Die Arbeit lehnt den Krieg ab: Manifest für ein Arbeitsrecht des Friedens

Appell der italienischen USB-Gewerkschaften

Die italienischen Basisgewerkschaften haben erneut unter Beweis gestellt, dass die besten Antikriegstraditionen bei ihnen in guten Händen sind. Vergleichbare Bezugspunkte in der deutschen Verfassung und in völkerrechtlich bindenden Verträgen ließen sich auch hierzulande finden, um eine „Nichtzusammenarbeit mit der Kriegswirtschaft“ zu begründen. Dafür muss allerdings der politische Wille da sein. Doch die Ansätze zu einer solchen Tradition scheinen vergessen oder nicht mehr zeitgemäß (Jochen Gester)

Rom, 16.07.2025, 16:46 Uhr

Die Menschheit befindet sich an einem Wendepunkt der Geschichte, der möglicherweise ohne Wiederkehr ist. Krieg und die Anwendung von Waffengewalt scheinen immer mehr das einzige Mittel zur Lösung internationaler Konflikte und zur Verfolgung kurzsichtiger nationaler Interessen zu sein, wobei vergessen wird, dass die Menschheit ein gemeinsames Schicksal hat.

Der von der Europäischen Union beschlossene Aufrüstungsplan, die von der NATO beschlossene Erhöhung der Militärausgaben über jedes vertretbare Maß hinaus und das wahnsinnige Wettrüsten stellen an sich schon eine „Kriegserklärung” dar, da sie dem Menschen grundlegende Rechte vorenthalten: Gesundheit, Wohnen, Bildung, Kultur und Umweltschutz.

Die Kriegswirtschaft verurteilt die Arbeitnehmer auf Dauer zu prekären Arbeitsverhältnissen und Ausbeutung und ist mit einem „freien und würdigen Dasein” (Art. 36 der Verfassung) unvereinbar. Darüber hinaus führt sie zu einer Zunahme von Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Krieg; die Herstellung, der Handel und der Transport von Waffen führen zu einer zunehmenden Verstrickung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in Tätigkeiten, die direkt oder indirekt mit dem Kriegsektor verbunden sind.

Wir sind der Meinung, dass die Gewerkschaftsbewegung mit Unterstützung der Kräfte der Zivilgesellschaft, denen Frieden und Abrüstung am Herzen liegen, die Pflicht hat, eine zeitgemäße Antwort auf den weit verbreiteten Wunsch vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu geben, sich den Anweisungen ihrer Arbeitgeber zu entziehen, wenn diese in eindeutigem Widerspruch zu den Werten des Friedens und des menschlichen Zusammenlebens stehen: Heute stellt sich für die Arbeitnehmer mehr denn je die Frage der „Nichtzusammenarbeit” mit einer Kriegswirtschaft und einem System internationaler Beziehungen, das auf der offensichtlichen Verletzung des Völkerrechts und des humanitären Rechts beruht. Es geht darum, über das Motto „Nicht in meinem Namen” hinauszugehen und mit konkreten Taten zu verkünden: „Nicht mit meinen Händen, nicht mit meinem Wissen, nicht mit meiner Arbeit”.

Wenn „Italien den Krieg ablehnt” (Art. 11 der Verfassung) und wenn „Italien eine demokratische, auf Arbeit gegründete Republik ist” (Art. 1 der Verfassung), muss der Wille der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht mitzuarbeiten, ungehorsam zu sein und keine Arbeitsleistung zu erbringen, die in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Kriegswirtschaft und -kultur steht, in allen Bereichen – Industrie, Logistik und Transport, Forschung, Bildung – als im Einklang mit der Verfassung stehend angesehen werden.

Dieser Wille zum Ungehorsam muss sich vor allem in der freien Ausübung des Streikrechts (Art. 40 der Verfassung) und jeder kollektiven Kampfmaßnahme (Art. 39 der Verfassung) gegen den Krieg und die Politik der Aufrüstung äußern können.

