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat bei Amtsantritt seine zwei wenig überraschenden Prioritäten herausgestellt: Die Nato-Staaten müssen weiter aufrüsten und die Rüstungsindustrie ausbauen, weil sie sich im Konflikt mit Russland befinden, und die Ukraine muss weiter bis zum Sieg unterstützt werden (to ensure that Ukraine prevails), was er durch seinen Besuch in Kiew deutlich machte. Die indirekten und direkten Kosten des Ukraine-Kriegs hatten wir vor kurzem behandelt, darin stecken auch die Gelder etwa aus dem Sondervermögen, die in die Aufrüstung der Bundeswehr gesteckt wurden und werden. Schon 2014 hatte nach dem Sturz der Janikowitsch-Regierung durch Radikale der Maidan-Bewegung,  der Abspaltung der Volksrepubliken und der “Antiterroroperation” im Donbass und der Annexion der Krim durch Russland die Nato beschlossen, dass die Mitgliedsländer mindestens 2 Prozent des BIP für das Militär ausgeben müssen.

Deutschland hat erstmals 2024 die 2-Prozent-Schwelle überschritten und soll mit über 90 Milliarden Euro nach Nato-Angaben 2,12 Prozent des BIP in die Rüstung stecken. 2021 und 2022 waren es noch 62 Milliarden, 2023 73 Milliarden. 2024 werden also über 20 Milliarden mehr ins Militär fließen als 2023. Jetzt wurde bekannt, dass die Nato noch deutlich mehr Geld zur Aufrüstung gegen den Hauptfeind Russland fordert. Ein guter Teil kommt den Rüstungskonzernen, vor allem den amerikanischen, zugute, bei denen die Alliierten einkaufen und auch so die Stärke der USA und die Abhängigkeit von ihr mehren.

Die “minimal benötigten Fähigkeiten” der Nato

Im Frühjahr wurden den Mitgliedsländern, wie Welt berichtet, die Einsicht in die Dokumente erhalten haben will, die von den höchsten Nato-Militärs US-General Christopher Cavoli und dem französischen Admiral Pierre Vandier festgelegte, angeblich erforderliche „Gesamtheit der minimal benötigten Fähigkeiten“ (MCR oder Minimum Capability Requirements) mitgeteilt. Die Militärs wittern ihre Chancen und langen kräftig zu. 131 Kampftruppen-Brigaden seien bis 2031 erforderlich, 49 mehr, als noch 2021 veranschlagt wurde. Das wären, wenn eine Brigade um die 5000 Soldaten und Soldatinnen stark ist, stolze 245.000 mehr, um „jeden Zentimeter des alliierten Territoriums zu verteidigen“ oder auch Angriffe ausführen zu können.

Alle Länder tun sich schwer, schon jetzt die Personalstärke zu halten. Es würde bei Umsetzung die Einführung einer europaweiten Wehrpflicht erforderlich werden, was auch teuer ist, oder es müssten die Bezüge deutlich erhöht werden, um die Streitkräfte als Arbeitgeber attraktiv zu machen. Aber es kommt noch mehr, wie die Welt schreibt: „Zur Führung und Unterstützung dieser Truppen soll die Zahl der ‚Warfighting Corps‘ von sechs auf 15 steigen, die der Divisions-Hauptquartiere von 24 auf 38.“ Zu den Warfighting Corps heißt es: „a War-Fighting Corps should be capable to conduct territorial defense for NATO with up to five divisions and 120,000 troops”. Das also mal 15?

„Es muss Richtung drei Prozent gehen“

Mehr, mehr, mehr ist auch die Devise bei der Beschaffung schwerer Waffen. So soll die Zahl der bodengebundenen Flugabwehrsysteme wie Patriot (mind. 400 Millionen US-Dollar pro Stück ohne Raketen) oder Iris (140 Millionen Euro) von 293 auf 1467 steigen, schlappe 1174 mehr. Auch die Zahl der Hubschrauberverbände soll wachsen, von 90 auf 104. Beispielsweise sind beim Luftwaffengeschwader 64 der Bundeswehr 2700 Soldatinnen und Soldaten und Zivilangestellte tätig. Es verfügt über 15 H145M LUH SOF und 60 CH-53-Hubschrauber.

