Ein GDL- und ein EVG-Gewerkschafter über Möglichkeiten der Einheit unter den Bahnbeschäftigten
Interview: Simon Zamora Martin
Weil die Deutsche Bahn (DB) Verhandlungsbereitschaft signalisiert, hat die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) den Streik vorzeitig beendet. Zu Recht?
Uwe Krug (GDL): In einem nicht öffentlichen Eckpunktepapier von GDL und Deutscher Bahn steht nicht viel Neues drin, außer, dass über einen Tarifvertrag für Fahrdienstleiter gesprochen wird. Für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit wollen sie uns immer noch zwölf Urlaubstage wegnehmen. Wir haben gestreikt, um unsere Forderungen durchzusetzen. Nicht, damit es eine Schlichtung ohne Schlichter gibt. Wir wissen noch nicht einmal, was da besprochen wird.
Sie kritisieren die Geheimverhandlung?
Krug: Klar. Mit der GDL und der DB ist es wie in einer Ehe: Gibt es Streit zwischen den Partnern, können wir Kinder machen, was wir wollen. Aber wenn die Eltern sich wie jetzt wieder einigen, haben die Kinder still zu sein. Wir sind das Stimm- beziehungsweise Streikvieh für die Verhandlungsleitung der GDL und durften nicht über den Abbruch des Streiks mitbestimmen. Ich gehe von einem Abschluss im März aus, weil es auch sehr schwierig werden wird, nach einer so langen Pause die Streikmaschinerie wieder hochzufahren.
Lars Lux* (EVG): Ich denke, wenn die Bahn Zugeständnisse bei einem Tarifvertrag für Fahrdienstleiter macht, wird die GDL die restlichen Ziele fallen lassen.
Aber gab es bei der GDL nicht eine Urabstimmung für unbefristete Streiks?
Krug: Bei der GDL, aber auch bei der EVG heißt Urabstimmung, dass der Vorstand einen Freibrief bekommt. Er ruft zum Streik auf und bricht ihn ab, wie er will. Wir haben in Berlin viel über ein Streikmodell diskutiert mit zwei Tagen Streik und einem Tag Arbeit. Die Basis hat aber keine Macht, darüber zu entscheiden. Sie darf nur das Ergebnis abnicken.
Sie arbeiten beide für die S-Bahn Berlin, sind aber in zwei Gewerkschaften organisiert und streiken nicht zusammen.
Krug: Wir arbeiten zusammen, gehören aber zu zwei unterschiedlichen DB-Unternehmen. Jetzt spaltet sich die Belegschaft noch mal in unterschiedliche Gewerkschaften. Wir arbeiten zusammen, aber fordern und streiken nicht zusammen. Das ist ein großes Problem.
Lux: Weil wir nie zusammen streiken, kann sich der Bahnvorstand sicher sein, dass es genügend Streikbrecher gibt.
Warum engagieren Sie sich nicht in derselben Gewerkschaft?
Krug: Der Grund für die Existenz der GDL ist, dass Leute hier ihre Interessen besser vertreten sehen. Wir haben unzählige Berufsgruppen bei der Bahn, die alle ihre spezifischen Probleme haben. In der GDL geht es mehr um die Lokführer und Zugbegleiter. Schichtpläne und eine zu lange Arbeitszeit sind hier ein großes Problem. In den Forderungen der GDL bilden sich aber nicht die Interessen anderer Beschäftigungsgruppen ab, bei denen geringe Löhne beispielsweise das größte Problem sind. Forderungen werden bei uns nur mit den Gewerkschaftsmitgliedern diskutiert und nicht mit allen Beschäftigten.
Lux: Das ist wie im Supermarkt: Du nimmst das beste Angebot. Und das ist in vielen Punkten das der GDL. Aber bei mir im Stellwerk ist historisch die Mehrheit bei der EVG. Und die ist gesellschaftspolitisch auch fortschrittlicher, was sie für viele junge Kolleg*innen interessanter macht. Um die Gräben zwischen den Gewerkschaften zu überwinden, haben wir die »Bahnvernetzung« gegründet.
Was ist die »Bahnvernetzung«?
Krug: Wir haben uns vergangenes Jahr gegründet, um einen Austausch unter Beschäftigten über die Grenzen der Gewerkschaften zu fördern. Es gibt so viele klassenbewusste Arbeiter bei der Bahn. Wir engagieren uns für eine klassenkämpferische Perspektive abseits der Sozialpartnerschaft. Wir haben uns zum Beispiel als Eisenbahner gegen den Krieg positioniert. In meiner GDL-Ortsgruppe konnten wir einen Beschluss durchsetzen, Kriegstransporte zu verhindern.
Lux: Wir sind vor allem Bahner*innen aus Berlin und Frankfurt/Main, um unsere Streiks und Kämpfe gegenseitig zu unterstützen und die Gräben zu überwinden, die die Gewerkschaftsführungen zwischen uns ziehen. Ich denke, wir brauchen eine gewerkschaftliche Opposition gegen unsere Führungen, aber dazu gibt es unterschiedliche Standpunkte.
Krug: Es geht um eine Perspektive, nicht um eine Opposition zur GDL oder EVG. Was wir brauchen, ist eine Einheit der Beschäftigten. Die Frage der Organisation kommt danach.
Die GDL wird allgemein als kämpferischer gesehen als die EVG. Stimmt das?
Krug: Klar streikt die kleine GDL mehr als die EVG, die ganz im Geiste der Sozialpartnerschaft lieber leise mit der Bahn verhandelt. Claus Weselsky ist wegen seiner direkten Sprache sehr beliebt. Etwa, wenn er vom Bahnvorstand als »Nieten in Nadelstreifen« spricht. Aber letztendlich ist das eine populistische Sozialpartnerschaft.
Lux: Der »große Claus« kritisierte zu Recht scharf, dass sich der Bahnvorstand in der Pandemie dicke Prämien auszahlte, während wir auf Lohnerhöhungen verzichten mussten. Aber jetzt kam heraus, dass sein potenzieller Nachfolger, Mario Reiß, im Aufsichtsrat für die Prämien der Vorstände stimmte.
Gibt sich die GDL radikaler, als sie eigentlich ist?
Krug: Weselsky benennt das Problem, warum unsere Bahn so kaputt gemacht wurde: die Kürzungen und Privatisierungen.
Lux: Andererseits treibt er die Privatisierungen selber voran. Mehr Privatbahnen sind mehr Tarifpartner für die GDL.
Krug: Und jetzt hat die GDL mit »Fairtrain« sogar ein eigenes Bahnunternehmen gegründet.
Wie groß ist das Problem des Personalmangels?
Lux: Ohne die ganzen Bahn-Nerds sähe die Situation noch viel schlimmer aus. Wir haben Personalmangel in allen Bereichen. Die Arbeit ist stressig und die Ausbildungsqualität lässt sehr zu wünschen übrig.
Krug: Ich verstehe auch nicht, wie junge Menschen heute noch Fahrdienstleiter werden. Der Altersdurchschnitt bei der Bahn liegt bei über 50. Aufgrund des Stresses schaffen es die wenigsten im Fahrdienst bis zur Rente. Deshalb ist eine Verkürzung der Arbeitszeit so wichtig für uns.
*der Name ist auf Wunsch geändert.
Foto: Privat
Uwe Krug (li.), unter Bahnern als der »rote Uwe« bekannt, arbeitet seit 38 Jahren bei der Bahn und engagiert sich seit 2007 in der GDL. Er ist Vorsitzender der GDL-Ortsgruppe »S-Bahn Berlin«.
Lars Lux* (re.) ist seit sieben Jahren Fahrdienstleiter bei der Netzsparte der DB und in der EVG-Jugend aktiv.
Erstveröffentlicht im nd vom 29.1. 2024
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Wir danken für das Publikationsrecht.