Tod am Arbeitsplatz – Amazon-Mitarbeiter stirbt während Schicht

Am 28.11.2025 gab es weltweit Proteste gegen Amazons Unterstützung von Israels Kriegsverbrechen ebenso wie gegen die massive Missachtung der Rechte und Auspressung seiner Arbeiter:innen. Vor dem Amazon Tower in Berlin fand eine Protestkundgebung statt. Kurz vorher meldete Verdi den folgenden symptomatischen Vorfall.

Tod am Arbeitsplatz – Amazon-Mitarbeiter stirbt während Schicht

Pressemitteilung vom 26.11.2025

Ver.di fordert Aufklärung

Am Dienstag, den 17. November, wurde ein Arbeitnehmer des Amazon Fulfilment-Centers in Erfurt-Stotternheim während der laufenden Frühschicht leblos auf der Toilette aufgefunden. Berichten zufolge soll der Beschäftigte vorher vergeblich versucht haben, sich bei seinem Vorgesetzen krank zu melden. Ver.di fordert Amazon auf, die Umstände dieses Todesfalls aufzuklären und die Arbeitsbedingungen am Standort zu verbessern.

Erst vor etwa zwei Wochen fand eine gemeinsame Aufklärungsaktion von ver.di und den DGB-Projekten „Faire Mobilität“ und „Faire Integration“ vor dem Logistikzentrum statt. Was die Arbeitnehmer in diesem Zuge über die Arbeitsbedingungen bei Amazon in Erfurt berichteten, ist erschütternd.

„Beschäftigte berichten uns von hohen Leistungsanforderungen, Urlaubssperren, fehlenden Lohn bei Krankmeldungen, ständigem Druck bei Unterschreitung willkürlicher Normen. Sie befinden sich zu großen Teilen in befristeten Arbeitsverhältnissen und berichten von Angst vor Arbeitsplatzverlust, wenn sie sich krankmelden oder zu langsam arbeiten“, so Matthias Adorf, Gewerkschaftssekretär bei ver.di für den Fachbereich Handel in Thüringen.

Bei Amazon in Erfurt arbeiten mehrheitlich migrantische Beschäftigte, die meisten davon aus Drittstaaten wie Syrien, Iran, Afghanistan oder afrikanischen Staaten. Hier treffen Arbeitshetze und Druck auf die Existenzängste der migrantischen Beschäftigten mit oft unsicheren Aufenthaltstiteln. Die Beschäftigten fürchten, dass mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes auch ihr Aufenthaltstitel auf dem Spiel stehen könnte. Amazon nutzt diese Situation ohne Skrupel und moralische Bedenken aus.

„Ob diese Arbeitsbedingungen zum vorliegenden Todesfall beigetragen haben, ermittelt hoffentlich die Staatsanwaltschaft. Wir wissen aber sicher, dass die Arbeitsbedingungen bei Amazon, die uns Beschäftigte schildern, krank machen. Die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind für viele, vor allem migrantische Beschäftigte ein toxisches Gemisch aus Angst, Druck und Sanktionen. Die Gewerkschaft ver.di steht an der Seite der Beschäftigten – egal welcher Herkunft. Wir fordern den Arbeitgeber auf, diese Praxis zu beenden“, so Adorf weiter.

Pressekontakt

V.i.S.d.P.:
Oliver Greie
ver.di-Landesbezirksleiter
für Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen
für den Inhalt: Jörg Förster

Titelbild: Collage Peter Vlatten, Foto Protest vor dem Amazon Tower in Berlin, 28.November 2025

Die weiße Zukunft des Westens

Die Trump-Administration verlangt „Remigration“, übernimmt damit die Terminologie der extremen Rechten und fordert von den US-Botschaften in Europa, die Regierungen dort zur Nachahmung ihrer rassistischen Deportationspolitik zu nötigen.

Newsletter von German Foreign Policy

Bild: Wikimedia

WASHINGTON/BERLIN (Eigener Bericht) – Die Trump-Administration übernimmt die „Remigrations“-Forderung der extremen Rechten in Europa und leitet diplomatische Schritte zur Durchsetzung ihrer rassistischen Abschiebepolitik auch in Deutschland ein. Präsident Donald Trump hat in der vergangenen Woche erklärt, „nur reverse migration“ – „umgekehrte Migration“ – könne die USA retten. Das US-Ministerium für Innere Sicherheit verlangt „Remigration jetzt“. Washington leitet dazu eine weitere Eskalation seiner Deportationen vor allem von Nichtweißen ein – während weiße Südafrikaner aus oft rassistischen Milieus in den USA als Flüchtlinge aufgenommen werden. „Remigration“ zählt zum Forderungskatalog der AfD aus ihrem Bundestagswahlprogramm. Der Vorsitzende der neuen, am Wochenende gegründeten AfD-Jugendorganisation tritt für „millionenfache Abschiebungen“ ein. In einem Schreiben hat das State Department unlängst die US-Botschaften in der transatlantischen Welt, darunter Deutschland, aufgefordert, bei den Regierungen ihrer Gastgeber starken Druck auszuüben, um sie zur Nachahmung der rassistischen US-Deportationspolitik zu nötigen. Damit würde ein weißer, vermeintlich schlagkräftiger Machtblock für die globalen Hegemonialkämpfe geschmiedet.

Der Attentäter aus dem Mordkommando

Die US-Forderungen folgen auf das Attentat vom vergangenen Mittwoch in Washington, bei dem eine Soldatin und ein Soldat der Nationalgarde niedergeschossen wurden. Die Soldatin ist ihren Verletzungen erlegen; der Soldat kämpft noch um sein Leben. US-Medien haben den Hintergrund des mutmaßlichen Attentäters offengelegt, eines 29 Jahre alten Flüchtlings aus Afghanistan. Der Mann war um das Jahr 2011 herum im jugendlichen Alter von rund 16 Jahren in Afghanistan von der CIA angeworben worden und hatte in Kandahar in den „Zero Units“ Dienst getan, die formell dem afghanischen Geheimdienst angehörten, in Wirklichkeit aber von der CIA ausgebildet, ausgerüstet und kontrolliert wurden.[1] Eine Untersuchung von Human Rights Watch belegt, dass die Zero Units regelmäßig bei nächtlichen Überfällen auf afghanische Ortschaften zum Einsatz kamen, bei denen im Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Kriegs regelmäßig Einwohner verschleppt und ermordet wurden.[2] Berichten zufolge litt der Attentäter unter ernsten Traumata, die die Morde seiner Einheit unter CIA-Kommando bei ihm verursacht hatten.[3] Weil die US-geführten Mordeinheiten als ganz speziell durch die Taliban gefährdet gelten, erhielten ihre Angehörigen in der Regel Zuflucht in den USA; so auch der Attentäter, der sich und seine Familie zuletzt mit einem schlecht bezahlten Job als Lieferdienstfahrer über Wasser hielt.

„Remigration jetzt!“

Die Trump-Administration nutzt das Attentat nun, um ihre Abschiebepolitik noch weiter zu verschärfen. „Nur reverse migration“ – „umgekehrte Migration“ bzw. „Remigration“ – „kann diese Situation vollständig beheben“, erklärte US-Präsident Donald Trump auf Truth Social und kündigte an, im ersten Schritt jegliche Einwanderung „aus allen Dritte-Welt-Ländern“ zu stoppen.[4] Das Ministerium für Innere Sicherheit (Department of Homeland Security, DHS), das bereits im Oktober den Begriff „Remigrieren“ öffentlich verwendet hatte [5], forderte am Freitag: „Remigration jetzt“ [6]. Das Ministerium hatte bereits kurz vor dem Attentat eine Überprüfung sämtlicher Flüchtlinge angeordnet, die während der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden Zuflucht in den Vereinigten Staaten erhalten hatten. Es soll die Maßnahme jetzt intensivieren. Betroffen sind Hunderttausende, darunter offenbar auch Personen, die rechtlich gültige Aufenthaltspapiere besitzen. Das DHS hat zudem angekündigt, Einreisebegehren von Afghanen ab sofort nicht mehr zu bearbeiten und spezielle Restriktionen gegen sämtliche Migranten aus 19 Ländern zu verhängen, die als „Hochrisikostaaten“ gelten. Die Maßnahmen kommen zu den bereits realisierten Schritten hinzu, darunter die Verschleppung zahlloser Migranten durch die US-Behörde ICE (Immigration and Customs Enforcement).[7]

