Agent, Terrorist, unerwünscht

Russland schafft mit verschiedenen Listen ein Repressionsinstrument gegen ungewollte Meinungen

Von Fedor Agapov

Bild: amnesty international

Am 2. August verabschiedete Russland ein Gesetzespaket, mit dem jede ausländische Organisation zur »unerwünschten Organisation« erklärt werden kann, und verschärfte damit einen 2015 eingeführten Status. Während dieser zuvor nur für nicht-staatliche Einrichtungen galt, können nun auch die Aktivitäten von Organisationen, die von ausländischen staatlichen Behörden gegründet wurden, als »unerwünscht« eingestuft werden.

Auf den ersten Blick mag der Status »unerwünscht« nicht allzu dramatisch erscheinen. Aber in der Realität hat er in Russland sehr ernste Konsequenzen für die Betroffenen. Denn nach Ansicht der russischen Generalstaatsanwaltschaft stellen unerwünschte Organisationen »eine Bedrohung für die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung, die Verteidigungsfähigkeit oder die Sicherheit« des Landes dar. Sobald dieser Status zuerkannt wird, wird die Arbeit einer solchen Organisation im Wesentlichen verboten – sie muss ihre Büros schließen und darf keine Geldgeschäfte tätigen. Wer mit der Organisation in irgendeiner Weise zusammenarbeitet, muss mit Geld- oder Gefängnisstrafen rechnen. Dafür reicht es schon aus, Inhalte der Organisation etwa auf Facebook zu teilen. Nach Berechnungen des US-Staatsmediums »Sewer.Realii« gab es 2024 bereits 101 Verfahren wegen der »Beteiligung« an unerwünschten Organisationen, doppelt so viele wie in den beiden vergangen Jahren.

Vermeintlicher Schutz vor ausländischer Einmischung

Russische Behörden verteidigen das Gesetz als notwendig, um eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu verhindern. Doch der repressive Charakter liegt auf der Hand. So wurde beispielsweise kremlkritischen Medien wie »Meduza« und »Doschd« der Status einer »unerwünschten Organisation« erteilt, um ihre Arbeit zu erschweren.

Aber auch andere Organisationen, deren Recherchen der Regierung schaden könnten, geraten in den Fokus. Die internationale Anti-Korruptionsorganisation Transparency International etwa ist seit vergangenem März »unerwünscht«. Auch die Zentraleuropäische Universität in Wien oder russische Exilorganisationen in Deutschland stehen auf der Liste. Am Mittwoch erhielt als 182. von bisher 186 Organisationen auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung den Status. Mit der Gesetzesverschärfung wird es für die Regierung noch einfacher, Organisationen auf die Liste zu setzen.

Neben der Liste der »unerwünschten Organisationen« gibt es noch zwei weitere Verzeichnisse, mit denen der Kreml seine Gegner markiert. Das Register »ausländischer Agenten« umfasst Personen und Organisationen, die nach Ansicht der Behörden ausländische Unterstützung erhalten oder unter ausländischem Einfluss stehen. Gleichzeitig ist der Begriff »ausländische Unterstützung« sehr vage definiert, sodass jede Person oder Organisation, die auf die eine oder andere Weise mit ausländischen Staaten, internationalen und ausländischen Organisationen oder ausländischen Bürgern zusammenarbeitet, auf die Liste gesetzt werden kann. Jeden Freitagabend werden neue Namen in das Register aufgenommen.

Ein Echo aus der sowjetischen Vergangenheit

Dieser Status, der wie ein Echo aus der sowjetischen Vergangenheit klingt, ist mit einer massiven Einschränkung von Rechten verbunden. »Ausländischen Agenten« ist es untersagt, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren, an staatlichen Stellen zu arbeiten oder öffentliche Aussagen zu machen, ohne darauf hinzuweisen, dass sie ausländische Agenten sind. Die bekannte russische Politikwissenschaftlerin Jekaterina Schulman beispielsweise, schreibt in jedem ihrer Posts: »Dieses Material wurde von einem ausländischen Agenten erstellt oder verbreitet«. Niemand, selbst Schulman nicht, weiß, worin genau ihre »Agententätigkeit« besteht. Hunderte von Personen wurden nur deshalb in die Liste aufgenommen, weil sie sich kritisch über die russischen Behörden geäußert hatten.

Gegen die Opposition werden noch schwerere Geschütze aufgefahren. Der letzte Teil des Dreiklangs ist das Register der Terroristen und Extremisten. Zwar gibt es derartige Verzeichnisse auch in anderen Ländern, doch die Besonderheit in Russland liegt in der Kombination der beiden Kategorien und in der Zusammenstellung der Liste.

»Extremismus« ist in Russland juristisch nicht definiert

Neben Personen, die tatsächlich an der Vorbereitung von Terroranschlägen beteiligt waren, finden sich dort auch Menschen, deren Äußerungen der russische Staat als »extremistisch« bewertet. Da der Begriff nicht genau definiert wird, ist der Übergang vom »ausländischen Agenten« zum Extremisten fließend. So soll Alexej Nawalny, der im Februar dieses Jahres im Gefängnis starb, »in den Terrorismus verwickelt« gewesen sein – was immer das heißen mag.

Wer auf diese Liste gesetzt wird, verliert den Zugang zum Bankkonto und hat Schwierigkeiten, einen Job zu finden. In seltenen Fällen werden, wie im Fall des Schriftstellers Boris Akunin, auch die Konten von Verwandten gesperrt.

Die beiden Status schließen sich auch nicht gegenseitig aus. So wurde beispielsweise der linke Intellektuelle und Soziologe Boris Kagarlitzky, der derzeit wegen seiner Veröffentlichungen über den Krieg in der Ukraine im Gefängnis ist, von der russischen Regierung auf beide Listen gesetzt.

Der Umgang mit Menschen wie Kagarlitzky wirft die Frage auf, ob man von den Listen auch wieder gestrichen werden kann. Formal lautet die Antwort ja. Aber in der Realität ist das oft schwierig, vor allem wenn jemand gleich mehrere Status hat. Um von der Liste der »Terroristen und Extremisten« gestrichen zu werden, muss der Betroffene die Einstellung eines Strafverfahrens oder der Strafverfolgung erreichen. Bei politischen Flüchtlingen aus Russland kann dies eine unbestimmte Zeit in Anspruch nehmen.

Nur ganz wenige haben es von den Listen herunter geschafft

Im Falle von »ausländischen Agenten« sieht die Situation ähnlich aus, obwohl es Präzedenzfälle gab, in denen Einzelpersonen nachweisen konnten, dass sie keine ausländischen Partner haben. Allerdings können russische Behörden immer ausländische Verbindungen »finden«, wenn dies gewünscht ist.

Präsident Wladimir Putin übt mithilfe dieser Register Kontrolle über die russische Öffentlichkeit aus. Auf der einen Seite stehen die eigene Regierung, Militär und Polizei; auf der anderen Seite die »unerwünschten Organisationen«, die den Staat zu destabilisieren versuchen, sowie »ausländische Agenten« und Terroristen. Auch wenn dieses Framing grobschlächtig wirkt, hinterlässt es doch Spuren im gesellschaftlichen Bewusstsein und formt eine neue politische Landschaft.

Auch deshalb ist es einfach, den jüngsten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen nach innen als einen neuen Sieg für Putin darzustellen – gemäß der offiziellen Linie: Russland hat seine patriotischen Helden zurückgegeben und im Gegenzug nur einige »ausländische Agenten« und Terroristen zurückgegeben. Wer wirklich ein Agent und wer ein Terrorist ist, interessiert dabei niemanden.

Erstveröffentlicht im nd v. 16.8. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184552.russland-agent-terrorist-unerwuenscht.html?sstr=Russland|ausl%C3%A4ndische|Agenten

Wir danken für das Publikationsrecht.

Frankreich: Volksfront gegen rechts und Mitte

Vom Wahlausgang in Frankreich lässt sich einiges lernen, aber wer will das in Deutschland umsetzen?

Von Raul Zelik

Bild: tagesschau

Nach dem Wahlerfolg der französischen Linken, die am vergangenen Sonntag 193 Wahlkreise eroberte und im kommenden Parlament die größte Abgeordnetengruppe stellt, wird eifrig darüber debattiert, ob sich in Deutschland nicht ein ähnliches Bündnis gegen die AfD formieren könnte. Wenn die »Neue Volksfront« das Kunststück vollbracht hat, die eher neoliberale Sozialistische Partei, die Grünen und die linke La France Insoumise unter einem Dach zu vereinen, warum sollte das nicht auch in Deutschland gelingen? Die Kurzantwort lautet: Weil in Deutschland niemand in Sicht ist, der bereit wäre, »alles zu ändern«, wie es das Motto des Nouveau Front Populaire versprach.

Dabei waren die Hauptforderungen des Wahlprogramms des Front Populaire gar nicht besonders radikal: Lohnerhöhungen; Ausbau der öffentlichen Infrastrukturen; Feminismus; Klimaschutz; Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie; und: »stoppt die extreme Rechte«.

Was die Lage in Frankreich von jener in Deutschland grundlegend unterscheidet, ist die Mobilisierung der Gesellschaft. Auch wenn der Nouveau Front Populaire als Parteienbündnis gegründet wurde, bezieht er seine Energie doch aus den sozialen Kämpfen der letzten Jahre, wie der Philosoph Étienne Balibar in seinem Aufsatz »Volksfront oder Kartell der Linken« dargelegt hat: Angefangen mit der Bewegung gegen die Arbeitsmarktreformen 2016 und dem Aufstand der Gelbwesten 2018/19, über die feministische #MeToo-Bewegung und die Umweltkämpfe gegen agrarindustrielle Wasserspeicher bis hin zu den Streiks gegen die Rentenreform 2023 und den gewaltsamen Aufständen der Banlieues gegen die rassistische Polizeigewalt. Frankreich hat in den letzten acht Jahren ein halbes Dutzend Protestbewegungen erlebt, die dem Land vor Augen geführt haben, dass es mit der neoliberalen Politik so nicht weitergehen kann. Gegen Austeritätspolitik und staatliche Repression hat sich ein antifaschistisches »Volk der Widerständigen« (Balibar) formiert.

Wer wissen will, wie anders die Linke in Frankreich tickt, kann sich bei Youtube das Rededuell zu Gemüte führen, das der linke Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon vor zwei Jahren mit einem Angehörigen der Polizei-Sondereinheit BAC im Fernsehen austrug. Gnadenlos hielt Mélenchon dem Polizisten Yannick Landurain die rassistischen Morde seiner Einheit an Jugendlichen vor und donnerte, den gleichnamigen Zola-Text zitierend: »J’accuse!« (Ich klage an!) Die Polizei sei nicht befugt, Recht zu sprechen, sondern habe den »Anweisungen der Nation« Folge zu leisten.

La France Insoumise versteht sich als radikale Gegenbewegung zu den Verhältnissen.

Kritik an der Staatsgewalt ist auch in Frankreich wenig populär, und so brach in den bürgerlichen Medien ein wahrer Shitstorm über Mélenchons La France Insoumise herein. Doch die »Aufständischen« ließen sich davon nicht beeindrucken. Wenn die Polizei sich wie eine Schlägerbande aufführt, muss man sie auch als solche bezeichnen.

Gewiss: Der Erfolg des Linksbündnisses beruht auch auf der Tatsache, dass sich Parteiführungen über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg innerhalb weniger Stunden auf ein Wahlprogramm einigen konnten. Aber noch wichtiger war der Umstand, dass dieses antifaschistische Bündnis die Plätze füllte und jene sozialen Bewegungen reaktivierte, die Frankreich seit 2016 in Atem gehalten haben. Und schließlich muss man auch erkennen, dass sich die wichtigste Partei der Volksfront, nämlich Mélenchons La France Insoumise, etwas traut, vor dem in Deutschland alle zurückschrecken: Sie versteht sich als radikale Gegenbewegung zu den Verhältnissen.

Der Nouveau Front Populaire hat die Wahlen gewonnen, weil er eine Alternative sowohl zur extremen Rechten als auch zum neoliberalen Zentrum formulierte. Doch wer sollte das in Deutschland tun? Die Ampel-Parteien sind das deutsche Pendant zum Lager Macrons. Die Linke zeichnet sich vor allem durch ihre Furcht aus, als unseriös zu gelten, und vermeidet es deshalb, Farbe zu bekennen. Und das Bündnis Sahra Wagenknecht schließlich will AfD-Wähler*innen zurückgewinnen, indem sie die Ampel von rechts kritisiert: weniger Klimaschutz, weniger Zuwanderung, mehr »wirtschaftliche Vernunft«.

Wer dagegenhalten will, darf sich nicht anbiedern – weder an die rassistische Rechte noch an neoliberale Mitte.

Erstveröffentlicht im nd v. 13.7. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183675.nouveau-front-populaire-frankreich-volksfront-gegen-rechts-und-mitte.html

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Spaniens oberster Gerichtshof bestätigt skandalöses Urteil wegen friedlichen Protests

Kriminalisierte Gewerkschaftsarbeit

Sechs Mitglieder der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT im spanischen Gijón sollen wegen Kundgebungen und Flugblättern für dreieinhalb Jahre in den Knast.

Von Ralf Streck

Bild: Solidarisierte sich mit den Verurteilten Gewerkschafterinnen: Die spanische Vize-Ministerpräsidentin Yolanda Diaz.

Ein Arbeitskonflikt in Gijón schlägt große Wellen in Spanien, da der Oberste Gerichtshof in Madrid ein hartes Urteil gegen sechs Anarchosyndikalistinnen der Gewerkschaft CNT bestätigt hat. Dass die »6 de la Suiza«, wie sie genannt werden, dreieinhalb Jahre ins Gefängnis sollen, empört allerseits. Selbst die spanische Vize-Ministerpräsidentin Yolanda Díaz twitterte auf X: »Es ist unerträglich, dass die @6delaSuiza ins Gefängnis müssen, weil sie für bes­sere Arbeitsbedingungen kämpfen.« Gewerkschaftsarbeit sei »kein Verbrechen«, erklärte sie den Betroffenen ihre »volle Unterstützung«. An Demonstrationen anlässlich des Verfahrens nahmen Vertreter von fast allen Gewerkschaften und vielen Parteien teil.

Die CNT spricht von einem bedrohlichen Präzedenzfall. In einer Erklärung zum Urteil mahnte sie, es werde eine »gefährliche Tür zur Verfolgung von Gewerkschaftsarbeit geöffnet«. In dem Fall gehe es nämlich um allgemeine Gewerkschaftsaktivitäten, die rechtlich völlig legal seien.

Die Vorgänge liegen sieben Jahre zurück. Zwischen Mai und September 2017 gab es vor der Konditorei »La Suiza« im asturischen Gijón diverse friedliche Kundgebungen. Zuvor hatte sich eine Beschäftigte wegen »Belästigungen« am Arbeitsplatz, darunter auch »sexueller Belästigung«, an die CNT gewandt. Dieses Verfahren wurde mangels Beweisen eingestellt, ebenso die Retourkutsche des Unternehmers wegen angeblicher Verleumdung. Es ging dabei auch um ausstehenden Urlaub und die Bezahlung von geleisteten Überstunden, der sich Firmen in Spanien gerne verweigern. Erst seit 2019 sind Unternehmen verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu erfassen.

Zunächst versuchte die CNT zu verhandeln. Da sich der Unternehmer »verschlossen« gezeigt habe, ging die Gewerkschaft an die Öffentlichkeit. Mit Folgen: Fünf Frauen und ein Mann wurden im Jahr 2021 wegen »fortgesetzter schwerer Nötigung« und wegen »Behinderung der Justiz« verurteilt, da sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite bei angemeldeten Versammlungen mit Spruchbändern und einem Megafon protestiert sowie Flugblätter an Passanten verteilt hatten. Das habe letztlich zur Schließung der Konditorei geführt, wird im nun bestätigten Urteil ausgeführt. Dabei wird sogar festgestellt, dass das Lokal schon ein Jahr zuvor zum Verkauf wegen Geschäftsaufgabe stand. Dennoch soll die CNT subsidiär für die verhängte Entschädigung von 150 428 Euro einstehen.

Für Richter Lino Rubio Mayo war das Vorgehen weder durch die Meinungs- noch durch die Gewerkschaftsfreiheit gedeckt. Er ist für harte Urteile gegen Gewerkschaftler bekannt. Schlagzeilen machte eine Strafe gegen zwei Aktivisten, die im Hintergrund des auch in Deutschland bekannten Films »Montags in der Sonne« standen. Cándido González Carnero und Juan Manuel Martínez Morala wurden wegen Protesten gegen die Privatisierung der Werft in Gijón zu Haftstrafen verurteilt.

Wie an den CNT-Aktivisten »wurde auch an uns ein Exempel für Vergehen statuiert, die wir nicht begangen haben«, erklärte Morala gegenüber der Internetzeitung »El Salto« zu dem Urteil. Es habe sich nur um einen gewerkschaftlichen Kampf gehandelt, doch der Richter wende »Gesetze an, wie es ihm gerade passt«. Das sieht auch der Anwalt der »6 de la Suiza« so. Für Evaristo Bango ist das Urteil gegen seine Mandant*innen »unfassbar«. Er kündigt an, auch vor europäische Gerichte zu ziehen. Das will auch die CNT. Sie sieht einen »verheerenden Angriff« auf Gewerkschaftsarbeit und will weiter »auf der Straße an der Seite der Beschäftigten stehen«, erklärte Generalsekretärin Erika Conrado.

Quelle: nd v. 2.7. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183379.arbeitskaempfe-kriminalisierte-gewerkschaftsarbeit-in-spanien.html?sstr=Ralf|Streck

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