Die Zerschlagung der Gewerkschaften am 02.05.1933

Vorbemerkung: Neben anderen gewerkschaftlichen Veranstaltungen am 2. Mai 2023wir berichteten „2.Mai , eine historische Lehre“ – lud der Kreisverband Berlin-Ost des DGB „zum Gedenken an die Toten, Verletzten und Verhafteten anlässlich des 90. Jahrestages der gewaltsamen Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nazi-Regierung am 02.05.1933“ ein. Die Veranstaltung fand auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde-Lichtenberg statt. Zwischen den Reden von Vertretern des VVN-BdA, DIE LINKE Lichtenberg, von GEW und IG BAU trugen die Liederfreunde Vorwärts und Isabel Neuenfeldt Lieder aus dem gewerkschaftlichen Widerstand vor dem Sturm auf die Gewerkschaftshäuser vor. Anschließend führte der Gedenkverein zum Gräberfeld der über 800 Gewerkschafter, die ab der Zerschlagung getötet, verwundet oder verhaftet wurden. Fast gleichzeitig fand nicht weit entfernt davon eine Gedenkkundgebung zum Brandanschlag am 2.Mai 2014 auf das Gewerkschaftshaus im ukrainischen Odessa statt. 48 Menschen starben in dem Progrom und bei dem schlimmsten faschistischen Angriff auf eine Gewerkschaftliche Einrichtung im Nachkriegseuropa, bis heute ungesühnt und neuerdings totgeschwiegen. Wir veröffentlichen hier die Rede von Jörn Rieken (Vorstand IG Bau Berlin und freier Mitarbeiter unserer Redaktion), aus der sich auch für die aktuelle Situation wichtige Lehren ziehen lassen. (Peter Vlatten)

Die Zerschlagung der Gewerkschaften am 02.05.1933

Jörn Rieken

Vorausgegangen waren ein drastischer Sparkurs und Notverordnungen der Präsidialregierungen. Mit den sogenannten Notverordnungskabinetten des Zentrum-Politikers Heinrich Brüning ab 1930 war die Politik der Regierung nicht mehr auf einen Interessenausgleich orientiert.

Am 30.01.1933 fand die Machtübertragung an von Hindenburg an Hitler die Unterstützung fast bürgerlichen Parteien. Sie richtete sich in erster Linie gegen Sozialdemokraten und Kommunisten, Gewerkschafter und Betriebsräte. Ziel war deren vollkommene Ausschaltung. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war die Gewalt gegen Kommunisten und Sozialdemokraten für niemanden mehr zu übersehen.

Selbst ab März 1933, als es überall im Deutschen Reich zu Übergriffen auf Gewerkschaftshäuser kam und Betriebsräte für abgesetzt erklärt wurden, konnte sich der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) nicht zum Widerstand durchringen.

Theodor Leipart, der Vorsitzende des ADGB hatte zuvor die Parole ausgerufen „Organisation, nicht Demonstration ist die Parole der Stunde“. Ein Generalstreik wurde, mit der Begründung eigner Schwäche, nicht ernsthaft erwogen. Selbst nach der Machtübertragung erklärte sich der ADGB noch zur Einordnung in den neuen Staat bereit. Und das, obwohl bei den letzten Betriebsrätewahlen der ADGB 73% der Stimmen erhalten hatte, die Nazi-Gewerkschaft aber nur 12%. Trotz des schon länger anhaltenden Terrors von SA-Kolonnen erklärte die ADGB- Führung weiterhin ihre Neutralität gegenüber den neuen Herrschern.

Erstmals zum Feiertag erklärt, diente der 1. Mai 1933 zur Demonstration einer vermeintlichen Einheit von Nazis und Arbeiterschaft. Die Anpassung der ADGB-Führung war Mitte April 1933 derart weitgegangen, dass sie zur Teilnahme an den Nazifeiern anlässlich des »Tages der nationalen Arbeit« aufgerufen hatte. Selbst für die Demonstrationen zum 1. Mai rief die ADGB-Führung die Arbeiter noch auf »Disziplin zu wahren«. Aber auch dieser politische Selbstmord verhinderte nicht das vollkommene Ende-und-Aus für die Gewerkschaften.

Gewerkschaftsgeschichte als Organisationsgeschichte

Warum aber agierten die ADGB-Verbände nicht wie im Jahr 1920 anlässlich des Kapp-Putsches? Warum riefen sie nicht zum Generalstreik auf, um die Nazigefahren abzuwehren?

Die Zurückhaltung des ADGB resultierte aus seiner geringeren Schlagkraft als in den 1920er Jahren, u.a. auch wegen dramatischer Mitgliederverluste. Die Löhne sanken, weil es die Regierungspolitik so wollte.

Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise (1929/30) wollte die kommunistische RGO mit politischen Streiks den Lohnabbau verhindern. Aber als eine Gegenwehr mit Hilfe von Streiks noch eher möglich gewesen wäre, sah gerade die ADGB-Spitze darin mehr Risiko als Gewinn. Die zunächst noch vorhandenen Spielräume wurden sträflich unterschätzt. Das Schlichtungswesen mit staatlich verordneten Verbindlichkeitsverpflichtungen wurde zum Instrument des Lohnabbaus. Die Gewerkschaften zogen kaum Konsequenzen daraus.

Das RGO-Konzept beruhte allerdings auf einer Überschätzung der Aktionsmöglichkeiten. Es war eine Selbsttäuschung, wenn sie wegen der um sich greifenden Verarmung vom Anstieg der Kampfbereitschaft sprach und die Krise als letzte kapitalistische Regung deutete. Die abnehmende Streikbereitschaft belegt, wie wenig Aktionsbereitschaft vorhanden war. Anfang März 1933 stellte die Polizei in einem Überwachungsbericht fest, dass »mit Lohnkämpfen größeren Umfangs« nicht mehr zu rechnen sei. Auch die RGO-Agitation für einen Generalstreik sei nahezu »wirkungslos« gewesen, hieß es weiter.

Zwar hatten viele sozialdemokratische Freigewerkschafter im Frühjahr 1933 mit ihrer Anpassungspolitik versagt, aber nur kurze Zeit später bestätigten sie sich im Widerstand. Viele wurden misstrauisch wurden gegenüber den Arbeitern, die sie zumindest z. T. als Überläufer empfanden.

Lehren

Schon zu Beginn der Naziherrschaft in Deutschland saß der Schock vieler internationaler, aber auch vieler engagierter deutscher Gewerkschafter sehr tief über das kampflose Zurückweichen des ADGB vor dem Nationalsozialismus. Das ändere sich in der Nachkriegszeit nur langsam.

Beim FDGB war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine „erinnerungspolitische Offenheit“ zu spüren. Bis 1983 galt der Widerstandskampf immer noch als Grundlage für die Einheitsgewerkschaft, wurde doch betont, dass nur der FDGB die Lehren aus der Geschichte umgesetzt habe. In der folgenden Zeit wurde dann wieder die Einschätzung übernommen, hauptsächlich die rechten Führer von SPD und Gewerkschaften hätten die Arbeiterbewegung 1933 in den Untergang geführt. Bis Anfang 1933 dominierte allerdings in der RGO-Führung die Einschätzung die SPD-Führung als primärem Gegner zu sehen. Spätestens ab 1983 wurde diese zweifelhafte politische Ausrichtung der RGO-Führung im FDGB kaum noch thematisiert.

Beim DGB gab es auf mittlerer und unterer Funktionärsebene eine nicht unerhebliche Reihe von Personen, die vom ADGB in nationalsozialistische Organisationen und wieder zurück in den DGB gewechselt waren. Im Unterschied zu Unternehmen und selbst bundesdeutschen Ministerien wird dieser Teil der Geschichte des DGB bis heute verdrängt. Auch eine Analyse der Gründe für die Niederlage von 1933 unterblieb.

Als Versuche einer Verarbeitung der Erinnerung an den 2. Mai 1933 können dagegen gewertet werden, dass gewerkschaftliche Gestaltungsmacht gegen unternehmerische Interessen und deren politischer Formulierung nur in enger Zusammenarbeit aller abhängig Beschäftigten erreicht werden kann.

Daraus folgten die Befürwortung einer Einheitsgewerkschaft, ein starker Internationalismus und die Idee von den Betrieben als politikfreien Räumen. Den westlichen Besatzungsmächten war die Wucht politischer und Generalstreiks aus Frankreich und Italien sehr bewusst. Maßgeblich legten sie die Grundsteine für das Korporatistische Modell des Rheinischen Kapitalismus. Damit wurde der politische Gestaltungsanspruch des DGB von den Betrieben in die politischen und verwaltungstechnischen Institutionen verlagert.

Langsam, aber stetig werden Betriebe aufgesplittert, Sparten in Tochterunternehmen ausgelagert, treten Unternehmen und sogar einzelne Bundesländer aus Tarifverbünden aus. Gegen diesen schleichenden Abbau korporatistischer Mitsprache haben die Gewerkschaften bisher noch kein Gegenmittel gefunden. Streiks zu allgemeinpolitischen Themen, selbst wenn sie direkt in die Arbeitswelt eingreifen, werden weiterhin gesetzlich unterbunden. In Zeiten, in denen die Dominanz westlichen Kapitals auf dem Weltmarkt stark am Sinken ist, Einkommens- und Vermögensungleichheit Ausmaße wie vor dem 1. Weltkrieg annehmen und am Faschismus orientierte Parteien deutlichen Zulauf erhalten, sollte die Lehre des Korporatistischen Modells einer deutlichen Prüfung unterzogen werden. Der 2. Mai 1933 sollte uns immer eine Warnung sein.

Wir danken Jörn Rieken (Vorstand IG Bau Berlin) für das Recht zur Veröffentlichung

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