Aus dem Stadtbild abgeschoben

Bereits vor dem Attentat hatte die Trump-Administration Maßnahmen eingeleitet, um die Staaten Europas, Kanada, Australien und Neuseeland zur Nachahmung ihrer Abschiebepolitik zu nötigen. In den Ländern, die die Trump-Administration als „westliche Zivilisation“ vom Rest der Welt abhebt, sind drakonische Abschiebemaßnahmen und eine in wachsendem Maße rassistisch geprägte Migrationspolitik längst verbreitet. Australien etwa, das seit vielen Jahren Flüchtlinge in Lager auf abgelegene Pazifikinseln deportiert, hat Ende Oktober ein neues Abschiebeprogramm gestartet, das den zwangsweisen Abtransport von Migranten nach Nauru vorsieht.[8] Auch Deutschland weitet seine Abschiebungen aus; so legt Bundesinnenminister Alexander Dobrindt Wert auf die Feststellung, in den ersten zehn Monaten 2025 seien im Durchschnitt 65 Migranten pro Tag abgeschoben worden – ein knappes Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum.[9] Deportationen nach Afghanistan finden längst statt. Solche nach Syrien sollen in Kürze folgen. An der Agitation gegen nichtweiße Migranten beteiligt sich Kanzler Friedrich Merz persönlich. Mitte Oktober hatte er geäußert, seine Regierung plane aktuell Abschiebungen „in sehr großem Umfang“; Grund dafür sei, dass es „im Stadtbild noch dieses Problem“ gebe.[10] Die Begründung richtet sich gegen Menschen, deren Haut im „weißen“ Deutschland auffällt.

Die „westliche Zivilisation“

All dies genügt der Trump-Administration nicht. Das US-Außenministerium hat in einem Schreiben, das Berichten zufolge auf den 21. November datiert ist, seine Botschaften in den genannten Ländern – daruter Deutschland – aufgefordert, zum einen regelmäßig über die Migrationspolitik ihrer Gastgeber Bericht zu erstatten. Nach Washington gemeldet werden solle es nicht zuletzt, falls die jeweiligen Regierungen „Migranten unangemessen auf Kosten der lokalen Bevölkerung begünstigen“.[11] Zum anderen müsse das US-Botschaftspersonal künftig bei den Regierungen der Gastgeber intervenieren, um eine „Reformpolitik“ in puncto „migrantische Verbrechen“ und migrantische „Menschenrechtsverletzungen“ durchzusetzen. Das sei notwendig, um „eine existenzielle Bedrohung für die westliche Zivilisation und die Sicherheit des Westens und der Welt“ abzuwenden, erläutert ein hochrangiger Mitarbeiter des US-Außenministeriums.[12] US-Vizepräsident JD Vance hatte bereits im Februar erklärt, man könne „die westliche Zivilisation nicht wiederaufrichten“, wenn „Amerika oder Europa“ Millionen „illegaler Migranten“ einreisen ließen: „Das muss aufhören.“[13] Wer in die USA einreisen darf und dort gar Flüchtlingsstatus erhalten kann, hat die Trump-Administration mehrfach klargestellt: weiße, oft aus rassistischen Milieus stammende Südafrikaner.

Ein homogener Block

Mit ihrer Forderung nach „Remigration“ übernimmt die Trump-Administration einen Plan, der in der extremen Rechten in Europa seit Jahren an Zuspruch gewinnt und inzwischen auch in der AfD befürwortet wird. So hieß es etwa im Programm der AfD zur Bundestagswahl im Februar: „Unser Maßnahmenkatalog zur Umkehr [des] migrationspolitischen Staatsversagens heißt Remigration“.[14] Der Vorsitzende der am Wochenende neu gegründeten AfD-Jugendorganisation Generation Deutschland, Jean-Pascal Hohm, bekräftigte unlängst, er trete für „millionenfache Abschiebungen“ ein.[15] „Millionenfache Remigration“ wurde auch auf dem Gründungstreffen der Generation Deutschland gefordert. Mit der US-Entscheidung, die Staaten Europas, Kanada, Australien und Neuseeland zur Nachahmung ihrer rassistischen Deportationspolitik zu nötigen, sucht die US-Regierung die gesamte transatlantische Welt auf AfD-Kurs festzulegen. Dies entspricht der beharrlichen Unterstützung der äußersten Rechten in den USA für die extreme Rechte in Europa (german-foreign-policy.com berichtete [16]). Die US-Strategie läuft letzten Endes darauf hinaus, die gesamte transatlantische Welt in einen nach rassistischen Kriterien relativ homogenen weißen Block („westliche Zivilisation“) zu schmieden, der in den zur Zeit noch am Anfang stehenden globalen Kämpfen um die Weltmacht die vermeintlich größtmögliche Schlagkraft entwickeln kann.

Abhängig, also erpressbar

Bundeskanzler Friedrich Merz hat Ende vergangener Woche erklärt, sich dem US-Diktat nicht fügen zu wollen. „Die Migrationspolitik ist unsere Sache“, erklärte Merz: „Wir entscheiden, ob wir sie für richtig halten.“[17] Der Kanzler fuhr fort: „Da brauchen wir keine Ermahnungen von außerhalb.“ Allerdings hat sich in den vergangenen Monaten mehrmals gezeigt, dass die Abhängigkeit der deutschen Industrie von ihrem in der gegenwärtigen Krise unersetzlichen US-Geschäft Berlin kaum Raum für politische Eigenständigkeit lässt (german-foreign-policy.com berichtete [18]). Den Kurs in Richtung auf Massendeportationen hat Berlin ohnehin bereits eingeschlagen.

[1] Lex Harvey, Chelsea Bailey: An Afghan national who previously worked with the CIA named as suspect in DC National Guard shooting. Here’s what we know. edition.cnn.com 28.11.2025.

[2] “They’ve Shot Many Like This”. hrw.org 31.10.2019.

[3] Campbell Robertson, Hamed Aleaziz, Jack Healy: For Shooting Suspect, a Long Path of Conflict From Afghanistan to America. nytimes.com 27.11.2025.

[4] Louise Radnofsky, Michelle Hackman: After D.C. National Guard Shooting, Trump Steps Up Immigration Crackdown. wsj.com 28.11.2025.

[5] Chelsea Bailey: DHS issued a call to ‘remigrate.’ Here’s the history of the term often associated with far-right groups. edition.cnn.com 19.10.2025.

[6] Louise Radnofsky, Michelle Hackman: After D.C. National Guard Shooting, Trump Steps Up Immigration Crackdown. wsj.com 28.11.2025.

[7] Dismantle the Mass Deportation Machine and Invest in Welcoming Communities. amnestyusa.org.

[8] Tiffany Wertheimer: Australia deports first foreign detainees to Nauru in controversial deal. bbc.co.uk 28.10.2025.

[9] Burkhard Uhlenbroich: Deutschland schiebt deutlich mehr ab. bild.de 22.11.2025.

[10] S. dazu Die ultrarechte Renaissance des Westens.

[11] Edward Wong, Hamed Aleaziz: U.S. to Press Europe and Other Allies on ‘Mass Migration,’ Document Says. nytimes.com 26.11.2025.

[12] Remarks by the Vice President at the Conservative Political Action Conference in Oxon Hill, Maryland. presidency.ucsb.edu 20.02.2025.

[13] Addressing the Impact of Mass Migration on Human Rights. state.gov 24.11.2025.

[14] Zeit für Deutschland. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag.

