Faschistische Regierung in Italien – alles ganz normal?

Von Angela Klein

Der erdrutschartige Wahlsieg der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia bei den jüngsten Parlamentswahlen wird von italienischen Marxisten als „Wendepunkt historischen Ausmaßes“ bezeichnet. Denn er bringt eine Partei an die Macht, die das Erbe des Faschismus antritt.

Der Antifaschismus ist Bestandteil der italienischen Verfassung und eigentlich sind faschistische Parteien von der Regierungsbildung ausgeschlossen. Und jetzt ist Giorgia Meloni neue Regierungschefin. Sie ist ein Sproß der MSI, der Italienischen SozialBewegung, gegründet 1946 als Nachfolgerin der Republikanisch-Faschistischen Partei von Mussolini. Bisher kam sie als Regierungspartei deshalb nie infrage.

Als Berlusconi Mitte der 90er Jahre eine Regierung zusammen mit Gianfranco Fini bilden wollte, der ebenso wie Meloni aus der MSI hervorgegangen war, kam er nicht umhin, eine neue Partei zu gründen, die Alleanza Nazionale (AN). Und diese musste auf ihrem Gründungskongress 1995 feierlich erklären: „Der Antifaschismus war ein historisch wesentlicher Moment für die Rückkehr der demokratischen Werte, die der Faschismus mit Füßen getreten hatte“.

Melonis Partei Fratelli d’Italia ist eine rechte Abspaltung der Alleanza Nazionale, sie versammelte die Leute, denen die bürgerliche Wendung dieser Partei nicht gepasst hat. Parteichefin Meloni betont bis heute, sie habe zum Faschismus ein „unbeschwertes Verhältnis“.

Für die Geschäftswelt war die Regierungsübernahme dieser Partei kein Aufreger, weder in Italien noch in Deutschland. Sie hat sie einfach abgenickt – ein Wahlsieg wie jeder andere. Offenbar sind Faschisten kein Schreckgespenst mehr. Das konservative Leitorgan FAZ forderte sogar „Respekt für eine Wahl“. Da Melonis Vorgänger im Amt, der Interims-Ministerpräsident Mario Draghi, nicht gewählt, sondern ernannt worden war, meinte die FAZ, das neue Rechtsbündnis vor Anfeindungen schützen zu müssen: Es sei ein „erster Schritt bei der Rückkehr zum verfassungsgemäßen Prozess der demokratischen Willens- und Regierungsbildung“ gegangen worden“. Zuvor hatte sie Draghi als „Retter der Nation“ gefeiert.

Die Novemberausgabe der Zeitschrift konkret kommentiert zu Recht: „Es war schon immer ein Trugschluss zu meinen, zwischen der liberalen Demokratie und dem Faschismus gebe es eine Brandmauer. Demokratie bedeutet dem Bürgertum nur Herrschaft nach Recht und Gesetz.“ Das fordert der Markt, der ist seit alters her für sein Funktionieren darauf angewiesen, dass ihm ein Machthaber Rechtssicherheit verschafft – gleich ob Despot oder nicht. Wenn Faschisten in diese Position hineingewählt werden, ist das vielleicht nicht schön, aber als „Wille des Souveräns“ hinzunehmen. Auch Hitler ist schließlich legal an die Macht gekommen (nachdem er zuvor massiv mit Geldern der Hochfinanz gepuscht worden war) – und das hat dem bürgerlichen Antifaschismus immer eine enge Grenze gesetzt. „Wer an der vermeintlichen Dichotomie von Demokratie und Faschismus festhält“, schreibt Rolf Surmann in der Zeitschrift, „trägt lediglich zur Affirmation der bestehenden Ordnung bei“.

