Protestwelle gegen Faschismus

AfD laviert im Umgang mit Treffen zur Massendeportation

Die Protestwelle gegen die AfD reißt nicht ab. Auch am Montagabend gingen Tausende gegen die Partei auf die Straße. Derweil hat sich Alice Weidel von ihrem Chefberater getrennt, der am Treffen der Rechtsremisten teilnahm.

Von Sebastian Weiermann

Es sind Bilder die allen Antifaschist*innen Mut machen. Bei einer Demo ziehen 10 000 Menschen durch Leipzig. Bei einer Kundgebung halten sie ihre Telefone mit eingeschalteter Lampe in die Höhe und rufen »Alle zusammen gegen den Faschismus!« Jule Nagel, Leipziger Landtagsabgeordnete der Linken, sagte gegenüber dem »nd«, die Demo sei »überwältigend« gewesen. Man habe gegen die Deportationspläne der extremen Rechten protestiert, es sei aber auch Kritik an der Migrationspolitik der Ampel laut geworden. Nagel hofft, »dass diese großartigen Impulse keine Eintagsfliegen bleiben«. Ähnliche Bilder gab es aus Rostock und Essen. Seitdem das Rechercheteam Correctiv über ein Treffen berichtet hat, bei dem Kader der extremen Rechten, AfD-Politiker, CDU-Mitglieder und Unternehmer über Massendeportationspläne gesprochen haben, nimmt der Protest gegen die Rechten nicht ab.

Während Antifaschist*innen protestieren, versucht sich die AfD im richtigen Umgang mit dem Skandal. Dabei arbeitet sie nach ihrem gewöhnlichen Muster und laviert durch den Skandal. Am Montagabend gab ein Parteisprecher nach einer Vorstandssitzung bekannt, dass sich Parteichefin Alice Weidel von ihrem Referenten Roland Hartwig trennt. Das Arbeitsverhältnis sei »in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst« worden. Hartwig hatte am Treffen in Potsdam teilgenommen. Eine Begründung nannte die Partei nicht.

Konfrontiert mit Recherchen der »Zeit«, die eine Teilnahme an einem Vorgängertreffen im Oktober 2021 nahelegen, antwortete AfD-Chef Tino Chrupalla, es gehe ihm wie Olaf Scholz in Sachen Cum-Ex: Er könne sich an »nichts mehr« erinnern. Allerdings liegt der »Zeit« ein Schreiben vor, in dem sich die Veranstalter für Chrupallas Teilnahme bedanken. Ziel des Treffens soll es gewesen sein, Akteure der extremen Rechten mit Unternehmern zusammenzubringen. Es sollten gemeinsame Projekte entwickelt werden, die den Einfluss und die Wahrnehmbarkeit der Rechten steigern.

Bernd Baumann, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Bundestag, teilte der Nachrichtenagentur dpa am Dienstagmorgen mit, er gehe davon aus, dass bei der Fraktionssitzung »in irgendeiner Form« über das Treffen in Potsdam gesprochen werde. Die öffentliche Reaktion auf das Treffen hält Baumann für übertrieben. »Das war kein Geheimtreffen«, sagte er, sondern eine »private Verabredung«.

Das Treffen, bei dem sich Politiker, Unternehmer und extrem rechte Aktivisten austauschten, zu einer privaten Veranstaltung herunterzuspielen, die die Öffentlichkeit nichts angehe, scheint die Linie zu sein, auf die sich der Mainstream der AfD geeinigt hat. In den sozialen Netzwerken verknüpfen viele Funktionäre diese Erzählung mit Beschwerden darüber, dass »Geheimdienstmethoden« gegen die Teilnehmer des Treffens angewendet worden seien. Dass Correctiv für Projekte zu Fakenews Gelder von Stiftungen des Milliardärs George Soros bekommen hat, wird im Dunstkreis der AfD gerne genutzt, um an antisemitische Verschwörungstheorien anzuknüpfen.

Andere Funktionäre der AfD gehen deutlich offensiver mit der Recherche um. Von Matthias Helferich gibt es nur Spott für die Enthüllungen. Es sei »empörend«, dass er nicht eingeladen worden sei. Der Dortmunder ist Bundestagsabgeordneter, aber nicht Teil der AfD-Fraktion. Äußerungen wie die, dass er »das freundliche Gesicht des NS« sei, waren der Fraktionsführung zu heikel. Helferichs Beliebtheit in der Partei schadet das allerdings nicht. Bundesweit wird er von AfD-Gliederungen zu Vorträgen eingeladen.

Helferichs wichtigste Machtbasis in der AfD ist die Junge Alternative; sein Dortmunder Wahlkreisbüro stellt er der Jugendorganisation gerne zur Verfügung. So auch am kommenden Freitag. Die Rechercheplattform IBdoku hat am Dienstag eine »persönliche Einladung« von Helferich und anderen Funktionären zu einem Vortrag von Götz Kubitschek veröffentlicht. Der Verleger ist eine zentrale Figur der intellektuellen Rechten. In Dortmund soll er zehn Thesen vorstellen. Es geht um die Frage, ob 2024 das Jahr der »politischen und kulturellen Wende« wird. Kubitschek hofft, Wahlsiege der AfD könnten zu einer »patriotischen Erneuerung unserer Verhältnisse« beitragen. Gleichzeitig sieht er Gefahren, die Partei könne verweichlichen. Als Beispiel nennt er Italiens rechtsextreme Regierungschefin Giorgia Meloni.

Gegen Helferichs Büro planen Antifaschist*innen aus Dortmund eine Demonstration. Für Kim Schmidt, Pressesprecherin der Autonomen Antifa 170, ist klar: »Die AfD ist noch genauso rechts wie die letzten Jahre. Sie paktiert noch genauso offen mit jenen, die noch weiter rechts stehen. Sie vertritt immer noch genauso offen eine menschenfeindliche Ideologie.« Mit ihrem Protest wollen die Antifaschist*innen sich der Selbstinszenierung der AfD als »unaufhaltsam« entgegenstellen. Die Partei habe »nur so viel Raum, wie die Gesellschaft ihr gibt, und diesen Raum werden wir einschränken«, so Kim Schmidt.

Erstveröffentlicht im nd v. 17.1. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179246.antifaschismus-protestwelle-gegen-faschismus.html?sstr=Leipzig

Wir danken für das Publikationsrecht.

Brandstifter

Jana Frielinghaus über Lindners Rede vor den Bauern

Die Landwirte, Spediteure und Handwerker dürften von Christian Lindners Rede nicht viel gehört haben. Denn sie beschallten ihn gnadenlos mit Tröten und »Hau ab«-Rufen. Insofern war der Aufwand, den der Bundesfinanzminister betrieben hatte, um von den Kürzungen der Regierung zulasten der Bauern abzulenken, erst einmal für die Katz. Und dennoch ist das Gesagte skandalös. Von »linksextremistisch unterwanderten Klimaklebern« bis zu vom Staat »fürs Nichtstun« bezahlten Erwerbslosen und »uns« auf der Tasche liegenden Asylbewerbern: Alle bekamen vom Chef der Liberalen ihr Fett weg. Daneben das Übliche zur angeblichen Notwendigkeit von Schuldenbremse und Aufrüstung zum Schutz »unserer Freiheit«.

Tiraden dieser Art sind weder bei Lindner noch bei seiner Partei neu. Man erinnere sich nur an seinen Amtsvorgänger Guido Westerwelle, der 2010 mit Blick auf Sozialleistungen von »anstrengungslosem Wohlstand« sprach, der zu »spätrömischer Dekadenz« einlade. Allerdings haben auch zahlreiche prominente Sozialdemokraten der Nachwelt Bonmots dieser Art hinterlassen, und ein SPD-Minister hat die von Lindner gepriesenen Totalsanktionen beim Bürgergeld auf den Weg gebracht. Gleichwohl stellt die Rede des FDP-Vorsitzenden einen neuen Tiefpunkt in Sachen Verantwortungslosigkeit dar. Denn in der aktuell von rechts aufgeheizten Stimmung dürfte mancher Frustrierte seine Einlassungen als Ermunterung zur Gewalt verstehen.

Erstveröffentlicht im nd v. 17.1. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179262.standpunkt-christian-lindner-ein-brandstifter.html?sstr=Brandstifter

Wir danken für das Publikationsrecht.

Soziale Eiszeit. CDU fordert Änderung der Verfassung für Totalsanktionen gegen die Ärmsten!