[15] Frederik Schindler: „Millionenfache Abschiebungen“ – So tickt der Chef der neuen AfD-Jugend. welt.de 30.11.2025.

[16] S. dazu „Das Zeitalter der Patrioten“, Die ultrarechte Renaissance des Westens und „Kein Platz für Brandmauern“ (II).

[17] Merz verbittet sich Ermahnungen der USA. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.11.2025.

[18] S. dazu Im Interesse der deutschen Kfz-Industrie und Das Flüssiggas und die US-Energiedominanz.

Erstveröffentlich auf GFP v. 1.12. 2025
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/10221

Wir danken für das Publikationsrecht.

Generation Antifa in der Offensive

Das Bündnis Widersetzen sorgt für einen leeren Gründungsparteitag der AfD-Jugend

Von John Malamatinas, Gießen

Bild: Klasse gegen Klasse (KgK)

Kurz vor 22 Uhr am Freitagabend auf einem Berliner Bahnhofsparkplatz: Motoren brummen, letzte Thermoskannen werden in Rucksäcke geschoben, Fahnen noch schnell mit Tape geflickt. Dann steigen die Aktivist*innen in ihre Busse. Ziel: Gießen. Auftrag: Den Gründungsparteitag der AfD-Jugend »Generation Deutschland« blockieren.

Der Berliner Konvoi ist Teil eines bundesweiten Blockadekonzepts des Bündnisses Widersetzen, das alle Zufahrten zu den Hessenhallen dichtmachen will. Zum Bündnis gehören Schüler*innenverbände, Gewerkschaften, migrantische Organisationen, Omas gegen Rechts, Kirchen und linke Gruppen.

Während der letzten Pause vor Gießen tauchen zwei Streifenwagen auf und verhandeln mit der Buskoordination. Rund 30 Kilometer vor dem Ziel entfernen sich die Streifenwagen plötzlich – im Bus herrschen Erleichterung und Jubel.

Einsatz für die Demokratie

Kurz vor 6 Uhr morgens am Sonnabend steigen die Aktivist*innen im Dunkeln aus. Mit Stirnlampen, Knicklichtern und Fahnen mit Leuchteffekten formiert sich die Gruppe hinter dem Fronttransparent und macht sich auf den Weg zur Zielkreuzung, wo bereits ein großes Polizeiaufgebot wartet. Als der Zug einen weniger gesicherten Seitenstreifen nutzt, greifen weitere Einsatzkräfte ein und setzen Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Beim Eintreffen des Nord-Konvois kommt es erneut zu massiver Polizeigewalt gegen das Fronttransparent. Minutenlange Auseinandersetzungen folgen.

»Meine erste Amtshandlung heute als parlamentarischer Beobachter: Sanitäter suchen«, sagt Luke Hoß, Bundestagsabgeordneter der Linken, dem »nd«. »Denn nach dem Ausstieg gab es quasi direkt die erste Ladung Pfefferspray. Sich beschwerenden Demonstrant*innen rief ein Polizist noch zu: ›Kommt doch, ich mach sie gerne leer.‹« Laut Hoß kein netter Empfang für Menschen, die sich, »um für unsere Demokratie einzustehen«, mitten in der Nacht auf den weiten Weg gemacht haben.

Noa Sander von Widersetzen berichtet von »vielen mutigen Menschen, die entschlossen waren, gemeinsame Solidarität und Widerstand gegen Faschismus auf die Straße zu tragen.« Gleichzeitig habe Sander »eine Polizei erlebt, die extrem gewaltvoll auf Demonstrant*innen eingeschlagen hat, die nicht nur den Faschist*innen in Gießen den roten Teppich ausgerollt hat, sondern ihnen auch wortwörtlich die Straße freigeprügelt hat.«

Blockaden zeigen Wirkung

Um 10.15 Uhr meldet der Aktionsticker von Widersetzen: »Von 1500 bis 1900 erwarteten Gästen bei der Faschoshow in der Gießener Messehalle sind bisher nur etwa 200 aufgetaucht. Das reicht wohl eher nicht für eine ›Generation Deutschland‹.« An 19 Blockadeorten ist die Anfahrt der AfD blockiert. »Wir lassen nicht zu, dass die AfD eine weitere Generation gewaltbereiter Faschist*innen heranzieht.« Alle wesentlichen Zufahrten sind versperrt.

