Kleines Kursbuch

Ein Land in Olivgrün

Von Jochen Gester

Bild: Collage Jochen Gester

Nachdem der Corona-Pandemie, die auch genutzt wurde, die Bevölkerung an autoritäre Eingriffe des Staates, die Grundrechte suspendierten, zu gewöhnen, hat sich seit dem Febrauar 2022 schlagartig ein neuer Virus ausgebereitet, der jedoch nicht über die Atemwege sonden durch die Gehirne Verbreitung findet. Sein Name lautet „Kriegstüchtigkeit“. Besonders befallen sind die politischen Eliten des Bürgertums. Ihre gegenwärtigen Vorkämpfer beschränken sich nicht auf die rechtsautoritären Kreise, die in dieser Klasse schon immer das Recht beansprucht haben, ihre Interessen mit offener Gewalt durchzusetzen sondern haben sich auch auf diese Milieus ausgebreitet, die aus den subalternen Klassen einen Aufstieg zu Rang und Namen geschafft haben. Statt den Krieg verachten diese heute mehr sogenannte Lumpenpazifisten, die daran erinnern, dass Kriege keine Probleme lösen sondern nur verschärfen. Vorbei die Zeiten, in der man sich als geläutertes gebranntes Kind präsenierte und reumütig verkündete, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen sollte und man bereit sei, die Hand zu Verständigung und Versöhnung zu reichen. Das neue Feindbild ist das alte: Russland. Und wie dies das ABC der Kriegspropaganda erfordert, muss der Feind personifiziert werden. Es ist „Putin“, der wie der selige Grofaz in deutschen Diensten nicht nur allmächtig sein soll, sondern dem – so die neuesten Erkenntisse hiesiger Gazetten – auch alles dort gehöre. Ein Super-Musk sozusagen.

Nicht weniger duchgeknallt ist die Debatte um die erforderliche Höhe des Rüstungshaushalts, die den Charakter einer Auktion angenommen hat. Wer bietet mehr? Das lange nicht durchsetzbare Ziel, jährlich 2% des BIPs dafür zu verausgaben, ist Verfassungsauftrag. Doch war das nur eine Dammbruchmarke. Die Bieterkette aus Pistorius, Merz, Trump, Musk und Weidel ist nun bei 5% und mehr angelangt. Die Sympathieerklärungen der bürgerlichen Mitte nach rechtsaußen reißen nicht ab. Wen wundert es da noch, dass der Leiter des arbeitgeberfreundlichen ifo-Instituts Clemens Fuest, sich für die Goebbelsche Losung „Kanonen statt Butter“ erwärmen kann. Auch mit dem geradezu avantgardistischem Einsatz der einmal grasgrünen Partei für Umwelt und Frieden bekommt Deutschland eine olivgrüne Färbung. Kaum vergeht ein Tag, an dem nicht neue Vorschläge die Runde machen. Dabei dreht es sich immer mehr auch darum, dass die Gesellschaft in den Kriegskurs eingebunden wird und nicht irgendwie widerspensig oder gleichgültig außen vor bleibt. Eine koordinierende und durchgriffsfähige Exekutive ist gefragt. Auch soll eine „Kriegsmentalität“ entstehen.

Ganz aktuell hat sich der designierte Bundeskanzler aus dem Sauerland zu diesem Thema in einem Vortrag des Global Leader Dialogs bei der Körber Stiftung geäußert. Im Fokus steht der neu eingerichte Nationale Sicherheitsrat. Nach den verstärkt an Schulen einzusetzenden Jugendoffizieren der Bundeswehr und den Angriffen auf die Zivilklauseln an den Hochschulen, die miliärischer Forschung Grenzen setzten, möchte Merz gleich ganze Lehrstühle für Sicherheitspolitik einrichten.

„Dreh- und Angelpunkt der kollektiven politischen Entscheidungsfindung der Bundesregierung soll der neue Nationale Sicherheitsrat im Kanzleramt werden. Ihm sollen die mit innerer und äußerer Sicherheit befassten Minister der Bundesregierung, Vertreter der Bundesländer sowie die wichtigsten Sicherheitsbehörden angehören, die Bundesregierung werde hier zu jeder grundsätzlichen Frage eine gemeinsame Linie finden und diese dann auch gemeinschaftlich vertreten. „Die Zeiten, in denen europäische Partner aus Berlin andere Antworten bekommen haben – je nachdem, ob sie im Kanzleramt, im Auswärtigen Amt oder im Finanzministerium angerufen haben – müssen der Vergangenheit angehören“, so Merz. Der Sicherheitsrat soll auch die Federführung bei der Erstellung einer neuen nationalen Sicherheitsstrategie haben, die binnen eines Jahres fertiggestellt sein soll. Friedrich Merz kündigte zudem an, Geld für die Einrichtung sicherheitspolitischer Lehrstühle an deutschen Hochschulen bereitzustellen.“1

