Mit Kanzler Merz von der Wohlstandsgesellschaft zur Militärmacht

Von Rob Kenius

Bundeswehr-Werbung. Bild: bundeswehr.karriere.de

Europa hat seit Jahrzehnten drei Militärmächte: England, Frankreich und Russland. Deutschland war 80 Jahre lang keine Militärmacht. Und obwohl Deutschland den Zweiten Weltkrieg verloren hat und noch kein Friedensvertrag geschlossen wurde, hat die Bundesrepublik Deutschland einen rasanten Aufstieg hingelegt: das sogenannte Wirtschaftswunder. Doch damit ist es jetzt vorbei.

Mehr als 50 Jahre lang ging es den Menschen in Deutschland deutlich besser als denen in den drei militärisch mächtigeren Staaten. Das ist nicht reines Glück und auch kein Zufall. Das Wohlergehen basierte darauf, dass die Wirtschaft nicht mit einem Militärapparat konkurrieren musste, der viel Geld, Fachkräfte und viel Aufmerksamkeit der Regierenden an sich zieht und Prioritäten beansprucht.

Das Militär suggeriert Politikern, dass es wichtiger sei als alles Wohlergehen der Bevölkerung, weil es immer um Sieg oder Niederlage gehe. Diese Argumentation setzt Krieg als Normalzustand voraus, der im Frieden schon beginnt und mit Sicherheit dann auch kommt. Aber unser Wirtschaftswunder hat gezeigt, dass ohne kriegerische Politik der Friede sehr lukrativ ist und nicht von außen bedroht wird. Konzentration auf Wirtschaft und Zusammenleben kommt dem Leben näher als die ständige Abschöpfung von Geld, Material und Intelligenz für die fragwürdige Option, irgendwann oder auch bald wieder einen Krieg führen zu können. Diese seligen Zeiten sind für Deutschland jetzt vorbei.

Vorbei ist auch, Zufall oder nicht, der mit Glück erreichte Konsens im Parlament, dass der Bundeskanzler, einschließlich Angela Merkel, in jeder Legislaturperiode im ersten Wahlgang gewählt wurde. Friedrich Merz leitet auch da eine neue Ära ein: Er ist ins Kanzleramt gestolpert, obwohl oder gerade weil jeder weiß, dass er besonders Großes vor hat: Er will Kanzler und der Chef einer Militärmacht sein.

Die Weichen sind gestellt. Merz hat schon erreicht, dass die größte Schuldenaufnahme in der Geschichte der BRD beschlossen wurde, an erster Stelle um drastisch aufzurüsten. Er will allem Anschein nach mit England und Frankreich gleich ziehen und vielleicht, mit der wirtschaftlichen Stärke im Rücken, England und Frankreich bald übertreffen. Das zeigt sich schon daran, dass Deutschland sich der Friedensbereitschaft der USA großspurig widersetzt.

Wenn Herr Merz nicht bereits 1,98 Meter groß wäre, könnte man von Größenwahn sprechen, aber das Umgekehrte ist der Fall. Er ist für ein starkes Ego groß genug, nicht klein und kompakt wie Napoleon, der als Feldherr äußerst erfolgreich war, dann aber dem Größenwahn verfallen ist. Er hat sich selbst zum Kaiser gekrönt und, wie später Hitler, Russland angegriffen.

Bei der enormen Körperlänge von 1,98 Metern, kann es aber sein, dass Merzens Gehirn nicht immer ausreichend mit Nährstoffen versorgt ist, es zeigen sich doch merkliche Denkschwächen. Friedrich Merz hat den Schwenk vom Finanzjongleur zum verantwortlichen Politiker und schließlich zum Kanzler, der dem Wohl des Volkes verpflichtet sein soll, intellektuell nicht bewältigt. Da ist zu wenig Flexibilität und keine kreative Leistung. Es häufen sich Fehlschlüsse und und es zeigt sich der Mangel an einem grundlegenden Update.

Das Projekt, von der Wohlstands-Nation auf Militärmacht umzuschalten, benötigt Russland als Feindbild, jedenfalls wird es in allen Narrativen zur deutschen Aufrüstung so dargestellt. Dabei ist Russland nur dann Deutschlands Feind gewesen, wenn es von hier aus angegriffen wurde. Russische Soldaten haben Deutschland schließlich von der Nazidiktatur befreit, sie haben sich unter großen Verlusten bis Berlin durchgekämpft und Adolf Hitler und Joseph Goebbels, samt dessen Familie, in den Selbstmord getrieben.

