Für FFF Veranstalter Berlin – Antikapitalistische und sozialistische Kritik unerwünscht

Polizeilicher Übergriff beim Friday for Future Streik am 15.9.2023 in Berlin. Auf das Rote Antiquariat, Sol, SAV, Der Funke und die MLPD . Auf Anweisung der Veranstaltungsleitung Friday for Future. Antikapitalismus und Sozialismus mutmasslich unerwünscht!

Pressemitteilung des Roten Antiquariats vom 15.09.2023:

„Das Rote Antiquariat hatte bei der heutigen Auftaktkundgebung des Klima-Streiks in Berlin neben den Gruppen Sozialistische Organisation Solidarität Sol, Der Funke und der MLPD einen mobilen Bücherstand auf einem Lastenrad mit Hänger aufgebaut. Gegen kurz nach 12 Uhr kamen Polizisten und eine Ordnerin von Friday for Future und haben den Abbau der Stände verlangt. Auch nach geforderter Rücksprache mit dem Veranstalter blieb es bei dieser Aufforderung, diesmal jedoch mit der verbundenen Drohung, dass die Stände innerhalb von zehn Minuten abgebaut sein müssen, ansonsten würde der Bücherstand beschlagnahmt werden und eine Festnahme erfolgen. Wir wichen der Gewalt.

Polizei holt sich Order von den Ordnern der Veranstalter

Friday for Futur hat somit mit Hilfe der Polizei den Vertrieb antifaschistischer und sozialistischer Literatur unterbunden. Welche Gefahr von Schriften von Karl Marx, Rosa Luxemburg, Theodor W. Adorno, Inge Deutschkron, Erich Kästner, Günter Wallraff, Erich Fromm, Ernst Bloch u.a. ausgehen, muss Friday for Future beantworten.

Ein solches Vorgehen gegen einen Bücherstand und politische Stände der sozialistischen Linken gab es schon sehr lange nicht mehr in Berlin. Das dies auf Anweisung des Veranstalters geschehen ist, ist ein Armutszeugnis für Friday for Future und hinterlässt einige Fragen.

Kontakt: Rotes Antiquariat, Rungestraße 20, 10179 Berlin“

Unser Kommentar

Offensichtlich verliert die auf einen „Grünen Kapitalismus “ setzende Führung bei FFF – auch weit über 2000 einschlägige Unternehmen haben zur Beteiligung an den Protesten am 15. September mit aufgerufen – die Nerven ,wenn ihre technologie- und profitgetriebene grüne Transformation einer kapitalistischen Wachstumsgesellschaft als ökologische und soziale Sackgasse kritisiert wird und alternative Wirtschafts- und Systemmodelle zur Diskussion gestellt werden. Tausende von Teilnehmern an den Protesten, aber auch fern gebliebene Klimaaktivisten, sehen das zum Glück anders und halten die Parole „System change, Not climate change “ für aktueller denn je und wollen sich die Debatte darüber nicht verbieten lassen!

Ein bischen Herumreformieren am Kurs der Ampel wird die Welt und die Zukunft nicht retten. Das Einfordern des Klimageldes ist ok. Aber es bleibt ein Almosen angesichts der galoppierenden Inflation. Kein Arbeitnehmer profitiert vom Emissionshandel, aber jeder zahlt den C02 Preis. Alt- und Neukapitalisten stopfen sich indessen am „grün gestrichenen Börsenkarusell“ die Taschen voll.

Der Ausbau individueller E-Mobilität auf breiter Basis ist im Gegensatz zum öffentlichen Verkehr kontraproduktiv. Die von Kanzler und grünem Wirtschaftsministerium massiv forcierte Vorfahrt für fossiles LNG und Frackinggas ist eine ausgesprochene Schweinerei. Dem noch unter der Vorgängerregierung verabschiedeten Klimagesetz wurden die Zähne gezogen. Was soll da die Aufforderung von Campact & Co. an die Regierung, endlich den eingeschlagenen Weg konsequent umzusetzen?

Aufrüstung, Krieg und Sanktionen killlen und versauen die Klimabilanz. Hinweise darauf werden von Grünen Parteilobbyisten und -bellizisten argwöhnisch beäugt. Da agieren sie wie eineiige Zwillinge mit dem vermeintlichen Gegner FDP. Es schmilzt die vielbeschworene Vielfalt und Toleranz wie Schnee in der Sonne. Man lässt die Polizei Büchertische beschlagnahmen!

