»Wir brauchen auch in Deutschland Solidaritätsstreiks«

Sie sind Gewerkschaftssekretär bei der IGMetall und haben im Oktober Kolleg*innen bei VW und Mercedes im Baskenland besucht. Was hat Sie am Projekt eines feministischen Generalstreiks am meisten überrascht?

Bild: Auch die Männer waren aufgerufen, ihren Beitrag zu leisten.

Ein IG Metall-Kollege berichtet über seine Eindrücke im Streik und schlägt die Brücke zur Situation bei uns. (Jochen Gester)

Bewundernswert finde ich zunächst mal das Selbstbewusstsein der Gewerkschaft zu sagen: »Feminismus ist unser aller Anliegen, wir alle mobilisieren für einen feministischen Generalstreik.« In den DGB-Gewerkschaften gewöhnen wir uns gerade erst daran, weiblicher zu werden. Die IG Metall hat jetzt erstmals eine Vorsitzende. Das ist schon etwas anderes. Beeindruckend finde ich auch, dass sich eine Gewerkschaft die Veränderung der ganzen Gesellschaft auf die Fahnen schreibt. In meiner Gewerkschaftsarbeit geht es fast immer um die konkreten Bedingungen im Betrieb – darum, Betriebsräte zu gründen und in Tarifverhandlungen etwas durchzusetzen. Wir stecken uns nur Ziele, die wir unmittelbar selbst durchsetzen können. Der baskische Generalstreik dagegen hat ein großes politisches Projekt verfolgt. Ich denke, das hat nicht nur mit der baskischen Gesellschaft, sondern auch mit dem Gewerkschaftsmodell zu tun. In Südeuropa gibt es ja keine Einheits-, sondern Richtungsgewerkschaften, die sich nach politischen Zielen organisieren. Solche Gewerkschaften begreifen sich viel stärker als gesellschaftlicher Akteur. Bei uns dagegen heißt es: »Was geht mich das an, wenn die Bedingungen im Pflegesektor schlecht sind? Da muss Verdi ran.« Im Baskenland ist die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft an ein politisches Bewusstsein gekoppelt. Und bei der Gewerkschaft LAB ist der Feminismus Teil des Programms.

Interview

Michael Knopp, geb. 1968, kam über die Lohnarbeit in einem Metall­betrieb zur IG Metall und arbeitet heute in Rheinland-Pfalz als Organizer für die Gewerkschaft. Freundschaftlich mit Kolleg*innen im Baskenland verbunden, war er im Oktober im Vorfeld des »feminis­tischen Generalstreiks« bei den Auto­mobil­werken von VW und Merce­des in Pamplona/Gasteiz unterwegs, um sich die Hintergründe des Streiks erklären zu lassen.

Beim Generalstreik sollten die Gewerkschaften aktiv mobilisieren, aber die Initiative der feministischen Bewegung überlassen. Stellt das eine Gewerkschaft aus Ihrer Sicht vor ein Problem, wenn sie in die zweite Reihe zurücktreten soll?

Mir gefällt eigentlich, wenn gesagt wird: Wir als Gewerkschaften setzen etwas um, aber haben nicht die Initiative. In meiner eigenen Arbeit würde ich mir manchmal wünschen, dass mich die Basis mit Vorschlägen ein bisschen vor sich hertreibt. Bei uns bleibt die Initiative viel zu oft bei den Hauptamtlichen hängen. Mein Eindruck ist, dass die baskischen Gewerkschaften LAB und ELA viel stärker aus der Gesellschaft heraus denken. Sie verstehen sich als Vermittler einer gesellschaftlichen Bewegung. Das ist eine andere politische Kultur: Die Gewerkschaften wollen ihre Politik auch aus den Stadtteilen und Versammlungen heraus machen.

Das klingt jetzt alles eher positiv. Aber es gibt doch sicher auch Nachteile dieser Gewerkschaftslandschaft?

Was die Durchschlagskraft im Betrieb angeht, ist eine Einheitsgewerkschaft wie in Deutschland natürlich besser als die südeuropäischen Richtungsgewerkschaften. Wenn es in einem Betriebsrat fünf, sechs politisch unterschiedliche Organisationen gibt, dann arbeiten sich die Fraktionen aneinander ab. Ein gemeinsames Vorgehen des Betriebsrats wird dadurch erschwert.

