Rojava – Hoffnungsschimmer der Menschenrechte im Nahen Osten – unter Dauerattacke durch Natoland Türkei

Natoland Türkei bedroht und attackiert seit Jahren die selbstverwalteten demokratischen kurdisch-multiethnischen Regionen von Nordsyrien und die Kurdenpartei PKK im Norden Iraks. Zuletzt kam es diesen November wieder zu offenen völkerrechtswidrigen militärischen Angriffen. Erneut wurden etliche Zivilisten in Rojava verletzt oder kamen ums Leben. Wichtige zivile Infrastrukturen wurden weiter massiv beschädigt und zerstört.

Systematischer Vernichtungsfeldzug gegen ein gesellschaftliches Zukunftsprojekt

Während der Ukrainekrieg seit Monaten die Berichterstattung täglich mit unzähligen Nachrichten dominiert, ist das jahrelange Geschehen in Nordirak und Nordsysrien von Ausnahmen abgesehen nur Randnotizen wert. Obwohl auch hier systemstisch Verbrechen gegen die Menschenrechte stattfinden, Einwohner massenhaft vertrieben wurden (Afrin) , Krankenhäuser und Lebensgrundlagen zuhauf zerstört werden und ein Aggressor unermüdlich auf die endgültige Vernichtung einer demokratischen Basisgesellschaft hinarbeitet. Bomben und Kanonen stellen nur die Spitze der Aggressionen dar. Eine vom türkischen Regime hunderte Kilometer hochgezogene lange Mauer zerschneidet die traditionellen Handelsbeziehungen und wirschaftlichen Lebensadern. Wer der Mauer zunahe kommt, wird beschossen. Gegen breiten Widerstand der regionalen Bevölkerung durchgesetzte und nicht zuletzt mit deutscher Hilfe umgesetzte Staudammprojekte graben den selbstverwalteten Gebieten im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser und die Lebensgrundlagen ab.

Rojava als gesellschaftliches alternatives Zukunftsprojekt und Hoffnungschimmer für Menschenrechte im Nahen Osten soll letztendlich ausradiert werden. Es ist mit seiner Basidemokratie, seinen multiethnischen, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaftstrukturen, der Anerkennung von Frauenrechten und dem Aufbau einer nachhaltigen ökologichen Ökonomie ein Dorn im Auge von Despoten wie Erdogan und für ein Umfeld, das weitgehend nationalistisch patriarchalisch, rassistisch, fundamental religiös und frauenfreindlich geprägt ist. Rojava wäre aber auch ein alternatives Zukunftsmodell für die durch Lobbyismus, Kapitalmächte, soziale Verwerfungen und doppelte Standards ausgehöhlten westlichen Demokratien. Während im Fall des Ukrainekriegs der Kriegsaggressor von diesen Demokratien mit historisch beispiellosen Sanktionen überzogen wird, bildet man im anderen Fall ein gemeinsames Bündnis mit dem Aggressor selbst , treibt weiterhin extensiv Handel, macht Flüchtlings- und Waffendeals. Vor allem aber gibt es nach wie vor militärische und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit der Türkei gegen die Vertreter der Opfer und kurdischen Organisationen hierzulande wie auch im Nahen Osten selbst.

Halbherzige Politikermahnungen ohne Konsequenzen !

Außenministerin Baerbock hat die Türkei Ende November zu Zurückhaltung beim Vorgehen gegen kurdische Milizen in Syrien und im Irak aufgerufen. Sie habe in Gesprächen deutlich gemacht, dass beim Schutz vor Terrorismus natürlich das Völkerrecht gelte ! [1] Express.de – Aktuelle Nachrichten aus Köln, der Welt sowie Neues vom Sport und der Welt der Promis. ) Ermahnungen kamen auch von Bundespräsident Steinmeier [2] Türkei – Ankara bestreitet Angriff auf Kurden-Miliz | deutschlandfunk.de Aber es handelt sich um reine Symbolpolitik. Irgendwelche praktischen Konsequenzen in der eigentlichen Zusammenarbeit mit der Türkei gibt es so gut wie gar nicht. Ist es nicht eigentlich ein Irrsein, von Erdogan nur „Zurückhaltung“ beim Bombardieren zu fordern? Mit ihrem Apell, dass auch beim „Schutz vor Terrorismus das Völkerrecht gelte“ macht sich die Aussenminsterin das Terrorismus Narrativ von Erdogan selbst zu eigen. Als hätten die von aussen angegriffenen Gebiete von Rojava, Leuchttürme einer demokratischen Gesellschaft in diesem von Kriegswirren und Menschenrechtsverletzungen heimgesuchten Mittleren Osten, und deren Milizen irgendetwas mit Terrorismus und nicht mit purer Selbstverteidigung zu tun.