Deutschland soll einen Anteil von 9,28 Prozent aller Gesamtfähigkeiten leisten. Das würde heißen, 5-6 zusätzliche Kampftruppenbrigaden“ zu den jetzt bestehenden 8 und dem im Aufbau befindlichen in Litauen, einen  „Warfighting Corps“ und einen weiteren Hubschrauberverband. Wie gesagt, schon die zusätzlichen Zehntausenden von Soldatinnen und Soldaten, die erforderlich wären, wird die Bundeswehr ohne Zwang nicht aufbringen können. Es könnten zusätzliche 60.000 sein. Nach dem Verteidigungsministerium gelte allerdings für die Bundesregierung „die Erfüllung der Nato-Fähigkeitsziele als nationale Priorität“.

Es liegt auf der Hand, dass dies bedeutet, deutlich mehr als 2 Prozent des BIP ins Militär jährlich zu investieren. Der SZ sagte der deutsche Nato-General Christian Badia: „Es muss Richtung drei Prozent gehen.“ 90 Milliarden seien alleine zur Erfüllung des 2-Prozent-Ziels notwendig, sagt der General.

Alternativen gibt es bei der Nato nicht zur Aufrüstung, ebenso wie bislang keinen Plan B zum Ukraine-Krieg, in dem die Ukraine siegen oder weiter kämpfen soll, was bedeutet, dass viele weitere Milliarden für Waffen- und Finanzhilfen ausgegeben werden müssen. Schon 2024 haben die Militärausgaben am Gesamthaushalt einen Anteil von 11,8 Prozent, der 2025 auf 14 Prozent wachsen soll, während die Sozialausgaben sinken sollen. Geplant ist für 2025 eine Zunahme des Verteidigungshalts von 2,5% auf 53,23 Milliarden Euro. Dazu sollen aus dem Sondervermögen 22 Milliarden kommen. Das wären dann 75 Milliarden, damit würde das 2-Prozent-Ziel wieder erreicht.

Wie lange tragen die Deutschen die Aufrüstungspolitik mit?

Der ordentliche Militärhaushalt soll 2026 und 2027 bei 53,23 Milliarden bleiben und 2028 plötzlich auf 80 Milliarden steigen, natürlich ohne zu sagen, wie die Steigerung finanziert werden soll, aber da wird es auch die Ampel nicht mehr geben. Aber auch das wird nicht reichen, wenn die Nato-Vorgaben erfüllt werden sollen. Pistorius machte schon im September klar: „Wir müssen mehr Geld in die Hand nehmen.“

Neue Schulden und Einsparungen oder Steuererhöhungen wären notwendig. Die Frage ist, ob die Deutschen die alternativlose Militärpolitik auch weiter mittragen werden. Die Ampel kann es noch aussitzen, die neue Bundesregierung wird kräftig in die Beeinflussung der Bürger investieren müssen, wenn sie weiterhin an dem Militärkonzept festhalten will. Es muss also dafür gesorgt werden, dass die Menschen nicht nur hohe Angst vor einem Krieg mit Russland oder China bekommen, sondern auch glauben, dass Aufrüstung und Abschreckung die Kriegsgefahr mindern. Letzteres führt allerdings zu Kriegen, was der Ukraine-Krieg belegt.

Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 12.10. 2024
https://overton-magazin.de/top-story/der-ruestungswahnsinn-der-nato-trifft-noch-nicht-auf-die-kriegsangst-der-deutschen/

Wir danken für das Publikationsrecht.

„Sterben und Sterben lassen“ – Der Ukrainekrieg als Klassenkonflikt

Hatte die Corona-Pandemie bereits zu fast gegensätzlichen Wahrnehmungen und politischen Schlussfolgerungen geführt, so sorgten Ukrainekrieg und Nahostkonflikt für noch tieftere Gräben innerhalb der Linken, die sie zunehmend handlungsunfähiger machten. Erstmals stand auch die grundsätzliche Ablehnung von Kriegen zur „Lösung“ gesellschaftlicher Probleme offen zur Disposition.

