Kriegsmacht Europa

SIPRI: Europas Aufrüstung ist seit Jahren maßgeblicher Treiber im globalen Waffenhandel. Laut der Denkfabrik IISS basiert auch der Anstieg der globalen Militärausgaben vor allem auf dem Anstieg der europäischen Wehretats.

11 März 2025

Newsletter German-Foreign-Policy

Bild: Bundeswehr-Adbusting-Aktion.

BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die Aufrüstung Europas ist in den vergangenen fünf Jahren die maßgebliche Triebkraft des globalen Waffenhandels gewesen. Dies geht aus dem jüngsten Bericht des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI zum internationalen Handel mit Kriegsgerät hervor. Demnach stieg der Anteil Europas an den weltweiten Rüstungsimporten von 11 Prozent im Fünfjahreszeitraum von 2015 bis 2019 auf 28 Prozent im Zeitraum von 2020 bis 2024. Der US-Anteil stieg von 1,9 auf 3,1 Prozent, während der Anteil der anderen Kontinente teils deutlich sank. Auch bei den Rüstungsexporten, die Spannungen und Kriege in aller Welt befeuern, lagen die westlichen Staaten mit einem globalen Anteil von gut 73 Prozent vorn; auf Europa entfielen dabei 30 Prozent. Die gleiche Tendenz zeigt sich bei den Militärhaushalten. Laut einer Analyse des International Institute for Strategic Studies aus London lag der Anstieg der europäischen Wehretats mit 11,7 Prozent um mehr als die Hälfte über dem globalen Durchschnitt. Dabei haben die Staaten Europas laut SIPRI ihre Importe von US-Rüstungsgütern in den vergangenen Jahren massiv gesteigert, was die jüngsten Bestrebungen, von ihnen unabhängig zu werden, deutlich erschwert.

Waffenimporte verdoppelt

Der globale Waffenhandel ist in den vergangenen fünf Jahren [1] maßgeblich von den westlichen Staaten angetrieben worden und unter diesen ganz besonders von den Ländern Europas. Dies geht aus dem jüngsten Bericht des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI zur Entwicklung von Im- und Export schwerer Rüstungsgüter hervor. Demnach ist der weltweite Waffenhandel insgesamt im Fünfjahreszeitraum von 2020 bis 2024 gegenüber dem Fünfjahreszeitraum von 2015 bis 2019 um 0,6 Prozent gesunken; das basiert darauf, dass der Waffenimport in Asien/Ozeanien, im Mittleren Osten, in Afrika und in Lateinamerika klar zurückging. In den USA hingegen stieg er von einem Anteil von 1,9 Prozent an den globalen Rüstungsimporten (2015 bis 2019) auf einen Anteil von 3,1 Prozent (2020 bis 2024). Die Staaten Europas verzeichneten im gleichen Zeitraum sogar einen Anstieg von 11 Prozent auf 28 Prozent. Dies ist laut SIPRI nur teilweise auf die kriegsbedingte Aufrüstung der Ukraine zurückzuführen, die ihren Anteil am globalen Import von Kriegsgerät von lediglich 0,1 Prozent auf 8,8 Prozent steigerte. Die rasante Zunahme des europäischen Anteils resultiert laut den SIPRI-Statistiken auch daraus, dass die NATO-Staaten Europas ihre Waffenimporte in den Jahren von 2020 bis 2024 gegenüber dem Fünfjahreszeitraum vorher mehr als verdoppelten.[2]

