Wider eine militärische „Lösung“ des Ukrainekriegs

– Wir stellen gewerkschaftliche , linke , friedenspolitische Stimmen gegen die aktuelle Kriegseskalation zur Diskussion –

Gemeinsame Stellungnahme von Heino Berg, Thies Gleiss, Jakob Schäfer, Matthias Schindler, Winfried Wolf (erschienen in Lunapark 9.Juni 2022)

Unsere Vorbemerkung : „Meine empörende „Äquidistanz“ gegenüber Kiew und Moskau entspringt meiner Überzeugung, dass der russische und der ukrainische Staat sich tatsächlich in jeder Hinsicht extrem ähnlich sind und zwischen beiden keine so bedeutenden Unterschiede bestehen, dass SozialistInnen sich ernsthaft entschieden mit einem von beiden solidarisieren könnten. Die Ukraine und Russland sind ja tatsächlich gewissermaßen spiegelbildliche Staaten, die genau gleichzeitig und genau auf die gleiche Weise aus genau demselben Vorgängerstaat entstanden sind: Als Fragmente der Sowjetunion, in denen eine neue Mafia-Kapitalistenschicht durch Ausplünderung der schlagartig privatisierten sowjetischen Planwirtschaft die faktische Herrschaft übernahm. Seitdem sind diese neokapitalistischen Staaten beide zwei der sozial ungleichsten Staaten der Erde mit einer armen bis extrem armen arbeitenden Bevölkerung und an der Spitze einer wahnwitzig reichen Schicht herrschender Bosse von Mafiaclans.“ Fabian Lehr , östereichischer Blogger, 10.Juni 2022. Man ersetze den Begirff Mafiaclans duch Oligarchen (PeterVlatten).

Hier die Stellungnahme von Heino Berg, Thies Gleiss, Jakob Schäfer, Matthias Schindler, Winfried Wolf:

Wider eine militärische „Lösung“ des Ukrainekriegs

Die Invasion in die Ukraine ist ohne jede Einschränkung oder Relativierung zu verurteilen. Gleichzeitig sind wir fest davon überzeugt, dass die rein militärische Reaktion auf Putins verbrecherischen Krieg ein Irrweg ist, mit dem das menschliche Leid immer mehr vergrößert wird.

Zur Einordnung der Invasion und der Reaktion des Westens

Der Kreml verfolgt seit Jahren eine imperialistische Politik zum Erhalt und zur Ausdehnung seiner Machtbasis (Tschetschenien, Georgien, Syrien, …). In Verbindung mit der extraktivistischen Wirtschaftsstruktur in Russland ist die im Kreml konzentrierte Macht die Grundlage für den Reichtum der russischen Oligarchen, leidtragend ist die große Mehrheit der russischen Bevölkerung.

Ohne dass damit der russische Krieg gegen die Ukraine gerechtfertigt werden könnte, bleibt dreierlei festzuhalten: (1) Die NATO übertrifft mit ihren Kriegen u.a. in Afghanistan, Irak und Libyen Russland noch hinsichtlich imperialistischer Politik. (2) Die Expansion der Nato seit 1990 nach Osten ist und bleibt Ausdruck einer aggressiven Politik. (3) Die USA haben die Ukraine in jüngerer Zeit massiv hochgerüstet.

Nach mehr als drei Monaten Krieg wird zunehmend deutlich, für welche Ziele der Westen diesen Krieg zu nutzen beabsichtigt. Sicher sind sich die Regierungen der meisten europäischen NATO-Staaten der Eskalationsgefahr bewusster als der transatlantische Teil. Schließlich können auch ohne einen Atomkrieg europäische Länder von einer Ausdehnung des Kriegs betroffen werden. Aber diese Regierungen stellen ihre Befürchtungen hintan und unterstützen die US-Strategie. Die USA – und in ihrem Kielwasser die übrigen NATO-Staaten – setzen auf eine bedeutende Verschiebung der geopolitischen Kräfteverhältnisse. Ihr oberstes Ziel ist nicht die Verteidigung der ukrainischen Souveränität und schon gar nicht die Rettung von Menschenleben, sondern die Nutzung des ukrainischen Schlachtfelds, um Russland nachhaltig zu schwächen. US-Verteidigungsminister Austin erklärte in Kiew, dass „Russland so weit geschwächt werden soll, dass es die Dinge, die es beim Einmarsch in die Ukraine getan hat, nicht mehr tun kann.“