Erst, als nach der Einkesselung um Stalingrad und der Schlacht von Kursk der Krieg Ende 1943, bereits verloren war, sind US-Soldaten 1944 in der Normandie gelandet. Alle Erzählungen, welche die USA als großen Befreier darstellen, ändern nichts an der historischen Tatsache, dass Nazideutschland (Hitler) den Zweiten Weltkrieg an erster Stelle gegen die Sowjet-Union (Stalin) verloren hat.

Durch den deutschen Überfall sind mehr als 25 Millionen Sowjet-Menschen zu Tode gekommen, die meisten davon russische Soldaten, trotzdem hat Michail Gorbatschow in die Wiedervereinigung Deutschlands eingewilligt. Für eine tiefe Feindschaft Deutschlands gegenüber Russland gibt es absolut keine Gründe. Alle Argumente beziehen sich nur auf den Einmarsch der Russen in die Ukraine, den mag man zwar verurteilen, aber ihn als Angriff auf Deutschland, Europa und die westlichen Werte zu definieren, ist Schwachsinn oder Propaganda oder beides. Und es ist eindeutig die Sicht der USA, insbesondere die des gescheiterten Präsidenten Joe Biden.

Das Feindbild Russland ist ein US-Import, genau wie das vorherrschende Finanzsystem, in dem Friedrich Merz groß und erfolgreich geworden ist. In den USA ist das Feindbild Russland ein Relikt aus dem Konkurrenzkampf der Systeme, der 40 Jahre lang die Gemüter dort erhitzt hat. Mit der Politik von Michail Gorbatschow, der Auflösung der SU und der Abkehr vom der kommunistischen Ideologie war dieser Kampf und die Vision von der drohenden Weltrevolution de facto beendet.

Vielen US-Amerikanern scheint dies entgangen zu sein, kein Wunder bei der Entfernung. Man hat im starren Feindbild einfach SU durch Russland ersetzt und weiter gerüstet, gedroht und die Nato noch 30 Jahre gegen Russland erweitert, bis zum zweitgrößten europäischen Land Ukraine mit seinen undurchsichtigen Machtverhältnissen und einer 2.300 km langen Grenze zu Russland.

Friedrich Merz ist konform mit der US-Finanzwelt und der atlantischen Politik, die Russland als Feindbild hoch gehalten hat. Dazu ist im Milieu der Hochfinanz nicht viel Nachdenken erforderlich, im Gegenteil, es ist der einfachste Konformismus in der vertrauten Umgebung der feudalen Finanzmacht. Doch mit dem Wiedereinstieg in die deutsche Spitzenpolitik, hätte der Kanzlerkandidat Merz umdenken müssen.

Kandidat Merz hätte damit beginnen sollen, sein Fachwissen über das Finanzsystem zu Gunsten der Wählerinnen und Wähler der CDU einzusetzen. Zum Beispiel mit der Erkenntnis, dass Staatsschulden zu Gunsten der Geldgeber angelegt sind und die Bevölkerung eines Landes über Generationen benachteiligen, weil die Menschen, besonders die jungen, die Tilgung samt Zinsen über Steuern aufbringen müssen.

Als Kenner der Finanzwelt müsste Friedrich Merz auch wissen, wie man über Steuern und Abgaben an das Geld kommt, das in Händen der Geldbesitzer in solchem Überfluss vorhanden ist, sich das Geld also nicht zu borgen, sondern mit Steuern und Abgaben zu holen. All das hätten wir, als positiv denkende Menschen, von Herrn Merz als Kanzler, mit Recht erwarten können.

Doch mit der trickreichen Schuldenaufnahme, noch vor der Machtergreifung, hat uns Herr Merz gezeigt, dass er den Übergang vom Finanzjongleur zum Volksvertreter in seinem weit oben sitzenden Kopf nicht vollzogen hat und er sich weiterhin so verhält wie ein leitender Angestellter des Finanzsystems.

