Die Friedensstatue Ari in Moabit ist nur bis Ende September geduldet. Der Kampf um den Erhalt geht weiter

Gewerkschaften, Antifaschist*innen, Grüne Jugend und Korea-Verband demonstrierten vor dem Rathaus Mitte für die Friedensstatue Ari. Die Bezirksverordneten stimmten für den Erhalt. Doch die Bezirksbürgermeisterin lenkt nicht ein.

Von Jule Meier

Bilder: Jochen Gester

»Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Ari klaut«, ruft eine Frau vor dem Rathaus Berlin-Mitte ins Mikrofon. Ein Kopf lugt aus dem Amtsgebäude an der Karl-Marx-Allee hervor. Immer wieder animiert die Frau am Donnerstag mehrere hundert Menschen zu einem Sprechchor. Die Leute sind zur Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vor das Rathaus gekommen. Es geht um eine Ari genannte Friedensstatue, die ein koreanisches Mädchen zeigt. Diese Statue steht auf dem Unionsplatz in Berlin-Moabit und erinnert an die sogenannten Trostfrauen, die während des Zweiten Weltkriegs systematisch vom japanischen Militär versklavt und vergewaltigt wurden. Initiiert hatte das Mahnmal im Jahr 2020 der Korea-Verband. Doch die Duldung der Statue läuft am 28. September aus.



Für die Demonstrierenden und für die über 3000 Personen, die eine Petition unterzeichneten, dass die Statue stehen bleiben darf, ist Ari ein wichtiger Anker im Kiez. Sie erinnert nicht nur an die Trostfrauen, sondern ermöglicht eine öffentliche Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt im Krieg. Bis zuletzt war Ari Teil des demokratiefördernden Bildungsprojekts »Setz dich neben mich«, in dem sich Jugendliche mit patriarchaler Gewalt beschäftigten.

Sowohl der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) als auch Vertreter*innen der japanischen Regierung werden verdächtigt, eine weitere Förderung dieses Bildungsprojekts verhindert zu haben. Seit kurzem ist bekannt, dass eine anderes Denkmal Ari ersetzen soll. Beim Verein SASVIC, der sich dafür einsetzt, gibt es Verbindungen zur Rüstungsindustrie.

»Einseitig« und »temporär« lauten die zwei Schlüsselwörter bei den Argumenten, Ari abzuräumen. Berlins Regierender Bürgermeister Wegner kündigte im Frühjahr nach seinem Besuch in der Partnerstadt Tokio Veränderungen für Ari an. Er sprach wie auch die japanische Botschaft von einer »einseitigen« Darstellung der Geschichte. Mittes Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) sagte mehrfach, dass Kunstwerke im öffentlichen Raum nur temporär und maximal zwei Jahre stehen könnten. So laute die rechtsetzende Praxis im Bezirk, wie ihre Pressestelle dem »nd« erklärte. Laut Recherchen des Senders RBB gibt es im Bezirk Mitte jedoch auch Ausnahmen, wie beispielsweise die Statue »Memorias Urbanas« auf dem Bethlehemkirchplatz, die sich dort seit zehn Jahren befindet.

Auf dem Platz vor dem Rathaus Mitte versammeln sich am Donnerstag zahlreiche Gruppen. Ari stehe nicht, wie die Bezirksbürgermeisterin es meine, nur für koreanische Frauen, sondern für alle Opfer sexualisierter Gewalt und gegen Krieg, sagt Hans Köbrich von der Gewerkschaft IG Metall. Dies zeige sich auch an der breiten Unterstützung. »Alle Argumente für den Verbleib Aris sind bekannt«, sagt Gudrun Hagemann von den Omas gegen Rechts. Es sei »widersinnig zu glauben, Ari würde ein anderes Denkmal gegen sexualisierte Gewalt nicht wollen«. Hagemann findet, beide Denkmäler könnten koexistieren.