Der Generalstreik wird von deutschen Linken oft romantisiert. Im Südeuropa ist man damit weitaus vertrauter: Im spanischen Baskenland gab es in den letzten vier Jahrzehnten 25Generalstreiks. Wie mächtig ist diese Waffe?

Nicht nur Linke, sondern auch Belegschaften romantisieren Streiks. Dabei wird oft vergessen, dass ein Arbeitskampf kein Spaß ist. Er ist belastend, zermürbend, und oft gehen Freundschaften dabei kaputt. Andererseits ist es natürlich sinnvoll, sich konkreter mit der Option von Generalstreiks zu beschäftigen. Das Richterrecht geht bisher davon aus, dass politische Streiks dieser Art in Deutschland verboten sind. Aber vollumfänglich geklärt ist das meines Wissens nicht. Andererseits muss man auch sehen, dass ein Generalstreik natürlich gar keine Option sein kann, solange sich die Leute nicht mal für die ganz unmittelbaren Interessen in Bewegung setzen. Wenn es schon in den Tarifbewegungen hakt, wie soll dann ein Generalstreik funktionieren? Ich glaube allerdings schon, dass wir in Deutschland auch so etwas wie Solidaritätsstreiks brauchen. Wenn die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften katastrophal sind, kann man das nicht nur Verdi überlassen. Dann müssen auch andere Gewerkschaften einen Plan entwickeln, wie sich Druck aufbauen lässt.

Ds Interview führte Raul Zelik.

Erstveröffentlicht im nd vom 6.12.23
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178323.baskenland-wir-brauchen-auch-in-deutschland-solidaritaetsstreiks.html

Wir danken für das Publikationsrecht.


»Die baskische Arbeiterklasse ist auch feministisch«

Der Generalstreik ist das Ergebnis eines längeren Organisierungsprozesses. Worum ging es dabei?

Wir haben bereits in einem Beitrag über die Vorbreitung und die ersten Tage des feministischen Generalstreiks im Baskenland berichtet. https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/feministischer-generalstreik/
Hier setzen wir diese Berichterstattung mit einem Interview fort, das Raul Zelik mit der Sekretärin für Feminismus der baskischen Gewerkschaft LAB geführt hat. (Jochen Gester)

Während der Corona-Pandemie ist ein feministisches Bündnis namens »Denon Bizitzak Erdigunean« (Unser aller Leben in den Mittelpunkt stellen) entstanden. In der Pandemie haben wir ja alle erlebt, wie katastrophal die Bedingungen im Pflege- und Sorgesektor sind. Das Bündnis ist auf die Rentnerbewegung – die seit Jahren für eine Mindestrente von 1080 Euro kämpft –, auf Gewerkschaften, Kleinbauernverbände und Jugendorganisationen zugegangen. Diese Gruppen haben sich in einem längeren Diskussionsprozess auf einen Forderungskatalog verständigt: eine Art Sozialcharta. Darin tauchen langfristige Ziele wie der Aufbau eines öffentlich-gemeinschaftlichen Pflegesystems auf. Es werden aber auch die unmittelbaren Missstände benannt, die sofort geändert werden müssen. Zum Beispiel die Arbeitsbedingungen von illegalisierten Frauen, die Alte im Haushalt betreuen und oft sieben Tage die Woche ohne Unterbrechung im Einsatz sind. Wir haben uns dann zusammen die Frage gestellt, wie wir unseren Forderungen Nachdruck verleihen können, und sind so auf den feministischen Generalstreik gekommen. Die Vorbereitung war sehr intensiv. Es gab mehr als 1000 Versammlungen in Stadtteilen, Dörfern und Betrieben. Es war also wirklich ein Prozess – nicht nur ein einziger Streiktag.

Interview

Maddi Isasi Azkarraga, geb. 1995, ist Sekretärin für Feminismus der Gewerkschaft Langile Abertzaleen Batzordeak (LAB, Komitees patrio­tischer Arbeiter*innen) und war maßgeblich an der Vorbereitung des Generalstreiks beteiligt. Das Baskenland gilt als gewerkschaftlich bestorganisierte Region im spanischen Staat. Etwa 30 Prozent der Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder. Die LAB wurde in den 70er Jahren als Zusammenschluss von Basiskomitees gegründet und ist heute der …

Feministische Streiks haben, ausgehend von Lateinamerika, in den letzten Jahren zum 8.März immer wieder Millionen Menschen mobilisiert. Der Generalstreik im Baskenland hatte jetzt aber noch einmal einen anderen Charakter. Was war diesmal anders?

Auch im Baskenland hatten wir zum 8. März feministische Streiks, bei denen Frauen die Pflege- und Sorgearbeit niederlegen sollten, damit deren Bedeutung gesellschaftlich sichtbar wird. Der Generalstreik jetzt hingegen richtete sich an die gesamte Gesellschaft. Die feministische Bewegung war federführend und hat alle wichtigen Entscheidungen getroffen. Doch auch gemischte Organisationen sollten aktiv mobilisieren. Wir wollten vermitteln, dass alle ein Interesse daran haben, die Zustände zu verändern. Weil der hetero-patriarchale Kapitalismus, in dem wir leben, über die Bedürfnisse der Menschen systematisch hinweggeht. In der Praxis war das natürlich eine Herausforderung: Wie vermitteln wir Männern, die im Alltag wenig Verantwortung für Care-Arbeit übernehmen, dass sie ihre Privilegien infrage stellen sollen? Wie gehen wir damit um, dass sich einerseits Frauen erst einmal untereinander verständigen müssen, die Männer sich aber trotzdem ermutigt fühlen, den Streik aktiv mit vorzubereiten? Wir haben einiges ausprobieren und lernen müssen. Aber ich glaube, dass wir in Zukunft davon profitieren.

Was waren die zentralen Forderungen des Generalstreiks?

Ich würde von drei Hauptforderungen sprechen: Erstens kämpfen wir für einen öffentlich-gemeinschaftlichen Care-Sektor. Das bedeutet, dass die Privatisierung von Altenheimen und Pflegeeinrichtungen gestoppt und rückgängig gemacht werden muss. Zweitens ist da die Forderung, das »Leben ins Zentrum zu stellen«. Der Arbeitsmarkt ist heute so strukturiert, dass sich die Arbeit kaum mit den menschlichen Bedürfnissen vereinbaren lässt. Wenn man zehn oder elf Stunden täglich nicht zu Hause ist, kann man Kinder und Alte nicht versorgen. Unter diesem Punkt haben wir unterschiedliche Probleme thematisiert, unter anderem die 30-Stunden-Woche und das Recht auf ein menschenwürdiges Wohnen. Drittens ging es beim Streik um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften. Es gibt in dem Sektor eine extreme Ausbeutung, vor allem von Migrantinnen. Wir wollen, dass die Frauen, die oft aus Mittelamerika kommen, bei uns legalisiert und regulär beschäftigt werden.

Sie haben es schon erwähnt: Beim Generalstreik sollten sich die Männer aktiv einbringen, aber der feministischen Bewegung die Führungsrolle überlassen. Wie sind Sie als gemischtgeschlechtliche Gewerkschaft damit umgegangen?

Das war natürlich auch eine pädagogische Aufgabe. Die Grundforderungen des Streiks waren nicht schwer zu vermitteln. Gegen die Privatisierung der Pflege, für bessere Arbeitsbedingungen der beschäftigten Frauen – das versteht bei uns jeder. Die Schwierigkeit bestand darin, deutlich zu machen, wie sich die Rollen von Männern und Frauen bei diesem Streik unterscheiden sollten. Wir haben darauf geachtet, dass sich die Männer vielleicht einmal mehr um logistische Aufgaben im Hintergrund kümmern, die Frauen dagegen die erste Reihe bei den Streikposten um 5 Uhr morgens vor den Industriebetrieben bilden. Das war eine gute Erfahrung. Frauen, die sich sonst nie getraut hätten, sich der Polizei und den Streikbrechern in den Weg zu stellen, haben Betriebe blockiert. Und umgekehrt haben Männer andere Aufgaben als sonst übernommen. Ich denke, solche Erfahrungen bleiben nicht auf den Streiktag beschränkt. Es geht ja nicht nur darum, welche Rolle ich an diesem Tag habe, sondern auch darum, ob ich Verantwortung für Care-Aufgaben im Alltag übernehme. Die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung macht aus unserer Sicht nur Sinn, wenn dann auch die unbezahlte Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern egalitärer verteilt wird.

Haben sich die spanischen Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und UGT deshalb nicht am Generalstreik beteiligt – weil sie nicht gesehen haben, wie sich eine gemischte Organisation an einem feministischen Streik beteiligen kann?

Nein, das glaube ich nicht. Ihre Erklärung war, dass sie keine Streiks mittragen, die auf das Baskenland fokussiert sind. Und ganz allgemein haben UGT und CCOO bei uns eher die Rolle, dass sie Kämpfe nicht unbedingt zuspitzen wollen. Dabei haben sie die Analyse und die Forderungen des Organisationsbündnisses durchaus geteilt. CCOO hat die Sozialcharta sogar unterschrieben. Aber der Generalstreik erschien ihnen als Instrument unangemessen. Aber die Frage könnten die beiden Gewerkschaften selbst natürlich besser beantworten.

Wird dieser Generalstreik Ihre Gewerkschaft verändern?

Wir glauben, dass der 30. November ein Meilenstein war. Er ist nicht nur von Beschäftigen, sondern aus der gesamten Gesellschaft heraus organisiert worden. Es ist uns gelungen, ganz unterschiedliche Akteure zusammenbringen: Rentner*innen, Kleinbauernverbände, Umweltgruppen, Jugendorganisationen. Und es haben Leute mit uns gestreikt, die wir als gewerkschaftlicher Dachverband noch nie erreicht haben. Ich denke, der Streik beweist, dass die baskische Arbeiterklasse auch feministisch ist. Feminismus wird ja oft als kulturell-ideologisch-symbolischer Kampf um Verhaltensweisen verstanden. Der Generalstreik hat gezeigt, dass Feminismus auch eine Form des Klassenkampfes ist. Für uns als Gewerkschaft ist das ein Riesenerfolg – und ein Ansporn für die Zukunft.

Erstveröffentlicht im nd v. 6.12.23
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178321.generalstreik-die-baskische-arbeiterklasse-ist-auch-feministisch.html

Wir danken für das Publikationsrecht.

Russlands Kriegskonsens ist vorbei

Expertin und Umfragen zeigen schwindende Kriegsbegeisterung in der Bevölkerung

Offen gegen den Krieg zu protestieren, ist in Russland nicht möglich. Doch immer mehr Menschen wollen einen Truppenabzug und Verhandlungen.

Der Kriegskonsens in Russland schwindet – so lautete die wichtigste Nachricht der vergangenen Tage. Eine Expertin legt dafür ihren Ruf in die Waagschale: Ekaterina Schulmann, politischer Star der oppositionellen Medienlandschaft.

Von Ewgeniy Kasakow

Dass die Politologin Ekaterina Schulmann manchmal »Mutter der russischen Opposition« genannt wird, geht auf einen Witz zurück, der kurz nach ihrer Ausreise aus Russland im April 2022 die Runde machte. »Die russische Opposition ist wie eine typische Familie aus der russischen Provinz: Der Vater (Alexej Nawalny) sitzt im Knast, die Mutter (Ekaterina Schulmann) ist abgehauen und man ist mit dem verrückten Opa (Wladimir Putin) alleine.«

Tatsächlich genießt die ehemalige außerordentliche Professorin der Moskauer Schule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (MSSES) in liberal-oppositionellen Kreisen Kultstatus. Das liegt weniger an ihrer Forschungstätigkeit, als an ihrer wöchentlichen Sendung, die zwischen September 2017 und dem Kriegsbeginn beim mittlerweile eingestellten Radiosender Echo Moskwy lief. Unter dem Motto »Keine Nachrichten, nur Ereignisse« kommentierte die Expertin für legislative Prozesse dort das politische Geschehen in Russland. Schulmanns Markenzeichen dabei: Vermeiden von Alarmismus, Spekulationen über einzelne Akteure oder ständiges Bemühen von historischen Parallelen – also all das, was man von den »Experten« und »Analytikern« in den russischen Medien, ob oppositionell oder loyal, meist angeboten bekommt.

Schulmann erklärt stets ruhig und mit leichter Ironie Fachbegriffe, zeigt, mit welchen Methoden die Forscher zu ihren Ergebnissen kommen und macht auch deutlich, bei welchen Themen sie sich keine Kompetenz zutraut. Der Kontrast zu denjenigen, die ständig spektakuläre Prognosen aufstellen oder einfach das erzählen, was das Publikum eh denkt, wirkt – Schulmann, inzwischen vom russischen Justizministerium in die Liste der »ausländischen Agenten« aufgenommen, hat über eine Million Abonnenten auf verschiedenen Social-Media-Kanälen.

Da Echo Moskwy nicht mehr existiert, geht Schulmann aus dem Berliner »Bild«-Studio »on air«. Die anerkannte Wissenschaftlerin berichtet für ein Medium, was es mit der Wahrheit sonst nicht so genau nimmt und lieber platte Schlagzeilen produziert. Mehr kognitive Dissonanz ist kaum vorstellbar.

Seit einigen Tagen sind in Schulmanns Analysen neue Töne zu vernehmen. Der Kriegskonsens in der russischen Gesellschaft sei vorbei, ist die Politikwissenschaftlerin überzeugt. Grund dafür sind zwei repräsentative Umfragen, die die unabhängigen Forschungsgruppen Chroniki und Russian Field Ende Oktober durchgeführt haben. Der Grundkonsens beider Erhebungen: Die Kriegsbegeisterung in Russland geht zurück.

Laut Chroniki sprechen sich 40 Prozent der Befragten für einen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine aus, auch wenn Ziele nicht erreicht wurden (wobei die russische Führung die Bevölkerung über die wirklichen Ziele ihrer »Spezialoperation« im Unklaren lässt). Das sind so viele wie zu Jahresbeginn. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Gegner eines Truppenabzugs jedoch von knapp 50 Prozent auf nur noch 33 Prozent. Der harte Kern der Kriegsbefürworter besteht nur noch aus zwölf Prozent, zehn Prozentpunkte weniger als zu Jahresbeginn. Diese Zahlen werden sogar durch das staatliche Meinungsforschungsinstitut WZIOM gestärkt. Im Oktober bezifferte WZIOM-Chef Walerij Fjodorow die Anhänger der »Partei des Krieges«, also diejenigen, die sich für die Intensivierung von Kampfhandlungen einsetzen und eine weitere Mobilisierung fordern, auf 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung.

In der Umfrage von Russian Field sprachen sich 48 Prozent der Befragten für Verhandlungen mit der Ukraine aus, 39 Prozent dagegen. Erstmals seit Beginn der »Spezialoperation« gibt es damit mehr Befürworter von Verhandlungen.

Angesichts der Nachrichten, die nach außen dringen, mögen die Zahlen überraschen. Doch vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen im März 2024 verliert das Thema Krieg an Popularität. Auch die staatliche Propaganda redet aktuell lieber über »zivile Themen« und die Aufrechterhaltung des »normalen Alltags«. Auch Schulmann mahnt zur Vorsicht bei den Zahlen. Absolut überzeugte Kriegsgegner, zu denen ihre Zuhörer mit Sicherheit gehören, werden nicht unbedingt mehr. Die schwindende Kriegsbefürwortung bedeute in Russland nicht automatisch zunehmende Kritik an der Invasion in der Ukraine. Wichtiger sei, so Schulmann, dass die Mehrheit der Befragten nicht mehr davon ausgeht, dass die Mehrheit ihrer Mitbürger die Fortführung des Krieges befürwortet.

Erstveröffentlicht im nd. v. 6.12.23
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178303.ukraine-krieg-russlands-kriegskonsens-ist-vorbei.html

Wir danken für das Publikationsrecht.

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