Es ist offensichtlich: Die US-Strategie ist mit einem frühestmöglichen Waffenstillstand unvereinbar. Hinzu kommt das massive Interesse der weltweiten Rüstungskonzerne bzw. des militärisch-industriellen Komplexes an der einer möglichst langen Fortsetzung dieses Kriegs.

Zu fordern ist der sofortige Stopp aller Kampfhandlungen. Dies steht in direktem Gegensatz zur deutschen Politik. Die von Scholz und anderen ausgerufene Wende (sprich: die verstärkte Militarisierung) führt zu neuem Wettrüsten und bekanntlich führen mehr Waffen zu mehr Kriegen, von den sozialen, finanziellen und ökologischen Folgen noch gar nicht zu reden.

Die NATO kann ihre Zielsetzungen deswegen so gut verfolgen, weil das Kiewer Regime von vornherein die militärische Antwort auf die Invasion gewählt hat und sie auch Anfang Juni keine Bemühungen um einen Waffenstellstand erkennen lässt. Alles zurückerobern zu wollen (einschließlich der Krim und des Donbass), bedeutet eine Fortsetzung des Kriegs und erhöht die Gefahr einer Eskalation … bis hin zu einem Atomkrieg. Ein gefährlicher Schritt in diese Richtung kann etwa in der Form erfolgen, dass Waffenlieferungen auf polnischem oder sonstigem NATO-Territorium mit Raketen beschossen werden.

Nach einigen Erfolgen der ukrainischen Armee und der Territorialverteidigung in den ersten Wochen des Kriegs ist mit der verstärkten Offensive der russischen Armee seit Mitte Mai eine gewisse Ernüchterung eingetreten, auch bei eingefleischten Bellizisten. Da die NATO aufgrund der unberechenbaren und unkontrollierbaren Reaktion des Kremls nicht direkt mit eigenen schweren Waffen und Soldaten (oder gar mit einer Flugverbotszone) eingreifen kann, stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt – sprich: ab welchem Gebietsgewinn der russischen Armee – sich die NATO doch auf einen Waffenstillstand umorientieren will.

Ende Mai/Anfang Juni stehen sich innerhalb der NATO zwei Positionen gegenüber: Die US-amerikanische (und mehr noch die britische) Position ist immer noch die, Russland aus der gesamten Ukraine vertreiben zu wollen. Auf diese Linie ist auch Selenskyj eingestimmt, was er mit seiner konkreten Politik und seiner wochenlang hochgepeitschten kriegerischen Rhetorik zum Ausdruck bringt. Die Gegenposition (von Kissinger und anderen) wird erst dann stärker werden, wenn eine Perspektive der Vertreibung der russischen Streitkräfte an Durchsetzungswahrscheinlichkeit verliert. Ein Nichterreichen dieses Ziels wird dann vom Kiewer Regime – wie auch von den meisten Kräften im Westen und vor allem den Medien – damit begründet werden, dass es nicht genug Lieferungen schwerer Waffen gibt. Dabei werden die zwei Dilemmata in diesem Krieg tunlichst ausgeblendet:

Putins Dilemma ist völlig klar: Nachdem sein Ziel einer Einnahme Kiews (und eines Regimewechsels in der Ukraine) gescheitert ist, kann er nicht ohne Gefährdung seiner (und der Oligarchen) Machtposition die russischen Truppen ohne erkennbaren Erfolg abziehen. Also wird er ‒ wenn ihm keine Verhandlungsperspektive geboten wird ‒ notfalls eskalieren.