Waffenexporte gesteigert

Davon abgesehen zeigt sich, dass unter den weltweiten Waffenlieferanten Unternehmen aus den Vereinigten Staaten und den Ländern Europas dominieren. Sie steigerten ihren Anteil an den globalen Rüstungsexporten den SIPRI-Statistiken zufolge von 61 Prozent (2015 bis 2019) auf 73 Prozent (2020 bis 2024). Spitzenreiter unter den Rüstungsexporteuren weltweit sind nach wie vor die USA, die ihren Anteil von 35 auf 43 Prozent erhöhen konnten. Setzt sich die Entwicklung fort, dann kommen in Kürze die Hälfte aller weltweit gehandelten Waffensysteme aus US-Produktion. Der Anteil Russlands fiel – teilweise durch den Ukraine-Krieg bedingt – von 21 auf 7,8 Prozent, der Anteil Chinas von 6,2 auf 5,9 Prozent, wobei knapp zwei Drittel aller chinesischen Waffenlieferungen nach Pakistan gingen, Chinas schon lange wichtigsten Rüstungskunden. Die Staaten Europas insgesamt konnten ihren Anteil steigern, wobei der Anteil Deutschlands von 5,7 Prozent auf 5,6 Prozent leicht fiel; damit ist die Bundesrepublik unter den globalen Rüstungsexporteuren die Nummer fünf. Auf Platz zwei kletterte mit einem Anstieg um ein gutes Zehntel Frankreich, das auf rund 9,6 Prozent der globalen Waffenausfuhren kam. Italien landete nach einem rapiden Anstieg mit einem Anteil von 4,0 Prozent auf Platz sechs, Spanien nach einer deutlichen Zunahme auf 3,0 Prozent auf Platz neun.[3]

Wehretats erhöht

Die SIPRI-Zahlen widerlegen den Mythos, „Europa“ liege militärisch am Boden und müsse dringend „wiederaufgerüstet“ werden, wie es der Name des EU-Programms „ReArm Europe“ suggeriert.[4] Das bestätigt auch ein Überblick über die globalen Militärausgaben, den das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) Mitte Februar vorgelegt hat. Dem Überblick lässt sich entnehmen, dass die Militärhaushalte weltweit in ihrer Summe um 7,4 Prozent auf 2,46 Billionen US-Dollar stiegen. Auch dabei waren die europäischen Staaten die zentralen Triebkräfte: Sie steigerten ihre Wehretats um 11,7 Prozent auf 457 Milliarden US-Dollar. Damit kamen sie freilich nicht einmal auf die Hälfte des Budgets der US-Streitkräfte; dieses lag bei 968 Milliarden US-Dollar.[5] Am stärksten hatte in Europa der Anstieg der deutschen Militärausgaben zu Buche geschlagen, der sich – die Sonderschulden inklusive – auf ein Plus von 23,2 Prozent belief. Stärker war lediglich der kriegsbedingt massive Anstieg des russischen Militärhaushalts um 41,9 Prozent auf 145,9 Milliarden US-Dollar. Das IISS weist darauf hin, dass dies, berechnet nach Kaufkraftparität, einem Vergleichswert von 462 Milliarden US-Dollar entspricht; damit erreicht Russland erstmals ein Beschaffungsvolumen, das in etwa dem europäischen gleicht, wobei ein Teil der erworbenen Waffen sogleich dem Krieg zum Opfer fällt.

Rekordkäufe in den USA

Nicht nur rüstungswirtschaftlich, sondern auch politisch fällt stark ins Gewicht, dass die Vereinigten Staaten ihre Rüstungsexporte nach Europa erheblich steigern konnten. In den Jahren von 2020 bis 2024 nahmen die US-Waffenlieferungen nach Europa im Vergleich zu den Ausfuhren von 2015 bis 2019 auf mehr als das Dreifache zu; erstmals seit 20 Jahren war Europa mit einem Anteil von 35 Prozent Hauptabnehmer von US-Kriegsgerät (sein Anteil in den Jahren 2015 bis 2019 lag nur bei 13 Prozent). Damit haben die europäischen NATO-Mitglieder die reichen arabischen Golfstaaten als Hauptkunden der US-Rüstungskonzerne abgelöst. Dies lag bloß zum Teil an den Lieferungen an die Ukraine, die sich auf 9,3 Prozent aller US-Waffenexporte summierten. Zu den zehn größten Abnehmern von US-Kriegsgerät zählten Großbritannien, die Niederlande und Norwegen.[6] Umgekehrt steigerten die NATO-Staaten Europas den Anteil von US-Produkten an ihrem gesamten Rüstungsimport von 52 Prozent (2015 bis 2019) auf 64 Prozent (2020 bis 2024). Dass sich daran auch in Zukunft ohne massive politische Einwirkung nichts ändern wird, zeigt der Auftragsbestand von US-Rüstungskonzernen, der laut SIPRI die Lieferung von 472 Kampfjets und von 150 Kampfhubschraubern an europäische NATO-Staaten umfasst – neben allerlei anderem.