Inzwischen schweigen die direkten Bombardierungen wieder, aber wie so oft in den vergangenen Jahren, heisst hier Ende des Kanonendonners nur kurz vor dem nächsten Kanonendonner. Die Zusammenarbeit mit dem aggressiven Erdoganregime wird nicht nur fortgesetzt, sondern ausgebaut. Aktuell kommt es zur Auslieferung des ersten Kurden aus Schweden . Einziger Tatbestand und Begründung : die vom Regime Erdogan vorgebrachte Behauptung , dass der Mann Mitglied der PKK sei [3]Asylantrag abgelehnt: Schweden liefert verurteiltes PKK-Mitglied an die Türkei aus (tagesspiegel.de). Schamlos werden ein weiteres Mal Menschenrechte auf dem Altar des Natomilitärbündnisses geopfert.

Den permanenten Attacken gegen Rojava und die kurdischen Vertreter muss mit kontinuierlicher Aufklärung und Protest von unten begegnet werden!

Die Berliner Zivilgesellschaft machte Ende November mobil.

Anders als die politische Führungselite Deutschlands wurden die Angriffe vom Bezirksparlament Friedrichshain/Neukölln mit klaren Worten veruteilt [4]ANF | Bezirksparlament verurteilt Angriffe der Türkei auf Rojava (anfdeutsch.com), wir danken für die Publikationsrechte In der Resolution heisst es unter anderem : „Die BVV verurteilt die Bombardierung des Dorfes Teqil Beqil in unmittelbarer Nähe unserer Partnerstadt Dêrik durch türkische Kampfflugzeuge, bei der ein Elektroumspannwerk komplett zerstört wurde, so dass nun die Stadt und 65 umliegende Dörfer ohne Strom und Wasser sind. Der Pick-Up, in dem Menschen aus der Zivilbevölkerung zum Umspannwerk fuhren, um möglichen Opfern zu helfen, wurde in einer zweiten Angriffswelle bombardiert, wobei insgesamt neun Menschen starben und drei verletzt wurden. Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und lebenswichtige Infrastruktur sind eindeutig völkerrechtswidrig. Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Nordsyrien und anderenorts. Die BVV verurteilt jegliche völkerrechtswidrige Kriegshandlung, besonders gegen Zivilist:innen.“ Die von Erdogan international verbreitete Version, man habe gar keine zivile Einrichtungen angegriffen, wird durch die unmittelbaren Kontakte und Zeugenaussagen auf kommunaler Ebene widerlegt. Die Städtepartnerschaft des Bezirks Friedrichshain/Neukölln mit der nordsyrischen Stadt Derik sollte Schule machen. Es ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Unterstützung der bedrohten Gebiete.

Am 26.November demonstrierten in Berlin Neukölln/Kreuzberg über 2000 Menschen [5]Ferat Koçak auf Instagram: „Über 2000 Menschen protestierten gestern in Neukölln / Kreuzberg gegen den Angriffskrieg in Kurdistan, für die Wiederaufnahme der…“. Im Instragam Tweet des Abgeordneten der Linken Ferat Kocak heisst es dazu : „Über 2000 Menschen protestierten gestern in Neukölln / Kreuzberg gegen den Angriffskrieg in Kurdistan, für die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zwischen der Türkei und der PKK sowie für die Aufhebung des PKK Verbots in Deutschland. “ „Außerdem wurde in zahlreichen Reden verdeutlicht, dass der Ursprung des Slogans Jin Jiyan Azadi aus der kurdischen Frauenbewegung stammt und es heuchlerisch ist von Baerbock und Co., wenn sie diesen nutzen um berechtigte Solidarität mit den Kämpfen im Iran auszudrücken aber zeitgleich Kurd*innen kriminalisieren. So geht feministische Außenpolitik nicht.“ Und wie verhielten sich die deutschen Sicherheitsorgane? “ Es gab zahlreiche Festnahmen,“  hiess es kurz und knapp in dem Tweet.

