Handys beschlagnahmt – wegen Straßenkreide

Die „Schonzeit“ für Klimaaktivist*innen, die es wirklich ernst meinen mit der Umsetzung der Klimaziele und eine kapitalistisch ausgelegte Rechtsordnung praktisch anzukratzen beginnen , scheint sich mit dem Fortschreiten der „Zeitenwende“ und ihren Konsequenzen endgültig dem Ende zuzuneigen. In diesem Monat soll Lützerath für dreckige Braunkohle plattgemacht werden. Den Aktivist*innen wurde inzwischen die Stromversorgung gekappt. Großaufgebote schwerbewaffneter Polizeieinheiten bereiten die Räumung vor. Wir rufen als Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin zur Solidarität mit Lützerath auf und schaffen Öffentlichkeit her. Hier ein Kommentar zur Kriminalisierung von Klimaktivist*innen, der aufzeigt, welche vollkommen absurde Formen diese Kriminaliserung inzwischen annimmt. (Peter Vlatten)

Ein Kommentar von Sahra Barkini, erschienen in den Beobachter News, 31. Dezember 2022 

Die Kriminalisierung von Klimaaktivist*innen nimmt bisweilen bizarre Züge an!

Neustadt/Weinstraße. Dass es Klimaaktivist*innen in diesem Land schwer haben, dürfte inzwischen bekannt sein. Dabei wollen sie eigentlich „nur“ unser aller Lebensraum, die Erde, retten. Dabei zeigen sie der Regierung deren Verfehlungen auf. Aber sie treffen auf aggressive Autofahrer*innen oder Politiker*innen und Medien, die von einer Klima-RAF schwadronieren oder wie CDU-Chef Friedrich Merz fordern, dass sie am besten eingesperrt gehörten, damit sie von der Straße runter sind.

Forderungen mit Bezug auf die Reichsbürger*innen kamen von Merz freilich nicht. Generell hört man auch keine Forderungen mit Bezug auf die inzwischen über 900 mit Haftbefehl gesuchten Neonazis. Neonazis werden in Bayern auch nicht vorsorglich in Präventivgewahrsam gesteckt. Im Gegenteil, es laufen 128 von ihnen trotz Haftbefehls in Bayern frei herum – so viele wie in keinem anderen Bundesland.

Klimaaktivist*innen fordern die Fortsetzung des 9-Euro-Tickets oder Tempo 100 auf Autobahnen. Oder die Erhaltung eines Dorfes. Nämlich Lützeraths, des Ortes, der für die Kapitalinteressen von RWE mit Segen der Grünen abgebaggert werden soll (siehe „Das Dorf am Ende der Welt„). In Neustadt/Weinstraße machten sich Aktivist*innen für den Erhalt Lützeraths stark. Dies taten sie mit Sprühkreide. In den Augen der örtlichen Polizei scheint dies ein schwerwiegendes Verbrechen zu sein, denn den Aktivist*innen wurden Strafbefehle in dreistelliger Höhe angedroht. Straftatbestand: Sachbeschädigung.

Es handelt sich um Kreide, wie sie jedes Kind kennt und wahrscheinlich auch jeder Mensch schon selbst benutzt hat. Also sind wir wohl alle Straftäter*innen und der Sachbeschädigung schuldig, ohne es zu wissen. Kreide hat ja die Angewohnheit, dass sie sehr wasserscheu ist. So passierte es auch in Neustadt/Weinstraße. Es regnete, und die Kreide war weggewaschen. Wahrscheinlich ist Petrus Klimaaktivist.

Eine Freundin kommentierte das folgendermaßen: „Tja, da kam wohl die Reinigungsaktion vom Himmel. Dreistelligen Betrag gespart. Preiset den Herrn!“ Doch was lustig klingt, ist es in Wahrheit nicht. Die „Rheinpfalz“ druckte die Pressemitteilung der Polizei einfach ab – natürlich wie so oft ohne kritisches Hinterfragen. In dieser Pressemitteilung war von eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen gegen Verdächtige der „linksautonomen Szene“ die Rede. Weiter konfiszierte die Polizei die Mobiltelefone der Aktivist*innen. Und das alles nur wegen etwas Kreide.

Das Statement der Aktivist*innen im Wortlaut:

„Kreideaktion – wie es wirklich war

Sicherlich haben Sie sich gefragt, wie die berüchtigten „intensiven Fahndungsmaßnahmen“ rund um das ‚Graffiti‘ in der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember abgelaufen sind.
Laut der Pressemitteilung der Polizei Neustadt, welche ganz genau so auch in der Lokalzeitung ‚Rheinpfalz‘ vom 11. Dezember vorzufinden war, wurden vier Tatverdächtige ermittelt, denen Sachbeschädigung im mittleren dreistelligen Bereich vorgeworfen wird. Alle vier wurden von der Polizei der ‚linksautonomen Szene‘ zugeordnet. Außerdem wurde in der Pressemitteilung das Gender einer tatverdächtigen Person trotz des Vorzeigens eines Ergänzungsausweises falsch angegeben.

Tatsächlich sah die Geschichte etwas anders aus …
Eine Kleingruppe fand sich am Abend des 9. Dezember zusammen, um mit Sprühkreide ihre Solidarität mit dem Dorf Lützerath auf die Straße zu tragen. Vielleicht fragen Sie sich, was es mit Lützerath auf sich hat. Das beschauliche Dorf am Rande des rheinischen Braunkohlereviers soll zugunsten des Konzerns RWE zur weiteren Kohleförderung zerstört und abgebaggert werden. Studien zufolge ist das Abbaggern des Dorfes nicht notwendig, da die Kohle unter Lützerath nicht für die Energiesicherheit benötigt wird, womit der einzige Grund für das Abbaggern entfällt. Außerdem ist erwiesenermaßen das deutsche 1,5-Grad-Ziel mit der Verbrennung der Kohle unter Lützerath nicht mehr erreichbar.

Mutige Aktivist*innen und Anwohner*innen setzen sich seit über zwei Jahren für den Erhalt des Dorfes ein. Mit Lützerath wurde ein Ort der gelebten Solidarität und der freien Entfaltung geschaffen. Die Aktivist*innen der Sprühkreide-Aktion wollten auf die Notwendigkeit des Erhalts des Dorfes Lützerath aufmerksam machen. Als Konsequenz wurden sie nicht nur ermahnt und mit falschen Berichten konfrontiert, sondern die Mobiltelefone aller vier Verdächtigen wurden beschlagnahmt. Zwei der Aktivist*innen haben ihr Handy noch immer nicht zurück bekommen.

Friedlicher Klimaaktivismus darf nicht verfälscht dargestellt und kriminalisiert werden!

‚~ Ein paar Aktivisti aus Neustadt‘

Wir danken Sahra Barkini und der Redaktion Beobachter News für die Publikationsrechte

das Titelbild stammt aus einem Privatfoto, das im betreffenden Artikel unter www.beobachternews.de veröffentlicht wurde.

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