Von Florian Rötzer
Bild: You Tube-Video (Screenshot)
Nach der Freigabe von ATACMS- und Storm Shadow-Raketen durch die amerikanische und britische Regierung hat die Ukraine zuerst am Dienstag mit ATACMS-Raketen ein Munitionslager in Bryansk beschossen und am Mittwoch mit Storm Shadow einen Kommandoposten in Kursk. Nach russischen Angaben wurden alle ATACMS-Raketen und zwei der Storm Shadow abgeschossen. In Bryansk gab es danach durch herabfallende Teile einen Brand, in Kursk sei Sicherheitspersonal getötet und verwundet worden. Die Schäden waren danach aus russischer Sicht nicht sonderlich groß, aber eine Eskalation, die Moskau meinte, beantworten zu müssen.
Die Angriffe mit westlichen weitreichende Waffen auf Ziele in Russland sind mit dem Wissen ausgeführt worden, damit eine von Moskau gesetzte rote Linien zu überschreiten, die eine Antwort nach sich ziehen musste. Gerade hat der russische Präsident Putin die Nukleardoktrin erneuert, die nun erlaubt, auf einen Angriff auf russisches Territorium mit konventionellen Waffen, wenn dies in Kooperation mit einer Atommacht geschieht, mit Atomwaffen zu reagieren.
Putin sah sich offenbar genötigt, auf die Angriffe auch mit einer Fernsehansprache reagieren zu müssen. Er stand schon länger unter Kritik von einem Teil der russischen Gesellschaft, die die Zurückhaltung geißelten und dem Präsidenten Schwäche vorwarfen, nicht hart genug gegen die Überschreitung roter Linie vorzugehen. In seinem Statement stellt Putin fest, dass der Einsatz der weitreichenden Waffen ohne die Mithilfe von Experten der Herstellerländer, also hier von den USA und Großbritannien, nicht möglich wäre. Man habe wiederholt erklärt, dass solche Angriffe den regionalen Konflikt, der nach Putin vom Westen provoziert war, auf eine globale Ebene heben.
Putin betont, dass solche Angriffe den Kriegsverlauf nicht verändern und die russischen Truppen weiter vorrücken. Gerätselt wurde, ob der Kreml tatsächlich in Reaktion eine Atomwaffe einsetzen wird, womit aber niemand rechnete. In Kiew, Washington und London glaubte man, dass wie zuvor Russland keinen Atomkrieg entfesseln will und höchstens die Angriffe auf die Ukraine verstärkt werden. Es mag zwar das Recht auf Selbstverteidigung sein, auch mit weitreichenden Waffen in Russland zuzuschlagen, aber man musste einkalkulieren, dass letztlich nur die Ukraine leiden würde. In Washington wie in der Nato sieht man sich auf der sicheren Seite und geht davon aus, dass Moskau es nicht wagen wird, einen Nato-Staat zu attackieren.
Putin wählte einen Zwischenweg. Er ließ eine neue Hyperschall-Mittelstreckenrakete – zuerst ging die Vermutung um, es sei eine Interkontinentalrakete – aus der Region Astrachan über eine Entfernung von 800 km gegen eine große ukrainische Waffenschmiede, in der Raketen hergestellt werden, in der Stadt Dnipr abfeuern. Dazu wurden weitere Raketen abgefeuert. Die Mittelstreckenrakete, wäre nach dem von den USA aufgekündigten INF-Abkommen verboten gewesen, betonte Putin. Der Angriff zeigte, dass Russland die Mittel hat, auch Ziele in großer Entfernung zu treffen, also auch in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Die Rakete kann mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden und sie fliegt mit Mach 10 so schnell, dass sie angeblich von der Luftabwehr nicht abgeschossen werden können. Der Kreml zeigt also, was der Nato drohen könnte. Putin:
„Als Reaktion auf die Stationierung amerikanischer und britischer Langstreckenwaffen führten die russischen Streitkräfte am 21. November einen kombinierten Angriff auf eine Anlage im ukrainischen Verteidigungsindustriekomplex durch. Unter Feldbedingungen testeten wir auch eines der neuesten russischen Mittelstreckenraketensysteme – in diesem Fall mit einer nichtnuklearen ballistischen Hyperschallrakete, die unsere Ingenieure Oreshnik nannten. Die Tests verliefen erfolgreich, so dass das angestrebte Ziel des Starts erreicht wurde. In der ukrainischen Stadt Dnepropetrowsk wurde einer der größten und bekanntesten Industriekomplexe aus der Zeit der Sowjetunion getroffen, in dem weiterhin Raketen und andere Rüstungsgüter hergestellt werden.“
Das Pentagon war kurz vorher vorgewarnt worden. Putin erklärte, wenn Oreshnik-Raketen wieder gegen die Ukraine eingesetzt werden, würde man das vorher ankündigen, um Zivilisten zu schonen. Ansonsten geht die Demonstration mit einer Androhung an die Unterstützerländer einher:
„Wir werden die Ziele bei weiteren Tests unserer fortgeschrittenen Raketensysteme auf der Grundlage der Bedrohungen für die Sicherheit der Russischen Föderation bestimmen. Wir halten uns für berechtigt, unsere Waffen gegen Militäreinrichtungen derjenigen Länder einzusetzen, die es zulassen, ihre Waffen gegen unsere Einrichtungen einzusetzen, und im Falle einer Eskalation aggressiver Handlungen werden wir entschlossen und spiegelbildlich reagieren. Ich empfehle den herrschenden Eliten der Länder, die Pläne für den Einsatz ihrer Militärkontingente gegen Russland ausbrüten, dies ernsthaft in Erwägung zu ziehen.“
Zu den Zielen gehört nach Maria Sacharowa der amerikanische, der Nato unterstellte Raketenstützpunkt in Polen. Natürlich würde auch der geplante amerikanische Raketenstützpunkt in Deutschland zu einem möglichen Ziel werden.
Die Biden-Regierung tritt offenbar in eine Eskalationsspirale ein. Jetzt werden auch verpönte Antipersonenminen an die Ukraine geliefert. Welchen Zweck das haben soll, ist schleierhaft. Soll der Trump-Plan vereitelt werden, schnell zu einem Waffenstillstand zu kommen, indem die USA weiter in den Krieg hineingezogen werden? Kaum realistisch ist, dass die Angriffe mit den wenigen ATACMS- und Storm Shadow-Raketen die russischen Streitkräfte entscheidend schwächen könnten. Man hat den Eindruck, es ist eine verzweifelte Aktion von Biden, nicht als Verlierer aus dem Weißen Haus zu gehen und lieber eine gefährliche Eskalation zu riskieren, als Verhandlungen mit Moskau über ein Ende des Kriegs zu beginnen. Austragen müssen dies die Ukrainer, möglicherweise die Europäer, in Washington kann man sich noch sicher fühlen. Nach Umfragen befürworten immer mehr Ukrainer Verhandlungen und auch Verzicht auf Territorien.
Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 21.11. 2024
https://overton-magazin.de/top-story/gefaehrliche-eskalationsspirale/
Wir danken für das Publikationsrecht.