Grund für die verständnisvolle Reaktion im bürgerlichen Lager ist schnell ausgemacht: Die neue Regierungschefin steht stramm hinter der NATO und poltert auch nicht – anders als früher Berlusconi – gegen die EU, zumal sie von ihr gerade 190 Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der Folgen der Pandemie haben will. Sie arbeitet von innen gegen die bestehenden Strukturen. Meloni und ihre Partei betonen den Vorrang nationaler Interessen: „Italien muss wieder dahin zurückkehren, zuerst seine nationalen Interessen zu verteidigen“, sagt sie etwa auf einer Veranstaltung in Mailand. Italien lasse sich von europäischen Partnern und Brüssel herumkommandieren und sei nicht gleichberechtigt. Ihr schwebt ein konföderales Modell vor, in dem Europa sich um die „großen Fragen“ kümmert, bei denen sich die Nationalstaaten in einer globalisierten Welt „als unzulänglich“ erweisen, während alles andere von den Nationalstaaten übernommen wird. Ihre Fraktion hat einen Gesetzesentwurf in der Schublade, der den Primat des nationalen Rechts über das europäische Recht festschreibt. Damit wäre ein Kernstück der EU, nämlich der Europäische Gerichtshof, aus den Angeln gehoben – und die EU in ihrer jetzigen Form am Ende. Für eine Änderung der italienischen Verfassung fehlt ihr allerdings die Zweidrittelmehrheit im Parlament. „Daher könnte Meloni umso mehr bemüht sein, gemeinsam mit den rechtsextremen Fraktionspartnern im Europaparlament, der polnischen PiS und der spanischen Vox, den Rechtsstaatsmechanismus zugunsten einer ‚Union der freien europäischen Völker‘ außer Kraft zu setzen“, schreibt Surmann.

Meloni hat ihr Programm unter das Dreigestirn „Gott, Familie, Vaterland“ gestellt. Der neue Patriotismus richtet sich in allererster Linie gegen Migrant:innen. Für die wird es immer schwerer, italienische Küsten zu erreichen; und solche, die sich bereits im Land befinden, werden es noch schwerer haben, Zugang zu Sozialleistungen zu bekommen. Gern würde Meloni vor der libyschen Küste eine Seeblockade errichten.

Der zweite Grund aber, und er ist es, der Meloni in den Augen von Unternehmern so akzeptabel macht, ist ihr völlig neoliberales Programm. Da unterscheidet sie sich nicht von Draghi. Projekte wie die Hochgeschwindigkeitstrasse von Lyon nach Turin oder die Brücke über die Meerenge von Messina werden weitergeführt. Das erst 2019 eingeführte Bürgereinkommen, eine italienische Version des Grundeinkommens, soll gekürzt und vielleicht sogar ganz abgeschafft werden. Die sieben Milliarden, die dafür vorgesehen sind, werden an Unternehmen umgeleitet. Melonis Partei macht das Bürgereinkommen für den Arbeitskräftemangel im Dienstleistungssektor verantwortlich. Nach Angaben der Statistischen Behörde hat es über einer Million Menschen in Italien aus der Armut geholfen.

Im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit dieser Regierung stehen weder die Armen noch die arbeitenden Menschen, sondern die Kleinunternehmer und Selbständigen. Von denen gibt es in Italien mehr als in anderen Ländern. Der Dienstleistungsbereich macht mittlerweile 74 Prozent der Wertschöpfung aus. Die dynamischsten Sektoren sind haushaltsnahe Dienstleistungen für Privathaushalte und der Billigtourismus. Über 12 Millionen Arbeiter:innen (von insgesamt 18 Millionen) arbeiten im Dienstleistungssektor, zusätzlich 3 Millionen Kleinunternehmen und 5 Millionen „Selbständige“. Für die italienische Politik ist das eine wichtige Größe – und das schon seit langem. Noch vor der endgültigen Niederlage des Faschismus hat die Kommunistische Partei Italiens (PCI) 1944 beschlossen, den Aufbau von Organisationen von Kleinunternehmern zu fördern – mit erheblichem Erfolg. Sie förderte die Bildung des Verbands der Tankstellenbesitzer, der Straßen- und Kleinhändler, der Handelsvertreter usw. 1971 gründeten sie einen landesweiten Dachverband, der seine Tätigkeit auf die gesamte Welt des Handels ausdehnte. Sie förderte die Bildung des Dachverbands der Handwerker und der kleinen und mittleren Unternehmen. Diese Verbände verschafften der PCI erheblichen politischen Einfluss und waren zugleich die Säule des Reformismus in der PCI. Heute stehen diese Organisationen alle rechts.

Der Zusammenbruch der sozialen Solidarität ist inzwischen eine statistische Größe. Immer mehr Menschen beklagen, dass sie sich auf ihre Freunde nicht mehr verlassen können, auch die Unzufriedenheit mit den familiären Beziehungen nimmt zu, vor allem unter Jugendlichen. Wo das soziale Gefüge zerstört ist, greift der Glaube an eine autoritäre Herrschaft um sich.

Erschien in der Dezemberausgabe 2022 der „Sozialistischen Zeitung“
https://www.sozonline.de/

Wir danken der SoZ-Redaktion für das Abdruckrecht.


			

Europe for Peace  – über 100.000 Menschen fordern in Rom einen sofortigen Waffenstillstand und den Beginn internationaler Friedensverhandlungen für die Ukraine

Martin Köhler

“Unser Schrei nach Frieden ist stärker als der Lärm der Bomben, und er wird noch stärker werden, wenn er auf anderen Plätzen Europa’s weitergetragen wird”  (Gianfranco Pagliarulo, Präsident ANPI, Associazione Nazionale Partigiani d’Italia)

Rom, 5. Nov 2022

Die Atmosphäre auf dem Versammlungsort Piazza Repubblica an diesem römischen Herbsttag ist eine des Staunens: über die Menge an Menschen, die sich der Kriegslogik von Medien und Politik entziehen. Und eine der Freude: wie erleichternd es ist, nach acht Monaten dieses Krieges endlich wieder die eigene Stimme laut und öffentlich zu vernehmen und mit vielen anderen zu teilen. 

Der von über 600 Organisationen unterstützte Aufruf der Plattform “Europe for Peace”, fordert einen sofortiger Waffenstillstand, um eine internationale Friedenskonferenz unter der Schirmherrschaft der UN zu ermöglichen, sowie die Ächtung aller Atomwaffen, um der Perpektive einer nuklearen Ausweitung des Ukrainekrieges wirksam entgegenzutreten (Aufruf in deutsch unter  https://sbilanciamoci.info/nationale-friedens-demonstration-in-rom-am-5-november/ ). Unter den Redebeiträgen auch eine Grußbotschaft von der Gewaltfreien Bewegung der Ukraine und eines nach Littauen geflüchteten russischen Kriegsdienstverweigerers. In vielen Beiträgen wird die Nähe zu allen Opfern dieses Krieges betont, die Unterstützung des ukrainischen Volkes und der vielen ukrainischen Flüchtlinge. Oft hört man den Satz “die Antithese zum Krieg ist die Sorge”, ein Anklang an neue Formen der Solidarität, die mit der Covid-Pandemie entstanden sind. Der Erfolg der heutigen Friedensdemonstration in Rom soll – so klingt es in vielen Redebeiträgen an – ähnliche Initiativen in anderen europäischen Hauptstädten ermuntern, um der Zivilgesellschaft endlich zu einer kraftvollen Stimme zur Beendigung dieses Krieges zu verhelfen: in der Tat, wir brauchen endlich ein Europe for Peace.

Diesem Tag vorausgegangen sind Monate der geduldigen Koalitionsarbeit vieler Akteure, die eine Breite erzeugt hat wie sie zuletzt in den 80er Jahren der Bewegung gegen atomare Mittelstreckenraketen und in den Nuller-Jahren des Protests gegen den Krieg im Irak zustande kam. Zentral dabei die Verständigung der traditionellen Friedensorganisationen mit den katholischen Basisgruppen und den Gewerkschaften. Diese neue Form der Koalitionsarbeit, mit der alte Dogmen und politische Schismen überwunden wurde, hat neue Protagonisten geschaffen. Niemand hat hier wohl erwartet, daß das wichtigste Sprachrohr in der politischen Mobilisierung für diese Demonstration ausgerechnet die konservative katholische Tageszeitung “Avvenire” würde. Niemand wäre auf die Idee gekommen, daß eine gewerkschaftliche Initiative auf der kleinen sizilianischen Insel Pantelleria das Streaming der Abschlußkundgebung organisieren würde, weil die dortigen lokalen Gruppen es zeitlich nicht geschafft hätten, nach Rom zu kommen.

Diese neue Zusammenarbeit auf der Basis einer gemeinsamen inhaltlichen Plattform ist über eine lange Zeit in lokalen Aktionen getestet worden. Am 23. Juli fanden dezentrale Aktionen in über 30 Städten in Italien statt, mit zumeist spärlicher Beteiligung und entsprechend ohne öffentliche Resonanz. Das hat die Akteure nicht entmutigt. Am Wochenende des 23. Oktober  – der 23stigste stand jeweils für den Tag des Beginnes der russischen Invasion der Ukraine – , waren es bereits über 30.000 Beteiligte in über 100 lokalen Intiativen. Doch es blieb ohne größere öffentliche Resonanz, auch weil vielen Akteuren noch der Mut fehlte. Ich selbst war an diesem Tag auf einer Fackel-Andacht in einer Ecke des römischen Rathausplatzes Campidoglio, wo sich 300 Menschen so versammelten, als ob sie nicht von allzuvielen Passanten gesehen werden wollten.

