Marsianische Fieberfatasien – Der Exodus der Geldmenschen

Flucht auf den Mars, Upload in die Cloud oder Rückzug in den Atombunker? Wie die Superreichen sich auf die Apokalypse vorbereiten.

Von Tomasz Konicz

Bild: Elon Musk vor dem „Gateway to Mars“, Dezember 2020. Foto: Steve Jurvetson (CC-BY 2.0 cropped)

Der Sozialwissenschaftler und Medientheoretiker Douglas Mark Rushkoff erhielt im vergangenen Jahr ein Angebot, das er kaum ablehnen konnte.

Es sei das mit Abstand höchste Honorar gewesen, das ihm für einen Vortrag vor einem äusserst exklusiven Publikum in einem abgeschotteten Luxusressort für Superreiche angeboten wurde. Für den Gegenwert seines halben Jahresgehalts als Professor für Medientheorie und digitale Wirtschaft an der City University of New York sollte Rushkoff einen Vortrag samt Diskussionsrunde vor dem erlesensten Geldadel des Spätkapitalismus halten, vor einer Gruppe von rund hundert Investmentbankern, die Auskunft über das Thema „Die Zukunft der Technik“ wünschten.

Nach seiner Ankunft wurde der Medientheoretiker zuerst in einen Raum geführt, wo fünf weisse, ungeheuer reiche Männer auf ihn warteten, die für einen fünfstelligen Betrag vor allem eine Frage beantwortet sehen wollten: Wie überleben wir das „Ereignis“? Mit diesem Begriff belegten die hohen Herren den Zusammenbruch der Zivilisation, den sie als unabwendbar ansehen.

Die Fragen, die von den branchenüblich praktisch veranlagten Vorstandsvorsitzenden von Finanzhäusern und Investmentfirmen gestellt wurden, zielten auf die Optimierung von Überlebensstrategien nach der Apokalypse. Gefragt wurde beispielsweise, welche Regionen am wenigsten vom eben dem Klimawandel tangiert würden, den Rechtspopulisten immer noch leugnen. Von Interesse waren auch Bestrebungen innerhalb der Hightech-Oligarchie, das eigene Bewusstsein in die Supercomputer oder die Cloud hochzuladen, um so als eine digitale Kopie seiner selbst zu überleben.

Schliesslich – man ist ja praktisch veranlagt – kreiste das rund einstündige Gespräch um die leidige Sicherheitsfrage, die sich nach dem Zusammenbruch der besten aller möglichen Welten unweigerlich stellen würde.

Der Vorstandsvorsitzende eines Investmenthauses wollte etwa wissen, wie er die „Kontrolle über meine Sicherheitskräfte nach dem Ereignis“ behalte. Die Finanzmagnaten wüssten, dass bewaffnete Wächter ihre Zufluchtsorte vor wütenden Menschenmengen verteidigen müssten, so Rushkoff, doch sie wüssten nicht, „wie sie diese bezahlen sollten, sobald Geld wertlos geworden“ sei.

Was also würde die schwer bewaffneten Sicherheitskräfte davon abhalten, ihren eigenen Führer zu wählen – und sich ihrer derzeitigen „Arbeitgeber“ einfach zu entledigen? Die Milliardäre entwickelten hierbei die unterschiedlichsten Ideen, die sie auf ihre technische Machbarkeit überprüft sehen wollten.

Wäre es möglich, die Nahrungsmittel mit speziellen Schlössern zu sichern, die nur sie öffnen könnten? Seien „Disziplinierungshalsbänder“ technisch realisierbar, die sie den Sicherheitskräften anlagen könnten, um diese von der Rebellion abzuhalten? Oder sei es eventuell technisch möglich, schon jetzt auf den Faktor Mensch gänzlich zu verzichten und Roboter als Wächter und Diener arbeiten zu lassen?

Panik unter den obersten Zehntausend

Während dieses Gesprächs sei es ihm plötzlich klar geworden, dass seine einflussreichen Gesprächspartner tatsächlich hier die „Zukunft der Technik“ diskutierten, erinnerte sich Rushkoff. Eine wachsende Schicht von Superreichen sehe in den wachsenden technologischen Möglichkeiten nur noch ein Mittel zum postapokalyptischen Überlebenskampf.

Das Gerede davon, die spätkapitalistische Welt durch Technik zu einem besseren Platz zu machen, wird in solchen Gesprächen fallengelassen. Es gehe nur noch darum, das Menschsein hinter sich zu lassen und sich selbst von den zunehmenden Krisentendenzen abzukapseln, so Rushkoff. Für diese Superreichen bestehe die Zukunft der Technik vor allem „in einer Sache: in der Flucht“. Bei all ihrem Reichtum und ihrer Macht, glaubten sie nicht mehr, sie könnten die Zukunft beeinflussen, bemerkte Rushkoff.

