Von Daniela Dahn
Bild: Cover des im Rowohltverlag erschienen neuen Buches von Daniela Dahn
Neuerdings steht in unseren veröffentlichten Debatten die Verteidigung nicht näher beschriebener Freiheit ganz hemmungslos über der des Friedens. Wessen Freiheit? Für die Eingezogenen auf beiden Seiten kann es keine geringere Freiheit geben als die im Schützengraben. In diese Niederungen müssen die geistigen Mobilmacher selbst nie. Sie verteidigen indes die Freiheit des Geschäftemachens: Die Gewinne der
Rüstungsindustrie sind heute so hoch wie das Einkommen der Hälfte der Weltbevölkerung.
Unsere „wertegeleitete“ Sicherheitspolitik verteidigt wahrlich hohe Werte.
Die Regierungen der USA und Deutschlands haben ohne realistische Bedrohungsanalyse und ohne Erläuterung des strategischen Zwecks angekündigt, ab 2026 die in Deutschland bereits stationierte Multi-Domain Task Force mit einem Mix aus SM-6 MittelstreckenRaketen, Tomahawk-Marschflugkörpern und Überschallflugkörpern auszurüsten, die für Angriffe tief in Russland und selbst in China geeignet sind. Damit wird die Fähigkeit installiert, gegnerische Raketenbasen präventiv zu zerstören.
Die dünne Begründung von deutscher Seite, damit eine „Fähigkeitslücke“ in der Abschreckung schließen zu wollen, reicht nicht als Erklärung, der US-amerikanischen Seite vasallentreu auch diesen Wunsch zu erfüllen. Die Stationierung ausschließlich in Deutschland erhöht im Ernstfall das Risiko der hiesigen Bevölkerung, Ziel eines Atomangriffes zu werden. Diese Gefahren übersteigen den behaupteten Sicherheitsgewinn bei weitem.
Die nächste Eskalationsstufe wäre dann die Forderung, die stationierten Raketen atomar nachzurüsten.
Der Doppelbeschluss der Nato von 1979 hieß so, weil sogar er die Doppelstrategie Raketenaufstellung plus RüstungskontrollGespräche verfolgte. Heute gilt nur noch die phantasielose Logik der militärischen Konfrontation. Selbst die Sehnsucht nach Frieden wird schon diskreditiert. Dabei wird Frieden von alters her als mehr als die Abwesenheit von Krieg beschrieben. Nämlich als eine Tugend, eine Neigung zu Güte, Vertrauen und Gerechtigkeit. Alles Fähigkeiten, die dem politischen Establishment abhandengekommen sind in ihren nur sie interessierenden Kämpfen um Vorherrschaft und Dominanz. Laut INSA sind hierzulande 68 Prozent für Friedensverhandlungen mit Russland und 65 Prozent der Bevölkerung für einen sofortigen Waffenstillstand. Doch die Regierung ignoriert die mehrheitlichen Wünsche der Bevölkerung, die sie doch repräsentieren soll.
Deshalb wäre selbst eine dringend nötige Debatte nicht ausreichend. Die von der Stationierung Profitierenden werden sie so oder so zu ihren Gunsten auslegen. Die Aussprache muss begleitet werden von einer starken Bewegung, die zu den Stationierungsplänen NEIN sagt. Der Berliner Appell könnte ihre Plattform sein.
Daniela Dahn ist Publizistin. Ihr neuestes Buch heißt: „Der Schlaf der Vernunft – Über Kriegsklima, Nazis und Fakes“
Entnommen aus „Zeitung gegen den Krieg“ Nr. 58
https://zeitung-gegen-den-krieg.de/wp-content/uploads/2024/11/zgk58-web.pdf
Veranstaltung mit Daniela Dahn zur Buchpremiere am 3. Dezember um 10 Uhr im „Klub“, Karl-Liebknecht-Haus,
Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin