2%-Ziel der NATO bedeutet 2,6 Billionen Dollar weniger zur Bekämpfung der Klimakrise

IPPNW-Presseinformation vom 10. Oktober 2023

Studie Climate Crossfire

10.10.2023 Das erklärte Ziel der NATO, dass alle Mitgliedsstaaten der Allianz mindestens 2% ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben wollen, wird 2,6 Billionen Dollar abziehen, die dann zur Bekämpfung der Klimakrise fehlen könnten. Zu diesem Schluss kommt die Studie „Climate Crossfire“, die vom internationalen Think Tank Transnational Institute in Zusammenarbeit mit Stop Wapenhandel (Niederlande) und Tipping Point North South (Vereinigtes Königreich) erstellt und von IPPNW Deutschland und Centre Delàs (Spanien) mitherausgegeben wird.

Die Studie berechnet die Kosten und den Anstieg der Treibhausgasemissionen, die sich ergeben, wenn alle NATO-Mitglieder ihre Militärausgaben auf mindestens 2% des BIP erhöhen. Bei Einhaltung des 2%-Ziels, werden bis 2028 schätzungsweise weitere 2,6 Billionen US-Dollar für die Verteidigungshaushalte der 31 NATO-Länder anfallen, zusätzlich zu den ohnehin laufenden Militärausgaben. Eine Summe in dieser Höhe könnte die gesamten Kosten für die Anpassung an den Klimawandel für alle Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sieben Jahre lang abdecken.

„Diese Studie zeigt, wo derzeit die politischen Prioritäten der Bundesregierung liegen – und wo nicht. Die Aufrüstung auf mindestens 2% des BIP steht in einem massiven Widerspruch zu dem eigenen Klimaziel, bis 2030 65 % weniger CO2 auszustoßen“, kritisiert Dr. Angelika Claußen, Vorsitzende der IPPNW. „Der aktuelle Bundeshaushalt sieht Kürzungen in allen Ressorts vor, nur nicht im Etat des Verteidigungsministeriums. Von den steigenden Ausgaben profitierten ausschließlich Rüstungsunternehmen. Ob und wieviel Geld für welche Ziele ins Militär fließt, und welche zivilen Ausgaben in die aus unserer Sicht nötige Verbesserung der Infrastruktur dafür gestrichen werden sollten, das wurde in Deutschland bisher nicht öffentlich diskutiert. Zudem besteht die Gefahr, dass das 2%-Ziel der NATO ein globales Wettrüsten auslöst.“

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Überblick:   

  • Wenn alle NATO-Mitglieder das 2%-Ziel einhalten, werden bis 2028 schätzungsweise 2,6 Billionen US-Dollar für das Militär ausgegeben – zusätzlich zu den ohnehin laufenden Militärausgaben. Diese Summe könnte die gesamten Kosten für die Anpassung an den Klimawandel für alle Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sieben Jahre lang abdecken.
  • Der geschätzte militärische CO2-Fußabdruck der NATO in diesem Jahr – 205 Millionen tCO2e – ist vergleichbar mit den gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen vieler Länder. Wären die Streitkräfte der NATO ein Land, so würde es hinsichtlich der Treibhausgasemissionen weltweit auf Platz 40 liegen.
  • Wenn alle NATO-Mitglieder das 2%-Ziel erfüllen, würde dies zu zusätzlichen Treibhausgasemissionen in Höhe von schätzungsweise 467 Millionen Tonnen führen, in etwa so viel wie die Industrieländer Großbritannien oder Frankreich jedes Jahr ausstoßen.
  • Die NATO-Mitglieder exportieren Waffen in 39 der 40 am meisten von der Klimakrise gefährdeten Länder und schüren damit Konflikte und Unterdrückung, die die Folgen des Klimazusammenbruchs noch verstärken.

Die Studienergebnisse sind auch im Hinblick auf die ab dem 30. November 2023 beginnende Weltklimakonferenz COP 28 in Dubai von hoher Relevanz. Bisher erstatten nur wenige Länder Bericht über den CO2-Fußabdruck ihres Militärs. Daher fordert die IPPNW gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen auf der COP 28, dass der militärisch bedingte CO2-Fußabdruck verpflichtend in die Klimaberichterstattung aufgenommen werden muss. Die IPPNW nimmt mit einer vierköpfigen Delegation an der Konferenz teil.