»Es ist ein wichtiger Teil migrantischen Selbstbewusstseins, Deutungshoheit über die eigene Geschichte zu haben«Trang Trân Migrationsrat Berlin

Leonie Wingerath von der Grünen Jugend sagt, die Bewerbung von SASVIC für ein anderes Friedensdenkmal werfe Fragen auf. Wingerath erwartet von Bezirksbürgermeisterin Remlinger, dass diese ihr Wort halte und mit dem Korea-Verband eine Lösung für den Erhalt der Trostfrauen-Statue findet. »Es wäre einer feministischen Partei nicht würdig, ein von der Zivilgesellschaft so breit getragenes Kriegsdenkmal zu sexualisierter Gewalt einfach abzubauen.« Die Grüne Jugend will weiter für die Erinnerung an die Trostfrauen kämpfen, »erst recht dann – wenn es ungemütlich wird«.

»Ich habe selten Schüler*innen so engagiert zuhörend, mitmachend und aufmerksam miteinander arbeiten und diskutieren gesehen«, erzählt ein Geschichtslehrer der Fritz-Karsen-Schule. Aussagen der japanischen Botschaft empfindet er als »hochgradig beleidigend«. Der Lehrer ist mit mehreren Schülern*innen gekommen, die im Bildungsprojekt »Setz dich neben mich« mit Ari gearbeitet haben. »Wir lassen Ari nicht allein«, rufen die Schüler*innen. Sie sprechen alle, obwohl sehr aufgeregt, zu den Demonstrierenden. »Gerade in unserer Zeit ist es wichtig, den Schrecken von Krieg sichtbar zu machen und weitere Kriege zu verhindern«, sagt beispielsweise Schüler Paul.

Während der Demonstration läuft Bezirksbürgermeisterin Remlinger unter lauten Buh-Rufen ins Rathaus Mitte. »Die Friedensstatue muss bleiben«, wird ihr nachgeschickt. So will es auch der für die BVV-Sitzung eingereichte Anwohner*innen-Antrag zum dauerhaften Erhalt der Statue, der mehr als 1600 geprüfte Unterschriften bekommen hat. Ein weiterer Antrag kommt von den Fraktionen von Linke, Grünen und SPD. Dieser fordert das Bezirksamt auf, rechtlich zu prüfen, wie Ari auf Dauer geduldet werden könnte. Außerdem stellte die Linksfraktion eine Große Anfrage, um das Antragsverfahren der Kommission von Kunst im Stadtraum transparent zu machen. Diese Kommission entscheidet nicht nur über Ari, sondern auch über ein Denkmal wie es dem Verein SASVIC vorschwebt.

Die Bezirksverordnete Ingrid Bertermann (Linke) bedauert, Stefanie Remlinger habe sich in der Sitzung »keinen Zentimeter bewegt.« Wie bereits drei Mal zuvor beschließt die BVV mit den Stimmen der Linken, der Grünen und der SPD, dass Ari bleiben soll und eine weitere Duldung rechtlich geprüft werden soll. Die Bezirksverordneten von CDU, FDP und AfD stimmen dagegen oder enthalten sich.

Interessant ist, dass Stefanie Remlinger laut Bertermann am Donnerstag mehrfach von einem »Gegenentwurf« zu Ari gesprochen hat. Remlinger biete als Kompromiss einen Umzug von Ari auf ein privates Grundstück an, ohne eine konkrete Fläche dafür zu haben. Wenn Ari abgeschoben wird, werde der internationale Druck nicht abnehmen, ist Bertermann sicher.

»Ihr solltet euch schämen«, sagt Nataly Jung-Hwa Han, Vorstandsvorsitzende des Korea-Verbands, zu den Gegnern von Ari. Mehr als ein Jahrhundert hat es die Trostfrauen aus Japan, Korea, Taiwan und anderen südostasiatischen Ländern gekostet, bis ihre Geschichte wahrgenommen wurde. »Es ist ein wichtiger Teil migrantischen Selbstbewusstseins, Deutungshoheit über die eigene Geschichte zu haben«, sagt Trang Trân vom Migrationsrat Berlin.

Erstveröffentlicht im nd v. 23.9.2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185451.erhalt-der-friedensstatue-berlin-demonstration-fuer-das-trostfrauen-denkmal-ari.html?sstr=Trostfrauen

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Kanonenbootpolitik 2.0

Deutsche Kriegsschiffe vor China

Von Raul Zelik

Bild: Fregatte „Baden-Württemberg“. Quelle: flickr

Die Militarisierung der deutschen Politik schreitet weiter munter voran. Diesmal führt das grüngeleitete Außenministerium die Truppen in den ostasiatischen Raum. Bislang lässt das Außenministerium offen, ob die Fregatte »Baden-Württemberg« und das Versorgungsschiff »Frankfurt« die Meerenge von Taiwan tatsächlich durchfahren werden. Gut gelaunt verkündete der grüne Staatsminister Tobias Lindner bei einem Besuch in Tokio, man sei nicht verpflichtet, Peking um Erlaubnis zu fragen, da es sich um internationale Gewässer handele. Es gelte die »wertebasierte Ordnung« zu verteidigen, erläuterte Lindner. Und der mitgereiste Marine-Inspekteur assistierte, Kriegsschiffe seien zur Sicherung von Handelsrouten unverzichtbar: »No shipping, no shopping.«

Forsch segelt Deutschland damit in Richtung eines neuen brandgefährlichen Konflikts. Denn völkerrechtlich ist in der Taiwan-Frage vieles hochumstritten. Über Jahrhunderte gehörte die Insel zu China, wurde 1895 von Japan besetzt und fiel 1945 zurück an Peking. Nach dem Sieg der Kommunisten 1949 verschanzte sich die rechtsnationalistische Kuomintang-Regierung auf der Insel und beanspruchte zunächst, Gesamt-China zu repräsentieren. Dass eine Mehrheit der Taiwanes*innen heutzutage die Unabhängigkeit befürwortet, ist vermutlich richtig. Aber das Völkerrecht sieht eine Unabhängigkeit wegen mangelnder politischer Freiheiten nicht vor. Verbürgt ist nur das Selbstbestimmungsrecht einer Nation ohne Staat.  

Man stelle sich die Sache umgekehrt vor: Die Balearen hätten sich unabhängig erklärt, und die Volksrepublik China würde zum Schutz Mallorcas Kriegsschiffe ins Mittelmeer verlegen. Vermutlich wäre sich die europäische Öffentlichkeit schnell darin einig, dass es sich hierbei um eine inakzeptable Provokation handelt.

Was die Entsendung deutscher Kriegsschiffe angeht, ist die Sache sogar noch eindeutiger. Deutschland war zwischen 1898 und 1919 Kolonialmacht in China und federführend an der Niederschlagung des Boxeraufstands beteiligt. 1900 sorgte Kaiser Wilhelm II. für die Zusammenstellung einer internationalen Strafexpedition, zu der sich Briten, Amerikaner, Russen, Japaner, Franzosen und Deutsche in überraschender Eintracht zusammenfanden. Die Militäroperation kostete mehr als 100 000 Chines*innen das Leben.

Gewiss: Die VR China verhält sich gegenüber ihren Nachbarn nicht minder imperialistisch als die westlichen Verbündeten. Aber die Entsendung deutscher Kriegsschiffe bleibt eine neokoloniale Geste, die an die »Kanonenbootpolitik« der Jahrhundertwende erinnert. Zu den Skurrilitäten der Grünen gehört es, dass sie in Museen zur »De-Kolonisierung« aufrufen, im geopolitischen Konflikt hingegen ganz auf die neoimperiale Karte setzen. Denn in Taiwan geht es genau darum: Der Chip-Hersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing Company produziert die Hälfte aller Halbleiter weltweit. Bei den modernsten Varianten liegt der Weltmarktanteil sogar bei über 90 Prozent. Fiele Taiwan an Peking, würde die Volksrepublik dieSchlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts kontrollieren. Das sind die »Werte«, die hier verhandelt werden.  