Der Protest geht weiter .

Am 14.12.22 findet unter Moderation des Abgeordneten Ferat Kocak (Die LINKE Neukölln) eine Veranstaltung zum Thema Repression gegen die kurdische Bewegung und ihrer Vertreter in Deutschland statt. Ort Linx* 44, Schierker Str. 26, 12051 Berlin.

Was viele nicht wissen, die deutschen Behörden machen sich trotz aller Lippenbekenntnisse nach wie zum verlängerten Arm der Erdogan Repression. Im Einladungstext von Ferat Kocak heisst es dazu: “ Die kurdische Bewegung ist massiv von dieser Kriminalisierung betroffen. Das PKK-Verbot beispielsweise dient der systematischen Repression der kurdischen Community. Verfolgung, Terrorismus-Vorwürfe oder Abschiebungen sorgen dafür, dass politisch aktive Kurd*innen aus der öffentlichen Debatte ausgeschlossen und Aktivist*innen massiv schikaniert werden. Mit Rechtsanwalt Lukas Theune und weiteren Expert*innen diskutieren wir die Kriminalisierung von linkem Aktivismus und möglichem Widerstand. Moderiert von Ferat Kocak “ [6]Ferat Koçak auf Instagram: „Während Nazis mit dem Narrativ Einzeltäter immer wieder vom Staat geschützt werden, werden Linke Aktivist*innen und Gruppen in Deutschland…“. Wir rufen zur Teilnahme an dieser Veranstaltung auf! „Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin“ und „Arbeitskreis Internationalismus IG Metall Berlin“ erklären sich ausdrücklich solidarisch!

Erneuter türkischer Luftangriff auf das Umland unserer Partnerstadt Dêrik

Presseerklärung der „Städtepartnerschaft Berlin-Kreuzberg – Derik“ zu den völkerrechtswidrigen Angriffen des NATO-Staates Türkei auf kurdische Gebiete in Syrien

Betragsbild: ANF

Mit Entsetzen haben wir erfahren, dass in der Nacht von Samstag den 19.11 auf Sonntag den 20.11. türkische Kampfflugzeuge das Dorf Teqil Beqil, wenige Kilometer von Dêrik entfernt, mehrfach bombardiert haben.

Beim ersten Angriff wurde gezielt ein Elektro-Umspannwerk zerstört. Dabei kamen nach Angaben des ehemaligen Ko-Bürgermeisters, Feremez Hamo, zwei Arbeiter um. Nach dem Angriff strömten Menschen aus der Zivilbevölkerung dorthin, um möglichen Opfern zu helfen. Daraufhin setzte eine zweite Angriffswelle ein. Dabei wurde auch ein Fahrzeug zerstört.

Nach dem türkischen Luftangriff auf die Elektro-Umspannstation

Hamo sprach von insgesamt 9 Toten und 3 Verletzten. Einige Leichen seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Unter den Toten befindet sich auch der Journalist Isam Abdullah. Der Korrespondent der Nachrichtenagentur ANHA wurde schwer verwundet und starb im Krankenhaus. Entgegen der Behauptungen des türkischen Verteidigungsministeriums, das von zerstörten Stellungen der YPG und eliminierten ‚Terroristen‘ spricht, waren die meisten Opfer der Luftangriffe Zivilist:innen. Der Städtepartnerschaftsverein Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik spricht den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus.

Bei der Beerdigung der Opfer in Dêrik
Bei der Beerdigung der Opfer in Dêrik

Die jüngsten Angriffe der Türkei auf das Gebiet der Selbstverwaltung von Nord- und Nordostsyrien zerstörten überwiegend zivile Einrichtungen wie das Elektro-Umspannwerk bei Dêrik. Deshalb waren auch zwei Tage nach dem Angriff die Stadt Dêrik und 65 umliegende Dörfer ohne Strom. Dies bedeutet, dass es dort auch kaum noch Trinkwasser gibt, weil das meiste Trinkwasser aus Tiefbrunnen hochgepumpt werden muss. Weitere gravierende Schäden entstanden an einer Corona-Klinik in Kobane und an einem Weizendepot bei Dehril Ereb. Insofern ähneln die türkischen Luftangriffe den russischen Angriffen auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine.