Die Studie Climate Crossfire kann hier heruntergeladen werden.

Kontakt:
Angelika Wilmen, IPPNW-Friedensreferentin, wilmen@ippnw.de, Tel. 030 698074-13


Weitere Informationen:
NGO-Aufruf „Stop Excluding Military Pollution from Climate Agreements“: actionnetwork.org/petitions/stop-excluding-military-pollution-from-climate-agreements-2/

»Wir wollen ein Mitbestimmungsrecht für Betriebsräte beim Klimaschutz«

Die designierte IG-Metall-Chefin Christiane Benner über wirtschaftliche Demokratie, Klimaschutz und Strategien gegen Rechtsextreme

Bild: IG Metall

Interview: Eva Roth

Frau Benner, ein zentrales Anliegen von Ihnen ist die Mitbestimmung, dafür wollen Sie sich auch künftig als IG-Metall-Chefin einsetzen. Auf einer Tagung im letzten Jahr haben Sie gesagt: »Wir brauchen mehr wirtschaftliche Demokratie in diesem Land.« Was fordern Sie konkret?

Wir erleben derzeit gravierende Veränderungen in den Betrieben, durch die Einführung grüner Technologien, den Umstieg auf Elektromobilität, die Digitalisierung. Angesichts dieser Umbrüche brauchen wir für Betriebsräte mehr Mitbestimmung bei strategischen Unternehmensentscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen im Hinblick auf die ökologische und digitale Transformation. Wir brauchen mehr Rechte, damit Betriebsräte eigene strategische Konzepte entwickeln können – und die Arbeitgeber wirklich gezwungen werden, sich auf Augenhöhe damit auseinanderzusetzen. Also nicht zu sagen: Okay, ich höre mir mal die Ideen der Betriebsräte an, und dann sage ich: Danke für das Gespräch, ich mache das Werk trotzdem dicht.

Sollen Betriebsräte zum Beispiel sagen können: Mit diesen Produkten kommen wir nicht weiter, das Unternehmen sollte nicht mehr große SUV herstellen, sondern kleine, stromsparende E-Autos oder Züge? Und dann muss sich das Management mit den Vorschlägen befassen und kann sie nicht einfach ablehnen?

Mit den Gewinnmargen der großen Fahr­zeuge finanzieren einige Hersteller den Umstieg auf E-Mobilität. Aber Sie haben recht. Das wäre ein Beispiel. Darum geht es. Betriebsräte der Automobilindustrie drängen schon seit Langem auf die Elektrifizierung und fragen: Wie kriegen wir das hin? Weil klar ist, dass wir umstellen müssen, wenn wir unsere CO2-Ziele im Verkehrssektor erreichen wollen. Dafür brauchen wir auch bezahlbare kleine Elektroautos, nicht nur Luxus­modelle. Bei Automobilzulieferern, die insbesondere für Verbrennungsmotoren produzieren, geht es um die Frage: Entweder man produziert weiter, solange es den Verbrennungsmotor gibt, und danach wird das Licht ausgemacht. Oder das Unternehmen geht mit den Kompetenzen der Beschäftigten in andere Produktfelder rein. Es gibt ja Wachstumsfelder, in denen Beschäftigte gebraucht werden, denken Sie an Windkraft, Solar, Speichertechnik, Kreislaufwirtschaft, Recycling oder IT-Tätigkeiten für die Digitalisierung.

Gab es so etwas schon mal: Die Umstellung einer Fabrik auf völlig neue Produkte?

Ja! Ich kann Ihnen ein Beispiel bei Continental nennen, wo ich stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bin. Bei dem Conti-Werk in Gifhorn wurde klar, dass das Werk Ende 2027 geschlossen wird. Bislang werden dort Autokomponenten für Bremssysteme hergestellt. Jetzt ist die Aussicht, dass in der Fabrik künftig Wärmepumpen gefertigt werden. Stiebel Eltron wird dort einsteigen. Conti bietet Beschäftigten eine Weiterbildung dafür an. Viele werden weiter in dem Werk arbeiten können, aber nicht alle. Unsere Idee ist, dass sich weitere Unternehmen in einer Art Industriepark ansiedeln. Es gibt also schon heute positive Beispiele. Das Problem ist: Viele Unternehmen tun nichts oder viel zu wenig.

Wie kommen Sie darauf?

Wir haben im April Betriebsräte befragt, mehr als 2500 haben sich daran beteiligt. Über 50 Prozent haben gesagt: Ich erkenne in meinem Unternehmen keine Strategie für die Zukunft. Das ist in doppelter Hinsicht ein Riesenproblem: Diese Firmen tun zu wenig oder nichts für den ökologischen Umbau. Gleichzeitig tragen sie dazu bei, dass Menschen Angst davor haben. Es ist nämlich so: In Konzernen, in denen für die Belegschaft eine klare Zukunftsstrategie erkennbar ist, haben die Beschäftigten weniger oder keine Angst vor Veränderung. Wo keine Strategie erkennbar ist, sorgen sich die Leute um ihre Zukunft. Oft ignorieren Unternehmen auch Konzepte von Betriebsräten. Die schlagen ein Ei drüber und nehmen das nicht ernst.

Wo ist das passiert?

Da könnte ich Ihnen zahlreiche Fälle nennen; nehmen wir als ein Beispiel Vallourec, Düsseldorf. Da hat der Betriebsrat vor drei, vier Jahren gesagt: Wir haben Ideen, wie wir dieses Rohrwerk weiterführen können, wie wir es wirtschaftlich machen können. Die Vorschläge sind nicht aufgenommen worden und der Standort macht jetzt zu. Da bleibt am Ende nur ein Sozialplan. Wir haben Industriearbeitsplätze verloren und eine Chance verpasst, mit dieser schlauen Belegschaft etwas nach vorn zu entwickeln.

Wie sollen Unternehmen künftig gezwungen werden, sich mit Konzepten von Betriebsräten zu befassen?

Wir wollen im Betriebsverfassungsgesetz in Paragraf 87 verankern, dass der Betriebsrat auch beim Klimaschutz ein Mitbestimmungsrecht hat. Das heißt: Wenn der Betriebsrat ein Konzept vorlegt, etwa über neue Produkte oder klimafreundliche Herstellungsverfahren, muss sich das Unternehmen damit befassen. Lehnt das Unternehmen die Vorschläge ab, kann der Betriebsrat vor eine Einigungsstelle ziehen. Diese entscheidet dann darüber, ob das Konzept umgesetzt werden muss. Natürlich müssen die Vorschläge wirtschaftlich tragbar sein, das prüfen wir immer mit. Die Beschäftigungssicherung aus Paragraf 92a hängt damit zusammen und muss zu einem Mitbestimmungsrecht ausgebaut werden. Im Moment kann der Betriebsrat Vorschläge machen. Aber das war’s dann eben.

Die Einigungsstelle ist kein neues Gremium. Sie kann bereits jetzt angerufen werden, wenn sich Betriebsrat und Unternehmensleitung bei bestimmten Fragen nicht einigen können, etwa beim Gesundheitsschutz. Diese Schlichtungsstelle besteht aus Vertretern beider Seiten – und einem neutralen Vorsitzenden, meist ist das ein Arbeitsrichter. Sie wollen nun, dass dieses Gremium auch bei strategischen Unternehmensentscheidungen zum Klimaschutz eingeschaltet werden kann?

So ist es. Und was dort entschieden wird, muss umgesetzt werden. Aber ich hoffe natürlich, dass die Dinge so gut laufen, dass die Leute gar nicht zur Einigungsstelle müssen. Dass man also gemeinsam etwas nach vorn entwickelt.

Letztlich könnte die Stimme des neutralen Vorsitzenden, also eines Arbeitsrichters, ausschlaggebend sein, ob eine betriebliche Strategie umgesetzt wird oder nicht.

Nur so lässt sich eine Patt-Situation vermeiden. In der Praxis vermittelt der Vorsitzende in der Regel einen Kompromiss zwischen den Betriebsparteien. Das Verfahren führt also dazu, dass Betriebsrat und Unternehmensleitung auf Augenhöhe verhandeln.

Die Arbeitgebervereinigung BDA lehnt eine solche Ausweitung der Mitbestimmung, wenig überraschend, ab.