In der Folge entstanden innerhalb der Friedensbewegung nun zwei Hauptströmungen. Die eine kann sich nicht von NATO-Narrativen lösen und wird direkte Kriegspartei. Die andere beschränkt sich darauf, die „Zeitenwende“-Narrative lediglich offen zu hinterfragen, um dann jedoch bei einer Position zu verharren, die die im Westen offizielle Sicht von Täter und Opfer mehr oder weniger nur umdreht. Auch wenn man zum sicher richtigen Ergebnis kommt, dass der fortdauernde Krieg im Osten vor allem der NATO zuzuschreiben ist, können Antimilitarist:innen trotzdem nicht einfach zu „Solidarität mit Russland und China“ aufrufen.  Auch die dort etablierten herrschenden Klassen sind Akteure eines imperialistischen Weltsystems und folgen der Profit- und Klassenlogik kapitalistischer Ökonomien. Solidarität muss eine andere Basis haben.

Kurz- und langfristig geht kein Weg daran vorbei, die Kampfkraft und das politische Selbstbewusstsein der abhängigen Bevölkerungsmehrheiten dies- und jenseits aller Kriegsfronten zu stärken. Nur so können sich nachhaltige Barrieren entwickeln, die den Herrschenden die Krieglust nehmen. Das sollte zumindest für die Linke innerhalb der Friedensbewegung zur entscheidenden Orientierungsmarke werden.

Um an dieses traditionelle Verständnis des Antimilitarismus zu erinnern und zu stärken hat der Berliner Verlag DIE BUCHMACHEREI das Buch „Sterben und Sterben lassen – Der Ukrainekrieg als Klassenkonflikt“ herausgegeben. Dafür wollen wir mit diesem Beitrag werben.

Zu lesen ist im Folgenden eine gekürzte Fassung des Einleitungsbeitrags. In einem PDF gibt es eine Übersicht über den Inhalt. Das Buch kann über die Buchläden, aber auch online direkt bestellt werden. https://diebuchmacherei.de/produkt/sterben-und-sterben-lassen/

Zu diesem Buch

Unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 öffnete sich in den westlichen Ländern in unheimlicher Geschwindigkeit und mit erdrückender Wucht eine ungewohnte Kriegsfront. Der Ruf nach Aufrüstung war plötzlich nicht mehr die Sache der politischen Rechten, sondern fand seine mitunter vehementesten Fürsprecher in linken und linksliberalen Milieus, wo die Remilitarisierung der Deutschen nun offen zur antifaschistischen Pflicht erklärt wurde.

Im Spiegel bezeichnete der Kolumnist Sascha Lobo die Gegner von Waffenlieferungen als »Lumpen-Pazifisten«, die dem »russischen Faschistenführer Putin« die Ukraine zum Fraß vorwerfen wollen. Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel zog auf ARD Parallelen zur spanischen Volksfront gegen Franco: »Eigentlich sollten wir nicht hier sitzen, sondern – wie in Spanien 1936 – in Internationale Brigaden gehen und kämpfen.« Und der Welt-Autor Deniz Yücel begründete die Unterzeichnung eines offenen Briefes an Bundeskanzler Olaf Scholz, der die kontinuierliche militärische Aufrüstung der Ukraine als Interesse Deutschlands stark macht, mit seiner Lektüre von Paul Celans Gedicht Todesfuge. Die Produktion der Todeswaren von Thyssenkrupp, Diehl oder Rheinmetall, die der deutsche Staat, drei Wochen nach der Invasion, mit einem milliardenschweren Sondervermögen ankurbelte und im Grundgesetz verankerte, wurde zur Garantie des freien Lebens erklärt, da der Tod nun ein Meister aus Russland sei.

Doch selbst innerhalb traditionell antimilitaristischer Fraktionen der Linken kam es in Teilen zu einer Revision alter Positionen. Sozialistische Gruppen ließen verlautbaren, dass der Faschismus seine Heimat nun in Moskau habe und die westlichen Gesellschaften sowie die globale Arbeiterklasse bedrohe, weshalb die maximale Bewaffnung der Ukraine durch die NATO und die Niederlage Russlands (d. h. ein Sieg des US-Imperialismus) im Interesse des Weltproletariats wären. Auch das anarchistische Milieu ist tief gespalten. Hier bewegt man sich zwischen der Bereitschaft, mit Asow-Faschisten in die Schützengräben zu gehen, bis zur Propagierung militanter Antikriegspolitik mittels Anschlägen und Sabotageaktionen.