Schwenk nach Europa

Um das Ruder herumzureißen, haben deutsche Rüstungskonzerne begonnen, massiv Druck auszuüben. So wies Ende vergangener Woche der Vorsitzende von Airbus Defence and Space darauf hin, beschaffe man US-Kampfjets vom Typ F-35, dann könne Washington aufgrund technologischer Abhängigkeiten einen ihm missliebigen Einsatz der Flugzeuge jederzeit sabotieren (german-foreign-policy.com berichtete [7]). EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Sonntag bekräftigt, sie befürworte einen Schwenk hin zur Beschaffung europäischer Waffen, erklärte aber, das lasse sich lediglich mit „einer graduellen Zunahme“ von Rüstungskäufen bei europäischen Waffenschmieden bewerkstelligen; allzu groß sei zur Zeit noch die Abhängigkeit besonders von US-Exporteuren.[8] Dabei boomt die europäische Rüstungsindustrie schon jetzt. Die Rüstungsaktien sind in der vergangenen Woche nach der Bekanntgabe des Rüstungsprogramms „ReArm Europe“ rasant in die Höhe geschnellt. Auch die Zahl der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie wächst kontinuierlich und lag im Jahr 2023 mit EU-weit rund 581.000 Personen um ungefähr 15 Prozent oberhalb der Anzahl von 2021.[9] Mit der Zunahme ihres ökonomischen Gewichts wächst dabei auch der politische Einfluss der Rüstungsindustrie.

[1] SIPRI vergleicht jeweils Fünfjahreszeiträume, um Schwankungen auszugleichen, die entstehen, wenn in einem Jahr besonders teure Waffensysteme wie etwa Kriegsschiffe oder auch Kampfjets geliefert werden.

[2], [3] Mathew George, Katarina Djokic, Zain Hussain, Pieter D. Wezeman, Siemon T. Wezeman: Trends in international arms transfers, 2024. SIPRI Fact Sheet. Solna, March 2025.

[4] S. dazu Der Rekordrüstungsgipfel.

[5] Fenella McGerty, Karl Dewey: Global defence spending soars to new high. iiss.org 12.02.2025.

[6] Mathew George, Katarina Djokic, Zain Hussain, Pieter D. Wezeman, Siemon T. Wezeman: Trends in international arms transfers, 2024. SIPRI Fact Sheet. Solna, March 2025.

[7] S. dazu „Wir sind Weltmacht”.

[8] Alexandra Brzozowski: Von der Leyen’s call to arms: regular security talks with EU commissioners. euractiv.com 09.03.2025.

[9] Wer rüstet Europa auf? Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.03.2025.

Erstveröffentlicht auf GFP v. 11.3.2025
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9899

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Alles oder nichts

Regierungsberater und Außenpolitikexperten dringen auf massive Aufrüstung und personelle Aufstockung der Bundeswehr und warnen bei Misslingen vor empfindlichem Einflussverlust Deutschlands und Zerfall der EU.

04 Mär 2025

Newsletter German Foreign Policy

Bild: Jochen Gester. Werbetafel des Rüstungsunternehmens Quantum an der Berliner Stresemannstraße

BERLIN (Eigener Bericht) – Berliner Regierungsberater und Außenpolitikexperten fordern von der nächsten Bundesregierung eine massive Aufstockung des Militärhaushalts, drastische Einschnitte bei den Sozialausgaben und eine energische Indoktrination („Mentalitätswandel“) der Bevölkerung. Die Forderungen finden sich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik (IP), die von der einflussreichen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben wird. Titelthema der Ausgabe ist die Frage, „was die Welt von Deutschland nach der Wahl erwartet“. In den Beiträgen heißt es etwa, die nächste Regierung müsse die deutsche Bevölkerung darauf vorbereiten, „dass Deutschland zur europäischen Führungsmacht wird, diplomatisch und militärisch“. Dazu gelte es „die Zeitenwende in den Köpfen zu verankern“. Ein Professor der Münchner Bundeswehr-Universität schlägt die Einführung eines „Verteidigungs-Soli“ von einem bis 1,5 Prozent der Einkommensteuer vor und droht, rüste Berlin die Bundeswehr nicht ausreichend auf, werde „Deutschlands Einfluss“ in der internationalen Politik „dauerhaft sinken“. Ein anderer Autor warnt, ein Zerfall der EU sei erstmals seit den 1950er Jahren ein „realistisches Szenario“.

