Kein BSW wird uns retten, kein Trump, kein Scholz …

… keine selbstberuhigenden Reden, von wegen: Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht.

Von Wolf Wetzel

Bild: Screenshot FAZ v. 5.3.2025

Das war meine Einschätzung vor der Bundestagswahl 2025. Nun ist sie vorbei. Wer meint, dass das Allerschlimmste nicht eingetreten ist, der kann es nicht abwarten.

Auch wenn es kaum noch auffällt: Das Wahlergebnis zeigt, dass es seit 1949 noch nie eine so reaktionäre Mehrheit im deutschen Bundestag gab, wie jetzt. Wenn man die Stimmen von CSU/CDU, AfD, SPD, Grüne zusammenzählt, kommt man auf über 75 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Damit ist mehr als eine rechte Mehrheit gemeint. Wenn man die politische Entwicklung dieser Parteien über die letzten Jahre verfolgt, haben sie durch die Bank ihre eh rechten Positionen (in Sachen Flüchtlings- und Asylpolitik, Sozialpolitik und Kriegswirtschaft) verschärft. Mit reaktionär ist also gemeint, dass sie ein schwindelerregendes Rollback vollzogen haben. Das wird ganz besonders an der Asylthematik, in der Sozial- und Kriegspolitik deutlich. Was früher ein Merkmal für kleine, sichtbare Differenzen war, ist heute ein Gemeinschaftsunternehmen.

Die „Brandmauer gegen rechts“ ist in vier Jahren Kunst-Schnee von gestern

Ich wage eine weitere Prognose: CSU/CDU und SPD (und für die Aufhebung der „Schuldenbremse“ die Grünen/die Linke) werden sich zusammenfinden. Sie werden uns dabei belügen, dass sie die Brandmauer gegen rechts bilden und dass sie hält, was sie vorgibt zu sein.

Das ehrlichste kommt von denen, die es nicht unbedingt eilig haben: Von der AfD. Sie gibt ruhig und geduldig drei Statements ab:

  1. Sie habe gewonnen, denn CSU/CDU und SPD haben im Kern die (Re-)Migrationspolitik der AfD übernommen.
  2. Die „Große Koalition“ wird nie und nimmer das Original ersetzen können, sondern die AfD zum Thron führen.
  3. Das Scheitern der „neuen“ Regierung aus CSU/CDU und SPD wird die AfD zum Sieger machen.
Baerbock warnt in der ARD/ZDF-Schlussrunde zur Wahl vor Russen-Einmarsch nach Brandenburg

Bis auf die letzten Meter steigern sie den Verfolgungswahn, den man therapeutisch, auf keinen Fall politisch behandeln sollte.

Seit fast drei Jahren wird uns erzählt, dass man Putin in der Ukraine aufhalten müsse, sonst stände er bald auf dem Reichstagsgebäude in Berlin und würde zum Spaß noch einmal die kommunistische Sowjetfahne hissen.

Seit fast drei Jahren erzählt man uns, dass man mit Putin nicht verhandeln könne, dass man Russland nur „ruinieren“ (Ex-Außenministerin Annalena Baerbock) können muss.

Und dann kommt ein Trump daher und erzählt uns eine ganz andere Geschichte: Der Einmarsch der russischen Truppen war vom Westen gewollt. Die Sicherheitsinteressen Russlands seien legitim. Also keine NATO an der Grenze zu Russland. Der Krieg müsse beendet werden und man kann ihn beenden.

Dass bei diesen Verhandlungen die EU bestenfalls am „Katzentisch“ sitzen darf, macht unsere Kriegselite wahnsinnig. Man habe doch so viel investiert. Und wer bezahlt, müsse auch bei der Kriegsrendite beteiligt werden.

Manchmal fragt man sich, ob diese EU-Elite schon einmal etwas von Imperialismus gehört hat. Der funktioniert nicht, weil man teilt, sondern weil man sich nimmt! Noch nie etwas davon gehört?

Man kann das Verstörtsein auf Seiten der EU-Kriegseliten auch träumerisch angehen. Die EU wollen ein ganz neues Kapitel in der Geschichte der Welterzählungen aufschlagen, das in etwa so vorzutragen ist:

Man will ehrlich sein. Man will sich an Abkommen und Vereinbarungen halten. Man will keinen „Informationskrieg“ führen. Man will sich nur verteidigen und nie, aber auch nie imperiale Interessen verfolgen.