Dieser neue progressive Militarismus befiel selbst Teile der radikalen Linken. Auch hier hat der Kampf gegen die russische Tyrannei nun oftmals Vorrang vor der Kritik am eigenen Imperialismus, da der Hauptfeind für viele nicht mehr im eigenen Land steht, sondern im Osten nur auf ein Zeichen westlicher Schwäche wartet, um loszuschlagen. In der Tageszeitung nd konnte man deshalb kurz nach der russischen Invasion von einer queeren Autorin lesen, dass wir »auch als Linke nicht mehr um die Einsicht herumkommen, dass die destruktive, tödliche Auflösung gegebener Ordnung in mitteleuropäischen Staaten nicht hinnehmbar ist. Zu ihrer Verhinderung gehört auch militärisches Gegengewicht.«

Der britische linke Publizist Paul Mason, Autor von Büchern über postkapitalistische Ökonomie und Faschismus, rief zur Unterstützung von »erhöhten Verteidigungsausgaben, anhaltender Unterstützung von Waffenlieferungen an die Ukraine, einer gestärkten NATO und nuklearer Abschreckung« auf. Im Lager der prowestlichen Linken wurde das ukrainische Opfer, kaum überraschend, mit großem Applaus begrüßt. So rehabilitierte die Wochenzeitung Jungle World, die sich einst der Kritik des Antiimperialismus verpflichtete, die internationale Solidarität: »Emanzipatorische Kräfte haben sich ausschließlich an den Interessen der Angegriffenen, Unterdrückten und Verjagten zu orientieren […]. Viele Menschen in der Ukraine wehren sich gegen den russischen Imperialismus – unabhängig davon, was die USA oder Deutschland tun. Erst dieser Widerstand eröffnete den Nato-Staaten überhaupt erst die Chance, Russlands Position zu schwächen.« In derselben Zeitung verkündete ein ukrainisch-deutscher Autor, der sich gegen die antimilitaristische Linke richtete, die neuen antifaschistischen Bündnispartner nach der Zeitenwende: »Der Dreck unter einem einzigen Fingernagel eines Asow-Soldaten ist mehr wert als die germanische Linke in ihrer Gesamtheit.«

Auf der anderen Seite treibt Putin das gleiche Spiel. Er begründete die Invasion in der Ukraine mit einer notwendigen »Entnazifizierung«, beschwört einen neuen »Großen Vaterländischen Krieg« und bezeichnet seine Gegner unablässig als »Nazis«. Zugleich wird die russische Erinnerungspolitik, die sich der verbreiteten Sowjetnostalgie bedient, von allem Sozialistischen gereinigt. Schließlich muss der russische Oligarchenkapitalismus, der seine Bürger:innen als willfährige Arbeiter und Soldaten braucht, die Erinnerung an die Arbeiter- und Soldatenräte vernichten. Und auch in Russland kann durch diese bestimmte Erinnerungspolitik, auch unter sogenannten Linken, nicht unerhebliche Zustimmung gewonnen werden.

Im Nebel historischer Referenzen

Der gegenwärtige linke Bellizismus macht die Verteidigungskräfte der Ukraine und die NATO-Armeen zu antiimperialistischen Kampfeinheiten, die im Interesse von bedrohten Minderheiten eine Heimat verteidigen, die durch den russischen Faschismus und Imperialismus existentiell bedroht sei. Man bewegt sich hierbei vollständig im Legitimationsgerüst einer US-Außenpolitik, deren Expansionismus sich in den letzten Dekaden neue Kleider anlegte, um seine militärischen Interventionen, unter Verweis auf die Unterdrückung von Minderheiten, Frauen oder queeren Identitäten, auf der Höhe der Zeit rechtfertigen zu können.

Gleichzeitig werden die machtpolitischen Interessen der Gegenwart des neuen Kalten Krieges unter Unmengen an historischen Referenzen begraben. Je nach politischem Interesse und Lager wird sich fraktionsübergreifend geschichtlicher Schablonen bedient, um mit der Weihe der Historie und dem Ziel ihrer Wiedergutmachung in die Schlacht ziehen zu können. Die Referenzen sind so grenzenlos wie die Schrecken des 20. Jahrhunderts: der Erste oder Zweite Weltkrieg, die sowjetischen Militärinterventionen in Berlin, Budapest, Prag und Afghanistan, oder auch der Kosovokrieg. Anarchisten berufen sich auf den Kampf des ukrainischen Bauernanarchisten Nestor Machno, Sozialisten auf die Volksfrontpolitik von 1936 und Antifaschisten auf die Résistance gegen den Hitlerfaschismus.

Die Schlacht von Mariupol wird mit Stalingrad und die Annexion der Krim mit der deutschen Einverleibung des Sudetenlandes verglichen. Vor dem US-Kongress beschwor Präsident Wolodymyr Selenskij den japanischen Überfall auf Pearl Harbor, im belgischen Parlament die Schlacht von Ypern, in Madrid das Massaker von Guernika und in Tschechien den Prager Frühling. Zugleich wird unermüdlich, unter Verweis auf das Münchner Abkommen von 1938, jede Kompromissbereitschaft mit verhängnisvollem Appeasement und Verrat gleichgesetzt. Um diese Wiederkehr der Vergangenheit abzuwehren, verbünden sich viele Linke mit der eigenen herrschenden Klasse und lassen die NATO die internationale Solidarität erledigen.

Massive Aufwertung des Krieges

Der Vorkrieg schafft das für den Krieg notwendige Rüstzeug: die moralische Rechtfertigung und die psychologischen Voraussetzungen. Die deutsche Rüstungsindustrie, die bis dato als ethisch kaum tragbare Branche galt, zählt heute fraktionsübergreifend als systemrelevanter Lebensretter und rehabilitierte sich quasi über Nacht. »Frieden ist eben kein Normalzustand – sondern eine wertvolle zivilisatorische Errungenschaft, die vor Bedrohungen zu schützen ist und dazu auch einer Wehrhaftigkeit bedarf, die auf militärischen Fähigkeiten beruht«, so ein Pressesprecher von Rheinmetall zum neuen Pazifismus der alten Todesproduzenten.

Diese sogenannte Zeitenwende hatte zugleich zur Folge, dass die Bedeutung anderer zivilisatorischer Errungenschaften verblassen musste: Bildung, Gesundheit, Entwicklung, Wirtschaft/Klima, Wohnen und Umwelt erhalten im geplanten deutschen Haushaltsbudget für das Jahr 2024 zusammen immer noch rund 10 Mrd. weniger finanzielle Zuwendung als das Militär. Gegen diese massive Aufwertung des Krieges gab bzw. gibt es jedoch kaum nennenswerten Widerstand. Im Gegenteil: der Westen, der den Menschen in der letzten Dekade wenig mehr bieten konnte als soziale Prekarisierung, Abstiegsängste und autoritäre Krisenpolitik konnte angesichts der »russischen Gefahr« zunächst neue Lebenskraft schöpfen. So schuf der für die Mehrheit völlig unerwartete russische Angriff auf die Ukraine und die schnelle Eskalation des Krieges, der schnell die ukrainische Zivilbevölkerung mit unerbittlicher Härte traf, im Westen nicht nur Betroffenheit und Angst, sondern zunächst auch einen gesteigerten Patriotismus, der zugleich auf die kämpfenden Ukrainer projiziert wurde.

In den endlosen Kriegsberichterstattungen, die die krisengebeutelte Bevölkerung des Westens aus der Coronakrise in die Schützengräben des Ostens führte, wurde der ukrainische Oligarchenstaat, der neuen manichäischen Vorkriegslogik folgend, zum Bollwerk der Demokratie erklärt und die Ukrainer, wie es der Soziologe Wolodimir Ishenko ausdrückt, »als Kämpfer und Sterbende dargestellt, die für etwas kämpfen, an das zu viele Westler nicht mehr glauben. Dieser edle Kampf bringt (buchstäblich) neues Blut in dessen krisengeschüttelten Institutionen und ist verpackt in eine zunehmend identitäre ‚zivilisatorische‘ Rhetorik.«