„Schleichender Verfall“

Wie es in der aktuellen Ausgabe der IP heißt, ist die EU schon seit geraumer Zeit von einem „schleichenden Verfall“ geprägt. Dafür gebe es verschiedene Ursachen, urteilt der DGAP-Experte Josef Janning, der sich schon seit Jahrzehnten mit der EU befasst. Eine der Ursachen bestehe darin, dass schon im Alltag, insbesondere aber in „Verteilungskonflikten und Krisen“ die „Folgen supranationaler Politikverflechtung spürbar“ würden.[1] Diese sind vor allem für schwächere Mitgliedstaaten und für Bevölkerungsgruppen, die nicht den nationalen Eliten angehören, oft negativ. Das habe dazu beigetragen, dass häufig „rechtsnationale Strömungen und Parteien … an Gewicht“ gewonnen hätten, schreibt Janning. Zugleich sei festzustellen, dass „spätestens mit dem Scheitern des Verfassungsvertrags von 2004“ das Ziel einer „immer engeren Union der Völker Europas“ aus der realen Politik verschwunden sei und allenfalls noch in „Festakten … und Koalitionsverträgen“ beschworen werde. Verliere man aber das große Ziel aus den Augen, könnten auch „die kleinen Schritte“ nicht mehr „verstanden und vermittelt“ werden. Es komme hinzu, dass – wohl wegen gesteigerter Interessensdivergenzen – keine strategisch orientierten „Koalitionen unter Mitgliedstaaten“ mehr bestünden. Nicht zuletzt hätten die USA unter Trump ihr Interesse an einem „stabilen“ und „kooperativen Europa“ verloren.

„Scheitern realistisch“

Janning konstatiert, „politische Gebilde“ wie die EU könnten zwar „institutionell weiter bestehen“, zugleich aber „ihre Bedeutung und Bindekraft … verlieren“.[2] Büßten sie dabei ihre Fähigkeit zur „Weiterentwicklung“ oder gar zum aktiven Handeln ein, dann drohten sie „obsolet“ zu werden. Zunehmend seien nationale Alleingänge zu erwarten. „Wenn diese Tendenzen die erste Säule der EU erreichen“, fährt Janning fort, „den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung“, „dann zerreißt die Union“ in „einer Fülle“ innerer Konflikte. „Zu keiner Zeit seit den 1950er Jahren“ sei „die zentrifugale Dynamik stärker und sichtbarer als in der gegenwärtigen Lage“ gewesen: „Während Institutionen und Abläufe funktionieren wie gewohnt, erodiert die Substanz der Integration unter der Oberfläche.“ „Zum ersten Mal“ erscheine gegenwärtig „ein Scheitern und Zerfall der Europäischen Union als realistisches Szenario“. Auf der Suche nach „Wege[n] aus der Erosion“ kommt der DGAP-Experte zu dem Ergebnis: „Die EU braucht einen Aufbruch zur politischen Union, braucht strategisches Denken.“ Das schließe „die Frage einer gemeinsamen Verteidigung ein“. Janning gibt sich zudem überzeugt: „Vieles, wenn nicht alles hängt dabei von Deutschland ab“ – der ökonomisch stärksten Macht im Zentrum Europas.