Das Dilemma für den westlichen Imperialismus ist aber nicht minder klar: Da die NATO nur geopolitische Ziele verfolgt (und nicht die Rettung von Menschenleben als Ziel hat), will sie zwar das Schlachtfeld Ukraine für die eigenen Ziele nutzen, aber sie will gegenüber der Atommacht Russland keine unbeherrschbare Eskalation betreiben und deshalb auch keine größeren Mengen an eigenen schweren Waffen oder gar Truppen in die Ukraine schicken. Auf diese Weise ist ihr realer Handlungsspielraum begrenzt. Und genau dies will Selenskyj nicht einsehen.

Die Gewinner stehen schon fest

Ganz gleich, wann es zu einem Waffenstillstand kommt (ein Friedensvertrag ist überhaupt nicht absehbar), so stehen heute schon folgende Gewinner fest:

  • der westliche Imperialismus, verkörpert durch die NATO;
  • die Rüstungsindustrie (noch vor wenigen Monaten hätten sich die Waffenschmiede – nicht nur in Deutschland – ein solches Geschenk des Himmels nicht vorstellen können);
  • alle Militaristen – und das nicht nur in den imperialistischen Staaten.

Die Verlierer stehen ebenfalls schon fest

  • Allen voran ist dies die gesamte ukrainische Bevölkerung (Tausende tote und verletzte Zivilist*innen, Zehntausende tote und verletzte Soldat*innen).
  • Die Infrastruktur des Landes ist in weiten Teilen heute schon zerstört.
  • Die ökologischen Schäden sind gewaltig (auch eine Atomkatastrophe ist weiterhin leichter möglich als es sowieso schon der Fall ist).
  • Für die Völkerverständigung gibt es jetzt noch größere Hürden als vor dem Krieg.
  • Tausende russische Soldaten haben ihr Leben lassen müssen und Tausende sind verletzt.
  • Die russische Bevölkerung leidet unter verschärfter Repression sowie unter massiver Inflation mit Reallohnabbau und unter den Sanktionen.

Zwar werden die Herrschenden im Kreml mindestens geopolitisch geschwächt aus diesem Krieg hervorgehen (wegen NATO-Osterweiterung und neu verschärftem Wettrüsten, was die russische Wirtschaft mehr schwächt als den Westen). Doch daraus können die Menschen in Russland keinen Honig saugen. Es wird vielmehr zur Verelendung breiter Schichten beitragen.

Welcher Weg sollte unterstützt werden?

Ohne Zweifel steht es einem Angegriffenen zu, sich zu verteidigen. Aber aus dem Recht zur Selbstverteidigung resultiert keineswegs der Zwang, dafür militärische Mittel einzusetzen. Gehen wir vom Völkerrecht aus – das wohlgemerkt bürgerliches Recht ist – dann hat die Ukraine das Recht, um zivile und militärische Unterstützung für ihre Verteidigung zu bitten. Aus diesem Recht folgt aber nicht automatisch die Pflicht, Hilfe auch auf militärische Art zu leisten und damit überhaupt erst zur Verlängerung des Kriegs beizutragen.

Wenn ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung den bewaffneten Verteidigungskrieg unterstützt, bedeutet das nicht zwingend, dass dies auch von außen unterstützt werden muss. Art und Umfang der Unterstützung der Ukraine in ihrer Verteidigung müssen sich an den Fragen orientieren:

  • Ist die militärische Verteidigung angesichts der materiellen Zerstörungen und menschlichen Opfer angemessen im Verhältnis zu den verfolgten Zielen und den zu erwartenden Erfolgschancen?
  • Kann eine solche Unterstützung dazu beitragen, eine Eskalation zu verhindern und eine Begrenzung des Konfliktes zu fördern?

Gegen die Wahl des Einsatzes militärischer Mittel spricht im vorliegenden Fall (noch mehr als in vielen anderen Fällen) die Vernunft. Die Lieferung von Waffen an die Ukraine ist abzulehnen, denn sie führt zu einer Ausweitung und Verlängerung des Krieges. Die anfängliche Schlappe und Fehleinschätzung der russischen Landnahmeversuche darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zerstörungsmacht der russischen Armee aus der Ferne und von oben gewaltig ist und noch längst nicht am Ende ihrer Steigerungsfähigkeit angelangt ist. Jede Verlängerung des Kriegs wird weitere Städte in Schutt und Asche legen und zu Tausenden weiterer Todesopfer führen.