Die Superreichen haben somit Angst – gerade weil sie merken, dass sie die gesellschaftliche Krisendynamik nicht unter Kontrolle haben. Der in diesen Kreisen übliche Allmachtswahn schlägt somit angesichts zunehmender Krisentendenzen jäh ins Gegenteil um: in die soziale Ohnmachtserfahrung. Die Superreichen reagieren auf diese Einsicht mit sozialer Panik – die gesellschaftliche Bindung soll gekappt, das eigene Überleben in Abkapselung von der Gesellschaft organisiert werden.

Dies ist keine Marotte der obersten Zehntausend, sondern eine krisenhafte Extremform des neoliberalen Konkurrenzdenkens, mit dem die spätkapitalistischen Gesellschaften in den vergangenen Dekaden verseucht wurden. Diese zunehmenden Abschottungstendenzen der Superreichen spiegeln nur den Survivalismus, der auch in der Neuen Rechten um sich greift, etwa in der Szene der sogenannten Prepper, die sich auf den Weltuntergang „vorbereiten“ (to prepare).

Die Mittel, die zur postapokalyptischen Abkapslung angewendet werden, sind bei den Superreichen nur ganz andere. Der rehte Prepper mag seinen eigenen Keller in einem Bunker umbauen, für den Milliardär Elon Musk stellt sich eher die Frage, welchen Planeten man nach dem zivilisatorischen Zusammenbruch ansteuern wolle.

Er glaube, die Welt steuere auf ein zivilisationsbedrohendes Szenario zu, etwa einen 3. Weltkrieg, erklärte Musk in einem Interview, weshalb er dafür sorgen wolle, dass ein „Samen“ der Menschheit überlebe. Sein Weltraumunternehmen SpaceX habe auch das Ziel vor Augen, dafür zu sorgen, dass die menschliche Zivilisation „irgendwo anders“ überlebe, sobald sie auf der Erde zusammenbreche.

Marsianische Fieberfatasien

Dies soll auf dem Mars geschehen. Der rote Planet werde dabei nicht nur zivilisatorischer Zufluchtsort, sondern auch ein prima Geschäftsfeld sein, erläuterte Musk: „Der Mars wird alles Mögliche brauchen, von Eisenwerken bis zu Pizzabuden … und er wird grossartige Bars haben“, schwelgte Mustk in einem Interview. Sobald die Infrastruktur stehe, werde man auf dem Mars „ein grosses Ausmass an unternehmerischen Ressourcen benötigen“. Das System, das die Erde in den ökologischen Kollaps treibt, soll somit auf dem Mars prolongiert werden.

Newsweek etwa glaubte schon 2015 einen künftigen stellaren „Klassenkampf“ prognostizieren zu können, bei dem in wenigen Dekaden die Reichen die Erde verlassen würden, um die Unterschicht im Chaos einer zerfallenden Zivilisation zurückzulassen. Der britische The Guardian fragte ebenfalls, ob die „Megareichen“ nicht nur deswegen unbedingt Raumschiffe haben wollten, um der Erde entfliehen zu können, die sie selber zerstören.

Solche marsianischen Fieberfantasien eines Elon Musk oder des Amazon-Androiden Jeff Bezos, die konsequent die bisherigen, spektakulär gescheiterten Grossexperimente mit geschlossenen Biosphären ignorieren, sind nur der extremste Ausfluss des panischen Bestrebens der Klasse von Profiteuren des Spätkapitalismus, den Krisentendenzen des amoklaufenden Systems zu entkommen, das sie selbst hervorbrachte.

Bunker aus dem Kalten Krieg

Wem der Mars zu rot und zu futuristisch ist, der kann sich gerne in die gute alte Zeit des Kalten Krieges zurückziehen. Die Silos für Interkontinentalraketen im US-Bundesstaat Kansas, die seit dem Ende der Systemkonfrontation grösstenteils brachliegen, sind nun einem neuen, lukrativen Geschäftsfeld zugeführt worden. 2008 von dem Unternehmer Larry Hall aufgekauft, sind sie nun zu einem Luxusbunker-Komplex umgebaut worden.

Für rund vier Millionen US-Dollar kann nun eine luxuriös ausgestattete Etage in dem ehemaligen Raketensilo erworben werden. Für den kleinen Geldbeutel sind schon halbe Etagen für den Schnäppchenpreis von 1,5 Millionen Dollar von dem Unternehmen Survival Condo zu erwerben.