Wie bekannt betreiben wir zusammen mit der Frauenstiftung WJAS seit 2020 im Umland von Dêrik eine überwiegend aus Spenden finanzierte Mobile Klinik. Sie ist zur Zeit die einzige Gesundheitsversorgung für Frauen und Kinder im Umland von Dêrik.

Wir sind äußerst besorgt, dass auch unsere Mobile Klinik zum Angriffsziel werden könnte!

Die türkische Regierung begründet ihre Militäroperation mit der Behauptung, die kurdischen Militäreinheiten (YPG) innerhalb der ‚Syrian Democratic Forces‘ (SDF) und die Kurdische Arbeiterpartei PKK seien für das Attentat in Istanbul am 13.11.2022 verantwortlich. Die meisten unabhängigen Experten dagegen vermuten, dass die türkische Regierung sich mit dem Istanbul-Attentat nur einen Vorwand für einen erneuten türkischen Einmarsch in Nordsyrien geschaffen hat, den Erdogan bereits seit Monaten immer wieder angekündigt hat. 

Wie sehr sich doch die russischen Begründungen für ihre Angriffe auf die Ukraine und die türkischen Begründungen für ihre Angriffe auf Nordsyrien  ähneln!

Wir danken für das Abdruckrecht.

„Verschwörungen“ und „Erzählungen“

In seiner Ausgabe vom 3. November beschäftigte sich der Berliner „Tagesspiegel“ mit dem Problem der russischen Propaganda. Zum diesem Thema war eine Umfrage unter Bundesbürger:innen durchgeführt worden, die für den Autor des Artikels beunruhigend war. Denn gerade im Osten würde sie verfangen. Dort hätten 31% der Befragten der Position zugestimmt, die NATO habe eine Mitverantwortung für den Krieg in der Ukraine, da diese Russland provoziert habe. Einer ernsthaften Auseinandersetzung damit, ob etwas daran sein könnte, sind die verantwortlichen Redakteur:innen des bedingungslos transatlatisch orientierten Blattes seit Beginn des Krieges weitgehend ausgewichen. Stattdessen wurden kritische Nachfragen zur Vorgeschichte des Krieges schnell als „russisches Narrativ“ etikettiert und damit entsorgt. Dies ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal. Die mit Paukenschlag von oben inszenierte Poltik der „Zeitenwende“ scheint gerade in den Medien auf bereitwillige Gefolgschaft zu stoßen. Kaum eine „offentliche Persönlichkeit“ wagt Widerspruch zu den offiziellen Erzählungen und Sprachregelungen einzulegen. Und wenn doch, muss sie nicht lange darauf warten, bis sie an den Pranger gestellt wird. Auffällig ist auch, dass die wenigsten Medien ihre Leser:innen mit Stimmen und Einschätzungen anderer Länder versorgen. Man hätte ja mal die Korrespondenz der verantwortlichen Politiker der USA und Russlands zur Ukraine – soweit sie öffentlich zugänglich ist – veröffentlichen können. Doch russische Verlautbarungen werden gar nicht erst ernst genommen. Und auch US-amerikanische nur, wenn sie die Öffentlichkeit nicht verunsichern. Gerade aus den USA gibt es immer wieder Wortmeldungen, die zeigen, dass es dort eine wache und kritische „Geisteselite“ gibt, die nicht gewohnt ist, den Kopf einzuziehen, nachdem die Regierung gesprochen hat. Aber ein Noam Chomsky ist hier einfach nicht zitierfähig. Es trifft allerdings nicht nur Intellektuelle, die schon immer auf der Linken standen. Auch Persönlichkeiten aus der politischen Mitte der US-Gesellschaft, wie Jeffrey Sachs, scheinen auf dem Index zu stehen. Was er zu sagen hat – er ist beileibe kein „Putin-Troll“ – dürfte bei unseren transatlantischen „Qualitätsmedien“ wohl auch als „Verschwörungserzählung“ oder „russisches Narrativ“ bewertet werden.

Wir verlinken hier einen Artikel von Sachs aus Telepolis v. 4.11. 2022:
https://www.heise.de/tp/features/Wir-brauchen-einen-Wechsel-in-der-US-Aussenpolitik-7329300.html

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