Meinetwegen kann man die strategische Mitbestimmung auch befristet anwenden. Wir brauchen sie aber jetzt. Es steht momentan so viel zur Disposition, dass wir anders an den Drücker kommen müssen. Zu viele Unternehmen machen bisher zu wenig. Das zeigt nicht zuletzt unsere Betriebsräte-Befragung. Es geht um die Zukunft der Industrie in diesem Land, um gute Industriearbeits­plätze, ge­rade auch in neuen Feldern. Es geht um Klimaschutz. Und übrigens auch darum, etwas zu tun, damit die Parolen von Rechten und Rechtsextremen seltener verfangen. Die stellen sich ja gegen den ökologischen Umbau.

Mitbestimmung hilft gegen politischen Verdruss und die Hinwendung zu reaktionären und rechtsextremen Positionen?

Ja, klar! Es muss große Veränderungen geben, um das Klima zu schützen. Wenn man die Demokratie im Betrieb stärkt, wenn die Leute wirklich mitbestimmen können, wie das läuft, dann machen sie auch mit. Dann müssen sie keine Angst haben. Wir wollen nicht nur mehr Mitbestimmung für Betriebsräte, sondern auch mehr Möglichkeiten zur Partizipation von Beschäftigten. Das gehört für mich zusammen. Wir wollen die Leute im wahrsten Sinne des Wortes ermächtigen, damit sie in eine Situation kommen, wo sie selbst, mit ihrem Handeln, ihre Bedingungen verbessern können. Das ist etwas, womit man die Menschen sehr stärkt. Rechte, autoritäre Parolen verlieren ihre Anziehungskraft. Warum sollte ich nach einem starken Mann rufen, wenn ich selbst über meine Arbeitsbedingungen mitbestimmen kann, das ist ja ein wichtiger Lebensbereich. Betriebliche Demokratie stärkt gesellschaftliche Demokratie. Davon bin ich fest überzeugt, und das zeigen auch wissenschaftliche Erhebungen wie die Leipziger Autoritaris­mus-Studie.

Wie reagiert die Ampel-Koalition auf Ihre Forderungen? Wie schätzen Sie die Umsetzungschancen ein?

Wir sind mit der Koalition im Gespräch und bekommen Unterstützung, zum Beispiel aus der SPD. Aber klar: Das ist ein sehr dickes Brett, uns stehen große Auseinandersetzungen bevor. Doch wir müssen diese Debatte führen, weil so viel auf dem Spiel steht.

Die IG Metall setzt sich auch dafür ein, dass sich Beschäftigte einfacher weiterbilden können, damit sie nicht arbeitslos werden, wenn beispielsweise keine Verbrennungsmotoren mehr hergestellt werden. Auch hier soll der Betriebsrat mehr mitbestimmen können. Haben Sie eigentlich auch schon mal die Beschäftigten selbst gefragt, was sie künftig gern machen würden?

Natürlich.

Und was ist raus­­ge­­kommen?

Ich habe zusammen mit meinem Vorstandskollegen Hans-Jürgen Urban das Projekt »Gewerkschaftliche Weiterbildungsmentoren« aufgesetzt. Wir haben im ersten Schritt 200 Leute ausgebildet in den Betrieben, die Kolleginnen und Kollegen auf dem Hallenboden, in den Büros bei den ganzen Umbrüchen begleiten. Da befragen wir ständig die Leute: Was könnt ihr vielleicht jenseits eurer formalen Qualifikation? Wo sind eure Interessen? Aus solchen Initiativen ist zum Beispiel die Fakultät 73 bei VW entstanden. Wir haben rausgefunden, dass Leute, die keine formale IT-Qualifikation haben, privat programmieren und da Fähigkeiten besitzen. Diese Leute wurden dann weitergebildet, jetzt arbeiten sie zum Beispiel mit KI in der Qualitätskontrolle.

VW hat seit einiger Zeit große Probleme im Softwarebereich. Das hat nichts mit dem Projekt zu tun, oder?

Nein. Die Probleme haben unter anderem etwas mit den Zeitplänen des Managements und der Komplexität von Betriebssystemen zu tun. Mein Kollege Thorsten Gröger, der die IG Metall in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt leitet, hat schon im vorigen Jahr appelliert, die Zeitpläne auf eine realistische Basis zu stellen.

Warum sind Sie sicher, dass mehr betriebliche Demokratie auch mehr Klimaschutz zur Folge hätte? Man kann ja auch argumentieren: Für Beschäftigte in der Autoindustrie ist zunächst mal ihr Job wichtig. Klar, davon hängt ihre materielle Existenz ab. Also wollen vielleicht viele, dass sie möglichst lange weiter bei Porsche oder BMW arbeiten können, ohne mit 50 Jahren noch mal eine neue Ausbildung machen zu müssen.

Die IG Metall bekennt sich klar zu den Pariser Klimazielen. Es gibt ja kein Zurück. Wir müssen in Richtung Klimaneutralität arbeiten. Da sind wir unmissverständlich. Und die Beschäftigten sind sehr klug, mit ihnen kann man in neue Produktionsfelder gehen. Es sind Unternehmen, die bislang zu oft blockieren. Es gibt auch noch ein anderes Problem: Die Politik muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen, etwa bei der finanzierbaren Elek­tro­mobilität und den Ladesäulen. Daran hapert es zurzeit manchmal.

Was meinen Sie konkret?

Ich sage es mal ein bisschen zugespitzt: Wenn Beschäftigte die Erfahrung machen, dass sie nicht mehr zur Arbeit kommen, weil das Benzin so teuer ist und sie sich noch kein E-Auto leisten können, gibt es ein Problem. Oder wenn sie nicht wissen, wie sie mal eben 25 000 Euro aus dem Ärmel schütteln sollen für eine Wärmepumpe, solarbetrieben. Hier muss die Politik gute Lösungen finden. Ich hoffe, die Koalition hat aus den Erfahrungen mit dem Gebäudeenergiegesetz gelernt.

Noch mal zur Produktion: Die Umstellung auf E-Autos läuft bereits. Haben Unternehmen diesen Umbau genutzt, um die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, etwa in neuen Fabriken? Oder um Personal abzubauen?

Es gibt viele Unternehmen, bei denen wir das nicht erleben, etwa bei Auto­mobil­unternehmen, die stark mitbestimmt und tarifgebunden sind. Bei Zulieferern haben wir einen anderen Schnack. Hier wird die Transformation schon genutzt, um ein Argument zu finden, neue Produktion zu verlagern. Wir sehen, dass bestimmte Komponenten für Elektromobilität nicht in Deutschland gefertigt werden, sondern in einem Land, in dem die Subventionen höher und die Löhne niedriger sind.

Zum Beispiel?

Vitesco, eine Ausgliederung von Conti, stellt Inverter her, also das Teil, das man bei der Elektromobilität für die Energieumwandlung zum Motor braucht. Das Management hat mir die Komponenten ganz stolz gezeigt. Und als ich gefragt habe, wo die Inverter hergestellt werden, sagten sie: In Tschechien. Das wurde einfach so entschieden, ohne zu prüfen, ob das auch am Standort in Regensburg möglich ist – und schwupp, ist die Produktion weg.

Was ist Ihre Gegenstrategie?

Wir müssen strategisch vor die Welle kommen, indem wir mehr Mitbestimmung haben, bevor so eine Entscheidung getroffen wird. Damit wir Konzepte für die Standorte entwickeln und nicht nur einen Sozialplan aushandeln können, wenn schon alles entschieden ist. Da bin ich wieder beim Ausgangspunkt unseres Gesprächs.

Und Tesla …

… ist ein ganz schlechtes Beispiel, was die Arbeitsbedingungen anbelangt. Das hat eher etwas mit dem destruktiven Elon Musk zu tun als mit Elektroautos selbst. Es zeigt aber auch, dass eine ökologische Wende im schlechtesten Fall mit Sozialdumping einhergehen kann. Mit einer starken Mitbestimmung, mit richtig gut qualifizierten Betriebsräten und einem Tarifvertrag sähen die Arbeitsbedingungen bei Tesla anders aus. Hier steckt mein Kollege Dirk Schulze, der IG-Metall-Bezirksleiter von Berlin und Brandenburg, in den Details. Ich möchte im Sinne der neuen Teamarbeit auch auf ihn verweisen, wenn Sie sich genauer damit befassen wollen.

Sie meinen es ernst mit der Teamarbeit! In den letzten Wochen haben Sie ja immer wieder gesagt, dass Sie sich als neue Vorsitzende für Teamarbeit einsetzen wollen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Es geht darum, wie wir unsere Ziele am besten erreichen. Bei Auseinandersetzungen in Unternehmen, etwa um Standorte, stellen wir fest: Wenn wir uns bezirksübergreifend und bundesweit organisieren und gemeinsam in eine Richtung marschieren, sind wir sehr erfolgreich. Dann erzielen wir gute Ergebnisse, dann gewinnen wir Mitglieder, dann bewegen wir Menschen. Das neue Vorstandsteam, das sich auf dem Gewerkschaftstag zur Wahl stellt, hat sich nun vorgenommen, dass wir diese Erfahrungen weiterentwickeln. Wir wollen gerade bei der ökologischen und digitalen Transformation verzahnter arbeiten, unsere Kräfte noch stärker bündeln und sehr fokussiert arbeiten. Wir müssen noch schneller handlungsfähig werden, damit wir den Wandel sozialer hinkriegen. Ich bin sicher: Wenn wir unsere Ideen gemeinsam vorantreiben, werden sie eine ganz neue Dynamik entfalten. Das gilt auch für die Mitbestimmung.

Interview

Christiane Benner (55 Jahre) ist seit acht Jahren Zweite Vorsitzende der IG Metall. Im Mai hat sie der Vorstand als Erste Vorsitzende nominiert. Auf dem Gewerkschaftstag vom 22. bis 26. Oktober stellt sie sich zur Wahl. Wird sie gewählt, wogegen nichts spricht, ist sie die erste Frau an der Spitze der größten deutschen Gewerkschaft mit über 2,1 Millionen Mitgliedern.
 Auf die Frage, was dies für die IG Metall bedeute, sagte Benner dem »Tagesspiegel«: »Ich bin eine Frau, und ich mache meinen Job. So einfach ist das.« Andere Medien haben sie ebenfalls zu ihrem Frausein befragt. Wir haben es auch deshalb gelassen. Außerdem werden Männer auch nicht dauernd gefragt: Was bedeutet es, wenn schon wieder ein Mann an der Spitze steht? Wir wollten von Benner wissen, warum sie so nachdrücklich für mehr wirtschaftliche Demokratie eintritt.
 Auf dem Gewerkschaftstag wird der gesamte geschäftsführende Vorstand gewählt. Nominiert sind Jürgen Kerner als Zweiter Vor­sitzender (derzeit Hauptkassierer) und Nadine Boguslawski als Kassiererin (derzeit Erste Bevollmächtigte in Stuttgart). Hans-Jürgen Urban stellt sich als Vorstandsmitglied zur Wiederwahl. Als neues Mitglied ist Ralf Reinstädtler nominiert, bislang Erster Bevollmächtigter der Geschäftsstelle Homburg-Saarpfalz. Der derzeitige IG-Metall-Chef Jörg Hofmann tritt nicht wieder an, das Gleiche gilt für die bisherigen Vorstandsmitglieder Wolfgang Lemb, Ralf Kutzner und Irene Schulz. rt

Erstveröffentlicht im nd v. 7/8.10. 2023
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176805.ig-metall-vorsitzenden-christiane-benner-wir-wollen-ein-mitbestimmungsrecht-fuer-betriebsraete-beim-klimaschutz.html

Wir danken dem nd und der Kollegin Benner für das Abdruckrecht.

Allied Grounds: Public Talks – Umweltbewegung, grüner Kapitalismus, Arbeiter*innen Initiativen …

Allied Grounds: Public Talks an den Abenden des 5., 6. und 7. Oktobers im Haus der Demokratie und Menschenrechte

An den Abenden des 5., 6. und 7. Oktober lädt die Konferenz “Allied Grounds” die Öffentlichkeit zu Vorträgen ein. Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Kulturschaffende aus mehr als 25 Ländern werden die politisch-diskursiven Anliegen des Projekts “Allied Grounds” aus drei thematischen Perspektiven diskutieren: “Agents of System Change,” “Resisting Green Jobs,” and “Politics of Translation”. Alle Veranstaltungen finden um 19:00 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin, statt. Der Eintritt ist frei.