Werten wir den Übergriff als das was er ist: als ein Zeichen der Schwäche. „Sittenwächter“, ob im Iran oder hier, haben schlechte Argumente! Stehen wir zusammen im Kampf gegen den Klimawandel und suchen gemeinsam die bestmögliche sozial gerechte Lösung – national wie international. Gegen alle, die mit fossiler Energie Cash machen, aber auch gegen alle, die uns mit „Green Washing“ weiter an den Abgrund führen! Lassen wir „Klimagerechtigkeit“ nicht zur hohlen Phrase verkommen. Verlieren wir keine Zeit dabei und lassen uns nicht den Mund verbieten!

siehe auch zum Thema unseren aktuellen Beitrag: Ausstieg aus der Autogesellschaft: Sinnvoll und machbar

Vor uns der Abgrund

Der „Rechtsstaat“ in rasender Fahrt vom Autoland in die Klimakatastrophe

Von Hans Christoph Stoodt

Wegen des „überragenden öffentlichen Interesses“ soll die Betonierung grosser weiterer Flächen, auf denen sich jetzt zum Teil noch Wiesen, Wald, Gärten und Wohnungen befinden, zu jenen 145 Teilprojekten des Bundesverkehrswegeplanes gehören, die im Eilverfahren mit reduzierten Naturschutz- und sonstigen Einspruchsmöglichkeiten durchgezogen werden sollen. Eine Machbarkeitsstudie zum zehnspurigen Ausbau der A5 liegt im Bundesverkehrsministerium seit Herbst 2022 vor, wird aber geheim gehalten und noch nicht einmal den Bundestagsabgeordneten der vom Ausbau bedrohten Stadtteile ausgehändigt.

Wenn man sich vor Ort die Konsequenzen eines solchen Vorhabens stellt (Überblick), kommt man sehr schnell an den Punkt, an dem man an der Zurechnungsfähigkeit der Verantwortlichen auf allen Ebenen zweifeln muss.

Das ist keine polemische Behauptung, sondern bitterer Ernst. Ausgehend von den Erfahrungen in einer Frankfurter Bürger*innen-Initiative, die sich mit Mut und Engagement seit etwas über einem Jahr mit der ihr drohenden Gefahr in Gestalt des von oben geplanten Betonmonsters quer durch den Stadtteil beschäftigt – hier einige grundsätzliche Überlegungen.

Sie geben mein Erleben und Überdenken der Situation wieder, für das ich allein verantwortlich bin. Keineswegs sind sie Konsens der Bürger:inneninitiative „Es ist zu laut“ (esistzulaut.org).

Seit langem sind immer wieder juristisch mehr als zweifelhafte Aktivitäten der Exekutive(n) in Deutschland zu beobachten, die von höchster politischer Stelle offenbar nicht nur akzeptiert, sondern massgeblich vorangetrieben werden. Krasse Beispiele dafür sind die bis heute nie völlig aufgeklärten Vorgänge rund um die Verwicklung staatlicher Stellen in den Oktoberfestanschlag 1980, die Morde des NSU, die ebenso wenig aufgeklärten Umstände, unter denen offenbar über Monate die Obama-Administration der USA via NSA und in Kooperation mit deutschen „Diensten“ auch deutsche Regierungskommunikation inklusive des Smartphones der damaligen Kanzlerin abhörte, die Vorgänge rund um die Mordanschläge auf Walther Lübcke und in Hanau sowie andere mehr. Ein laxer Umgang mit Recht im Regierungsamt ist wahrlich keine sensationell neue Erscheinung hierzulande.

Die derzeitige Ampelkoalition in Berlin geht aber derzeit einen Schritt weiter. Sie bricht ein von ihr selber verabschiedetes geltendes Gesetz und dessen Durchsetzung öffentlich und mit Ansage – und zwar nicht irgendein Gesetz, sondern das Klimaschutzgesetz. Sie bricht es, weil sie behauptet, es sei nicht einhaltbar, was offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht. Sie bricht es mit der Lüge, „die Menschen“ wollten es halt so, wie gern am Beispiel der obsessiven Bedeutung des Autofahrens (samt seiner klimapolitischen Konsequenzen) gezeigt werden soll: „Man steigt ein und fährt los – das bieten Bus, Bahn und Flugzeug in dieser Form nicht. Millionen Menschen wollen an diesem individuellen Freiheitsversprechen festhalten“, so Christian Lindner in einem bekenntnisartigen Artikel über die letzte IAA, die in Frankfurt stattfand.

Dass dieser Vorgang unter einem „Klimakanzler“ und mit den GRÜNEN in der Regierungskoalition stattfindet, zeigt den realen Status der Klimafrage für Regierungspolitik in Deutschland. Es ist billige Ablenkung, dass in der öffentlichen Wahrnehmung bis weit in die gesellschaftliche Linke hinein Verkehrsminister Wissing von der rechtsliberalen Splitterpartei FDP daran vor allem schuld sein soll. Das ist natürlich Unsinn. Die gesamte Ampel-Koalition hat bei einer Klausurtagung ihres Koalitionsausschusses Ende März 2023 in Meseberg verabredet, ihr eigenes und geltendes Klimaschutzgesetz zu sabotieren.

Damit begeht die gesamte Regierungskoalition mit Ankündigung einen Rechtsbruch – denn das Klimaschutzgesetz ist nach wie vor in Kraft.

Sie begeht zudem einen Verfassungsbruch – denn das aktuell geltende Klimaschutzgesetz wurde erst kurze Zeit vor seiner nun vereinbarten Aushöhlung aufgrund einer saftigen Rüge des Bundesverfassungsgerichts so formuliert, wie es nun offenbar als „Belastung“ empfunden wird – die Belastung besteht in der Rücksichtnahme auf die Möglichkeit nachfolgender Generationen, im Rahmen der Grundrechte der Verfassung leben zu können.

Sie begeht schliesslich einen Völkerrechtsbruch – denn ohne die drastische Reduzierung von Treibhausgasemissionen gerade auch im Verkehrsbereich wird die Grenze von 1,5 – maximal 2 Grad Celsius Erderwärmung bis 2100, verglichen mit dem Durchschnitt des vorindustriellen Zeitalters, nicht einzuhalten sein. Dieselbe Trias von Rechts-, Verfassungs- und Völkerrechtsbruch wurde bereits 2021 in Bezug auf den derzeit geltenden Bundesverkehrswegeplan festgestellt (Bündnis „Wald statt Asphalt“, hier auch Links zu Rechtsgutachten zur Frage der Verfassungsmässigkeit des Bundesverkehrswegeplans).

Zur Erinnerung: das derzeit weiterhin geltende Klimaschutzgesetz ist in seiner aktuellen Fassung das Ergebnis einer Ohrfeige, die das Bundesverfassungsgericht im April 2021 den Verfasserinnen und Verfassern des Vorgängergesetzes verpasst hatte:

„Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen … in ihren Freiheitsrechten verletzt. Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folgt auch aus dem Grundgesetz. Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG ist dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind. Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern. Zu dem danach gebotenen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität reichen die gesetzlichen Massgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht aus“.

Das auf diese Weise für zum Teil verfassungswidrig erklärte Gesetz war erst im Dezember 2019 von Kabinett und Bundestag verabschiedet worden. Nun musste es umgebaut werden. Erst im August 2021 wurden abrechenbare Sektorziele für Teilbereiche der treibhausgasverursachenden gesellschaftlichen Bereiche veröffentlicht: Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft / Sonstiges.

Für alle diese Teilbereiche waren Verfahren festgeschrieben worden, mittels deren die Umsetzung der Klimaziele überwacht werden und bei deren Grenzüberschreitung Sanktionen greifen sollten.

Ziel war es demzufolge, die im Pariser Klima-Abkommen von der Bundesrepublik völkerrechtlich verbindlich unterschriebenen Klimaschutz-Ziele im Rahmen des Pariser Klimaabkommens und der UNO-Strategie gegen die Klimakatastrophe auch nachvollziehbar umzusetzen: „Die Emissionen sollen bis 2030 um mind. 65 % und bis 2040 um mind. 88 % gesenkt werden (gegenüber 1990). Zudem gelten in einzelnen Sektoren bis 2030 zulässige Jahresemissionsmengen. Die deutsche Klimapolitik ist eingebettet in Klimaschutzprozesse der Europäischen Union sowie der UNO.“ (ebenda)

Der Bereich Verkehr (und auch der Bereich der Bauwirtschaft) verfehlte seine Sektorziele aber erheblich – sowohl 2021 als auch 2022. Zudem legte Wissing nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, entsprechende Berichte und Massnahmenplanungen zur Frage vor, wie im Bereich Verkehr künftig die CO2-Minderungsziele eingehalten werden könnte.

