Der „Geist von Saigon“ schwebt über Kiew

Am 30. April hat sich vor genau einem halben Jahrhundert Vietnam vom imperialen Joch der USA und seinem bankrotten Satellitenregime in Saigon befreit. Ein Freuden- und Gedenkfeiertag für alle Vietnames:innen. Nicht so für Selenskij, für den diese Befreiung Grund für eine Warnung ist. Aber Geschichtsrevisionismus und Verbiegung von Gedenktagen feiern ja gerade Hochkonjunktur auch in Deutschland. Ungewollt hat sich Selenskij mit seiner Gleichsetzung als „Erfüllungsgehilfe“ der USA bzw. des „Westens“ geoutet. Unsere vietnamesische Korrespondentin Cathrin Karras hat dazu eine klare Meinung.(Peter Vlatten)

Der „Geist von Saigon“ schwebt ueber Kiew

Cathrin Karras, 28.4.2025

In der Ukraine werden Darstellungen des Zusammenbruchs der von den USA unterstuetzten Regierung in Suedvietnam 1975 unverhohlen als Mahnung an die US-Regierung herangezogen, ein aehnliches Ergebnis gegenueber Russland heute nicht zuzulassen.

Das regierende Regime in Kiew versucht verzweifelt, die Unterstuetzung der USA aufrechtzuerhalten, da eine Niederlage im NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine droht. Es verweist auf den Zusammenbruch der Regierung in Suedvietnam im April 1975 und warnt, dass Aehnliches auch in der Ukraine passieren koennte. Die damalige Niederlage der USA in Vietnam war ein schwerer Schlag fuer das Ansehen und die Stellung der USA in der Welt.

Solche Aeusserungen des Kiewer Regimes offenbaren die Erkenntnis, dass die Ukraine zu einem Satellitenstaat der Vereinigten Staaten geworden ist – genau wie Suedvietnam vor einem halben Jahrhundert allgemein als solcher anerkannt wurde. Damals wie heute versuchen Washington und seine Verbuendeten, ihre wirtschaftliche und militaerische Dominanz in der Welt zu behaupten.

Die ukrainischen Medien berichten ausfuehrlich ueber den bevorstehenden 30. April. An diesem Tag vor 50 Jahren endete der quasi-genozidale Amerikanische Krieg (wie er in Vietnam genannt wird) endgueltig. An diesem Tag verfolgte die Welt in den Medien den Fall Saigons. Bilder von der Evakuierung der letzten US-Soldaten und ihrer Kollaborateure per Hubschrauber vom Dach der US-Botschaft waren weltweit zu sehen.

Doch in der ultranationalistischen Ukraine – deren territoriale Kontrolle ueber die Ost- und Suedukraine weiter schrumpft – werden Darstellungen von 1975 nun unverschaemt als Mahnung an die US-Regierung herangezogen, ein aehnliches Ergebnis gegenüber Russland heute nicht zulassen zu duerfen. Die USA seien verpflichtet, die Ukraine mit genuegend Waffen und militaerischer Unterstuetzung zu versorgen, um eine militaerische Niederlage im NATO-Stellvertreterkrieg zu verhindern.

Die ukrainische Onlinezeitung Strana schrieb am 6. April, dass Kiew heute ebenso machtlos sei wie Saigon damals, die militaerischen Entscheidungen der USA zu beeinflussen. Sie weist auf die Aehnlichkeiten im Korruptionsgrad der suedvietnamesischen und ukrainischen Behoerden hin. Suedvietnam war fuer sein Ueberleben vollstaendig von westlicher Finanzhilfe abhaengig, und die Ukraine bietet im Jahr 2025 ein aehnliches Bild.

Schon vor einem Jahr raeumte Oleksiy Arestovich, ein ehemaliger Berater des ukrainischen Praesidialamts, der heute im US-Exil lebt, ein, dass die Ukraine fuer die USA das heutige Suedvietnam sei. Die USA haetten Suedvietnam nicht „retten“ koennen und wuerden das Kiewer Regime auch nicht retten koennen, sagte er in einem Interview. Auch der ukrainische Oekonom Oleksiy Kushch zieht eine Parallele zwischen der Ukraine und Suedvietnam und erinnerte seine Leser am 3. April auf Telegram daran, dass die USA stets ihre eigenen Interessen priorisieren.

Der ehemalige ukrainische Abgeordnete Artem Dmytruk betonte, Kiews Problem sei, dass die Machthaber in der Ukraine die Geschichte nicht kennen und auf unbegrenzte Unterstuetzung der USA angewiesen seien. „Nur wenige Machthaber in der Ukraine kennen die Geschichte; sie wollen sie nicht kennen. Sie wissen nichts ueber Vietnam, Afghanistan und den Irak. Wenn ein Verbuendeter fuer Amerika nicht mehr nuetzlich und notwendig ist, gibt es ihn im Austausch fuer eine Art Abkommen auf“, schrieb er aus dem Exil in London.

Titelbild: Collage Peter Vlatten

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