Deutsche Staatsschulden sind ein Leckerbissen für das Finanzgeschäft. Rüstung ist eine Finanzspritze für die US-Wirtschaft und für den Aktienmarkt, den bekanntlich Merzens ehemaliger Arbeitgeber Black Rock dominiert. Dabei kommt also nichts Kanzlermäßiges heraus, sondern nur die Fortsetzung atlantischer Denkgewohnheiten mit Schwerpunkt auf das Billionen-Geschäft der Kredite.

Für Deutschland ist es das Ende des Wirtschaftswunders zu Gunsten einer überflüssigen vierten europäischen Militärmacht. Wenn Herr Merz denkt, Deutschland könne hier die Nr. 1 werden, hat er sich getäuscht, da hilft auch der mit Worten so zackige Verteidigungsminister Pistorius nichts. Frankreich und England werden das nicht zulassen, sie haben Atomwaffen und Deutschland hat nicht mal einen Friedensvertrag mit ihnen.

Wir werden durch die Politik von Merz, Klingbeil und Pistorius und den devot agierenden Parteien von der europäischen Wirtschafts-Nation Nr. 1 zur Militär-Mittelmacht Nr. 4 in Europa herabgestuft.

Die Wirtschaft kann dann mit der Merz-Methode sogar ein wenig wachsen, weil ja die Militärausgaben in das Bruttosozialprodukt hinein gerechnet werden und dann kommt, rein rechnerisch, ein Wachstum zustande, obwohl die zivile Wirtschaft schrumpft, die Leute ärmer, die Lebensmittel und das Wohnen teurer werden. Aber das merkt dann keiner, weil die staatstragenden Medien das Merzsche Wirtschaftswachstum pflichtgerecht verkünden werden.

Aber, verdammt nochmal, nein! Deutschland darf nicht das Land der gehorsamen Mitläufer und leichtgläubigen Dummen sein und bleiben. Was Friedrich Merz sich bisher schon geleistet und weiterhin noch vor hat, geht mehr als zwei Meter zu weit. Es wird sündhaft teuer, besonders für die kommenden Generationen, es ist brandgefährlich und dabei, trotz SPD, völlig unsozial. Das kann auch von den staatstragenden Medien nicht schöngeredet werden.

Lasst uns jetzt konkret überlegen, was außerhalb von Parteien und Parlament dagegen zu tun ist!

Rob Kenius betreibt die systemkritische Webseite https://kritlit.de sowie den Podcast 9min Denksport auf kritlit.de und auf spotify https://open.spotify.com/show/1l0nCpNcXZmfAIMjwB0tOK

Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 8.5. 2025
https://overton-magazin.de/top-story/mit-kanzler-merz-von-der-wohlstandsgesellschaft-zur-militaermacht/

Wir danken für das Publikationsrecht

Die Linke als Klassenpartei

Die Turbulenzen um die Rolle der Linken bei der Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler diese Woche haben zu heftigen kontroversen Debatten in der linken Bewegung geführt. Wir berichteten. Hier ein weiterer wertvoller Grundsatzbeitrag zum Diskurs, welchen Kurs die Partei die Linke einschlagen soll. Der Beitrag bewertet den Leitantrag, der auf dem Parteitag Ende der Woche zur Beschlussfassung vorliegt. Aus meiner Sicht wären bei der Kritik 3 Punkte zur Kennzeichnug der imperialen Klasseninteressen in der aktuellen Situation stärker hervorzuheben. Erstens strebt das deutsche Kapital an, europäische Führungsmacht zu werden. Zweitens strebt das deutsche Kapital an, mittels einer europäischen Großmachtpolitik seine geopolitischen Interessen mit der erforderlichen Abgressivität zur Geltung bringen zu können. Drittens wird dazu ein militärisch industrieller Komplex aufgebaut, dessen Interessen in Zukunft zunehmend bedient werden müssen. (Peter Vlatten)

Was bedeutet dieser Anspruch und wie ihm gerecht werden?

Die Linke hat die Nahtod-Erfahrung überlebt. Sie hat im Februar nicht nur den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft, sondern vor allem einen Zustrom zehntausender Mitglieder. Überall entstehen neue Strukturen der Partei, überall wollen neue Mitglieder aktiv werden, um den Vormarsch der AfD, die Militarisierung der Gesellschaft und die zu erwartenden Angriffe der Merz-Klingbeil-Regierung auf die Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten zu stoppen. Das ist eine riesige Chance.