Auch Entwicklungszusammenarbeit soll klarer unter der Prämisse stehen, den strategischen Interessen Deutschlands zu dienen. Israel soll es an nichts fehlen und im Indopazifik hätte der CDU-Vorsitzende gerne eine Marinebasis. Und er weiß als ehemaliger Deutschland-Verantwortlicher für Blackrock auch, dass die aktuellen und zukünftig ersehnten Geschäfte in der Ukraine nicht durch Friedensbemühungen torpediert werden dürfen. Die Allianz mit den USA ist für ihn einmalig und unersetzbar. Donald Trump sieht er nicht düster sondern eher als Chance.

Da passt es doch prima ins Bild, dass auch die taz einen Artikel würdigt, den Michael Krüger, emiritierter Professor für Sportwissenchaften in Münster im offiziellen Organ des Deutschen Sportlehrerverbandes, veröffentlich hatte. Der Autor möchte seinen Artikel als Beitrag zur Demokratieerziehung im Geiste des SPD-Politikers Carlo Schmids verstanden wissen.

„Was hätte Carlo Schmid heute zu seinem SPD-Genossen und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gesagt, der angesichts des Krieges des russischen Diktators Wladimir Putin gegen die Ukraine und letztlich auch gegen die Menschen in Russland davon gesprochen hat, dass die Bundeswehr wieder „kriegstüchtig“ werden müsse, um sich gegen diese Aggression zu wappnen. Auch wenn es Boris Pistorius nicht gesagt hat, aber „kriegstüchtig“ bedeutet nicht nur, dass das Kriegsgerät funktioniert und in ausreichender Zahl Waffen und Munition zur Verfügung steht, sondern es geht auch um die Menschen, die bereit und in der Lage sind, einen Krieg zu führen, die Waffen zu bedienen und die physischen und psychischen Strapazen sowie Entbehrungen eines Krieges auf sich zu nehmen, wie es die ukrainischen und russischen Soldaten tun. Wie viele von ihnen inzwischen gefallen sind, weiß niemand genau – Schätzungen gehen in die Hunderttausende. Leibesübungen und Sport sind kein Mittel der „Erziehung zu seelischer und körperlicher Militärtauglichkeit“. Das sollten wir festhalten. Carlo Schmid wusste jedoch auch, dass die „Würde des Menschen“, wie es im Grundgesetz heißt, erkämpft und verteidigt werden muss. Eine freiheitliche Gesellschaft in einem demokratischen Staat braucht deshalb Bürger*innen, die sowohl seelisch als auch körperlich in der Lage sind, dies zu tun. Die charakterliche und physische Erziehung durch Bewegung, Spiel und Sport ist in diesem Sinn auch Teil der Erziehung zur „Kriegstüchtigkeit“ in einem freiheitlichen Gemeinwesen. „Frieden ohne Freiheit ist kein Frieden“, meinte Konrad Adenauer, Carlo Schmids Gegenspieler von der CDU und erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Punkt waren sich die beiden einig.“2

Der Autor scheint diese Sätze mit Bedacht zu formulieren. Er sagt nicht, dass mit den Ertüchtigungen nun im nächsten Schuljahr in der Grundschule begonnen werden muss. Es ist aber naheligend, daran zu erinnern, dass er Sportlehrer ist und natürlich auch die ihm anvertrauten Kinder und Jugendlichen im Blick hat. Da ist es denn nur eine Frage, ab wann damit begonnen werden sollte. Schließlich spricht er von „Erziehung“, und damit ist normalerweise nicht die Vermittlung von Wissen und Können bei Erwachsenen gemeint. In jedem Fall sollte man dieser Art Neu-Jahnscher Wehrertüchtigung jegliche Legitimationshilfe verwehren.

Das Wort „Kriegstauglichkeit“ wäre eigentlich der konkurrenzlose Kandidat für das „Unwort des Jahres“ gewesen, das jedes Jahr von einer Jury vergeben wird. Die Jury hat sich nicht getraut. Geworden ist es „biodeutsch“. Der Gewinner hatte nur 10 Einsendungen. „Kriegtauglichkeit“ wollten 58 Voten. Wo bleibt die Hoffnung? Hier ist sie.

Fußnoten:

1 Deutscher Bundeswehrverband:
https://www.dbwv.de/aktuelle-themen/blickpunkt/beitrag/merz-bei-koerber-stiftung

2 https://dslv-niedersachsen.de/wp-content/uploads/2024/08/Sportunterricht-Brennpunkt-August-2024.pdf

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