Dieses gesetzeswidrige Verhalten deckte und deckt offenbar „Klimakanzler“ Scholz. Es wurde einfach weitergebaut, weiterabgeholzt, weiterbetoniert und weitergefahren wie bisher – ein besonders abstossendes und gewalttätiges Beispiel war der Ausbau der A49 mitten durch ein Natur- und Trinkwasserschutzgebiet im Dannenröder Forst. Es fand nicht nur mit den GRÜNEN in der Bundesregierung, sondern auch in der mitverantwortlichen hessischen Landesregierung statt. Selbst ein so minimaler, europaweit ansonsten überall akzeptierter Schritt wie die Vereinbarung eines Tempolimits auf Autobahnen gilt in Deutschland amtlich als undurchsetzbar „ideologisch“ und „freiheitsfeindlich“, obwohl Umfragen immer wieder die gesellschaftliche Akzeptanz eines solchen Schritts dokumentieren.

Im März 2023 beschloss dann die Regierungskoalition ganz offiziell, sich nicht mehr an ihr eigenes Gesetz halten zu wollen: da es den Verkehrsminister ja sowieso nicht schere, könne man auch die unter anderem ihn betreffenden und alle anderen Sektorziele eigentlich gleich ganz abschaffen. Nach der Sitzung des Koalitionsausschusses in Meseberg blieb es wie so oft Klimaschutz-Minister Robert Habeck, vorbehalten, diesen U-Turn nachgerade lyrisch zu „begründen“: „In der grossen Koalition und auch in der Ampel-Regierung hat der Verkehrssektor nicht geliefert und es hat niemanden interessiert.

Es gab das Klimaschutzgesetz und es gab die politische Realität.“ Mit dem neuen Gesetz müsse die Zielverfehlung besonders durch die verfehlenden Ressorts aufgeholt werden, stellte er klar. Es sei zwar juristisch nicht mehr scharf, aber es gebe eine politische Verantwortung.“ Nichts anderes als schlechte politische Lyrik ist das insofern, als man mit gleicher Berechtigung auch genau das Gegenteil sagen könnte: bislang gab es immerhin rechtlich verbindliche Sektorziele. Nach deren Abschaffung, zu der auch Habeck loyal stehe, seien die Verantwortlichen in den einzelnen Sektoren nur mehr politisch solche – was auch immer das heisst. Derzeit: nichts.

Mit anderen Worten: nach Abschaffung der Sektorziele des Klimaschutzgesetzes ist genau der Zustand wieder hergestellt, den es bereits einmal gab, und den Habeck selber als den der zwei nebeneinander existierenden Realitäten von Klimaschutz und politischer Realität gekennzeichnet hatte.

Man muss nicht lange rätseln, wessen Interessen und Imperativen Verkehrsministerium und Bundesregierung mit ihrem Vorgehen sich unterwerfen: „Wirtschaft und Wohlstand“ würden schweren Schaden erleiden, wenn zB. ein als kritischer Gegenentwurf zu den Machenschaften der Ampelkoalition gemeinter Vorschlagskatalog zu klimagerechterer Verkehrspolitik von Fridays for Future umgesetzt würde, meinte Verkehrsminister Wissing.

Das geltende Klimaschutzgesetz ist bis zu seiner Novellierung im Sinn der Meseberger Beschlüsse in Kraft – was wahrscheinlich bis Herbst 2023 dauern wird. Es sieht auch weiterhin vor, dass die für die einzelnen, gekennzeichneten Sektoren verabschiedeten Reduktionsziele klimaschädlicher Emissionen nicht überschritten werden dürfen und was erfolgt, wenn ein solches Ziel nicht eingehalten wird.

Das Gegenteil davon wird in der Praxis nicht nur einfach getan, sondern auch noch politisch gerechtfertigt – vom Klimakanzler und von Habeck, von Lindner und von Wissing unisono: „Ich hätte das jetzt nicht gebraucht, diese Gesetzesänderung, aber sie ist verabredet worden und da sind wir natürlich vertragstreu – und ich auch“ erklärte Habeck nach vollbrachter Tat von Meseberg. Vertragstreue ist wichtiger als Rechtstreue, ein „Ehrenwort“ gilt mehr als Recht und Verfassung – das kennt man ja bereits aus früheren Zeiten der Republik.

So verständlich der hin und wieder zur Schau getragene Ärger über die ostentative Verachtung für eine klima- und sozialgerechtere Verkehrspolitik besonders der FDP-Vertreter im Ampelkabinett sind – niemand zwingt die beiden anderen und grösseren Parteien, sich dieses Verhalten länger bieten zu lassen. Niemand hindert sie, die Regierungskoalition aufzukündigen.

Sie tun es nicht und werden es auch in Zukunft nicht tun.

Die Frage ist ihnen also, wie soll man das anders verstehen, einfach nicht wichtig genug. Der kurzfristige Machterhalt ist ihnen wichtiger, als das, was mittel- und langfristig aus ihrer Politik mit eiserner Konsequenz folgt: eine weitere Eskalation der Klimaprobleme – die allerdings möglicherweise sehr viel schneller und umfassender Zusammenbrüchen der menschlichen Zivilisation führen wird, als gedacht: „Laut den besten Daten, die wir momentan haben, wird in den kommenden zehn Jahre das langfristige Schicksal unserer industriellen Zivilisation entschieden“.

Wir haben eine Bundesregierung, die die Zeichen der schnell verrinnenden Zeit nicht erkennt oder nicht erkennen will – man kann sich darüber streiten, welche der beiden Möglichkeiten schlimmer wäre – und wenn im vorangegangenen Zitat vom „Schicksal unserer industriellen Zivilisation“ geredet wird, so ist das natürlich ungenau ausgedrückt. Gemeint ist: das Schicksal der massgeblich global vom Kapitalismus bestimmten Art des gesellschaftlichen Lebens; unklar ist, was hier „unser“ heissen soll und das Wort „Schicksal“ hat den Klang unvorhersehbarer Kontingenz, was völlig falsch ist – siehe oben. Wir reden hier über die Ergebnisse absichtlichen Handelns oder auch Nichthandelns bis hin zum aktiven und öffentlich angekündigten Rechtsbruch.

Die volkswirtschaftlichen Schäden dieser Politik allein in Deutschland sind nicht absehbar, sie werden aber, so viel weiss man schon jetzt, in die Hunderte Milliarden gehen. Das ist seit vielen Jahren bekannt. Aber in einem Land, dessen Regierung ohne mit der Wimper zu zucken eine knappe halbe Milliarde für das bewusst rechtswidrige Verhalten eines ehemaligen Bundesverkehrsministers auf den Tisch zu legen bereit ist, ist es vermutlich auch egal, wie viele Milliarden an Schäden durch absichtliches Tun und Lassen aufgrund der Verkehrspolitik seines Nachfolgers im selben Amt verursacht werden.

Natürlich wäre es grundsätzlich möglich, auf diesem Planeten so zu wirtschaften und zu leben, dass dessen natürliche Grenzen respektiert werden und gleichzeitig allen Menschen – und nicht nur privilegierten Minderheiten – ein Leben in Würde möglich wäre. Eckpunkte, innerhalb deren sich ein solches Leben aller bewegen müsste, um aus naturwissenschaftlicher Sicht global zukunfts- und verallgemeinerungsfähig zu sein, beschreibt aktuell die Studie „Safe and just Earth system boundaries“ des Forscher:innenkreises um Johan Rockstroem. Einzig ein Modell gesellschaftlichen Lebens, das, anders als der globale Kapitalismus, wenigstens potentiell in der Lage wäre, die natürlichen planetarischen Grenzen allen Lebens zu schützen, wäre mit Art. 1(1) des Grundgesetzes in Übereinstimmung zu bringen (ganz zu schweigen von den viel weiter gehenden Forderungen der jüdisch-christlichen Selbstverpflichtung zur Nächsten-, Fernsten- und Feindesliebe).

Wer sich an die schlicht vernünftigen Vorgaben wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung innerhalb der einzuhaltenden planetaren Grenzen nicht halten möchte und auf perverse Weise die eigene „Freiheit“ in einem wodurch auch immer fantasierten Recht zu höherem Ressourcenverbrauch sieht, als es der übrigen Menschheit zusteht oder im Rahmen der planetaren Grenzen verantwortbar ist, ist im strikten Sinn des Wortes ein antisoziales und amoralisches Wesen, das dem Rest der Welt wissentlich schaden will. Ein solches Verhalten sollte justiziabel und strafbar sein.