Eine humanitäre Unterstützung der Bevölkerung der Ukraine und eine Unterstützung der zivilen und sozialen Widerstandsmaßnahmen sind nicht nur legitim und gerechtfertigt, sie sind geboten. Parallel dazu muss darauf hingewirkt werden, dass der Krieg möglichst schnell am Verhandlungstisch beendet wird. Daher sind sofortige Initiativen erforderlich, um einen Waffenstillstand zu erreichen und in Verhandlungen über die vorhandenen Konfliktpunkte zu treten.

Schutz und Erhaltung von Menschenleben müssen das oberste Gebot sein. Deswegen war die militärische Reaktion auf die Invasion ein Irrweg. Es gibt keine akzeptable Rechtfertigung oder Legitimation, um eine Generalmobilmachung anzuordnen, jedenfalls dann nicht, wenn wir uns nicht nach machtpolitischen Interessen richten, sondern den Blick auf die Opfer, die Zerstörungen und die Eskalationsgefahr richten.

Verschärfend kommt hinzu: Das Kiewer Regime repräsentiert keine fortschrittliche Gesellschaftsordnung. Die Selenskyj-Regierung hat vielmehr selbst ‒ unter anderem mit dem de facto-Verbot der russischen Sprache als zweiter Amtssprache ‒ zur Zuspitzung des Konflikts mit Moskau beigetragen und setzt auch heute nicht auf Deeskalation. In diesem Krieg kämpft nicht etwa eine emanzipative Befreiungsbewegung gegen eine Kolonialmacht. Hier stehen sich zwei bürgerliche Staaten ‒ die beide durch ein Oligarchen-System bestimmt sind ‒ gegenüber.

Darüber hinaus dürfen wir nicht übersehen, dass das Selenskyj-Regime gleichzeitig einen Stellvertreterkrieg führt, nämlich mit Unterstützung der NATO (vor allem der USA) und für deren Interessen. Allein das schon spricht gegen die militärische Antwort auf den Einmarsch, gegen die Zwangsrekrutierung und gegen die Fortführung des Kriegs. Die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand ist das Gebot der Stunde und muss sich an alle Seiten richten.

Wofür wir als Kriegsgegner*innen eintreten

Der soziale Widerstand der finnischen Bevölkerung zu Anfang des 20. Jahrhunderts, der Generalstreik als Reaktion auf den Kapp-Putsch 1920, der vorwiegend mit zivilem Widerstand durchgeführte Kampf gegen die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Streitkräfte 1923 sind Beispiele einer Alternative. Ein anderes Beispiel ist jüngeren Datums: Als die Sowjetarmee am 21. August 1968 in die Tschechoslowakei einfiel, befahl die tschechische Regierung unter Alexander Dubček der eigenen Armee, in den Kasernen zu bleiben. Der daraufhin einsetzende soziale Widerstand war zwar nicht stark genug, den Kreml zum Abzug seiner Truppen zu bewegen, um dann den tschechischen Weg einer politischen Liberalisierung weiterverfolgen zu können. Aber wäre ein Krieg die bessere Alternative gewesen? Wir meinen: Nein!

Angesichts enorm gesteigerter Zerstörungskraft moderner Massenvernichtungswaffen hat in einem Krieg vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden. Gleichzeitig wird die Infrastruktur zerstört und es entstehen gewaltige ökologische Schäden. Wer vor diesem Hintergrund auf eine militärische „Lösung“ setzt, der/die hat ein verengtes Verständnis von den politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, vor denen die Menschen in der Ukraine und anderswo stehen. Die Machtpolitik der herrschenden Klassen und die daraus sich ergebende Expansionspolitik (einschließlich Invasionen) müssen wir als eine soziale, politische und ökologische Herausforderung begreifen. Deshalb ist es ein Irrweg, sich auf die Ebene des Kampfs zwischen zwei Staaten zu fixieren und nur in diesen Kategorien zu denken. Ein Ignorieren der tiefergreifenden Ursachen und Probleme ließe uns nur noch die Wahl zwischen Desinteresse auf der einen Seite und Eintreten für Waffenlieferungen auf der anderen Seite, was schließlich zu noch mehr Opfern und zu einer sich vergrößernden Eskalationsgefahr führen würde.