„Eine kriegsfähige Bundeswehr“

Dringt Janning darauf, zur Rettung der EU die „Frage einer gemeinsamen Verteidigung“ zu thematisieren, so fordert Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, von der künftigen Bundesregierung die „Einsicht, dass Deutschland das Fundament seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik erneuern muss“ – „und das ist nun mal eine kriegsfähige Bundeswehr“.[3] Erforderlich sei „eine substanzielle Erhöhung“ des Militärhaushalts; Masala bringt unter anderem „einen Solidaritätszuschlag für Verteidigung“ ins Gespräch, „der von allen Menschen entrichtet werden muss, die in Deutschland arbeiten“, etwa in Höhe von „1 bis 1,5 Prozent der Einkommensteuer“. Davon abgesehen hält Masala eine deutliche personelle Aufstockung der Bundeswehr für zwingend, umso mehr, als „in den nächsten Jahren eine überproportional große Pensionierungswelle“ bevorstehe. Ein internes Papier des Verteidigungsministeriums habe schon vor geraumer Zeit eine Personalerhöhung von aktuell gut 180.000 auf „bis zu 440.000 Soldaten“ erwogen. Allerdings lege der 2+4-Vertrag eine Obergrenze von 350.000 fest. Davon unabhängig werde man nicht nur über eine Rückkehr zur Wehrpflicht nachdenken müssen, sondern etwa auch über eine Grundgesetzänderung zur Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen.

Mentalitätswandel

Für massive Aufrüstung spricht sich in der IP zudem Jan Techau aus, Director Europe der Eurasia Group in Berlin. Laut Techau muss die nächste Bundesregierung „die Deutschen, die Berliner Blase und sich selbst darauf vorbereiten, … dass Deutschland zur europäischen Führungsmacht wird, diplomatisch und militärisch“.[4] Der „Lernprozess, der zur Annahme dieser Rolle führ[e]“, werde „erheblich dadurch erschwert“, dass „das alles sehr, sehr teuer“ sei. Der nächste Bundeskanzler werde „dramatische Haushaltsentscheidungen treffen und rechtfertigen müssen“. Techau konstatiert, das sei „allen Beteiligten klar“; es habe allerdings „niemand vor der Wahl dabei erwischt werden“ wollen, „die Wahrheit“ darüber zu sagen. Nun gelte es, Konservative „auf neue Schulden“, Linke „auf schmerzhafte Strukturreformen“ vorzubereiten: „Sonst drohen Widerstand und Blockade“. Als „eigentliche Aufgabe der kommenden Regierung“ aber begreift Techau es, die Bevölkerung darauf einzustimmen, dass Berlin in nächster Zeit „zu manch unerhörter Entscheidung gezwungen sein“ werde. Was damit über immense Kosten für Waffen und weiteres Kriegsgerät hinaus gemeint ist, erläutert der Autor nicht. Er hält es aber für notwendig, einen „Mentalitätswandel, die Zeitenwende in den Köpfen zu verankern“.

Lästige Angst

Ratschläge dazu gibt unter anderem Ulrike Esther Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR). Franke kritisiert, die deutsche Debatte über „militärische Fragen“ sei zum einen „moralisch aufgeladen“; Militärexperten seien mit einem „erhebliche[n] Misstrauen“ konfrontiert. Das trage „nicht zu einem besseren Diskussionsklima bei“.[5] Zudem sei die Debatte über Krieg in der Bundesrepublik „angstgetrieben“. Auch dies sei der Befassung mit künftigen „Gefahren“ abträglich. Franke urteilt, der Ukraine-Krieg schaffe „ein Zeitfenster … in der Bereitschaft, sich mit Verteidigung und Militär auseinanderzusetzen“; das müsse „die nächste Regierung nutzen, um wichtige Weichen zu stellen, bevor die Stimmung umschlägt“: „Jetzt ist der Moment für politische Führung.“

[1], [2] Josef Janning: Scheitert Europa? In: Internationale Politik März/April 2025. S. 72-79.

[3] Carlo Masala: Kein Geld, kein Personal, keine Sicherheit. In: Internationale Politik März/April 2025. S. 24-27.

[4] Jan Techau: Die Realität ist schmerzhaft, aber zumutbar. In: Internationale Politik März/April 2025. S. 18-23.

[5] Ulrike Esther Franke: Von Kriegen, Ängsten und gefährlichem Halbwissen. In: Internationale Politik März/April 2025. S. 106-111.