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher und Linke-Mitglied, SOL 7. Mai 2025

Es weht ein frischer Wind in der Linken und die vielen tausend Neumitglieder mischen die Partei hoffentlich gehörig auf. Jedoch haben die letzten Wochen auch gezeigt, dass die Lehren aus der Existenzkrise, in die Die Linke geraten war, noch nicht gezogen wurden und die Gefahr besteht, dass die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden.

Was bedeutet Klassenpartei?

Der dem im Mai stattfindenden Bundesparteitag vorliegende Leitantrag erhebt den Anspruch, Die Linke zu einer Klassenpartei zu machen. Das ist ein großer Fortschritt im Vergleich zu Debatten der Vergangenheit, wo die Kategorie Klasse entweder in Frage gestellt wurde oder aber nicht als die zentrale Kategorie für Sozialist*innen betrachtet wurde. Doch welche Schlussfolgerungen sollten sich aus diesem Anspruch ergeben?

Klasse gegen Klasse

Partei einer Klasse zu sein bedeutet, anzuerkennen, dass die Interessen der Klasse, die man vertreten möchte, nur im Kampf gegen eine andere Klasse durchgesetzt werden können, bedeutet also den Klassenkampf anzuerkennen. Im Klassenkampf muss die arbeitende Klasse eine selbständige Position einnehmen. Sie braucht von der herrschenden, kapitalistischen Klasse und ihren staatlichen Institutionen unabhängige Organisationen und eine davon unabhängige politische Programmatik. Das geht darüber hinaus, dass man in der Frage von Löhnen und Arbeitsbedingungen für möglichst gute Standards eintritt. Es geht darum, in allen gesellschaftlichen Fragen die Klasseninteressen zu formulieren und zu vertreten.

Der Leitantrag, der zum Chemnitzer Parteitag vorliegt, wird dem in vielen Punkten nicht gerecht, auch wenn er im Vergleich zu ähnlichen Papieren der Vergangenheit einen Schritt in die richtige Richtung darstellt.

Eigentumsfrage

Klassenpolitik bedeutet also, die Herrschaft einer Klasse über eine andere Klasse zu überwinden. Folglich sollte sie die Quelle dieser Herrschaft aufdecken und einen Weg aufzeigen, diese versiegen zu lassen. Die Quelle der Macht der kapitalistischen Klasse ist ihr Eigentum an Produktionsmitteln. Der Leitantrag wirft die Eigentumsfrage jedoch so gut wie gar nicht auf. Weder angesichts des Arbeitsplatzabbaus in der Industrie, noch hinsichtlich der nötigen Umstellung der Produktion auf eine nachhaltige Produktionsweise und ebensolche Güter, noch hinsichtlich der Macht der privaten Banken und Finanzinstitute wird die Frage der Überführung in öffentliches Eigentum aufgeworfen. Nicht einmal die von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ popularisierte Forderung nach der Enteignung großer Immobilienunternehmen hat es in den Leitantrag geschafft, offenbar will die Führung der Linkspartei sich hier auf die Forderung nach einem Mietendeckel beschränken. 

Regierungsbeteiligung

Eine unabhängige Klassenposition wird konterkariert, wenn man in Regierungsbündnisse mit prokapitalistischen Parteien eintritt und mit diesen gemeinsam dann die kapitalistischen Verhältnisse verwaltet. Die Linke hat eine lange und traurige Geschichte solcher Regierungsbündnisse mit SPD und Grünen. Sie haben überall dazu geführt, dass sie sich an Maßnahmen gegen die Arbeiter*innenklasse beteiligt und viel Unterstützung verloren hat. Zuletzt haben die Vertreter*innen der Linken in den Landesregierungen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat für die Aufhebung der Schuldenbremse zur grenzenlosen Finanzierung der Aufrüstung der Bundeswehr, aber in den Monaten zuvor auch für Waffenlieferungen an die Ukraine und, im Fall von Mecklenburg-Vorpommern, auch für das so genannte Sicherheitspaket der Bundesregierung gestimmt. In Bremen hat Die Linke Haushaltskürzungen zugestimmt. Dies wird im Leitantrag nicht kritisiert.  Regierungsbündnisse mit prokapitalistischen Parteien werden stattdessen aber in einem Nebensatz als Selbstverständlichkeit abgehandelt. Das bedeutet, dass aus den vergangenen Krisen der Linken nicht die nötigen Lehren gezogen wurden und die Gefahr besteht, dass diese sich wiederholen werden. Jetzt schon wird in der Berliner Linken darüber diskutiert, im kommenden Jahr wieder eine Koalition mit SPD und/oder Grünen im Berliner Senat (die dortige Landesregierung) zu bilden – doch selbst wenn Die Linke als stärkste Kraft eine solche Regierungskoalition bilden würde, ändert das nichts daran, dass dort nur prokapitalistische Politik umsetzbar wäre (wie Thüringen zeigt)