Erstveröffentlicht im nd v. 31.8. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184891.taiwan-kanonenbootpolitik.html?sstr=Zelik

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EU-Lieferkettengesetz: Am anderen Ende der Lieferkette: Hungerlohn und ein Leben im Slum

Von Felix Lill

Khalid Hossain kommt ins Schwärmen, wenn er von den Entwicklungen in seiner Branche berichtet. »Wir befinden uns auf einer aufregenden Reise«, ruft der gepflegt rasierte Mann im beigen Anzug, während er ein Mikrofon dicht vor seinen Mund hält. Dutzende Studierende sitzen ihm in einer Aula gegenüber und machen fleißig Notizen. »Wir machen wirklich große Fortschritte«, wiederholt Hossain. Und das sei für alle hier Anwesenden eine gute Nachricht. Denn wenn sie erst fertig studiert haben, werde es für sie mehr gute Jobs geben als je zuvor.

Hossain sitzt auf dem Podium eines Hörsaals der BGMEA University of Fashion and Technology, einer der führenden Hochschulen für alle möglichen Spezialfächer rund um Textilien in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Als führender Vertreter der Bangladesh Apparel Exchange, eines Verbands der hiesigen Textilindustrie, weiß Khalid Hossain, wovon er spricht. »Wir können wirklich damit prahlen, was wir alles geschafft haben in den letzten Jahren.« Die Branche werde nämlich nicht nur wachsen: Sie werde nachhaltig wachsen.

Kein Zufall, dass er so etwas bei genau dieser Veranstaltung sagt. Übersetzt trägt sie den Titel »Das Dilemma um den Textilhandel zwischen Bangladesch und Deutschland: Schnelles Wachstum mit Nachhaltigkeit in Einklang bringen.« Immerhin nimmt Deutschland, Bangladeschs zweitgrößter Abnehmer von Exporten, seit Kurzem eine Vorreiterrolle ein, wenn es um den Versuch der Vereinbarung dieser zwei oft widerstreitenden Ziele geht: Das 2021 verabschiedete Lieferkettengesetz soll sicherstellen, dass künftig Menschenrechte und Umweltstandards geschützt werden.

Und in Zukunft soll dies zum Standard werden. Denn Mitte März beschloss die Europäische Union zusätzlich das EU-Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Für Länder wie Bangladesch – dem nach China zweitgrößten Textilexporteur der Welt – müsste sich damit einiges ändern. Und dies ist es, was Khalid Hossain vor den Studierenden nicht müde wird zu betonen. Mit viel Verve in der Stimme verspricht er: »Wir sind führend, wenn es um nachhaltiges Wachstum geht!« Denn bei der Ausarbeitung der neuen Gesetze sei man im engen Austausch mit Deutschland und der EU gewesen. Die Studierenden nicken.

Kaum irgendwo sind Gesetze, die Lieferketten überwachen, so wichtig wie in Bangladesch. Im südasiatischen 175-Millionen-Land arbeiten rund vier Millionen Menschen im Textilsektor. Die Branche ist die größte der heimischen Volkswirtschaft, steuert mehr als zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und befindet sich seit Jahrzehnten auf Wachstumskurs. Auch deshalb führt der nationale Industrieverband BGMEA (Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association) – mit dem auch die Bangladesh Apparel Exchange von Khalid Hossain verbunden ist – seit einigen Jahren diese moderne Hochschule am Rande von Dhaka.

Aber reich geworden am Textilboom im Land sind eher die produzierenden Betriebe. Diejenigen, die unter hohen Temperaturen oft zwölf Stunden am Tag an den Nähmaschinen arbeiten, müssen nicht nur mit niedrigen Löhnen auskommen. Sie waren und sind auch immer wieder Gefahren ausgesetzt. Der bekannteste Vorfall – wenn auch nur der schlimmste unter vielen – war der Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik nahe Dhaka im Jahr 2013, als über 1100 Menschen starben und mehr als 2000 verletzt wurden. Die Fabrik produzierte für Firmen wie Primark, Benetton, Mango und Kik.

Erstveröffentlich im nd v. 3.4. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181349.schuldenreport-schuldenreport-die-offenen-adern-des-suedens.html?sstr=Die|offenen|Adern|des|S%C3%BCdens

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