Von Klaus Dallmer
20.8. 2025
Bild: Benjamin D Applebaum, Public domain, via Wikimedia Commons
Selenski wird nach seiner Unterredung im Weißen Haus die Kröten schlucken müssen: die Gebietsverluste werden als nur de facto, nicht de jure, also vorläufig, bemäntelt, und wir werden Verrenkungen sehen, wie die ukrainischen Nationalisten versuchen, die NATO-Mitgliedschaft wieder aus der Verfassung herauszubekommen, die sie haben hineinschreiben lassen. So haben sie ein schönes Ziel erreicht: Nachdem sie ihren russischen Staatsbürgern die Rechte eingeschränkt, die Sprache verboten, die Parteien unterdrückt und dann deren Abspaltungen im Osten seit 2014 beschossen haben, fahren sie nun die Ernte ein. Den ukrainischen Nationalwahn haben sie gestärkt, dafür ist ein Teil des Landes weg, beträchtliche Zerstörungen und Hunderttausende von Toten sind in Kauf genommen. Noch bei Abbruch der Istanbuler Verhandlungen haben sie sich auf die USA verlassen, dass der Siegfrieden möglich wird – nun droht der große „Partner“ sie mit dem Entzug von Waffen, Militärinformationen, Daten, Aufklärung und Geheimdienstaktivitäten am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen, wenn sie sich nicht fügen. Einziges Ergebnis ist die Zusage amerikanischer Beteiligung an Sicherheitsgarantien. Wir dürfen gespannt sein, wie sie ihrem Volk diesen „Erfolg“ verkaufen und wie es reagiert.
Die Sicherheitsgarantien sollen die Europäer mit Militärausgaben schultern und mit Bodentruppen. So werden wohl deutsche Soldaten und Soldatinnen in der Ukraine an der russischen Grenze den Angstschweiß ihrer Urgroßväter schnuppern können. Dieses stolze Ergebnis haben die europäischen Gestalten aus Washington mitgebracht – dafür haben sie während Trumps Gespräch mit ihrem kleinen Kriegshelden im Wartezimmer des Weißen Hauses Platz nehmen dürfen. Eitel Sonnenschein herrschte dann bei den gemeinsamen Unterredungen, Trump ließ den zweitrangigen Bittstellern ihr Gesicht – schließlich braucht er Verbündete, auch wenn sie zweitrangig sind.
Die Sicherheitsgarantien sollen vor einem erneuten russischen Angriff schützen. Warum sollte Russland dies tun? Russland hat seine Kriegsziele erreicht: Nato-Raketen an seiner ukrainischen Grenze wird es nicht geben; die russischsprachigen Industriegebiete im Donbas, einst von der Sowjetunion geschaffen, und die Krim sind wieder bei Russland. So dienen die Sicherheitsgarantien zur Aufrechterhaltung des Märchens von der russischen Bedrohung Europas.
Russland hat etwa die Wirtschaftskraft Italiens, und die EU ist Russland wirtschaftlich achtmal überlegen. Die Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten sind schon jetzt (kaufkraftbereinigt) anderthalbmal so hoch wie die russischen, und auch von den militärischen Fähigkeiten her ist die EU überlegen. Jeder der will, findet diese Angaben im Internet. Hat Russland zu wenig Land, zu wenig Bodenschätze, muss es neue erobern? Will es die europäischen Industriebetriebe erst durch Krieg zerstören, dann den Aktionären abspenstig machen und seinen Oligarchen zuschlagen? Will es die deutsche Autoindustrie stehlen? Will es seinen Mafiastaat nach Westeuropa ausweiten? Oder was denken unsere tonangebenden Herrschaften? Natürlich: es will morden, brandschatzen und die russischen Frauen werden unsere Männer vergewaltigen! – so dreht sich das unterschwellige schlechte Gewissen über die Taten von Wehrmacht und SS um in die Furcht vor Vergeltung und in den üblichen Russlandhass.
Die Trauer um den Verlust des Imperiums, das Streben nach Wiederherstellung alter Größe, der Großmachtchauvinismus, ist Russlands Staatsideologie, der nationalistische Kitt, der die Oligarchengesellschaft zusammenhält – nur hat Russland keine Mittel, diese Ansprüche auch umzusetzen. Auch wenn die baltischen Staaten mit der Unterdrückung ihrer russischen Bevölkerung noch so sehr provozieren, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Russland zum zweiten Mal in eine solche Falle tappt. Und um gar nach Berlin zu marschieren, müsste Russland erst das hochgerüstete Polen überwinden und die dort stationierten amerikanischen Soldaten – solches von einem Land zu befürchten, das in drei Jahren nicht einmal mit der Ukraine fertig wird, zeugt von wenig Ehrlichkeit.
Warum streuen uns unsere Herrschenden diesen Sand in die Augen?
Die Osterweiterung der EU im Gleichschritt mit der Nato war ein einträgliches Geschäft, und Kapital muss immer weiter wachsen, auch demokratisches. Mit ihrem Assoziierungsabkommen hat die EU den Ausbruch des Konfliktes in der Ukraine selbst losgetreten – der Streit darüber führte zum Regierungssturz, den die US-Geheimdienste mit drei Milliarden Dollar beförderten, und zur Hegemonie der Ultranationalisten, deren Instrument Selenski wurde.
Die USA setzen diese Arbeitsteilung nun nicht mehr fort. Eine weitere Schwächung Russlands ist mit dem Ukrainekrieg nicht zu erreichen, und der angestrebte Graben zwischen Westeuropa und Russland ist so tief wie nie zuvor – warum also dafür weiter Geld ausgeben, was die USA sowieso nur über Verschuldung aufbringen können? Dann macht man lieber Geschäfte und sichert sich auf diese Weise ukrainische und russische Bodenschätze. Russland weiter China in die Arme zu treiben, ist für die amerikanischen Kriegsvorbereitungen gegen ihren Hauptrivalen kontraproduktiv, und so wird Putin nun als Partner hofiert.
Mit Sicherheit haben Trump und Putin auch über die Interkontinentalraketen und die für Deutschland 2026 vorgesehenen Ultraschallwaffen gesprochen, die in fünf Minuten Moskau erreichen können. In weiser Voraussicht hat unser starkes Pistoriüschen auch schon solche Ultraschallwaffen bestellt, damit die EU Russland auch selbst mit Enthauptungsschlägen drohen kann, falls die USA ihrem neuen Partner das nicht mehr zumuten wollen. Genehmigen werden die USA die deutsche Bestellung nur, wenn sie die Bedrohung Moskaus an ihren deutschen Vasallen delegieren wollen.
Wenn das EU-Kapital, vor allem das deutsche, sich weiter gen Osten ausdehnen will, muss es Russland nun allein erschrecken – dazu dient die massive Aufrüstung und die Militarisierung der ganzen Gesellschaft, die nur durch Vernebelung mit dem Bedrohungsmärchen durchzusetzen ist. Zudem hat das deutsche Großkapital den Umsteigefahrschein gelöst von seiner stotternden Profitmaschine, der Autoindustrie, auf die Rüstung und ihre Konzerne. Bezahlen werden wir das über Sozialkürzungen, und die jüngeren Generationen womöglich mit ihrem Leben.
Zur demokratischen Verspeisung von Moldau, Georgien, Serbien und später der zentralasiatischen Republiken wird diese Aufrüstung der EU wohl nicht reichen, und Regimechanges ohne US-Unterstützung erscheinen kaum machbar. Und so werden wir sehen, wie die Debatte um deutsche Atomwaffen Fahrt aufnimmt.
Die Risse in der transatlantischen „Partnerschaft“ sind vorerst übertüncht – es ist ungewiss, wie lange das hält, auch angesichts der Zollerpressungen. Zum Schwur wird es kommen, wenn die USA die Einstellung des China-Geschäftes verlangen. Was wird die deutsche Bourgeoisie dann tun? Noch ergießt sich der Pfuhl der deutschen Außenpolitik in Vasallentreue bis ins Südchinesische Meer.