„Agents of System Change“ · 5. Oktober · 19:00 Uhr

Die moralische Kraft der Umweltbewegungen im Globalen Norden scheint unbestreitbar: Sie haben Recht, was die Zerstörung des Planeten und deren desaströse Folgen für die Mehrheit der Weltbevölkerung anbetrifft. Aber sind diese Bewegungen tatsächlich in der Lage, zu Agenten eines grundlegenden Wandels zu werden, nämlich des Übergangs vom Kapitalismus zum feministischen Ökosozialismus? Die Eröffnungsveranstaltung der „Allied Grounds“-Konferenz am Donnerstag, den 5. Oktober, wird uns dazu einladen, 1) das kämpfende globale Proletariat als Akteur eines systemischen Wandels neu zu bewerten, insbesondere die informellen Arbeiter*innen und Subsistenzarbeiter*innen, die zu „flüchtenden Arbeiter*innen“ geworden sind und 2) Ansätze zu diskutieren, die den für diesen Wandel notwendigen Boden für neue Allianzen bereiten. Referent*innen: Jennifer Kamau, Florin Poenaru. Moderation: Claudia Núñez.

„Resisting Green Jobs“ · 6. Oktober · 19:00 Uhr

„Grüne Jobs“ sind ein Projekt der herrschenden Klassen, um neue Möglichkeiten für exzessive Profitmacherei zu schaffen. Dagegen anzugehen bedeutet nicht zuletzt, einen Blick auf so unterschiedliche Arbeiter*innenorganisationen wie die großen Gewerkschaften und die Ableger des Anarchosyndikalismus zu werfen: Erliegen sie den Versprechungen des grünen Kapitals, oder kämpfen sie für wirklich nachhaltige Arbeitsplätze? Die zweite öffentliche „Allied Grounds“-Veranstaltung am Freitag, den 6. Oktober, wird die jüngsten Fälle einer ökologischen Politisierung innerhalb der Arbeiterinnenklasse in Süd- und Osteuropa erörtern und untersuchen, 1) wie Klimaaktivist*innen versuchen, den Boden für neue Allianzen mit Arbeiter*innen zu bereiten und 2) wie Forscher*innen in diesem Kontext einen Beitrag leisten können. Referent*innen: Svjetlana Nedimović, Paola Imperatore, Francesca Gabbriellini. Moderation: Rositsa Kratunkova.

„Politics of Translation“ · 7. Oktober · 19:00 Uhr

Arbeiter*innen aller Art übernehmen ihre Arbeitsplätze und organisieren sie nach horizontalen, nachhaltigen Prinzipien: ohne Chefs, ohne den Zwang, Profit zu machen, ohne die Trennung zwischen Produktion und Reproduktion. Gleichzeitig verändern und erweitern sich die Wertschöpfungsketten des Kapitals in einer Weise, die es schwieriger macht, aufbegehrende Arbeiter*innen zu identifizieren und zu vernetzen. Die dritte und letzte öffentliche Veranstaltung der „Allied Grounds“-Konferenz am Samstag, den 7. Oktober, wird der Frage nachgehen, wie eine Politik der Übersetzung aussehen könnte, die es ermöglicht, Kämpfe und Solidaritäten über verschiedene Räume, Maßstäbe und Subjektivitäten hinweg zu artikulieren und miteinander ins Gespräch zu bringen. Referenten: Dario Azzelini, Lorenzo Feltrin, Brett Neilson. Moderation: Anna Saave.

Wenn Sie Informationen über diese Veranstaltungen weiterleiten möchten, können Sie diesen Link verwenden: https://berlinergazette.de/de/allied-grounds-public-talks

Sie können unseren Beitrag auch über das soziale Netzwerk, formerly known as Twitter, teilen: https://twitter.com/berlinergazette/status/1706221705394274590

Zur Einstimmung auf die Konferenz können Sie sich einen Videovortrag von Harsha Walia über den Kampf der internationalistischen und multirassischen Arbeiter*innen gegen die Öko-Apartheid ansehen. Weiteres Material ist auf der Website des Projekts „Allied Grounds“ zu finden.

Foto Titelbild :Öffentlicher Vortrag auf der BG-Konferenz 2019. Foto: Norman Posselt.

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