Sozialismus

Die Klassenherrschaft überwinden zu wollen, bedeutet für die Überwindung des Kapitalismus und die Einführung einer sozialistischen Demokratie einzutreten. Auch wenn Die Linke sich als sozialistische Partei bezeichnet, sucht man den Begriff „Sozialismus“ im Leitantrag vergeblich. Stattdessen wird als Zielsetzung „Verteidigung des Sozialstaates und in die Wirtschaft eingreifenden Staates“ benannt. Das schürt die Illusion, man könne ohne eine Überwindung der kapitalistischen Profitwirtschaft, die sozialen und ökonomischen Missstände überwinden. 

Fazit

Die Linke hat aufgrund des Mitgliederzustroms eine große Chance, einen Beitrag zur Bildung einer sozialistischen Massenpartei von Arbeiter*innen und Jugendlichen zu leisten. Sol-Mitglieder beteiligen sich solidarisch und konstruktiv am Aufbau der Partei. Wir wollen gleichzeitig einen Beitrag zur selbstkritischen Aufarbeitung der Krisen der Vergangenheit leisten und treten für einen Kurswechsel in Richtung einer tatsächlich sozialistischen Klassenpartei ein. 

Titelbild: CC BY 2.0, Die Linke via Flickr

Trumps Zollkriegsphilosophie – Geld ist Macht – Macht ist relativ!

Die globale Vorherrschaft der USA lässt sich in einer einheitlichen regelbasierten Weltordnung nicht mehr aufrechterhalten. Das Wegbeissen von China gegen die eigenen Regeln begann in Trumps erster Regierungszeit mit dem Bann gegen den Huawei Konzern, der die USA auf entscheidenden Feldern der Digitalisierung auf den zweiten Platz zu verweisen drohte. Seitdem bekam die regelbasierte globale Koexistenz immer größere Risse. Die USA ergreifen die Flucht nach vorne. Wenn schon nicht Vorherrschaft über die ganze Welt, dann möglichst über den größten Teil bei gleichzeitig strategischer Schwächung des Hauptgegners. Wer den Regeln der globalisierten Ordnung nachweint, hat das kapitalistisch imperialistische Spiel nicht begriffen, wonach Regeln dazu dienen, die Interessen des ökonomisch Stärkeren durchzusetzen. Ist das nicht mehr der Fall, wird der Dienst quittiert. Jetzt geht es den USA darum, wer was und wieviel – möglichst unter direktem Diktat – vom Kuchen abbekommt. Ein Spiel mit Feuer. Norbert Häring beschreibt in dem folgenden Beitrag die Strategie eines Machtkampfes, bei dem kurzfristig durchaus Blessuren in den eigenen Reihen in Kauf genommen werden. (Peter Vlatten)

Norbert Häring, 10. April 2025

2025 | Der Zollkrieg mit der ganzen Welt, den Donald Tump vom Zaun gebrochen hat, wirkt auf viele verrückt. Will man Sinn darin finden, fängt man am besten beim Machtkampf mit China um die globale Vorherrschaft an und macht sich klar, dass Macht ein rein relatives Konzept ist.

Eine Binsenweisheit der Ökonomen lautet, dass bei einem Handelskrieg alle Beteiligten verlieren. Aber sie trifft nur zu, wenn der nationale materielle oder finanzielle Wohlstand der Maßstab ist. Wenn dagegen Bewahrung oder Ausbau von Macht das Ziel ist, sind wir bei einem relativen Konzept. Hier können nicht alle verlieren. Diejenigen, die in Geld oder ähnlichen Maßen gerechnet weniger verlieren als Konkurrenten, sind die Gewinner.