Fangen wir von weit vorne an:

Der erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg … war nicht der russische Einmarsch in die Ukraine 2022, sondern der Krieg gegen die ehemalige Bundesrepublik Jugoslawien 1999. Dort verhinderte man kein „zweites Auschwitz“, sondern verfolgte nackte imperialistische Interessen.

Nicht Russland rückte seit 1989/90 vor – auf Berlin und sonst wo, sondern die NATO-Staaten. Das nennt man bis heute „Osterweiterung“ und ist das glatte Gegenteil vom dem, was in den Zwei-plus-vier-Verhandlungen versprochen wurde. Es war der Außenminister Genscher, der am 31. Januar 1990 in einem Vortrag vor der Evangelischen Akademie Tutzing gesagt hatte:

„Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben. […] Der Westen muss auch der Einsicht Rechnung tragen, dass der Wandel in Osteuropa und der deutsche Vereinigungsprozess nicht zu einer Beeinträchtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen führen dürfen.“
(Hans-Dieter Heumann: Hans-Dietrich Genscher. Die Biografie. Schöningh, Paderborn 2012, S. 280)

Es ist nicht „Putin“ mit dem man nicht verhandeln kann, sondern die NATO- und EU-Kriegseliten, die keine Gelegenheit auslassen, Vereinbarungen und Verträge zu brechen. Dazu gehören die Minsk I und II-Abkommen, die 2014/15 geschlossen wurden, um den „Bürgerkrieg“ zu beenden. Nicht „Putin“ hat diese Verträge gebrochen, sondern die versammelte EU-Kriegselite.

Bis heute zeigte sich niemand bestürzt darüber, dass die Ex-Bundeskanzlerin Angelika Merkel betont lässig gegenüber der Wochenzeitung ZEIT Anfang Dezember 2022 erklärte, dass das Minsker Abkommen von 2014 der Versuch gewesen sei, der Ukraine Zeit zu geben. „Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht.“

Im Imperialismus sind (transatlantische) Freundschaften kitschige Anmutungen

Der „US-Friedensplan“ scheint sehr einfach und logisch aufgebaut zu sein: Die US-Konzerne bekommen die Seltenen Erden, Russland die Donbass-Republiken und die Krim … und die EU zahlt (den Rest).

Nach der Bundestagswahl haben die zukünftigen Koalitionspartner sofort und gemeinsam das Kriegsbeil geschwungen. Man müsse noch mehr für den Krieg ausgeben, noch mehr Waffen an die Ukraine liefern, noch mehr Krieg in Eigenregie führen (ohne die USA).

Ganz sicher wird die politische Unterstützung in der Bevölkerung (vor allem im Osten Deutschlands) für den Krieg auf dem Boden der Ukraine noch mehr schwinden. Das wird der erwartbaren Koalition aus CSU/CDU und SPD noch mehr politische Legitimation kosten.

Im Osten bereits am Ziel angekommen

Man muss es ausdrücklich betonen: Schon jetzt ist die AfD in den fünf „neuen“ Bundesländern die stärkte parlamentarische Macht – mit zum Teil über 40 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Das basiert ganz wesentlich auf Erfahrung und Nicht-Erfahrung. In der ehemaligen DDR haben die Menschen die Erfahrung mit den „Russen“ gemacht. Und diese hat wenig bis gar nichts mit dem überlebten und reaktivierten Russenhass im Westen zu tun. Das zweite, was der AfD in die Hände spielt, ist die Nicht-Erfahrung. Die „Ausländer“ spielten im DDR-Alltag kaum bis gar keine Rolle. Man brauchte also nach dem Zusammenschluss den Ausländerhass nur aufspielen – ohne dass er sich gegen (andere) Erfahrungen durchsetzen musste.

Gewinner dieses irrsinnigen Krieges mit dem alten „Russenhass“ werden nicht die Menschen in der Ukraine sein, sondern die AfD in Deutschland. Das wird sich in vier Jahren noch deutlicher zeigen.

Die AfD bekämpfen, indem man sie an die Macht kommen lässt

Es ist naheliegend, dass einige darüber nachdenken, was man gegen diesen reaktionären Run oder – ganz hipp – Flow unternehmen könnte. Dabei werden Stimmen laut, die den Vorschlag machen, dass man die AfD doch an die Macht kommen lassen sollte, um … sie zu „entzaubern“. Ich habe keine Zauberkugel, um in die Zukunft zu schauen. Es gibt aber sehr handfeste Erfahrungen mit dieser „Strategie“. Sie ist nicht neu, sondern kläglich gescheitert. Das ist eine Weile her, also ungefähr 90 Jahre. Als die NSDAP in den 1930er Jahren immer stärker wurde, schlugen zahlreiche Analytiker aus konservativen, über SPD- bis hin zu KPD-Kreisen vor, die NSDAP auf die Weise zu „entzaubern“, in dem man sie an die Macht kommen lässt. Dann müsse sie beweisen, was sie von ihrem Programm umsetzt, wieviel nur Propaganda war. Man könnte und sollte wissen, dass diese „Strategie“ 1933ff sehr blutig gescheitert ist. Die NSDAP hat nicht nur Wort gehalten, sie hat mehr als dies getan – genau das, was man zur Selbstberuhigung als übertrieben oder auch nur widersprüchlich abtat.

Ob die AfD (noch) „das freundliche Gesicht des NS“ (Matthias Helferich/AfD und nun auch MdB) ist oder nur eine rechts-konservative Partei ist ein eigenes Kapitel (wert).

Warum kommen so wenige auf die Idee, eine andere Politik, eine „konkrete Utopie“ (Bloch) zu entwickeln und damit rechtsinnen und rechtsaußen gleichermaßen zu bekämpfen?

Sehr bald wird von der „Brandmauer gegen rechts“ nur noch der Projektor stehen bleiben, der regenbogenfarbige Bilder ins diverse Nirgendwo wirft. Dann werden die Illusionisten der politischen „Mitte“ dankbar sein, wenn sie zu Koalitionsgesprächen eingeladen werden. All das werden wir mit Wahlen nicht aufhalten. Auch dieses Mal nicht. Im Gegenteil.

Den Sauerstoff entziehen

Es gibt ein paar wunderbare Gedanken von Arundhati Roy, die einen anderen Weg einschlagen:

Our strategy should be not only to confront empire, but to lay siege to it. To deprive it of oxygen. To shame it. To mock it. With our art, our music, our literature, our stubbornness, our joy, our brilliance, our sheer relentlessness – and our ability to tell our own stories. Stories that are different from the ones we’re being brainwashed to believe.“

„The corporate revolution will collapse if we refuse to buy what they are selling – their ideas, their version of history, their wars, their weapons, their notion of inevitability.
(Arundhati Roy)

„Unsere Strategie sollte nicht nur darin bestehen, das Imperium zu konfrontieren, sondern es zu belagern. Ihm den Sauerstoff entziehen. Es beschämen. Es zu verhöhnen. Mit unserer Kunst, unserer Musik, unserer Literatur, unserer Hartnäckigkeit, unserer Freude, unserer Brillanz, unserer schieren Unerbittlichkeit – und unserer Fähigkeit, unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Geschichten, die sich von denen unterscheiden, die man uns durch eine Gehirnwäsche glauben machen will.“

Und: „Die Revolution der Konzerne wird zusammenbrechen, wenn wir uns weigern, das zu kaufen, was sie verkaufen – ihre Ideen, ihre Version der Geschichte, ihre Kriege, ihre Waffen, ihre Vorstellung von Unvermeidbarkeit.“

Quellen und Hinweise

Der Kohlhaas-Wahl-O-Mat 2025, Wolf Wetzel, 2025: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/der-kohlhaas-wahl-o-mat-2025/

Letzte TV-Runde vor der Wahl: Baerbock warnt vor Russen-Einmarsch nach Brandenburg, BILD vom 21.2.2025: https://www.bild.de/politik/aussenministerin-macht-angst-baerbock-warnt-vor-russen-einmarsch-in-brandenburg-67b797ef1aeb2534badd249a

Rechts und links = Null? Wolf Wetzel, 2023: https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/rechts-und-links-null/

AfD mit Helferich und Krah. Das „freundliche Gesicht des NS“, taz vom 25.2.2025: https://taz.de/AfD-mit-Helferich-und-Krah/!6068620/

Es ist nichts geschehen, Daniel Sandmann, 2025: https://www.manova.news/artikel/es-ist-nichts-geschehen

Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 5.3. 2025
https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/kein-bsw-wird-uns-retten-kein-trump-kein-scholz/

Wir danken für das Publikationsrecht.

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