Unter neun Meter dicken Betonmauern können so Winde bis zu 500 Stundenkilometern und nahe Atomschläge überlebt werden. Jedes einzelne Silo kann 75 betuchten „Kunden“ Schutz bieten. Die Lebenserhaltungssysteme sind auf einen Zeitraum von maximal fünf Jahren ausgelegt. Ein modernes IT-System sorge für Unterhaltung, Bildung und Kommunikation zwischen den Silos, erklärten Vertreter des Unternehmens.

In der postapokalyptischen Gated Community gebe es ein Schwimmbad samt Sauna, eine Erste Hilfe Station, eine Kletterwand, einen Sportraum sowie eine Bücherei. Und selbstverständlich verfüge die Anlage über „das höchste militärische Ausmass an nichttödlichen und tödlichen Sicherheitsvorrichtungen,“ um die lieben „Kunden“ zu schützen.

Die Frage, wieso die Sicherheitskräfte dies nach dem Ausbruch der Zombieapokalypse überhaupt tun sollten, anstatt den Laden selber zu übernehmen und die „Kunden“ an die frisch strahlende Luft zu befördern, stellt sich bei Survival Condo lieber Niemand.

Beliebt als Zufluchtsort für Megareiche vor dem Zusammenbruch ist auch Neuseeland. Die Leute glaubten, Neuseeland sei ein guter Aufenthaltsort, wenn die Welt „zur Hölle geht“, erklärte ein Migrationsagent gegenüber The Guardian den zunehmenden Zustrom von reichen Migranten aus den USA.

Die Angst vor der kapitalistischen Apokalypse führe innerhalb der „Funktionseliten“ des Kapitals zu einer regelrechten Sammelwut von Immobilien. Er sammle Immobilien in diversen Weltregionen, um immer einen „Zufluchtsort“ zu haben, erklärte etwa ein Investmentbanker gegenüber Medienvertretern.

Angst und Panik breiten sich gerade innerhalb der sogenannten „herrschenden Klasse“ aus – obwohl es keine gegnerische Klasse, keinen politischen Gegner mehr gibt, der ihre „Herrschaft“ bedrohte. Das Kapital scheitert an sich selbst, sowohl ökonomisch wie ökologisch Hier wird auch der fetischistische Charakter der vermittelten Herrschaft im Kapitalismus evident.

Im Kapitalismus herrscht das Kapitalverhältnis als eine unbewusst von den Marktsubjekten hervorgebrachte, blinde Wachstumsdynamik, die wild wuchernd sich jeglicher Kontrolle entzieht – und diese widersprüchliche Eigendynamik uferloser Kapitalverwertung ist grösser als die grössten Kapitalisten, die gerade in Krisenzeiten plötzlich spüren, selber nicht „Herr“ der Lage zu sein.

Zugleich stellt diese Konjunktur der Doomsday-Industrie die in Krisenzeiten grassierenden Ideologien einer finsteren Weltverschwörung bloss, die insbesondere innerhalb der Neuen Rechten – zumeist mit antisemitischen Untertönen – propagiert werden. Es gibt keine Weltverschwörung. Das ist ja das Beängstigende, dass das Kapitalverhältnis seiner Eigendynamik folgend die menschliche Zivilisation zu zerstören droht.

Die Notwendigkeit, eben diese autodestruktive Dynamik uferloser Kapitalverwertung zu überwinden, werden aber Weltraumunternehmer wie Musk niemals einsehen – eher schon können sie die Apokalypse akzeptieren.

Erstveröffentlicht im Untergrundblättle v. 25.12.-23
https://www.untergrund-blättle.ch/gesellschaft/panorama/der-exodus-der-geldmenschen-8126.html

Wir danken für das Publikationsrecht.

Atomkraft ist keine Lösung für die Klimakrise

Bild: Eingang zum Atomkraftwerk in Civaux, Frankreich. Foto: E48616 (CC-BY-SA 3.0 unported – cropped)

Statusbericht zur weltweiten Situation der Atomindustrie belegt: Es gibt weiterhin viele Gründe, die für einen weltweiten Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Atomkraft sprechen.

Die Krebscluster um die Atomanlagen im Regelbetrieb, das Störfallrisiko, die ungelöste Atommüllfrage, die Umweltzerstörung in den Uranabbaugebieten, Atomkraftwerke als Kriegsziel.

Dennoch formuliert die Atomlobby Erweiterungsphantasien, die jegliche Realität verleugnen. Die Atomstromproduktion soll bis 2050 verdreifacht werden, heisst es nun.