Tausende Menschen versammeln sich gleichzeitig auf der östlichen Seite der Lahn. Zuvor hatte es Streit um erlaubte Versammlungsorte gegeben, da die Stadt wegen der erwarteten Lage Einschränkungen erließ, darunter ein Demonstrationsverbot westlich der Messehalle. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte schließlich das Sicherheitskonzept der Stadt. Eine kleinere Demonstration mit bis zu 1000 Teilnehmern wurde direkt an der Messe genehmigt.

Viele kamen aus der Region, wie Karl, Schreinermeister aus Ulrichstein im Vogelsberg: »Wir kommen vom Land – dort sehnen sich viele Menschen nach einfachen Antworten. Die AfD bietet solche Scheinlösungen an, die nur plausibel klingen. Wir sind hier, um aufzuklären und zu zeigen: Die AfD liefert keine Antworten. In unserem Ort hat sie mehr als 25 Prozent bekommen.«

Andere legten lange Anreisen zurück, wie Käthe und Jona aus Bielefeld. »Um ein Zeichen gegen die gruselige AfD zu setzen«, sagt Jona. Käthe ergänzt: »Die Auftritte, die man im Internet sieht, machen mir Angst. Ich muss jetzt hier sein und zeigen, dass ich das nicht will.« Auf die Frage, ob ihr Protest in Gießen willkommen sei, erklärt Jona: »Also bei den Bürgern glaube ich schon. Das merkt man und sieht man an den vielen Transparenten. Auch an den Häusern hängen tolle Schilder. Es ist schön bunt.« Zugleich sei die Vorberichterstattung erschreckend: »Eigentlich werden Demos nur ungern zugelassen und viele Möglichkeiten werden genommen.«

Spontandemonstration und Polizeieinsatz

Kurz nach diesen Gesprächen startet auf der anderen Lahn-Seite eine Spontandemonstration von etwa 5000 Menschen. Sie umgehen Polizeisperren und werden erst 300 Meter vor den Messehallen von Hundertschaften und Wasserwerfern gestoppt. Viele junge Menschen bleiben entschlossen und sichtbar direkt am Ort des Geschehens. Der Tag endet für einige mit einem Kraftklub-Konzert, für andere mit der Rückfahrt im Bus.

Widersetzen zeigte sich auf einer Pressekonferenz erschrocken über das Ausmaß der Polizeigewalt. »Auch als die Versammlungen sich schon auflösten und der AfD-Kongress bereits begonnen hatte, eskalierte die Polizei die Situation weiter durch brutale Attacken auf Antifaschist*innen«, heißt es in einer Mitteilung. »Außerdem setzte die Polizei bei eisigen Temperaturen Wasserwerfer ein.« Rieka Becker von Widersetzen erklärt: »Wir haben heute wieder gesehen: Auf den Staat können wir uns im Kampf gegen den Faschismus nicht verlassen.«

Luke Hoß zieht dennoch ein positives Fazit: »Über 50 000 Menschen haben sich heute widersetzt. Das war kein entspannter Tag für die Jungfaschisten und damit ein guter Tag für unsere Gesellschaft.« Auch Sander sprach von einem bedeutenden Signal: Am Samstag habe es »die größten antifaschistischen Blockadeaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben – ein großartiger Erfolg«. Die Bilanz bestätigt dies: Nur 839 der erwarteten 1500 AfD-Delegierten erreichten die Messehalle, darunter nicht einmal die Bundesvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla pünktlich. Nächste Station von Widersetzen ist der Bundesparteitag der AfD in Erfurt im Juli 2026.

Erstveröffentlicht im nd v. 1.12. 2025
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195851.protest-gegen-afd-jugend-generation-antifa-in-der-offensive.html

Wir danken für das Publikationsrecht.

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