Konkurrenz mit China als Triebkraft

China hat eine dramatische Aufholjagd in Sachen wirtschaftliche und technologische Entwicklung hingelegt. Selbst bei einer weiteren Abschwächung des Trends ist es nur noch eine Frage der Zeit bis China die USA erst ökonomisch, dann auch militärisch und politisch auf den zweiten Platz verweist. Das ist für die Führung der USA nicht akzeptabel. Die bisherigen Maßnahmen, China aufzuhalten, haben nur sehr begrenzt gefruchtet.

Der Export, insbesondere auch in die USA, war ein wichtiges Vehikel für Chinas Aufholjagd. Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei der Technologietransfer, der damit verbunden ist, dass US-Firmen dort Vorprodukte für technisch hochstehende Güter fertigen lassen, die in den USA entwickelt werden. Noch hat sich China nicht aus der Abhängigkeit vom Export gelöst.

Mit der plötzlichen Einführung extrem hoher Zölle auf in China produzierte Waren schadet die Trump-Regierung amerikanischen Konsumenten und Konzernen wie Apple, die dort produzieren lassen, erheblich. Apples iPhones und viele andere Waren dürften dadurch deutlich teurer werden. Aber das nimmt die US-Führung gern in Kauf, wenn der Schaden für China erheblich größer ist, wenn es gelingt eine Wirtschaftskrise auszulösen, die den Wachstumstrend Chinas bricht.

Die Zielsetzung ist dokumentiert

US-Vizepräsident J.D. Vance bekannte Ende März in einer Rede auf dem American Dynamism Summit einer US-Wagniskapitalfirma offenherzig, dass Globalisierung von den USA nur deshalb und nur solange gewünscht und vorangetrieben wird, wie sie die weniger entwickelten Länder in technologischer Rückständigkeit hält und dauerhaft auf die Rolle der Lieferanten von Rohstoffen und billigen Arbeitskräften reduziert: Vance sagte (übersetzt):

„Die Idee der Globalisierung war, dass die reichen Länder in der Wertschöpfungskette weiter nach oben rücken, während die armen Länder die einfacheren Dinge herstellen. (…)  Aber ich glaube, wir haben uns geirrt. Es hat sich herausgestellt, dass die Regionen, in denen produziert wird, sehr gut im Design von Dingen sind. Es gibt Netzwerkeffekte, wie Sie alle sehr gut wissen. Die Firmen, die Produkte entwerfen, arbeiten mit Firmen zusammen, die sie herstellen. Sie teilen ihr geistiges Eigentum. Sie tauschen bewährte Verfahren aus. Und manchmal teilen sie sogar wichtige Mitarbeiter. Wir sind davon ausgegangen, dass andere Länder uns in der Wertschöpfungskette immer hinterherlaufen würden, aber es hat sich herausgestellt, dass sie, als sie am unteren Ende der Wertschöpfungskette besser wurden, auch am oberen Ende aufzuholen begannen. Wir wurden von beiden Seiten bedrängt.

Das ist keine einmalige Zuspitzung eines einzelnen Politikers, die man vielleicht nicht ganz so ernst nehmen müsste. Schon 2018, im ersten Jahr seiner ersten Amtszeit, hatte Trump einen Handelskrieg mit China begonnen, auch damals unter Bruch der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Ein Bericht des US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer hatte zuvor deutlich gemacht, worum es ging: Um die erfolgreiche und mit den Regeln der WTO konforme Strategie Chinas, von ausländischen Unternehmen zu verlangen, dass sie über Lizenzen oder innerhalb von Gemeinschaftsunternehmen Technologie transferieren. Außerdem kaufe China amerikanische Unternehmen auf, um in Besitz von US-Technologie zu kommen. Er schrieb dazu an den Kongress:

„Das übergeordnete Ziel ist es, ausländische Technologie durch chinesische zu ersetzen, um chinesische Unternehmen dafür fit zu machen, die internationalen Märkte zu dominieren. (…) Es ist nun klar, dass die WTO-Regeln nicht ausreichen, um das marktverzerrende Verhalten Chinas einzuhegen.“

Dabei ist eine staatliche Industriepolitik mit Betonung auf fortschrittliche Technologien eine Spezialität der US-Regierung. Sie reicht von mit NASA und Militär verbundenen Unternehmensabspaltungen und Technologien im Bereich Internet, GPS und Halbleitern bis zur Nuklearenergie und Bildverarbeitung.