Diese Scheu hat sich über die immer unverhaltener geäußerte Bereitschaft aller Kriegsbeteiligten, den Einsatz von Nuklearwaffen in Kauf zu nehmen, geändert. Es wird damit an einem Taboo gerührt, das die Mehrheit der Menschen zum Glück immer noch bewegt. Die Friedenskoalition ergänzte die Aktions-Plattform um die Ächtung und das Verbot aller Atomwaffen.

Auf der Demonstration waren parteipolitische Fahnen nicht erlaubt. Die Organisatoren beharrten erfolgreich auf ihrer Forderung, daß die Demo nicht der Ort sein dürfe, an dem nach der Wahl der Mitte-Rechts-Regierung von Giorgia Meloni nationale politische Fehden beglichen würden. In der Tat beteiligten sich die Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partito Democratico (Letta) und der 5-Sterne-Bewegung (Conte) als Privatpersonen. 

Interessant jedoch, wie das politische Establishment auf die Demo reagierte. Der Vorsitzende des neuen “Terzo Polo” Carlo Calenda organisierte in Hast eine alternative “Friedensdemo” in Mailand, auf der er vor etwa tausend Teilnehmenden den “Frieden als den Erfolg des ukrainischen Widerstandes gegen die russischen Invasoren” definierte und der Demo in Rom Scheinheiligkeit vorwarf. In den abendlichen Tagesschauen der öffentlichen Sendeanstalten wurde daraus: zwei Friedensdemos mit einigen zig-tausend Teilnehmenden jeweils und mit verschiedenen Friedensideen, “der Krieg des Friedens auf den öffentlichen Plätzen Italiens”.  

Die beste Antwort auf diese politischen Unverschämtheiten sind ähnlich große Demonstrationen auch in anderen europäischen Hauptstädten. Daran zu arbeiten sollte nach dem Erfolg der Friedensbewegung in Italien nun einfacher geworden sein.

Martin Köhler ist Ko-Author des Buches “I Pacifisti e l’Ucraina, Le alternative alla guerra in Europa”, erschienen im März 2022 in der Reihe “sbilibri” der italienischen NRO “Sbilanciamoci”, und aktiv in deren internationaler Friedensarbeit.

Quelle:
https://sbilanciamoci.info/

Wir danken dem Autor für das Abdruckrecht.

[Berlin] 27. Griechischer Salon: „Goldene Morgenröte. Unser aller Angelegenheit“ Filmvorführung und Diskussion am 29. Oktober 2022

WO | Regenbogenkino / Regenbogenfabrik, Berlin-Kreuzberg, Lausitzer Str. 22

WANN | Samstag (!), 29. Oktober 2022, 19:30 Uhr

Fünf Jahre nach ihrem Dokumentarfilm „Goldene Morgenröte. Eine persönliche Angelegenheit“ hat Angélique Kourounis mit ihrem neuen Film eine Fortsetzung und Einordnung des Themas vorgelegt.

Im Mittelpunkt der Dokumentation aus dem Jahr 2021 steht der Verlauf des fünfeinhalb Jahre dauernden Gerichtsverfahrens gegen die Führungskader der Nazipartei Goldene Morgenröte. Im Oktober 2021 wurden die Angeklagten als kriminelle Vereinigung zu langen Haftstrafen verurteilt.

Der Film ist nicht nur chronologische Berichterstattung über das Gerichtsverfahren. Er zeigt auch das Anwachsen des antifaschistischen Bewusstseins in der griechischen Zivilgesellschaft und spiegelt die Versuche wider, eine passende Antwort auf den Anstieg des Faschismus zu geben. So wird in dem Film der Frage nachgegangen, wie in Europa auf den Vormarsch der extremen Rechten zu reagieren ist. Wie soll dieser Kampf geführt werden?

Darüber hinaus gibt die Dokumentation Einblicke in die Funktionsweise der Goldenen Morgenröte und begleitet Magda Fyssa, die Mutter des im Jahr 2013 ermordeten linken Rappers Pavlos Fyssas.

GR 2021 | 117 Minuten | Orig. (griechisch) mit deutschen Untertiteln

Der Eintritt ist frei – eine kleine Spende wird erbeten.

Der nunmehr 27. GRIECHISCHE SALON wird präsentiert vom Bündnis Griechenlandsolidarität Berlin in Zusammenarbeit mit der Regenbogenfabrik, SoliOli und attac Berlin.
Unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Ausführliche Berichte zu Griechenland sowie weitere Infos und Kontakt zur bundesweiten Soli-Bewegung für Griechenland findet ihr unter: https://griechenlandsoli.com.

(Textquelle: Auszüge einer Filmankündigung des Buchladens „Schwarze Risse“ Berlin)

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