Der eurasische Raum nimmt eine zentrale Stellung ein in der US-Geopolitik

Gegen diese neuen Kriegstrommler und ihre zynische Logik, die die schrankenlose Aufrüstung zur Bedingung menschlicher Freiheit und Zivilisation erklären, richtet sich der Sammelband Sterben und sterben lassen. Er richtet sich an alle Antimilitarist:innen, die gegenwärtig wohl leider ähnlich minoritär sind, wie die sozialistischen Kriegsgegner, die sich im September 1915, als Ornithologen getarnt, in der Pension Beau Séjour im Schweizer Zimmerwald trafen, und die angesichts ihrer Zwergenhaftigkeit darüber scherzten, »dass es ein halbes Jahrhundert nach Begründung der Ersten Internationale möglich war, alle Internationalisten in vier Wagen unterzubringen«. Er richtet sich ebenso an alle Unentschlossenen, die an den humanitären Kräften der Aufrüstung und des Westens zweifeln.

Denn schließlich, soviel sollten Linke eigentlich wissen, wird die Aufrüstung durch den Westen nicht betrieben, um Freiheitsrechte von Minderheiten zu schützen, sondern sie ist Ausdruck einer weiteren Eskalationsstufe kapitalistischer Staatenkonkurrenz, die aus der unipolaren US-Hegemonie selbst hervorgegangen ist, die sich einige nun wieder zurückwünschen. Der russische Imperialismus will sich mit Gewalt als Regionalmacht in der Ukraine behaupten, deren Kampf um nationale Souveränität der Westen nutzt, um Russland von der Weltbühne zu verdrängen, zu schwächen oder sogar zu zerschlagen. Denn der eurasische Raum nimmt eine zentrale Stellung ein in der US-Geopolitik.

Der einflussreiche US-Politikberater Zbigniew Brzezinski legte davon in seinem berühmt gewordenen Buch »Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft« offen Zeugnis ab. Er schrieb: »Eurasien ist der größte Kontinent der Erde und geopolitisch axial. Eine Macht, die Eurasien beherrscht, würde über zwei der drei höchstentwickelten und wirtschaftlich produktivsten Regionen reichen. […] Nahezu 75 Prozent der Weltbevölkerung leben in Eurasien, und in seinem Boden wie auch seinen Unternehmen steckt der größte Teil des materiellen Wachstums der Welt. […] Als Ganzes genommen stellt das Machtpotenzial dieses Kontinents das der USA weit in den Schatten.« Wollen die Vereinigten Staaten ihre hegemoniale Stellung behaupten, so darf kein Staatenbündnis zustandekommen, das dieses Potential beherrschen kann. Das Aufkommen einer solchen »dominierenden, gegnerischen Macht« müsse deshalb um jeden Preis verhindert werden. Die Ukraine spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn ohne die Ukraine verliert Russland sein eurasisches Potenzial und seine geopolitischen Optionen werden auf drastische Weise beschnitten.

Garantie für den Weltfrieden

Statt sich für eines dieser kapitalistischen Lager zu entscheiden,, muss jedoch auf die Totalität imperialistischer Auseinandersetzung hingewiesen und nicht zwischen guten und bösen Imperialismen unterschieden werden. Dušan Popović, der Vorsitzende der Serbischen Sozialdemokraten, wusste das bereits im Jahr 1915. Seine Partei stimmte am Vorabend des Ersten Weltkriegs gegen die Kriegskredite, obwohl ihr kleines Land angegriffen wurde:

»Wenn die Sozialdemokratie irgendwo das Recht hatte, für den Krieg zu stimmen, dann vor allem in Serbien. Für uns war aber die entscheidende Tatsache, dass der Krieg zwischen Serbien und Österreich nur ein kleiner Teil einer Totalität war, nur der Prolog zu einem größeren, europäischen Krieg, und dieser hatte – davon waren wir zutiefst überzeugt – einen deutlich ausgeprägten imperialistischen Charakter. Daher hielten wir es als Teil der großen sozialistischen, proletarischen Internationale für unsere Pflicht, uns dem Krieg entschieden entgegenzustellen.«

Popović bezeichnete wenig später die Russische Revolution als die »beste Garantie für den Weltfrieden«. Und auch wir halten die Überwindung imperialistischer Konkurrenz durch eine Klassenbewegung von unten für die einzige und beste Garantie für den Weltfrieden, in so weiter Ferne sie momentan auch liegen mag. Auf die Klassendimension des Krieges hinzuweisen ist Ziel des Buches. Zu diesem Zweck führten wir Interviews mit linken Aktivist:innen aus Russland und der Ukraine, die dem Narrativ eines antiimperialistischen Volkskriegs widersprechen und versammeln antimilitaristische Stimmen aus dem Westen. Das Buch will einen Beitrag leisten zum Aufbau eines neuen linken Internationalismus und Antiimperialismus, der nicht bereits auf den Schlachtfeldern des Vorkriegs fällt.

Friedensdemo 3. Oktober – Rede IG Metall Jugend und Hiphop Internationale

Friedensdemo 3. Oktober – Joshua Müller von der IG METALL JUGEND gegen Wehrpflicht und Militarismus

„Von der Schule an die Front?“ oder auch „nur“ zur Wehrübung. Überall gibt es für die Jugend Werbung für die Bundeswehr. Joshua Müller von der IG Mrtall Jugend (Frankfurt a.M.) sagt deutlich , was er von der allgegenwärtigen militaristischen Umgarnung für sich und seine jungen Freund:innen hält. Absolut gar nichts. Für die Bildung in Kriegstüchtigkeit scheint es im Gegensatz zu allem anderen auch keine Haushaltskrise zu geben. „Wir brauchen keine Bundeswehr an unseren Bildungseinrichtungen!“ Und: “ Wir brauchen keine neuen Militär Forschungsprojekte an unseren Unis.“ Die Menschheit brauche besseres, als in ihre gegenseitige Zerstörung zu investieren. Wir sehen aktuell, wie die jungen Soldat:innen in der Ukraine massenhaft auf den Schlachtfeldern sterben. Wir brauchen keine Wehrpflicht, bei der wir an den Waffen ausgebildet werden. „Wir schiessen nicht auf unsere Kolleg:innen. Wir müssen dafür kämpfen, dass keine Jugendlichen auf dieser Welt dazu gezwingen werden, mit der Waffe in der Hand auf den Schlachtfeldern dieser Welt zu sterben.“

Hiphop Internationale

Die in Deutschland geplanten Mittelstreckenraketen seien kein Beitrag für unsere Sicherheit, sondern im Gegenteil eine ernsthafte Bedrohung. Die gegenseitige Eskalation in Nahost sei ein Wahnsinn, der sofort enden müsse. „Damit es Frieden geben kann, muss die israelische Armee sich aus GAZA, Westjordanland und Libanon zurückziehen.“ „Ich stehe fest zum Selbststbestimmungsrecht aller Völker, im Gegensatz zur Bundesregierung, die weiter an Kireg und Aufrüstung festhält.“

„Während wir Schüler:innen, Student:innen und Auzubildende kaum über die Runden kommen, weil unsere Bafögsätze und Ausbildungsvergütungen nicht mehr zum Leben ausreichen. fliessen Immer mehr Gelder ungebremst in die Militarisierung.“ Die Folgen von Militarismus und internationaler Konfrontationspolitik tragen mit dazu bei, dass die soziale Basis für die meisten Jugendlichen -gerade auch im Metallbereich- erodiert und ein selbstbestimmtes Leben immer weniger möglich wird.

Wir haben nichts gemein mit den Kriegstreibern und -profiteuren weder in unserem Land noch irgendwo sonst. Unsere Feinde sind weder Migrant:innen noch die Menschen jenseit der europäischen Grenzen. „Meine Solidarität gilt allen JUGENDLICHEN weltweit.“ Seht das ganze Video zu Joshuas Rede …… Voll passend zu Joshuas Rede die HipHop Internationale ..

Siehe unsere weitere Berichterstattung zur Friedensdemo am 3.Oktober:

* Free Palestine 3. Oktober

* Internationalismus und Antimilitarismus sind untrennbar

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