Um wirklich frei ausgeübt werden zu können, muss dieses Recht von jeder Kontrolle durch die Exekutive und die Kommission zur Überwachung des Streikrechts befreit sein, da es offensichtlich ist, dass der Transport und die Beförderung von Waffen innerhalb und außerhalb des Staatsgebiets (und erst recht außerhalb des Staatsgebiets) nicht als „wesentliche öffentliche Dienstleistungen” definiert werden können, da sie keinen Bezug zu „den verfassungsmäßig geschützten Rechten des Menschen auf Leben, Gesundheit, Freiheit und Sicherheit, Freizügigkeit, Sozialhilfe und Sozialversicherung, Bildung und Kommunikationsfreiheit” (Art. 1 Gesetz 146/1990) haben.

Wir sind vielmehr der Ansicht, dass Streiks gegen Waffen und kollektive gewerkschaftliche Maßnahmen gegen den Transport von Waffen das geeignetste Mittel sind, um die Verfassungsgrundsätze der Ablehnung von Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten und die Achtung des humanitären und internationalen Rechts zu gewährleisten.

Gleichzeitig sind wir der Ansicht, dass das Recht einzelner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aller Branchen und Sektoren garantiert werden muss, sich aus moralischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen als Kriegsdienstverweigerer zu erklären und die Ausübung ihrer Arbeit zu verweigern, wenn diese direkt oder indirekt mit Waffen und Krieg in Verbindung steht, und ihnen alternative Aufgaben zuzuweisen. Wir hoffen zwar, dass dieses Recht durch eine positive Rechtsnorm garantiert wird, sind jedoch der Ansicht, dass in unserer Rechtsordnung bereits ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen besteht, das seine Quelle in unmittelbar anwendbaren Grundsätzen des Völkerrechts hat. Das Gewissen ist zusammen mit der Vernunft das, was den Menschen auszeichnet, wie es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt („Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen”). Die EMRK sieht in Art. 9 vor, dass „jeder Mensch” ohne Ausnahme das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat. Art. 2 der Verfassung „anerkennt und garantiert” die unverletzlichen Rechte des Menschen.

Wir hoffen daher, dass das Recht jedes Arbeitnehmers und jeder Arbeitnehmerin anerkannt wird, aus Gewissensgründen die Arbeitsleistung zu verweigern, wenn diese direkt oder indirekt mit der Kriegswirtschaft und -kultur verbunden ist, und dass sie alternativen Tätigkeiten zugewiesen werden.

Wir sind überzeugt, dass Streiks, Ungehorsam, kollektive Aktionen und individuelle Verweigerung seitens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die wirksamste Form des gewaltfreien Kampfes darstellen und die Kriegsherren und den Wahnsinn der Aufrüstung stoppen können, sodass die auf Arbeit gegründete Republik den Krieg ablehnen und aus der Geschichte verbannen kann.

Um sich anzuschließen: illavororipudialaguerra@gmail.com

Unterzeichner:

Alessandra Algostino (Verfassungsrechtlerin – Universität Turin) – Michela Arricale (Rechtsanwältin, Co-Präsidentin CRED) – Olivia Bonardi (Arbeitsrechtlerin, Universität Mailand) – Silvia Borelli (Arbeitsrechtlerin, Universität Ferrara) – Marina Boscaino (Sprecherin der Komitees gegen jede differenzierte Autonomie) – Piera Campanella (Arbeitsrechtlerin, Universität Urbino) – Giulio Centamore (Arbeitsrechtler, Universität Bologna) – Chiara Colasurdo (Rechtsanwältin CEING) – Andrea Danilo Conte (Rechtsanwalt CEING) – Antonello Ciervo (Verfassungsrechtler) – Giorgio Cremaschi (Gewerkschafter) – Claudio De Fiores (Präsident des Zentrums für Staatsreform, Verfassungsrechtler) – Aurora D’Agostino (Co-Präsidentin der Vereinigung Demokratischer Juristen) – Beniamino Deidda (Richter, ehemaliger Generalstaatsanwalt von Florenz) – Antonio Di Stasi (Arbeitsrechtler, Polytechnische Universität der Marken) – Riccardo Faranda (Anwalt CEING) – Cristiano Fiorentini (Es. Naz. USB) – Domenico Gallo (Richter, ehemaliger Richter am Kassationsgerichtshof) – Andrea Guazzarotti (Verfassungsrechtler, Universität Ferrara) -Carlo Guglielmi (Anwalt CEING) – Roberto Lamacchia (Co-Präsident Associazione Giuristi Democratici) – Antonio Loffredo (Arbeitsrechtler Universität Siena) – Guido Lutrario (Es. Naz. USB) – ⁹Fabio Marcelli (internationaler Jurist Co-Präsident CRED) – Federico Martelloni (Arbeitsrechtler Universität Bologna) – Roberto Musacchio (ehemaliger Europaabgeordneter) – Valeria Nuzzo (Arbeitsrechtlerin Universität Kampanien) – Giovanni Orlandini (Arbeitsrechtler Universität Siena) – Francesco Pallante (Verfassungsrechtler Universität Turin) – Paola Palmieri (Cons. Cnel für USB) – Alberto Piccinini (Präsident Comma 2) – Giancarlo Piccinni (Präsident der Stiftung Don Tonino Bello) – Franco Russo (ehemaliger Abgeordneter, CEING) – Giovanni Russo Spena (ehemaliger Abgeordneter) – Arturo Salerni (Rechtsanwalt CEING) – Jacobo Sanchez (Rechtsanwalt CEING), Simone Siliani (Direktor der Stiftung Finanza Etica) – Carlo Sorgi (Richter, ehemaliger Präsident des Arbeitsgerichts Bologna) – Francesco Staccioli (Es. Naz. USB) – Anna Luisa Terzi (Richterin, ehemalige Ratsmitglied des Berufungsgerichts Trient) – Anna Fasano (Präsidentin Banca Etica) – Tano D’amico (Fotograf) – Associazione Comma 2 – Associazione Giuristi Democratici – Pax Christi Italia

Übersetzt mit DeepL
Quelle: https://www.usb.it/leggi-notizia/il-lavoro-ripudia-la-guerra-manifesto-per-un-diritto-del-lavoro-della-pace-1653.html

Eine deutliche Positionsbestimmung des gewerkschaftlichen Antikriegslagers

Bild: Jochen Gester

Am 11.-12 Juli fand in Salzgitter-Lebenstedt die „Dritte Gewerkschaftskonferenz für den Frieden“ unter dem Thema „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“ statt. Als Antikriegsaktivist innerhalb der Berliner IG Metall habe ich an dieser Konferenz teilgenommen und möchte hier meinen Eindruck wiedergeben.

Hier ist noch einmal das Programm einzusehen:
https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/JHXGV/den-frieden-gewinnen-nicht-den-krieg

Die Konferenz stand für mich für eine politische Konsolidierung des linken gewerkschaftsorientierten Flügels der Friedensbewegung, der sehr deutlich machte, dass der Kampf gegen Militarisierung und Kriegvorbereitung vor allem im eigenen Land geführt werden muss, ohne die Verantwortung der heimischen „Kriegsertüchtiger“ unter Verweis auf die angeblich alleinverantwortliche Rolle Russlands für das Sterben in der Ukraine kleinzureden. Unsere Aufgabe ist es, die Kräfte im eigenen Land ins Visier zu nehmen, die diesen Krieg unterstützen und durch ihn profitieren wollen. Damit formulieren wir auch einen oppositionellen Standpunkt innerhalb unserer Organisationen.

Dieser Konflikt ist in der Gewerkschaftsgeschichte nicht neu, doch in seiner Schärfe war er in den letzten Jahrzehnten so nicht präsent. Leider hat die Antikriegsbewegung auf der Leitungsebene der DGB-Gewerkschaften aktuell wenig offene Unterstützer:innen und sie dürfte auch in der Gesamtmitgliedschaft nur eine deutliche Minderheit repräsentieren. So war es alles andere als zufällig, dass die Konferenz in Sazlgitter stattfand, weil es die Linke in der Stahlstadt geschafft hat trotz mehrerer Generationenwechsel in der Frage von Krieg und Frieden Kurs zu halten. Leider gibt es gegenwärtig nur wenige solcher Leuchttürme.

Auf der Ebene der tragenden Organisationen stellte die Konferenz unter Beweis, dass die Aktionseinheit linker Gewerkschafter:innen aus dem Spektrum der DKP und der SDAJ sowie aus Teilen der Partei DIE LINKE, zusammen mit einer Reihe weiterer sozialistischer Gruppen an Stabilität gewonnen hat. Auch ist es ein gutes Zeichen, dass mit Ralf Stegner einer der Repräsentanten des SPD-kritischen Manifests bereit war, sich hier offen als Teil der Friedensbewegung zu präsentieren.

Noch unter ihrer Bedeutung vertreten waren junge Aktivist:innen aus dem migrantischen und antikolonialistisch-internationalistischen Spektrum. Doch die erfolgreiche Einladung des jungen und populär gewordenen Buchautors Ole Nymen zeigte, dass die Veranstalter dieses Problem begriffen haben.

Die Konferenz, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall Salzgitter-Peine veranstaltet wurde, war glänzend organisiert und das Programm politisch anspruchsvoll im Teach-In-Format angelegt. Doch kamen dabei die Debatten um die realen Probleme des Antikriegslagers innerhalb der gewerkschaftlichen Strukturen etwas zu kurz. Gerade einen Erfahrungsaustausch über diese Fragen sollten solche nationalen Konferenzen leisten. Sinnvoll wäre auch eine Art Abschlusserklärung gewesen, die sich dann auch medial gut transportieren ließe.

Besonders gut gefallen haben mir auch die Texte und Lieder von Thorsten Stelzner, dem es gelang, in seiner schnörkellosen und direkten Art die emotionalen Antriebskräfte unserer Bewegung zum Ausdruck zu bringen.

Ich gehe davon aus, dass es noch einen medialen Report der Konferenz geben wird. In Vorgriff darauf publizieren wir im Folgenden das Begrüßungsstatement Ulrike Eiflers. Ihr Beitrag zum Thema „Die Zeitenwende ist ein Frontalangriff auf die Interessen der Beschäftigten“ erfolgt in einem separaten Beitrag. Eine erweiterte Fassung ihres Referats wird im September zusammen mit anderen Beiträgen im VSA-Verlag erscheinen. Hier ist der LInk dazu:
https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/gewerkschaften-in-der-zeitenwende/

Ulrike Eifler

Gewerkschaftskonferenz für den Frieden I 11/12. Juli 2025 l Salzgitter

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich darf euch alle ganz herzlich zu unserer inzwischen dritten Gewerkschaftskonferenz für den Frieden hier in Salzgitter begrüßen – organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall Salzgitter-Peine. Und lasst mich gleich zu Beginn ein riesiges Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall-Geschäftsstelle aussprechen, die uns nicht nur sehr herzlich empfangen, sondern in den letzten Wochen und Monaten alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um diese Konferenz auf die Beine zu stellen.

Stellvertretend für alle möchte ich mich vor allem beim 1. Bevollmächtigten Matthias Wilhelm bedanken, noch viel mehr aber bei der Kollegin Derya Rust, die der organisatorische und politische Anker für uns hier in Salzgitter war und damit ganz wesentlich zum Erfolg der Konferenz beigetragen hat. Matthias, Derya – es ist uns eine große Ehre, in der Geschäftsstelle Salzgitter zu Gast zu sein! Herzlichen Dank für diese wunderbare Gelegenheit.

Und wie in den letzten Jahren auch gab es eine Steuerungsgruppe, die diese Konferenz mit großem ehrenamtlichem Engagement organisiert hat. Ohne die Kolleginnen und Kollegen Herbert Behrens, Hannes Draeger, Norbert Heckl, Jutta Krellmann, Timo Reuter, Jan Richter, Anne Rieger, Derya Rust, Andreas Strassmeier, Jana Werner, Ingar Solty und natürlich den Vorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung Heinz Bierbaum wäre diese Konferenz nicht zustanden gekommen.

Kolleginnen und Kollegen, seit unserer letzten Konferenz in Stuttgart haben sich die Entwicklungen deutlich verändert. Wir reden heute nicht mehr „nur“ über den Krieg in der Ukraine. Sondern wir erleben seit über 20 Monaten ein furchtbares, ein grausames Vorgehen der israelischen Regierung gegen die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza. Ich weiß, wie schwierig diese Diskussion auch in unseren Gewerkschaften zuweilen geführt wird. Und deshalb ist es mir wichtig zu betonen, dass es richtig war, dass die Gewerkschaften nach 1945 – als der Mantel des Schweigens über die faschistischen Verbrechen ausgebreitet werden sollte – nicht geschwiegen haben; es war richtig, dass sie die kritische Diskussion über Kriegsverbrechen und Holocaust eingefordert haben; und es war richtig, dass sie durch den Aufbau von Patenschaften nach Israel eine wertvolle Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit geleistet haben. Und trotzdem und gerade deshalb ist es mir wichtig, deutlich zu machen, dass wir heute nicht schweigend daneben stehen dürfen, wenn eine ultrarechte Regierung eine Kollektivbestrafung an der palästinensischen Bevölkerung vornimmt – heute müssen wir uns an die Seite der israelischen Friedensbewegung stellen, die ein Ende der Bombardierungen in Gaza und ein Ende der Hungerblockade an der Bevölkerung fordert.

Die Welt hat sich aber nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch verändert. Unbegrenzte Rüstungsausgaben einerseits und ein Finanzierungsvorbehalt für die Sozialausgaben andererseits stehen auf der Tagesordnung der Bundesregierung. Diese Prioritätensetzung wird unser Land über Jahre verändern und wird gewerkschaftliche Umverteilungskämpfe erheblich erschweren. Wir erleben schon jetzt, dass unsere Tarifpolitik unter Druck gerät, weil es in einer gesellschaftlichen Atmosphäre aus Deindustrialisierung, Inflation und Sozialabbau nicht die gewerkschaftlichen Forderungen sind, die Rückenwind bekommen, sondern es sind die Forderungen der Arbeitgeber nach Lohnverzicht, Arbeitszeitflexibilisierung und Abweichung von Tarifverträgen.

Gleichzeitig ist die militaristische Durchdringung unserer Gesellschaft weiter auf dem Vormarsch: Sie begegnet uns nicht nur in Form von Bundeswehrwerbung auf Pizzakartons oder in öffentlichen Schwimmbädern. Es ist inzwischen viel schlimmer! Wir erleben, dass Bundeswehrübungen auf dem Gelände von Universitäten stattfinden, bei der Panzer über den Campus rollen.

Wir erleben, dass die Bundeswehr gemeinsam mit öffentlichen Krankenhäusern die medizinische Versorgung nach einem Drohnenangriff trainiert. Wir erleben Diskussionen über die Einführung von „Wehrkunde“ als Schulfach – nach dem Vorbild der baltischen Staaten sollen Kinder offenbar lernen, mit Handgranatenattrappen zu werfen, durch den Schlamm zu robben oder zu schießen. Wir erleben, dass im bayrischen Kellmünz in einer Grundschule ein Kinderferienprogramm in Kooperation mit der Bundeswehr angeboten wird – ein militärisches Abenteuercamp für 6-12-Jährige, für die Kleinsten von uns.

All das geht weit über normale Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung hinaus. All das lässt vielmehr den Schluss zu, dass ein erneuter Ausbruch weltkriegerischer Auseinandersetzungen als reales Bedrohungsszenario im Raum steht. Die Bundesregierung spricht inzwischen selbst sehr offen darüber, dass sie zu einer Politik offener Kriegsvorbereitungen übergegangen ist. Deutschland müsse kriegstüchtig werden, sagt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius; der Krieg müsse nach Russland getragen werden, fordert Roderich Kiesewetter; die Bevölkerung müsse sich auf Entbehrungen einstellen, heißt es in dem von der Bundesregierung herausgegebenen Grünbuch; wir erleben den vermutlich letzten Friedenssommer in Europa, unkt der Militärhistoriker Sönke Neitzel; und in diversen Medienberichten wird spekuliert, ob fürs Vaterland zu sterben, nicht einen höheren Sinn habe.

Als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter dürfen wir uns zu diesen Entwicklungen nicht unverbindlich verhalten, sondern müssen eine Meinung dazu haben und diese auch äußern. Weil wir als große Organisationen, die die Menschen in den Betrieben erreichen, eine relevante gesellschaftliche Stimme sind und es auf uns ankommt. Weil wir in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit über Jahrzehnte in den Mittelpunkt gestellt haben, dass es auch etwas mit uns zu tun hat, wie eine Meinung im Kopf entsteht. Weil der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zunehmend überlagert wird durch die Frage von Krieg und Frieden und weil Tarifpolitik, die Verteidigung des Sozialstaates, der Umbau unserer Industrie und die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge zwingend Frieden und Entspannungspolitik als gesellschaftliche Rahmenbedingung brauchen. Vor allem aber weil Krieg die schärfste Form ist, mit der der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit ausgetragen wird. Vergessen wir nicht, dass auf den Gedenksteinen an die im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten, die wir in jeder deutschen Stadt finden, unsere Namen stehen – die Namen von Industriearbeitern, Straßenbahnfahrern, Metzgern. Es waren stets die Menschen der Arbeit, die auf die Schlachtfelder der Geschichte geschickt wurden.

Lasst uns deshalb die nächsten zwei Tage nutzen, um die vor uns liegenden Herausforderungen zu diskutieren. Wir haben dafür viele wunderbare Referentinnen und Referenten eingeladen: Ich freue mich sehr, dass Ingar Solty hier ist, der bereits auf den letzten Konferenzen eine wertvolle Einordnung der Zeitenwende vorgenommen hat.

Ich freue mich, dass wir den ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel für einen Input der die Auswirkung der rüstungspolitischen Schwerpunktsetzung auf gewerkschaftliche Umverteilungskämpfe gewinnen konnten.

Ich freue mich ganz besonders auf das Jugendpodium heute Abend – ein erfolgreicher Generationswechsel in der Friedensbewegung wird entscheidend dafür sein, ob in den nächsten Jahren eine stabile Friedensbewegung auf der Straße stehen und diplomatische Lösungen einfordern wird.

Ich freue mich, dass wir mit Jan Dieren den Vorsitzenden des linken SPD-Flügels DL21 zu Gast haben – ebenso im übrigen wie Ralf Stegner, einen der Initiatoren des Manifests, das kurz vor dem Parteitag der SPD vor einigen Wochen ein wichtiges friedenspolitisches Signal aussendete. Das gibt uns die Gelegenheit, nicht die Themen in den Vordergrund stellen, die uns trennen, sondern die Fragen, in denen wir gemeinsame Einschätzungen haben.

Es erfordert viel Mut, sich dem politischen Gegner entgegenzustellen, den eigenen Genossen aber den Spiegel vorzuhalten ist ungleich schwieriger und stets undankbarer. Dass sich die SPD-Linke mit eigenen friedenspolitischen Forderungen öffentlich zu Wort meldet, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, das ist notwendig, das ist wichtig und wir sollten den Protest der Kolleginnen und Kollegen in der SPD nach Kräften unterstützen.

Mark Ellmann, Nonni Morisse, Andrea Hornung, Yusuf As, Ole Nymoen, Petra Erler, Lena Fuhrmann, Henrik Thorbbecke und viele, viele andere werden uns in den kommenden Tagen als Referierende, als Stichwortgeber, als Gesprächspartner mit ihrer Klugheit und ihrem Erfahrungsschatz aus den unterschiedlichsten Teilen der Friedensbewegung zur Verfügung stehen. Wir haben kompetent besetzte Workshops, wir haben Musik und Kultur, wir haben Verpflegung in den Pausen – wir haben alles, was wir brauchen, um die großen weltpolitischen Entwicklungen und den Aufbau einer starken gewerkschaftlich verankerten Friedensbewegung miteinander zu diskutieren. Und ich darf verkünden, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung alle Konferenzteilnehmer heute Abend in die Kleingartensparte Marienbruch zu einem Grillfest einlädt – der dort befindliche Biergarten ist fußläufig erreichbar und wir können dort gemeinsam den ersten Tag unserer Konferenz miteinander ausklingen lassen.

Vielleicht noch zwei Bemerkungen zum Schluss: Wie in den vergangenen Jahren auch werden wir die gesamte Konferenz – die Arbeitsgruppenphase ausgenommen – live streamen, so dass auch diejenigen Kollegen, die nicht die Möglichkeit haben, nach Salzgitter zu kommen, unsere Debatten verfolgen können. Wer also nicht gefilmt werden möchte, sollte versuchen, die Kameras zu meiden.

Zweitens: Das Streaming wird aufgezeichnet und in mehreren Sendungen beim Bürgersender TV 38 ausgestrahlt – danke dafür vor allem an Rudi Karliczek und sein Team. TV 38 ist ein gemeinnütziger, regionaler Sender mit Sitz in Wolfsburg, der von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt gefördert wird.

Kolleginnen und Kollegen, der ehemalige Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, Willi Bleicher hat einmal gesagt: „Wer den Frieden will, der muss gegen den Krieg kämpfen“. Die aktuelle Entwicklung zeigt, wie Recht er damit hatte – die Zeiten sind zu ernst, als dass wir uns unbeteiligt daneben stellen können. Wir müssen uns einmischen, ohne Angst, ohne Opportunismus und mit dem Stolz und dem Selbstbewusstsein unserer 150jährigen Geschichte. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine spannende, kollegiale und erkenntnisreiche Debatte.

Kolleginnen und Kollegen, die Konferenz ist eröffnet.

Trauer um Rudi Friedrich

Der Berliner Antikriegsaktivist Rudi Friedrich ist tot. Gerne haben auch wir mit ihm zusammengearbeitet. Er war ein verlässlicher Anker für alle, die den Krieg hassen und gegen ihn kämpfen wollen. Insbesondere war er Ansprechpartner und Stütze für alle, die dem Krieg entfliegen wollten. Ob Russen, Belarussen oder Ukrainer. Natürlich auch für das Leben Liebende aus anderen Ländern. Wir werden ihn vermissen.

Das Netzwerk connection e.V. würdigte ihn ein eine Presseerklärung mit den folgenden Worten:

„Rudi Friedrich verunglückte am 14. Juli 2025 bei einer Wanderung in den Bergen bei Como/Italien während seines Urlaubs. Die italienische Bergrettung konnte ihn nur noch tot bergen. Er hinterlässt eine riesige Lücke in unserem international tätigen Verein, da er nicht nur dessen Gesicht, sondern auch ein international bekannter Aktivist, Motivator und Motor in der Vernetzung mit anderen Organisationen im Bereich von Kriegsdienstverweigerung, Desertion und Asyl für diesen Betroffenenkreis war. Wir haben einen Mitstreiter für den Frieden verloren, doch wir werden den Kampf für ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung, und dem Schutz von Kriegsdienstverweigerern, -entziehern und Deserteuren weltweit weiterführen. Unsere Gedanken sind insbesondere bei seiner Frau und seiner Familie.“

Hier können wir ihn nochmal live erleben:
https://www.youtube.com/watch?v=zV0GKGgA0XQ

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