Ver.di hatte schon vor Monaten einen Entlastungstarifvertrag und „TVöD für!“ alle gefordert. Der Entlastungstarifvertrag soll für mehr Pflegekräfte in den Krankenhäusern sorgen und die Forderung „TVöD für alle“ gilt vor allem für die Töchter der Krankenhaus-unternehmen, wo die Beschäftigten bei gleicher Arbeit weniger Lohn bekommen als diejenigen, die einen Arbeitsvertrag mit der Mutter haben.
Schon im Mai diesen Jahrs hatte ver.di auf einer öffentlichen Kundgebung ein Ultimatum von 100 Tagen gesetzt. Sollte bis dahin kein tragbarer Kompromiss zustande gekommen sein, droht ver.di mit Streik. Jetzt war es so weit. Ver.di rief in einem ersten Schritt die Beschäftigten der Charité, von Vivantes und der Töchter von Vivantes zu einem Warnstreik vom 25 bis zum 28. August auf.
Der Krankenhauskonzern Viviantes, die Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH, wollte den Warnstreik bei der Mutter und den Töchtern gerichtlich auf dem Wege einer einstweiligen Verfügung unterbinden.
Nicht die Charité, aber Vivantes versuchte den Warnstreik gerichtlich verbieten lassen. Nicht die Charité, nur Vivantes griff die Notdienstpläne von ver.di gerichtlich an. Nicht die Charité, nur Vivantes behauptete eine Friedenspflicht, die ver.di nicht erlaube, zum Streik für einen Tarifvertrag Entlastung aufzurufen.
In einem sogenannten Zwischenbeschluss von Freitag, dem 20. August verbot die 29. Kammer des Arbeitsgerichts ver.di, die Beschäftigten der Töchter von Vivantes zum Streik aufzurufen, “soweit nicht die Leistung eines Notdienstes nach den Vorstellungen der Arbeitgeberseite gewährleistet ist”; es “obliege dem Arbeitgeber, die Einzelheiten des Notdienstes festzulegen; es könne nicht der streikenden Gewerkschaft überlassen bleiben, den Personalbedarf ihrerseits einseitig festzulegen” (siehe Pressemitteilung Nr. 25/21 vom 20.8.21). Eine solche Auffassung ist unvereinbar mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts[1] und vollkommen verfehlt. Sie würde dazu führen, dass der Arbeitgeber darüber bestimmt, in welchem Umfang gestreikt wird.
Der Rechtsstreit erledigte sich dadurch, dass sich ver.di und Vivantes in einem Vergleich auf Regelungen über die Regelungen zum Notdienst für die Töchter einigten. Nur in einem Fall entschied die 29. Kammer des Arbeitsgericht die Regelungen zum Notdienst durch Urteil (siehe Pressemitteilung vom 26. August Nr. 29/21). Für die Beschäftigten der Töchter wurde am Morgen des 25. August das Streikverbot durch die 29. Kammer aufgehoben.
Am Montag den 23. August teilte das Arbeitsgericht der Presse mit, dass die 36. Kammer ver.di auch verbietet, die Beschäftigten der Mutter – also die Beschäftigten der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH – zum Streik aufzurufen. Es ging um einen Warnstreik zur Durchsetzung des Entlastungstarifvertrages.
Nachdem ver.di gegen diese Entscheidung Widerspruch eingelegt hatte, teilte das Arbeitsgericht in einer Pressemitteilung vom Dienstag, dem 24. August, mit, dass die 36. Kammer das Ende des Streikverbots auch für die Beschäftigten der Mutter beschlossen habe. Das Gericht wies den Antrag von Vivantes, den Streik zu verbieten, zurück. Der Notdienst sei mit den Zusagen von ver.di hinreichend geregelt. Die Pressemitteilung hebt im letzten Satz richtig hervor: Eine Vereinbarung von Notdienstregelungen ist nicht erforderlich. Das heißt: Es können, es müssen aber nicht Notdienstregelungen vereinbart werden. Die Gewerkschaft kann auch einseitig die notwendigen Notdienstregelungen festlegen. Das gilt zum Beispiel dann, wenn sich das Unternehmen einer Notdienstregelung verweigert (im November 2021 bestätigte das Landesarbeitsgericht in einem anderen Fall diese Rechtsauffassung: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2021, 12 Ta 1310/21).
Das Arbeitsgericht konnte auch keinen Verstoß gegen die Friedenspflicht erkennen, wie ihn Vivantes geltend gemacht hatte: Die Forderungen nach einem Entlastungstarifvertrag seien bisher nicht in einem Tarifvertrag (TVöD) geregelt. Daher bestehe auch keine Friedenspflicht.
Festzuhalten bleibt: Nicht die Charité, nur Vivantes versuchte über das Gericht den Streik zu verbieten zu lassen. Nicht die Charité, nur Vivantes griff die Notdienstpläne von ver.di gerichtlich an. Nicht die Charité, nur Vivantes behauptete eine Friedenspflicht, die ver.di nicht erlaube, zum Streik für einen Tarifvertrag Entlastung aufzurufen.
Müller ging am 24. August auf der Landespressekonferenz nicht auf die Frage ein, ob die Forderung der Geschäftsführung der Viviantes GmbH nach Einhaltung einer angeblichen Friedenspflicht der Gewerkschaft überhaupt Substanz hatte oder einfach nur vorgeschoben war, um die Beschäftigten an der Wahrnehmung ihres Streikrechts zu hindern.
Auch war das Angebot des Regierende Bürgermeister keine Lösung, sich als “Moderator” für den Fall anzubieten, dass sich Vivantes und ver.di nicht über einen Notfallplan einigen könnten. Das Land Berlin und mit ihm der Regierende Bürgermeister an der Spitze können niemals Moderator in dieser Sache sein. Das Land Berlin als alleiniger Gesellschafter der Vivantes GmbH hat alle Fäden in der Hand, so dass es am Ende auch immer dafür verantwortlich ist, wie die Geschäftsführung von Vivantes mit dem Streik umgeht. Ein Moderator muss dagegen vermitteln und unparteiisch sein. Das Land Berlin kann nicht zwischen zwei Parteien vermitteln; denn es ist selbst Partei und muss entscheiden. Notwendig wäre nicht dieses Moderationsangebots gewesen, sondern eine unmissverständliche Weisung des Landes Berlin gegenüber der Geschäftsführung von Vivantes mit dem Ziel, die Beschäftigten nicht in der Wahrnehmung ihres Streikrechts zu behindern (§ 37 GmbHG).
Dass das Land Berlin die Geschäftsführung von Viviantes in dieser Weise agieren ließ, zeugt von mangelndem Respekt vor einem der wichtigsten Menschenrechte, dem Streikrecht.
Dasselbe gilt für die Entscheidung, in welchem Umfang die Tarifforderungen von ver.di erfüllt werden. Auch hier muss und kann das Land Berlin und mit ihm der Regierende Bürgermeister an der Spitze des Landes entscheiden.