Einer gegen alle

Bleibt die Frage, warum Trump sich nicht auf einen Handelskrieg mit China beschränkt, sondern gleich die ganze Welt mit Zöllen überzogen hat. Das entbehrt nicht einer gewissen Logik, auch wenn Trump diese extreme Maßnahme gestern gleich nach Einführung umgehend wieder auf Eis legen musste. Zu stark waren die Turbulenzen vor allem an den Anleihemärkten gewesen. Der Gedanke war wohl: Wenn sich nur China und die USA mit Zöllen bekriegen, verlieren beide, also auch die USA, relativ zum Rest der Welt. Außerdem findet dann China leichter alternative Abnehmer für seine Waren und kann möglicherweise auch welche durch Umleitung über andere Länder in die USA schleusen.

Wenn dagegen alle Länder unter Überkapazitäten leiden, die sie nicht mehr an die USA los werden können, werden sie kaum bereit sein, zusätzliche Importe aus China in großem Maßstab zu akzeptieren. Hinzu kommt, dass Trump auf diese Weise Konzessionen von anderen Ländern erpressen kann – wie zusätzliche Käufe von Fracking-Gas und Kampfflugzeugen – die sein Land mindestens teilweise für Verluste im China-Handel entschädigen und seine Machtposition gegenüber dem Rest der Welt festigen. Dadurch, dass er die angedrohten hohen Zölle erst einmal nur für drei Monate ausgesetzt hat, hält Trump den Druck aufrecht, solche Selbstverpflichtungen zum Kauf überteuerter amerikanischer Waren einzugehen. Gleichzeitig hat er eine Drohkulisse, wenn andere Länder China bei der Umgehung der US-Zölle helfen sollten.

Konsumenten tragen die Last

Die Konsumenten in den USA werden mit nochmals kräftig steigenden Preisen zu tun bekommen. In den USA produzierende Unternehmen und deren Arbeitnehmer profitieren dagegen von Mehrabsatz und höheren Preisen durch wegfallende ausländische Konkurrenz. Zur Vermeidung von Zölllen werden auch viele US-Unternehmen Produktion in die USA zurückverlagern und ausländische Unternehmen Produktionsstätten in den USA aufbauen.

Das sind allerdings in Anbetracht des nur noch geringen Anteils der Industrieproduktion in den USA nur relativ bescheidene positive Effekte, sodass die Regierung zunächst einmal an Ansehen bei den Wählern einbüßen dürfte. In den Zwischenwahlen zum Kongress könnte das sehr wehtun. Aber wenn die geopolitische Vorherrschaft der USA auf dem Spiel steht, spielt so etwas keine große Rolle.

Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl in dreieinhalb Jahren kann Trump hoffen, die Wähler mit den Zugeständnissen zu beeindrucken, die er anderen Ländern abgepresst hat und mit einer wieder nachlassenden Inflation sowie einem positiven Trend von Finanzmärkten und Wirtschaftswachstum von gedrücktem Niveau aus.

Fazit

Betrachtet man die von Donald Trump verhängten Zölle als motiviert vom Machtkampf mit China, könnten sie sich durchaus als zielführend erweisen, auch wenn sie finanzielle und realwirtschaftliche Verluste für die USA bringen. Es genügt dafür, dass die Verluste Chinas deutlich größer sind und für wichtige andere Länder nicht geringer. Die Chance auf Bewahrung der globalen Vorherrschaft der USA ist für den Machtapparat der USA allemal wichtiger als die Interessen der Konsumenten oder die Wahlchancen einer Regierung.

Der Beitrag von Norbert Häring ist ursprünglich hier erschienen


2018 | Die USA ignorieren WTO-Regeln und legen sich mit China an. Die Hauptverlierer der Trumpschen Handelskriege hat bei uns kaum jemand auf dem Schirm. Viele Entwicklungsländer sehen darin auf verschiedenen Ebenen eine sehr ernste Gefahr für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Die UN hat gerade signalisiert, dass der aktuelle Runfumschlag auch wieder Entwicklungs- und Schwellenländer am heftigsten trifft.

Hier ein Beitrag von Norbert Häring zum Handelskrieg aus Trumps erster Regierungszeit.

Trumps Handelskrieg mit China offenbart, dass Entwicklung nicht erlaubt ist

Titelbild: Collage Peter Vlatten

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