Zuletzt gab es eine Verfassungsänderung für das 100 Milliarden Sondervermögen Bundeswehr. Jetzt schlägt das rechtskonservative CDU Lager als nächstes eine Verfassungsänderung für Totalsanktionen gegen die Ärmsten vor. Der Vorschlag des stellvertretenden CDU Vorsitzenden Jens Spahn verrät ein Weltbild, das wir sonst eher von Vertretern der AFD kennen: „Nach unten treten, Menschenwürde unbekannt.“

Manche sagen, es sei die logische Konsequenz aus der ersten Änderung. Die 100 Milliarden Sondervermögen mit allen anderen Kosten für Krieg und geostrategische Konfrontation fressen wie eine Krake die finanziellen Spielräume für soziale und ökologische Aufgaben auf. Woher das Geld nehmen? Da fallen „christlichen Pharisäern“ als erstes die Schwächsten in der Gesellschaft ein, bei denen sich am ehesten noch ohne Gegenwehr Geld zusammenkratzen lässt. Der Vorschlag von Jens Spahn hat da wahrhaft Symbolwert.

Es gibt auch den Verdacht, dass hier seitens der CDU ein parlamentarischer Kuhhandel mit der Ampel vorbereitet werden soll. Nach dem Motto: „Wir unterstützen Euch bei der Flexibilisierung der Schuldenbremse, ihr gebt grünes Licht für soziale Härte„. Bauernopfer sind nicht nur die Ärmsten, sondern wir alle.

Dass Spahn seine Vorschläge nicht einmal sauber fachlich juristisch durchdacht hat, dürfte niemanden verwundern, der sich noch an die gesundheitspolitischen Kapriolen und Chaostage unter ihm als Gesundheitsminister erinnert. Oder: was schert den neuen Rechtsdrall schon die Rechtsstaatlichkeit!

Hier die Presseerklärung von Tacheles vom 14.1.2024 dazu [1]Tacheles Presseerklärung: CDU fordert Verfassungsänderung, um Totalsanktionen möglich zu machen – Tacheles Sozialhilfe e.V. (tacheles-sozialhilfe.de)

CDU fordert Verfassungsänderung, um Totalsanktionen möglich zu machen

In den öffentlichen Debatten wird immer klarer, dass 100%-Sanktionen im Sozialrecht verfassungsrechtlich nicht zulässig sind. Dies wurde auch von Tacheles in seiner Stellungnahme im Gesetzgebungsverfahren zum Haushaltssicherungsgesetz herausgearbeitet. Nun fordert heute der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Jens Spahn, eine Verfassungsänderung zur rechtsicheren Verschärfung von Sanktionen im Bürgergeld. Er sagt: „Wenn hier eine generelle Streichung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gedeckt ist, sollten wir eben die Verfassung ändern.“.

Die Unverfrorenheit und Arroganz der Unionsspitzenvertreter ist ungeheuerlich und demokratiegefährdend!

Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung zu Sanktionen auf die Normen des Grundgesetzes gestützt, die überhaupt nicht veränderbar sind, da sie den Kern der freiheitlich demokratischen Grundordnung ausmachen.

Das Bundesverfassungsgericht vom 05. November 2019 zum Aktenzeichen 1 BvL 7/16:

„Die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 [Menschenwürde] in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG [Sozialstaatsprinzip]). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich „unwürdiges“ Verhalten nicht verloren.“

Genau um populistischen bis diktatorische Übergriffe vorzubeugen, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes die so genannte Ewigkeitsgarantie in das Grundgesetz eingefügt. In Artikel 79 Abs. 3 GG steht:

„Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“

Wir fragen uns also: Was genau möchte Herr Spahn denn nun an der Verfassung ändern? Das Prinzip der Menschenwürde abschaffen? Oder das Sozialstaatsprinzip? Obwohl beides überhaupt nicht geändert werden kann. Oder geht es doch nur um Wahlkampf und billige Hetze auf Kosten der rmen?

Der Vorstoß von Jens Spahn, das Grundgesetz zu ändern und soziale Grundprinzipien zu beschneiden, zeigt einmal mehr die rücksichtslose Agenda der CDU. Die CDU möchte weiter Druck auf die Ampel ausüben, dabei rechtstaatliche Grundsätze aushöhlen und das Land immer weiter nach rechts treiben.“

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