Erstveröffentlicht auf German Foreign Policy am 3.3. 2025
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9891

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Die kommende Rüstungsregierung

Seit gestern wissen wir. Sie können nicht einmal die Bildung der neuen Regierung und des neu gewählten Parlaments abwarten, um den Kriegs- und Rüstungskurs voranzutreiben. An allen bisherigen Regeln vorbei wird zwei Tage nach der Wahl ein weiteres Sondervermögen in Höhe 200 Milliarden Euro für Panzer, Artillerie, Bomben usw. auf den Weg gebracht. Geld, dass wir in allen anderen Lebensbereichen werden rausschwitzen müssen. Erinnern wir uns. Die Ampel ist gescheitert, weil 8 bzw. 13 Millarden für den Haushalt fehlten. Jetzt nach der Wahl, bei der man das Thema „Krieg und Frieden“ geflissentlich unter den Teppich gekehrt hat, ist für „Kriegsertüchtigung“ alles möglich. Das Handelsblatt titelt: „Panzer statt Straßenbahnen“, denn die Kriegsproduktion müsse schneller hochgefahren werden als geplant. Dafür müssten zivile Produktionslinien weichen. „Verkehrwende adieu“.

Die SPD hat Merz signalisiert, sie sei zu „allem bereit“. Mahner wie der bisherige Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich werden wohl endgültig kaltgestellt. Der folgende Beitrag von German Foreign Policy – zwei Tage vor der Wahl erschienen – hat ins Schwarze getroffen. Dabei übertrifft die Realität noch alle Befürchtungen. (Peter Vlatten)

Die kommende Rüstungsregierung

German Foreign Policy 21.2.2025

Unternehmen und Wirtschaftsverbände fordern von der nächsten Bundesregierung massive Aufrüstung und verlangen eine „aktive“ Einbeziehung der Bevölkerung in die Militarisierung der gesamten Gesellschaft.

BERLIN (Eigener Bericht) – Die nächste Bundesregierung soll die Hochrüstung der Bundeswehr entschlossen forcieren und die Bevölkerung zur aktiven Unterstützung der Militarisierung der deutschen Gesellschaft veranlassen. Dies fordern Ökonomen, Vertreter von Rüstungskonzernen und Wirtschaftsverbände vor der Bundestagswahl am Sonntag. Schon jetzt verzeichnet die Rüstungsindustrie, während die drei Paradebranchen der deutschen Wirtschaft – Kfz, Maschinenbau, Chemie – in der Krise stecken, ein rasantes Wachstum. Ökonomen sagen voraus, die Aufstockung des Militäretats auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts könne dieses um bis zu 1,5 Prozent in die Höhe schnellen lassen; die Chance gelte es in Zeiten stagnierender Ökonomien zu nutzen. Während auf EU-Ebene von einem Rüstungsfinanzpaket von mehreren hundert Milliarden Euro die Rede ist, verlangt BDI-Präsident Peter Leibinger, eine entschieden gestärkte Rüstungsindustrie müsse in Deutschland in Zukunft ein „Teil einer gelebten Sicherheits- und Verteidigungskultur der Gesellschaft“ sein. Die nächste Regierungskoalition in Berlin wird von Anfang an mit dramatischen Rüstungsforderungen auch aus der Industrie konfrontiert sein; die Waffenschmieden gewinnen dabei spürbar an Einfluss.

Waffenschmieden im Auftragsboom

Die Rüstungsindustrie in Deutschland wie auch in anderen westlichen Staaten boomt seit Beginn des Ukraine-Krieges. Während in der Bundesrepublik die drei stärksten Branchen in einer gravierenden Krise stecken – der Kfz-Branche steht ein massiver Arbeitsplatzabbau bevor, der Maschinenbau verzeichnete im vergangenen Jahr ein Produktionsminus von rund acht Prozent, die Chemieindustrie darf allenfalls auf einen schwachen Aufschwung hoffen –, können sich die deutschen Waffenschmieden, wie es in einem Überblick über die Lage der deutschen Wirtschaft heißt, „vor Aufträgen kaum retten“.[1] Schlagzeilen macht seit längerer Zeit vor allem der Panzerbauer Rheinmetall, der größte deutsche Rüstungskonzern nach dem deutsch-französischen Airbus, wobei bei Airbus die zivile Konzernsparte stark dominiert. Rheinmetall konnte seinen Umsatz im vergangenen Jahr auf annähernd zehn Milliarden Euro steigern und geht davon aus, ihn bis 2027 auf ungefähr 20 Milliarden Euro verdoppeln zu können.[2] Dies lässt das gewaltige Auftragsvolumen, das auf zuletzt mehr als 50 Milliarden Euro angeschwollen ist [3], als durchaus realistisch erscheinen. Doch auch weitere Hersteller von Kriegsgerät aller Art wachsen – „gleich ob sie U-Boote herstellen, Panzer, Munition, Drohnen oder … Luftverteidigung“, wie es heißt.[4]