Die tieferliegende Ursache für das Handeln der Herrschenden – in Moskau, aber auch in Kiew und in den hinter Kiew stehenden NATO-Staaten – ist knallharte Klassenpolitik im Interesse der jeweiligen kapitalistischen Klasse. Dem begegnen wir nicht, indem wir uns auf die Logik der Kriegspolitik einlassen. Es gilt vielmehr, die sozialen/gesellschaftlichen Ursachen offenzulegen und in diesem Konflikt die Strategie des gesellschaftlichen (sozialen) Widerstands zu unterstützen.

Was sind die Mittel und was sind die Ziele eines solchen Widerstands? Die Kampfformen des zivilen Widerstands sind klar definiert: Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht, Kundgebungen, Demonstrationen, Streiks, gegebenenfalls auch Sabotageaktionen gegenüber den materiellen Mitteln der Repressionskräfte. Mit dem Ausbau eines engmaschigen Kommunikationssystems ‒ und gleichzeitig möglichst dezentralen Führungsstrukturen ‒ muss es darum gehen, vorrangig die Widerstandskraft zu erhalten und die Mobilisierung zu erhöhen.

Eine weitere zentrale Achse des gesellschaftlichen Widerstands ist die beharrliche Agitation gegenüber den niederen Rängen der Besatzungsmacht, um eine Verbrüderung/Verschwesterung und eine konkrete Unterstützung des gesellschaftlichen Widerstands durch diese Menschen (sie sind schließlich „Arbeiter und Soldaten“) zu erreichen. Gleichzeitig ist dies die beste Grundlage, um eine Verständigung zwischen den betroffenen Völkern zu befördern, statt noch mehr Gräben aufzureißen und schwer zu überwindenden Zorn und Rachegefühle zu schüren.

Parallel müssen alle Menschen, die an einem friedlichen Zusammenleben und an einer Überwindung der unmenschlichen kapitalistischen Gesellschaftsordnung interessiert sind, Proteste im Herzen der Bestie (in dem Fall vor allem in Russland) organisieren bzw. unterstützen. Je größer der Widerstand dort ist, desto eher kommt es zu einem Waffenstillstand und zu einem Ende des Kriegs. Das Beste, was humanistische und klassenkämpferische Kräfte im Westen hierzu beitragen können, ist der Aufbau einer breiten Friedensbewegung, die sich für eine sofortige, umfassende und bedingungslose Abrüstung und für einen Stopp aller Waffenlieferungen engagiert. Demgegenüber läuft die Befürwortung von Waffenlieferung nur darauf hinaus, mitzuhelfen, noch mehr Öl ins Feuer zu schütten. Ein langfristiges Ziel aller ökosozialistisch und sonstig humanistisch gesinnten Menschen muss es sein, die Rüstungsindustrie zu vergesellschaften, um sie unter Kontrolle der Beschäftigten auf die Produktion gesellschaftlich nützlicher Produkte umzustellen.“

4. Juni 2022

Heino Berg,(Göttingen) Mitglied von DIE LINKE und SAV

Thies Gleiss, Mitglied im Parteivorstand der LINKEN und im Bundessprecher:innenrat der Antikapitalistischen Linken 

Jakob Schäfer, aktiv in der Gewerkschaftslinken (VKG); jüngste Veröffentlichung: „Die Warengesellschaft und die Herausforderung der multiplen Krise“

Matthias Schindler (Portugal), aktiv in der Lateinamerika-Solidaritätsbewegung

Winfried Wolf, Chefredakteur Lunapark21 und verantwortlicher Redakteur „Zeitung gegen den Krieg“

Wir danken Winfried Wolf, die Stellungnahme hier publizieren zu dürfen.

Zuerst erschienen in der “Jungen welt” vom 9.6.22 und LunaPark21:

Grüne und Liberale entdecken ihr Herz für den Militarismus

– Wir stellen gewerkschaftliche , linke , friedenspolitische Stimmen gegen die aktuelle Kriegseskalation zur Diskussion –

Über den Rechtsruck von Grünen und Liberalen angesichts des Ukrainekriegs !

mit einem Gastbeitrag von Fabian Lehr, 3.6.2022

Vorbemerkung . „Grüner Neoliberalismus. Statt Zeitenwende vollzieht er in Wirklichkeit eine Rückwärtswende . Erinnerungen an 1914 werden wach, als roße Teile der „links-liberalen“ Berliner Gesellschaft (was die meisten der „kritischen Geister“ vorher selbst nicht für möglich gehalten hatten) einem Kaiser Wilhelm huldigten , in den 1. Weltkrieg folgten und zum moralischen Rückgrat und Echo der Kriegseuphorie wurden. Erst nach vielen Kriegsjahren mit totaler Zerstörung kam dann die totale Ernüchterung. „Neoliberalismus küsst Rechtskonservatismus und Rechtsextremismus“! Auch das ist nichts wirklich Neues, wenn man Pinochets Chile als die eigentliche Wiege des Neoliberalismus betrachtet. Die beiden grünen Superminister der bundesdeutschen Ampelkoalition setzen nicht nur die – noch bei den Wahlen fest versprochenen- friedenspolitischen Grundsätze ihrer Partei nicht um , sondern verkehren diese in ihr absolutes Gegenteil . Die beiden Minister mutieren zunehmend mit dem Großteil der Grünen Führungsriege neben der FDP Waffenlobbyistin Strack Zimmermann zu Hauptprotagonisten von Waffenexport, Wirtschaftskrieg und kompromissloser Kriegslogik und Kriegsrethorik . Das Ganze verbunden mit einer unsäglichen Dopplemoral selektiver Wahrnehmnung und Entrüstung über Völkerrechtsbrüche, Menschenrechtsverletzungen und Kollateralschäden von Kriegen. Vorläufiger Gipfel dieser Haltung ist die zynische Sorge der grünen Aussenministerin Bearbock über die Gefahr einer aufkommenden Kriegsmüdigkeit in der deutschen Bevölkerung. Der friedenspolitischen folgt die klimapolitische Kehrtwende, wenn man die Fakten hinter den vollmundigen Erklärungen betrachtet. „Wer grün wählt, wird sich noch schwarz ärgern!“ Der folgende Gastbeitrag von Fabian Lehr bezieht sich auf die Entwicklung in Österreich. Nur auf den ersten Blick ist es verblüffend wie sich die Verhältnisse in Deutschland dazu spiegeln !“ (Peter Vlatten)

Hier der Beitrag von Fabian Lehr, 3.6.2022

„Über den Rechtsruck von Grünen und Liberalen angesichts des Ukrainekriegs

Der Krieg in der Ukraine hat das politische Koordinatensystem in ganz Europa durcheinandergeworfen.

Zu den markantesten Veränderungen zählt, dass Grüne und Liberale plötzlich ihr Herz für den Militarismus entdecken und den traditionellen Konservatismus dabei von rechts überholen. Aus der berechtigten Empörung über den russischen Angriffskrieg und die dahinterstehende großrussisch-nationalistische Ideologie wird eine bedingungslose Identifikation mit dem Imperialismus des NATO-Blocks und der Ideologie des ukrainischen Nationalismus abgeleitet.

Wer gestern noch wusste, dass die Ukraine im seit 2014 andauernden Konflikt ein Spielball der imperialistischen Konkurrenz zwischen Russland und dem Westen ist, sieht nun im Taumel des Krieges Brüssel und Washington als selbstlose, edle Verteidiger ukrainischer Freiheit. Wer gestern noch richtig erkannte, dass die NATO ein von moralischen Skrupeln freies imperialistisches Kriegsbündnis ist (In dem, wenn es geopolitisch passt, auch eine faschistoide Diktatur wie Erdogans Regime herzlich willkommen ist), spricht heute die Phrasen von der NATO als einem Defensivbündnis zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten in der Welt nach. Wer gestern noch erkannte, dass seine verfassungsmäßige Neutralität Österreich die meiste Sicherheit bietet und nicht bewaffnetes Mitmischen in imperialistischen Konflikten, redet heute davon, man müsse „die Zeichen der Zeit erkennen“, die überholte Neutralität entsorgen und Österreich in die NATO führen. Wer gestern noch von der Notwendigkeit diplomatischer Konfliktlösung sprach, fordert heute in immer schrilleren Tönen, immer mehr und immer schwerere Waffen in diesen Krieg zu pumpen und – warum nicht? – vielleicht auch gleich die Gelegenheit zu nutzen, dabei die Krim militärisch zurückzuerobern. Wer gestern noch mahnte, dem Wiederaufstieg des Rechtsradikalismus in Europa den Weg zu versperren, prangert jede Thematisierung der Legalisierung, Uniformierung, Besoldung und Bewaffnung tausender organisierter Neonazis durch den ukrainischen Staat nun als perfide Kremlpropaganda an. Wer gestern noch erkannte, dass Kriege zwischen bürgerlichen Staaten Konkurrenzkämpfe der Bourgeoisie um Märkte, Ressourcen und geopolitische Machtpositionen sind, erklärt die Invasion jetzt mit der ewigen Barbarei des russischen Nationalcharakters. Wer gestern noch propagierte, die soziale Frage müsse im Fokus der Politik stehen, meint nun im Chor mit den reaktionärsten Kreisen der österreichischen Politik, die explodierende Inflation müsse man eben als Preis der Verteidigung der Freiheit hinnehmen und die Hochrüstung des Bundesheeres sei wohl wichtiger als Maßnahmen zur Stabilisierung der Kaufkraft der arbeitenden und armen Bevölkerung.

Die Menschen, die all das vertreten, sahen sich, von NEOS und Grünen bis zum Falter-Abonnenten, bisher als progressive Avantgarde der Gesellschaft und tun es oft genug auch jetzt noch, während sie klassische Positionen der politischen Rechten vertreten (Man erinnere sich daran, dass es gerade die FPÖ war, die sich lange Zeit weitgehend isoliert durch die Forderung nach Entsorgung der Neutralität und NATO-Beitritt Österreichs profilierte). Wenn man ihnen folgt, habe der Krieg in der Ukraine alles verändert und verlange zwingend „neue Ideen“ (Die überwiegend eben einfach die Ideen der Rechten von gestern sind). Aber was ist an diesem Krieg eigentlich so neu, dass Linke und Linksliberale aufgrund dieser Erfahrung ihr Weltbild umstürzen müssten? Die Erkenntnis, dass imperialistische Staaten sich um das Völkerrecht nicht scheren, wenn es ihren Machtinteressen im Weg steht? Das hätte man leicht schon aus den völkerrechtswidrigen NATO-Kriegen 1999 gegen Serbien, 2001 in Afghanistan, 2003 im Irak oder 2011 in Libyen lernen können – vorausgesetzt natürlich, völkerrechtswidrige Kriege würden einen auch dann empören, wenn das eigene imperialistische Lager sie führt. Dass imperialistische Invasionsarmeen schreckliche Menschenrechtsverletzungen und Massaker begehen? Das hätte man lange vor Butscha und Irpin aus den Massakern in Korea und Vietnam, aus Guantanmo, Abu Ghreib und den tausenden willkürlichen Tötungen von ZivilistInnen in Afghanistan und im Irak durch NATO-Truppen lernen können – vorausgesetzt natürlich, Massaker, die von Invasionstruppen des eigenen imperialistischen Lagers verübt werden, würden einen interessieren.

Eine Erkenntnis dagegen ziehen die Heerscharen liberaler BellizistInnen freilich nicht aus den Ereignissen: Dass kapitalistische Konkurrenz und imperialistische Politik zwangsläufig Krieg, Verbrechen und Elend bedeuten unabhängig davon, ob eine imperialistische Macht Russland heißt oder USA oder Deutschland oder Frankreich oder Großbritannien. Dass regelmäßige Abfolgen von Krieg und Hungersnot und Verelendung Resultat des kapitalistischen Systems und der imperialistischen Ordnung der Welt und nicht des spezifischen Nationalcharakters einer bestimmten imperialistischen Macht oder gar der Charakterzüge ihres Präsidenten – und dass es folglich eine sehr schlechte Idee ist, aus Empörung über die Verbrechen des rivalisierenden imperialistischen Blocks für Hochrüstung und bedingungslose politische Unterstützung des eigenen imperialistischen Blocks einzutreten. Wer eine Welt ohne Krieg und Elend will, der muss auch und gerade der herrschenden Klasse und der politischen Reaktion bei sich selbst, in Österreich und der EU, den Kampf ansagen statt sich in eine harmonische nationale bzw. europäische Gemeinschaft des Burgfriedens in Abwehr des Schreckbildes des äußeren Feindes einzureihen.“

Wir danken Fabian Lehr (ÖH Uni Wien) , seinen Text hier zitieren und wiedergeben zu dürfen. Fabian Lehr ist linker Blogger , seine Beiträge findet man auf Facebook und Youtube. Der hier veröffentlichte Kommentar wurde auch in der Left Comment Reihe publiziert.

https://www.facebook.com/fabian.lehr.3/posts/10224873009926773?__cft__[0]=AZUK5CnmBIG0_PaMMkmhGXqZwGIOd1zdbtoMsmn2FvO-3gXHN4KcLN8A0ScVYC-HT9GpOvnUgVbNN9kwUQ5wobRHGV0Vc-pupzKeIdei1mnoB0l8ZrrtOLBo1ko7DfnHLIZu1xT5qwdYH4M5CpMSNQ8si2J0kZo5szMyDJN_5ZT0rLpkA-0I92T60_eX2JDWsCXqtmMtk9NrM0Yy6S44Q7YA&__tn__=-UK-R

25 Komentare

Protest gegen 100 Milliarden Sondervemögen Bundeswehr!

Das Positive zuerst! DIE LINKE stimmte am Freitag als einzige Partei im Bundestag geschlossen gegen den Wahnsinn von 100 Milliarden zusätzliches Sondervermögen für Aufrüstung!

590 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, 80 Abgeordnete dagegen, 20 enthielten sich. Mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU/CSU und auch großen Teilen der AfD wurde die Grundgesetzänderung beschlossen, um die 100 Milliarden Euro Sonderschulden für Aufrüstung zu ermöglichen. [1] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=784&fbclid=IwAR1LSJn4VhBNzHrOs6n3ttjCHqACTJNjgFpYILIfSpn6cqGefjmfzGZz3zs Die Festschreibung im Grundgesetz macht die Beschlussfassung nahezu unumkehrbar. Ausserdem sollen ab sofort mehr als 2 Prozent des BIP für das Militär jährlich ausgegeben werden.

Für alles andere gilt weiterhin die „Schuldenbremse“. Sondehaushalte gegen Armut, gegen den Pflegenotstand oder für Klimaschutz sind nicht geplant. Neue Sparrunden sind absehbar. Die massive Ausgabensteigerung für die Bundeswehr schon in den letzten Jahren hat den Ukraine Krieg nicht verhindern können und wird auch keinen anderen Krieg verhindern. Mit dem aktuellen finanziellen Kraftpaket wird Deutschland endgültig zum militärischen Schwergewicht, dass im Schulterschluss mit den EU geopolitisch mitspielen will . Mehr Sicherheit bedeutet dieser Kurs für uns nicht. Im Gegenteil, die Kriegsrisiken steigen. Und teuer zu stehen kommt er uns alle auf jeden Fall.

Vor dem Bundestag fand eine Protestversammlung statt, in der kreativ veranschaulicht wird, wofür 100 Milliarden zum Nutzen der breiten Bevölkerung ausgegeben werden können (siehe Bilderportfolio). Dafür gilt es nun noch unermüdlicher zu streiten! Wir sollten uns den 3. Juni merken, wenn es in den nächsten Tarifrunden heisst, dass kein Geld da ist.

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