Der am 6.12.2023 erschienene Word Nuclear Industry Status Report 2023 macht deutlich, wie weit hier Wunsch und Wirklichkeit von einander abweichen. Erneut wird hier der globale Rückgang der Atomkraft dokumentiert. Das zweite Jahr in Folge ist die globale Atomstromproduktion mit 9,2 % unter die 10 %-Marke gesunken. Ein zukünftiger Anstieg ist nicht in Sicht.

Wie Realitätsfern das Ausbauziel der Atomlobby ist, merkt man, wenn man es einmal durchrechnet. Derzeit sind weltweit 412 Reaktoren im Betrieb. Es müssten also 824 zusätzliche gebaut werden. Von den derzeit laufenden Reaktoren sind 270 so alt, dass sie bis 2050 vom Netz gehen werden und ersetzt werden müssten. Das macht zusammen 1094 zusätzliche AKW.

Bei einer Bauzeit von 10 Jahren müssten die letzten 2040 in Bau gehen: 1094 Baustarts in 17 Jahren.

„Um bis 2050 den Atomstromanteil zu verdreifachen müssten jährlich 64 Atomkraftwerke in Bau gehen. 2023 starteten weltweit aber nur 4 Neubauprojekte. Alleine dieser Vergleich zeigt, wie realitätsfern die Ausbauziele der Atomlobby sind“ sagt Bernd Redecker vom Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom.

Besonders deutlich wird es, wenn man nach Frankreich schaut. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung ist im Atomenergiemusterstaat die Atomstromproduktion seit 2005 stark gesunken. Das liegt vor allem an dem Alter der Reaktoren und den daraus resultierenden hohen Ausfallzeiten. Seit 2000 ist dort kein neues AKW ans Netz gegangen, 54 der 56 in Frankreich laufenden Reaktoren werden bis 2050 abgeschaltet.

2022 hat Macron medienwirksam angekündigt, dass er 6 neue AKW bauen will. Kurze Zeit später wurde bekannt, dass der Staatskonzern EDF damit rechnet, dass das erste dieser Sechs 2039 ans Netz gehen wird und das letzte nicht vor 2050. 54 abschalten und nur 6 bauen: Der Anteil an Atomstrom wird also selbst in Frankreich dramatisch sinken.

„Alles Gerede von einer Renaissance der Atomkraft ist reine Augenwischerei und dient nur dazu, vom tatsächlich Notwendigen abzulenken, ohne etwas für den Klimaschutz etwas zu bewirken. Was es stattdessen braucht, ist ein konsequentes Umdenken, das auf den Ausbau von Erneuerbaren setzt, vor allem aber auch auf Einsparungen, nicht nur im Energiebereich, sondern bei allen Ressourcen.“ sagt Jonas Korn vom KlimaKollektiv Lüneburg.

Hintergrund

Am 06.12.2023 ist der jährlich World Nuclear Industry Status Report erschienen. Hier als Download.

Das Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom wurde 2009 anlässlich der Menschenkette zwischen Brunsbüttel und Krümmel gegründet. Nach dem Abschalten der letzten AKW in Deutschland werfen wir einen kritischen Blick auf den Umgang mit den Folgen aus sechzig Jahren Atomstrom: denn der Atommüll wird uns noch über Generationen als Problem erhalten bleiben.

pm

Erstveröffentlicht im Untergrundblättle v. 22.12.23
https://www.untergrund-blättle.ch/gesellschaft/oekologie/statusbericht-zur-situation-der-atomindustrie-atomkraft-ist-keine-loesung-fuer-die-klimakrise-8114.html

Wir danken für das Publikationsrecht.

Energiewende und grüne Ausbeutung

Vortrags- und
Diskussionsreihe zur Klimadebatte und sozial-ökologischen Transformation.

Die 2. Veranstaltung unserer Reihe wird sich mit dem Thema des Grünen
Extraktivismus beschäftigen:

*Energiewende und grüne Ausbeutung*

Montag 18. Dezember 19.30 Uhr im Versammlungsraum im Mehringhof,
Gneisenaustr. 2, in Kreuzberg*

Hauptaugenmerk dabei ist die Darstellung der sozial-ökologischen Folgen für die lokale Bevölkerung in den Ländern des Südens. Der gerade von der Ampelkoalition so favorisierte grüne Wasserstoff aus Sonnen- und
Windenergie, als klimapolitisch sauberer Ausstieg aus der fossilen Energie, erweist sich als hoch- problematisch. Nicht von ungefähr
formiert sich in Ländern wie Kolumbien oder Chile Widerstand gegen die geplanten Milliardeninvestition .

Diese Seite verwendet u. a. Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung