Pflicht zur „Verfassungstreue“: Einfallstor für Repressalien

Linke Gewerkschafter kritisieren Passus im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes

Von Peter Nowak

Bild: Benjamin Ruß. Bearbeitetes Screenshot Youtube-Video

Als »schwieriges Ergebnis in schwierigen Zeiten« hat der Verdi-Bundesvorstand das Ergebnis der Tarifrunde im öffentlichen Dienst für Bund und Kommunen bezeichnet. Wesentlich kritischer äußerte sich das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi. »Nein zu Reallohnverlust, 27 Monaten Laufzeit und Einstieg in die 24-Stunden-Woche«, heißt es in einer Stellungnahme.

Die Gruppe rügt auch einen Passus im künftigen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD), der auch bei linken Gewerkschafter*innen bislang wenig Beachtung findet, obwohl er eine höchst politische Dimension hat. Dieser macht bei Auszubildenden und Studierenden »Verfassungstreue« zur Bedingung für eine Übernahme ins Arbeitsverhältnis. Wörtlich heißt es dort: »Voraussetzung für die Übernahme ist, dass Auszubildende und dual Studierende des Bundes und anderer Arbeitgeber, in deren Aufgabenbereichen auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen.« Es dürfe »während der gesamten Ausbildungsdauer/Studiendauer kein Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bestehen«.

Das ist eine deutliche Verschärfung gegenüber der Regelung im auslaufenden TVÖD. Dort lautet der entsprechende Passus: »Auszubildende werden nach erfolgreich bestandener Abschlussprüfung bei dienstlichem beziehungsweise betrieblichem Bedarf im unmittelbaren Anschluss an das Ausbildungsverhältnis für die Dauer von zwölf Monaten in ein Arbeitsverhältnis übernommen, sofern nicht im Einzelfall personenbedingte, verhaltensbedingte, betriebsbedingte oder gesetzliche Gründe entgegenstehen.«

Von einem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) war bisher nicht die Rede. Dieser Begriff wurde in den 70er und 80er Jahren in Westdeutschland missbraucht, indem mit dem sogenannten Radikalenerlass die Überprüfung von Lehramtsanwärter*innen und vielen anderen Beschäftigten begründet wurde. Dies führte zur Bespitzelung von rund 3,5 Millionen Bewerber*innen und Beschäftigten im öffentlichen Dienst durch den Verfassungsschutz. In der Folge kam es zu Berufsverbotsverfahren gegen 11 000 Personen. 2250 von ihnen wurde tatsächlich die Einstellung verweigert, 256 Beamt*innen wurden entlassen.

Das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi sieht in der neuen Regelung im TVÖD eine »Drohung für alle politisch interessierten und aktiven jungen Menschen«. Zuletzt habe man gesehen, wie etwa das »Liken« eines Posts in den sozialen Medien, in dem das Vorgehen Israels in Gaza verurteilt wird, ausgereicht habe, »um eine öffentliche Kampagne gegen die Präsidentin der Technischen Universität Berlin auszulösen«. Das zeige, »welche einschränkende Wirkung eine solche tarifvertragliche Klausel haben könnte«.

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, fordert auf X immer wieder Konsequenzen für vermeintliches Fehlverhalten von Personen im öffentlichen Dienst. 1999, damals noch Grünen-Bundestagsabgeordneter, hatte er die »Formel von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als Kampfbegriff zur Ausgrenzung missliebiger Kritiker« bezeichnet.

Derzeit warnen auch Gewerkschaften vor einer Rückkehr von Radikalenerlass und Berufsverboten, insbesondere auf Länderebene. So kritisiert der Hamburger DGB die Pläne des rot-grünen Senats, wieder die Regelanfrage beim Verfassungsschutz für alle Bewerber*innen im öffentlichen Dienst einzuführen.

In Bayern wurden unter anderem die Berufsverbote gegen die Lehramtsanwärterin Lisa Poettinger und gegen den Geoinformatiker Benjamin Ruß mit Paragraf 3 des Tarifvertrags der Länder (TVL) begründet, der weitgehend mit der neuen Passage im TVÖD übereinstimmt. Ruß berichtete kürzlich auf einer Veranstaltung der Hamburger Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) von seinen Erfahrungen. Ihm wurde eine schon zugesagte Stelle an der Technischen Universität München verweigert, weil er unter anderem Mitglied des Studierendenverbands Die Linke.SDS und der Gefangenensolidaritätsorganisation Rote Hilfe ist. Das Münchner Arbeitsgericht wies nach einer zweijährigen gerichtlichen Auseinandersetzung die Klage von Ruß gegen die Nichteinstellung zurück.

Erstveröffentlicht im nd v. 8.4. 2025
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190425.verfassungstreuecheck-im-oeffentlichen-dienst-pflicht-zur-verfassungstreue-einfallstor-fuer-repressalien.html

Wir danken für das Publikationsrecht.


Falsche Freunde

Wer verrät die Ukraine?

Von Peter Nowak

Bild: pixabay

Seit die neue US-Administration offen kommuniziert, dass sie den Krieg zwischen Russland und der Ukraine beenden will, sprechen deutsche Medien vom »Verrat an der Ukraine«. Diese neue Variante der Dolchstoßlegende kommt vor allem von linksliberalen und grünen Politiker*innen. Der Oliv­grüne Anton Hofreiter rief im Interview mit dem »Deutschlandfunk« sogar dazu auf, dass sich die EU und dabei vor allem Deutschland gemeinsam mit der Ukraine gegen ein drohendes Diktat von Moskau und Washington wehren müsse. Hier findet sich der nationalistische Spin, dass die ehemaligen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition über die Köpfe von Deutschland und seinen Verbündeten hinweg Tatsachen schaffen könnten, gegen die der Publizist Wolfgang Pohrt schon in den Hochzeiten der deutschen Friedensbewegung in den 80ern polemisierte.

Heute fehlen solche Stimmen auch in einem Spektrum, das sich mal als antideutsch bezeichnete. Da müsste schon die Frage gestellt werden, welche Ukraine ist da eigentlich gemeint, die durch einen möglichen Waffenstillstand verraten würde? Die Bewohner*innen der Krim sicher nicht, die sich eher der russischen Welt zurechnen und auch nie gefragt wurden, als die Halbinsel in den 50er Jahren von Chruschtschow der Ukraine zugeschlagen wurden. Und was ist mit den Tausenden von Wehr- und Militärdienstverweigern in der Ukraine, die sich gegen die »Greifer« wehren, die sie von der Straße weg an die Front schicken wollen? Es gab in den letzten Monaten auch Widerstandsaktionen gegen diese Verschleppung. Viele Männer mussten sich verstecken, weil sie nicht aus der Ukraine fliehen konnten. Sie dürften sich schon deshalb von einem Waffenstillstand nicht »verraten« fühlen, weil sie dann vielleicht nicht mehr Angst haben müssen, an der Front zu sterben. Und was ist mit den Menschen in der Ukraine, die immer davor gewarnt haben, dass ihr Wohnort zu einem Schlachtfeld zwischen der russischen Welt und der Nato wird? Sie dürften froh sein, wenn die Nato-Mitgliedschaft vom Tisch ist.

Wer sich von einem Waffenstillstand allerdings tatsächlich verraten fühlen könnte, sind diejenigen ukrainischen Nationalist*innen, die von einem – illusorischen – Sieg gegen Russland träumen und dafür weiter Tod und Zerstörung in Kauf nehmen. Nicht wenige von ihnen sind Anhänger*innen des ukrainischen Ultranationalisten und Antisemiten Stephan Bandera: Er war zeitweilig Verbündeter der NS-Besatzer und floh 1944 mit der Wehrmacht ins Deutsche Reich. Später lebte er in München und propagierte die Verteidigung des christlichen Abendlandes gegen die Sowjetunion. Sind also nicht faktisch hauptsächlich solche Kreise gemeint, wenn deutsche Politiker*innen von »der Ukraine« sprechen und von deren »Verrat durch die USA und Russland«? Dabei könnte doch gerade hierzulande, 80 Jahre nach der Zerschlagung des NS durch die Alliierten – dabei an vorderster Front die Rote Armee mit ihren ukrainischen Divisionen – genug Geschichtsbewusstsein bestehen, um hier zu differenzieren. 

Erstveröffentlicht im nd v. 22.2. 2025
https://nd.digital/editions/nd.DieWoche/2025-02-22/articles/16980497 (Abo)

Wir danken für das Publiktionsecht.

Die Linke als Diskurspolizei?

Von Peter Nowak

Von den Septemberstreiks vor 53 Jahren bis zu den ostdeutschen Betriebskämpfen gibt es aktuell genügend historische Anknüpfungspunkte. Doch die Linke bleibt passiv. Wie den Rechten das Feld überlassen wird.

Aktuell ist die Zeit der Gesundbeter, die die Lage trotz hoher Inflation und eines bevorstehenden Winters mit zu erwartender Energiearmut bisher unbekannten Ausmaßes schönreden. Befürchtet wird von den ideologischen Staatsapparaten, dass ein Teil der Bevölkerung dieses Zweckoptimismus nicht teilt und womöglich auf die Straße geht, um eine andere Politik zu fordern.

In liberalen Medien kommen Psychologen zu Wort, die erklären, wie man die Krise meistern und aushalten kann. Diesen Zweckoptimismus bedienen auch Politik und Medien. „5:1 für die Zuversicht“, titelte die linksliberale taz und vermeldet, dass außer der AfD alle im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien davon ausgehen, die Krise in der Hauptstadt sei gemeistert.

Eigentlich müsste es als großes Warnsignal verstanden werden, wenn es keine linken Parteien gibt, die angesichts der drohenden massiven Inflation und Energieknappheit mit noch unklaren Folgewirkungen den Widerstand der Bevölkerung gegen diese Politik und ihre Profiteure unterstützen. Denn eine solche Kraft wäre auch ein großer Beitrag gegen rechts.

Wenn aber eine ganz Große Koalition – außer der AfD – im Berliner Abgeordnetenhaus auf Zweckoptimismus setzt, ist das ein großes Geschenk für die Rechten.

Eine Linke, die in soziale Kämpfe eingreift

Das hat der Publizist Sebastian Friedrich in seiner Kolumne in der Wochenzeitung Freitag gut herausgearbeitet, wenn er fragt, ob die linke Bewegung in den kommenden Protesten eingreifen oder nur Diskurspolizei spielen wird. Das hört sich zunächst allgemein an, doch Friedrich wird konkreter:

Entscheidend wird dann aber tatsächlich nicht sein, ob Linke akribisch jede einzelne rechte, rechtsoffene oder verschwörungsideologische Aussage zählen und notieren, sondern ob es ihnen gelingt, den reaktionären Deutungen linke, also sozialistische entgegenzusetzen. Ob es ihnen gelingt, da Überzeugungsarbeit zu leisten, wo es möglich ist, und da, wo nichts mehr geht, unmissverständlich Grenzen aufgezeigt werden könne.

Sebastian Friedrich im Freitag

Dabei wäre es auch eine wichtige Aufgabe linker Organisationen, heute weitgehend vergessene historische Kämpfe aufzuarbeiten und populär zu machen. Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt wäre es beispielsweise wichtig, an die Zimmerwalder Konferenz vor 107 Jahren und die sich dort formierende Zimmerwalder Linke zu erinnern.

Von ihr kam damals über „die dampfenden Schlachtfelder und die zerstörten Städte und Dörfer hinweg“ der Aufruf, die Proletarier der kriegsführenden Staaten sollen sich nicht weiter abschlachten lassen, sondern vereinen.

Das ist in Zeiten, in denen auch Linke in Russland, der Ukraine und Deutschland mit ihren Regierenden in realen und geistigen Schützengräben liegen, eine wichtige Erkenntnis.

In Bezug auf die Proteste gegen die steigende Inflation und drohende Energiearmut wäre es wichtig, an die heute weitgehend vergessenen Septemberstreiks zu erinnern, die sich bald zum dreiundfünfzigsten Mal jähren.

Diese nicht von der DGB-Führung, sondern von den Arbeitern an der Basis organisierten Ausstände fielen in eine Zeit des gesellschaftlichen sozialen Aufbruchs, der Apo, die fälschlich immer als Studentenbewegung klassifiziert wird.

Doch der gesellschaftliche Aufbruch beeinflusste alle Bereiche der Gesellschaft, darunter natürlich auch die Lohnabhängigen. Mit den Streiks reagierten die Beschäftigten auf die konjunkturelle Entwicklung – sie wollten Reallohnverluste verhindern. Dafür setzten sie setzten ihr wichtiges Kampfmittel ein, die Arbeitsniederlegung, die damals noch allgemein bekannt war.

Heute ist das anders. Solche Erfahrungen aus den Kämpfen der Arbeiterbewegung sind in Vergessenheit geraten, was dazu führt, dass Streiks als Kampfmittel gegen Inflation oft auch in linken Gruppen gar nicht erwähnt werden.

Heißer Herbst; Es kommt auch auf die Gewerkschaften an

Zumindest einige Publizistinnen und Publizisten erinnern sich noch daran. Neben Sebastian Friedrich ist das Nina Scholz. „Heißer Herbst, es kommt auch auf die Gewerkschaften an“, lautete die Überschrift ihrer Kolumne. Dabei hat sie keine Illusionen über die Position der aktuellen Gewerkschaftsführungen:

Während Unternehmer seit Jahren die Sozialpartnerschaft sukzessive aufkündigen, gegen Streiks klagen, gewerkschaftliche Arbeit mit Hilfe großer Kanzleien verhindern, Boni einstreichen, wo Stellen gekürzt werden, halten die großen Gewerkschaften diese Sozialpartnerschaft hoch. Gegen die rasanter wachsende Ungleichheit aber hilft nicht allein eine Tarifrunde. Die drängende Frage ist, ob sich die Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) als kämpferischer Teil der Gesellschaft begreifen, der aktuell keine Gewinne macht. Das würde bedeuten, sich proaktiv und kämpferisch in Bündnissen zu engagieren, die nicht nur für die eigenen Mitglieder kämpfen.

Nina Scholz, Freitag
Ostdeutsche Betriebskämpfe gegen die kapitalistische Landnahme

Wie bei den Septemberstreiks vor 53 Jahren müsste der Druck von der Basis der Beschäftigten ausgehen. Dazu ist es natürlich wichtig, diese historischen Erfahrungen überhaupt zu kennen. Und nicht nur sie. Marek Winter erinnert in einem Artikel in der Wochenzeitung Jungle World an vergessene betriebliche Kämpfe, die kaum 30 Jahre her sind:

Schon einmal wurde in Ostdeutschland gegen Werkschließungen gekämpft, in den frühen neunziger Jahren, als nach dem Beitritt zur Bundesrepublik im Zuge der Zerschlagung des „Volkseigentums“ durch die Treuhand Industriebetriebe massenhaft geschlossen bzw. ihre Belegschaften verkleinert wurden. Diese Abwehrkämpfe, die auch Streiks und Besetzungen umfassten, endeten in einer schweren Niederlage.

Marek Winter, Jungle World

Es ist schon frappierend, wie sehr diese Auseinandersetzungen in vielen Städten Ostdeutschlands verdrängt wurden. Dabei hatte damals ein Bündnis kritischer Gewerkschaftler aus Ost und West in Berlin diese Kämpfe unterstützt.

Aber diese Verdrängung kämpferischer Gewerkschaftsgeschichte ist auch eine Einladung an die Rechten. Die können nun einen Zusammenhang zwischen den nach rechts offenen Montagsdemonstrationen in der späten DDR bis zu Pegida und AfD eine Verbindung herstellen.

Dagegen steht eine linke DDR-Opposition, die gegen die autoritäre SED-Herrschaft den Sozialismus real durchsetzen wollen. Die Kämpfe gegen die Zerschlagung der DDR-Betriebe gehören in diesen Kontext als der Kampf für eine unabhängige DDR schon verloren war.

Man kann auch sagen, es waren Kämpfe gegen die kapitalistische Landnahme, die die realen Rechte der Lohnabhängigen in der DDR ausradierten. Es ist zu begrüßen, wenn jüngere Linke sich heute wieder an diese Kämpfe erinnern und nicht nur zu historischen Zwecken.

Wenn jetzt Habeck und Co. in Schwedt die Deindustrialisierung Ostdeutschlands fortsetzen wollen, könnte es dann auch Proteste führen, die an diese Betriebskämpfe vor über 30 Jahren anschließen.

Dann könnte Ostdeutschland tatsächlich eine Keimzelle neuer Sozialproteste werden, die nicht, wie der Zivilgesellschaftler David Begrich fürchtet, rechts dominiert sind.

Es wäre dann vielmehr Proteste, die die AfD und andere Rechte fernhalten wurde, ohne dass sich die Linke zur Diskurspolizei macht oder genau deswegen. Sie würde dann in die Kämpfe eingreifen. Doch hat sie noch das Selbstbewusstsein dafür?

Quelle: Telepolis
https://www.heise.de/tp/features/Soziale-Proteste-Die-Linke-als-Diskurspolizei-7260305.html

Wir danken dem Autor für das Recht auf Veröffentlichung.

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