Börsenhöhenflüge

Der Boom der Rüstungsindustrie schlägt sich längst an den Börsen nieder. So stieg die Rheinmetall-Aktie zuletzt innerhalb von einer Woche um rund ein Viertel und pendelt aktuell um die 900 Euro. Bei Beginn des Ukraine-Kriegs lag sie bei etwa 100 Euro. Der Kurs des französischen Rüstungskonzerns Thales legte innerhalb derselben Woche um rund 16 Prozent zu, derjenige des italienischen Waffenbauers Leonardo um etwa 18 Prozent. Mittelständische deutsche Rüstungsunternehmen wie Hensoldt und Renk wuchsen noch stärker und konnten ein Plus von 29 bzw. 34 Prozent verzeichnen. Lediglich Airbus kam nur auf ein Plus von vier Prozent; Ursache für das schwache Wachstum sei, heißt es, dass der Konzern „einen Großteil seines Umsatzes nicht in der Rüstung, sondern „mit zivilem Geschäft“ mache.[5] Mit einem andauernden Höhenflug der Branche wird gerechnet. Hinzu kommt, dass ein Rüstungsboom wegen der andauernden Schwäche der Hauptzweige der deutschen Industrie unter Ökonomen zunehmend als wichtige Wachstumshoffnung gilt. So sagt der Wirtschaftswissenschaftler Ethan Ilzetzki von der London School of Economics (LSE) voraus, wenn die EU-Staaten ihre Militärhaushalte auf 3,5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung höben und zugleich mehr Waffen auf dem Heimatmarkt kauften, dann steigere dies das Bruttoinlandsprodukt um bis zu 1,5 Prozent pro Jahr.[6]

„Näher an fünf als an zwei Prozent“

Die Steigerung der Militärhaushalte in Deutschland wie auch in der EU insgesamt ist längst in Planung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat schon im vergangenen Jahr erklärt, sie halte zusätzliche Ausgaben in Höhe von 500 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren für unumgänglich. Außenministerin Annalena Baerbock bestätigte am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz, in der EU sei ein Ausgabenprogramm ähnlich den „Rettungspaketen“ in der Euro- und der Coronakrise in Arbeit. Diese umfassten Beträge im Wert von 500 bis 700 Milliarden Euro. Informationen darüber würden allerdings mit Blick auf die Bundestagswahl noch zurückgehalten, hieß es.[7] Einzelne Länder preschen dennoch vor. Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen etwa teilte mit, der Militärhaushalt ihres Landes solle künftig „näher an fünf Prozent als an zwei Prozent“ der dänischen Wirtschaftsleistung liegen.[8] Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will in den nächsten Tagen alle Fraktions- und Parteivorsitzenden zum Gespräch über größere Militärausgaben einladen.[9] Die EU-Kommission bereitet begleitend die Aussetzung der EU-Schuldenregeln für Rüstungsausgaben vor. Bundesfinanzminister Jörg Kukies kündigt zum selben Zweck eine Änderung der deutschen Haushaltsregeln an.[10