Wie aber eine Form des Wirtschaftens und gesellschaftlichen Lebens durchsetzbar sein soll, die nicht den Partikularinteressen privilegierter Reicher, sondern dem Leben Aller dient, das ist die Frage, die innerhalb einer immer kürzer werdenden Zeit über Gelingen oder Misslingen des offenen Experiments der menschlichen Geschichte, wie wenigstens wir sie kennen, entscheidet.

Eine Betrachtung von „Wirtschaft und Wohlstand“ aus diesem einzig verantwortbaren Blickwinkel ist der Regierung schon deshalb fremd, weil es ihr offensichtlich mehr um das Privateigentum von Produktionsmittelbesitzern geht als um die Gesellschaft insgesamt, nicht um citoyens sondern um bourgeois.

Die Klimapolitik der Ampelkoalition vertritt nicht das Interesse der Gesellschaft, sondern das einer winzigen, partikularen Minderheit, das gerne „Weiter so!“ machen möchte, weil sie ahnt: jeder Versuch, Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend anders, sozial und klimagerecht, zu organisieren wird sie für immer ihre mörderischen Privilegien kosten, die nicht etwa in der individuellen „Gier“ individueller Menschen (so sehr es die auch gibt), sondern in der objektiven Struktur der Bewegungsgesetze des Kapitals ihre Wurzel haben. Sinn und Aufgabe der historischen Epoche, in der wir uns befinden, besteht darin, dieses Problem grundsätzlich, das Übel an der Wurzel packend, also radikal zu lösen.

Im Unterschied zu dieser Aufgabe muss es der Gegenseite darum gehen, möglichst wenig an substantieller Änderung des status quo zuzulassen, also die anstehenden Aufgaben gesellschaftlichen Lebens eben nicht zu lösen. Zumindest, solange es irgendwie geht. Danach sollen dann wahrscheinlich andere zuständig sein. Von Wissing, Scholz, Merz, Söder, Habeck, Baerbock, Weidel und Höcke und wie sie alle heissen wird man dann vermutlich nichts mehr hören. Für den Rest der Menschheit gilt: „Die derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen eindeutig für beispiellose, dringende und ehrgeizige Klimaschutzmassnahmen, um die Risiken von Kipppunkten im Klimasystem zu begrenzen“.

Ob eine solche klimapolitische Wende im Rahmen der (fast) überall auf der Welt herrschenden Bedingungen der kapitalistischen Warenproduktion möglich und umsetzbar ist, scheint sehr fraglich.

Die aktuelle Bundesregierung jedenfalls tut alles, um den Beweis anzutreten, dass den ihr angehörigen Parteien und Politiker:innen die hiesige Verantwortung für die globale klimapolitische Entwicklung nicht so viel wert ist, als dass man dafür die Regierungsmacht riskieren wollte. Lieber beugt und bricht man das geltende Recht, die Verfassung und das Völkerrecht nicht an irgendeinem, sondern an dem für den Fortbestand der natürlichen Grundlagen menschlicher Zivilisation entscheidenden Punkt. Um „weiter so“ machen zu können.

Sollte dieses infame Verhalten der Regierung nicht durch die hiesige Rechtsprechung gestoppt werden, sollten die bislang doch nun wirklich absolut brav-systemkonform und gewaltfrei bleibenden Aktivitäten der Klimagerechtigkeitsbewegung wie Fridays For Future, Aufstand Last Generation, Extinction Rebellion, Ende Gelände usw. tendenziell auch noch zum Verstummen gebracht oder ins „terroristische“ Abseits manövriert werden – welche Mittel und Wege blieben dann noch, um das Schlimmste zu verhindern?

Erstveröffentlicht im Untergrund Blättle v. 31.7.23
https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/frankfurt-autobahn-a5-ausbau-autoland-klimakatastrophe-7823.html
Wir danklen für das Abdruckrecht.

Die Kämpfe der Weißen

HEISSE ZEITEN – Die Klimakolumne

Von Lakshmi Thevasagayam

Die Autorin ist Ärztin, Klima- und Gesundheitsaktivistin und engagiert sich in der Antikohlebewegung im Rheinland.

Fünf Jahre Fridays For Future – die deutsche Klimabewegung richtet sich im grünen Kapitalismus ein und blickt nicht über den globalen Norden hinaus, kritisiert Lakshmi Thevasagayam. »How dare you?« (Wie könnt ihr es wagen?) Das ist einer der Sätze von Fridays-For-Future-Aktivistin Greta Thunberg, die die Klimadebatte geprägt haben. Die Klimabewegung des Globalen Nordens hat durch diese Bewegung eine neue Dimension bekommen. FFF Deutschland hat 2019 mit 1,4 Millionen Teilnehmer*innen die größte Mobilisierung für einen Klimastreik erreicht. Nach unzähligen Demos, Ortsgruppentreffen, Medienauftritten und Politiker*innengesprächen wird FFF diesen Sommer fünf Jahre alt – Zeit für einen Rückblick und eine Bestandsaufnahme.

Fast fünf Jahre lang versuchte FFF Deutschland, die Klimakrise als wichtiges Thema in den Bundestag und auf die Frühstückstische zu bringen. Die Medien inszenieren die Bewegung als diejenigen, die das geschafft haben. Diese Annahme ist falsch und missachtet die Kämpfe, die schon viel länger geführt werden, die aber niemanden interessierten. Fridays For Future konnte nur so groß werden, weil sie aus weißem Privileg geboren wurde. Weil die Medien das Leid weißer Menschen interessanter finden als das von nicht-weißen Menschen. Weil weiße Menschen plötzlich Angst haben um ihre Zukunft.

Dabei betrifft diese Angst für den Großteil der Menschen nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit. Und die Zukunft wird umso bitterer, wenn nicht die systematischen Ursprünge der Klimakrise an der Wurzel bekämpft werden. Ja, ich rede über die beiden anderen K-Worte: Kapitalismus und Kolonialismus. Darüber aber möchte FFF Deutschland nicht sprechen. Von vornherein ging es nicht darum, die Struktur hinter den Ursprüngen der Klimakrise anzusprechen, sondern auf das »brennende Haus« zu zeigen. Wieder und wieder das zu wiederholen, was Klimaforscher*innen seit Jahrzehnten predigen.

Nach fünf Jahren hat sich daran leider nichts geändert. Sie haben an die Politik appelliert, mit den Lindners, Merkels und von der Leyens gesprochen. Immer die gleichen Leute mit der gleichen Message: Es brennt, tut doch bitte was. Selbst vor einem (in)direkten Wahlkampf für die Grünen wurde nicht zurückgeschreckt – FFF Aktivist*innen, die über die Jahre einen Prominenzstatus erlangten, sind in der Partei und lassen sich für Posten aufstellen. Selbst nach den gewaltsamen Räumungen im Dannenröder Forst und in Lützerath und nach dem Schulterschluss der Grünen mit der Flüssiggas-Lobby ist kein Bruch in Sicht.

Während die internationale FFF-Community sich inzwischen an Menschen orientiert, die auf dieser Erde am meisten unter der Klimakatastrophe leiden, hat FFF Deutschland den Schuss anscheinend immer noch nicht gehört. Die internationale FFF-Community hat sich beim globalen Klimastreik 2022 auf die kapitalistische Ausbeutung durch fossile Energiekonzerne fokussiert. Sie teilen auf ihrer Webseite klar ihre Analyse der kapitalistischen, patriarchalen und rassistischen Strukturen, die den globalen Süden ausbeuten, und benennen die historische Verantwortung des globalen Nordens. Statt sich dem anzuschließen, sind FFF Deutschland die Einzigen, die weiter an die Politik appellieren, 100 Milliarden in Klimabelange zu investieren. Grüner Kapitalismus eben.

Während wenige weiße, gutbürgerliche FFF-Popstars von einer Talkshow in die nächste rennen, berichten migrantische Mitglieder bei FFF immer wieder über Ignoranz und Angriffe. Egal ob es um Solidarität mit Palästinenser*innen geht, die gerade einen Krieg gegen ihre Existenz erfahren, oder um die Frage, ob Tausende Euros nicht nur für die eigene Arbeit hier verwendet, sondern mit Aktivist*innen im globalen Süden geteilt werden. Oder ob das Mikro weitergereicht wird und weiße Privilegierte sich nicht krampfhaft daran festhalten, sondern migrantische und Arbeiter*innenstimmen zu Lanz und in die Tagesschau schicken. Fünf Jahre lang – how dare you, FFF Deutschland?

Erstveröffentlicht im nd vom 18.8. 2023
Wir bedanken uns bei der nd-Redaktion für das Veröffentlichungsrecht.

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