Keine Schmuddelbranche mehr

Mit dem rasanten Rüstungsboom wächst nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die gesellschaftliche Bedeutung der Branche. Bereits heute beziffern Spezialisten die Zahl der Personen, die in Rüstungsunternehmen beschäftigt sind, auf über 100.000. Rechne man Beschäftigte in Zulieferfirmen sowie den Securitysektor im weiteren Sinne hinzu, dann liege die Gesamtzahl der Arbeitskräfte, heißt es, sogar bei 400.000.[11] Das ist kaum weniger als die Zahl der Beschäftigten in der Chemiebranche, die mit 450.000 angegeben wird. Die Rüstungsindustrie gilt inzwischen als Hoffnungsträger bei der Suche nach Arbeitsplätzen für die hohe Zahl an Angestellten der Kfz-Industrie, die voraussichtlich gekündigt werden. Zugleich berichten Mitarbeiter von Waffenschmieden, der Ukraine-Krieg habe das Ansehen der Branche, die lange „ein bisschen als Schmuddelbranche“ gegolten habe, schon erheblich verbessert.[12] Forderungen, bestehende Tabus für Rüstungsunternehmen zu beseitigen, nehmen zu. So wächst der Druck, die an einigen Hochschulen bestehenden Zivilklauseln zu verbieten, wie es das Bundesland Bayern schon getan hat. „Forschung mit ‚Dual Use‘ völlig auszuschließen“ sei „angesichts der Zeitenwende nicht realistisch“, erklärte kürzlich die Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz, Bettina Martin (SPD).[13]

Gelebte Militärkultur

BDI-Präsident Peter Leibinger dringt darauf, nicht nur die soziale Akzeptanz gegenüber der Rüstungsindustrie, sondern sogar die aktive gesellschaftliche Unterstützung für sie zu fördern. Leibinger verlangte auf einer Veranstaltung vor der Münchner Sicherheitskonferenz, eine entschieden gestärkte Rüstungsindustrie müsse „Teil einer gelebten Sicherheits- und Verteidigungskultur der Gesellschaft werden“.[14] Der Bundesregierung und dem Bundestag komme die Aufgabe zu, „die Öffentlichkeit zu unterrichten über die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Verteidigungsfähigkeit“. Die Bundesregierung gebe „hohe Summen für die politische Bildung und zur Förderung von Nichtregierungsorganisationen“ aus. Der BDI-Präsident legte nahe, mehr Geld an „Initiativen“ zu vergeben, „die für die Notwendigkeit der Wiederaufrüstung werben“. Als etwa die US-Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg den Marshallplan entwickelt habe, da habe sie zugleich einen „Marshall Plan to sell the Marshall Plan“ entworfen – „einen Werbefeldzug, um die zunächst skeptische amerikanische Öffentlichkeit von dem Plan zu überzeugen“.[15] Derlei benötige die Bundesrepublik „heute für das Thema Wiederaufrüstung“. Man müsse „die Gesellschaft dafür gewinnen“, forderte Leibinger, „und die derzeitige passive Zustimmung durch aktive Beteiligung aller ersetzen“.

Referenzen

[1] Wo die deutsche Wirtschaft Hoffnung hegt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.01.2025.

[2] Rüstungskonzern will Umsatz bis 2027 verdoppeln – Aktie auf Rekordhoch. handelsblatt.com 19.11.2024.

[3] S. dazu Panzer statt Pkw.

[4] Wo die deutsche Wirtschaft Hoffnung hegt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.01.2025.

[5] Philipp Krohn: Rüstungswerte sind die neue heiße Ware. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.01.2025.

[6] Markus Frühauf, Christoph Hein: Die Rüstungsindustrie will raus aus dem Abseits. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.02.2025.

[7] S. dazu Militärmacht EU.

[8] Dänemark will aufrüsten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.02.2025.

[9] Macron sagt Nein zu Kampftruppen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.02.2025.

[10] Kukies will deutsche und EU-Schuldenregeln ändern. Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.02.2025.

[11] Hauke Friederichs: Gesucht. zeit.de 08.07.2024. S. dazu Panzer statt Pkw.

[12] Barbara Schäder: Wie Rheinmetall und KNDS von der Zeitenwende profitieren. faz.net 09.02.2025.

[13] Barbara Gillmann: Forderung nach Militärforschung bringt Hochschulen in Bedrängnis. handelsblatt.com 25.01.2025.

[14], [15] Die Rede von BDI-Chef Peter Leibinger im Wortlaut. handelsblatt.com 14.02.2025.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen bei German Foreign Policy am 21.2.2025

Wir danken für das Publikationsrecht

Titelfoto, Collage Peter Vlatten

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