Von Heidemarie Schroeder
Bild: IG Metall
Vor zweieinhalb Jahren wurde bei Tesla in Grünheide der Produktionsbetrieb aufgenommen; die Arbeitsbedingungen im Werk gerieten seitdem nicht aus den Schlagzeilen. Dabei dringt nur nach außen, was nicht nach außen dringen soll, denn Transparenz, auch die Arbeitsbedingungen betreffend, ist nicht die Eigenschaft, durch die Tesla in der Vergangenheit aufgefallen wäre.
Das wurde auch während einer Veranstaltung klar, die die Heinrich-Böll-Stiftung am 24.Oktober 2024 unter der Überschrift „Solidarität (un)möglich? – Arbeitsbedingungen und Organisation in der Tesla-Fabrik“ durchführte: Keiner kommt rein, um Beobachtungen anzustellen, und es dringt auch nur sehr wenig nach außen.
Seit längerem ist bekannt, dass Bewerber um eine Anstellung bei Tesla gleichzeitig mit dem Arbeitsvertrag umfangreiche Geheimhaltungsklauseln zu unterschreiben haben. Wir machten vor einem halben Jahr auf dem Bahnsteig in Fangschleuse, auf dem Tesla-Pendler aus Berlin anreisen, eine Beobachtung, die das untermauert. Wir begleiteten an diesem Tag Mitarbeiter der IG Metall, die vor den Betriebsratswahlen im März Flyer auf dem Bahnsteig an die anreisenden Teslarianer verteilten. Uns fiel auf, dass die Arbeiter eher keine Flyer nahmen, wenn sie sich in grossen Gruppen bewegten. Nachzügler, die nur zu zweit oder zu dritt gelaufen kamen, nahmen die Flyer hingegen entgegen.
Wir bekamen dadurch den Eindruck, dass die Mitarbeiter Teslas lieber keine Offenheit gegenüber der IG Metall zeigten, wenn sie nicht wussten, wer neben ihnen lief. Liefen sie mit Kollegen, die ihnen bekannt waren, riskierten sie es, einen Flyer anzunehmen.
Von Elon Musk ist bekannt, dass er die „Idee“ von Gewerkschaften nicht mag, da sie „Negativität“ und „feindselige Beziehungen“ in Unternehmen schürten. In seinen Werkshallen würde im übrigen ein so guter „vibe“ herrschen, dass man derartige Interessenvertreter nicht nötig hätte.
Die IGM hat dennoch bei der letzten Betriebsratswahl Boden gut machen können, obwohl ihr zahlreiche Steine in den Weg gelegt worden waren. So wurde der Termin zur Betriebsratswahl nur zehn Tage nach einer 14tägigen Werksschliessung anberaumt, was es den Kandidaten erschwerte, die für eine Kandidatur notwendigen 50 Unterschriften zu sammeln. Aktive wurden unter Druck gesetzt oder bekamen Beförderungen versprochen, wenn sie sich von der IGM-Liste wieder streichen lassen würden.
Mitte Oktober 2024 wurde bereits das zweite Mal einem Betriebsratsmitglied der IG Metall gekündigt. In ihrer Pressemitteilung urteilt die Gewerkschaft, dass damit „das aggressive Vorgehen von Tesla gegen den Einsatz für bessere Arbeits-bedingungen den nächsten Höhepunkt“ erreicht hätte.
Der Kampf der Gewerkschaft widmet sich hauptsächlich dem bei Tesla herrschenden hohen Leistungsdruck. Nicht nur sind die einzelnen Arbeitsschritte zu eng getaktet, auch werden regelmässig Überstunden gefordert, gibt es zu wenige Erholungsphasen, folgen Frühschichten auf Nachtschichten. Diese hohe Arbeitsbelastung wird auch als ursächlich für die bei Tesla üblichen hohen Krankenstände angesehen.
Druck auf die Leiharbeiter
Ein Investigativteam der Zeitschrift „Stern“ konnte zwei Journalistinnen ins Werk schleusen, die nicht nur den hohen Zeitdruck und die langen Wochenarbeitszeiten bestätigten, sondern auch einen nur sehr unzureichenden Arbeitsschutz konstatierten, der ursächlich für die häufigen Betriebsunfälle sein könnte.
Die Werksleitung begegnet derartigen Berichten jedoch nicht, indem sie Sorge trägt, den Arbeitsdruck zu vermindern, sondern sie erhöht den Druck auf ihre Mitarbeiter. Werksleiter André Thierig rügte auf einer Betriebsversammlung im Jahre 2023 Mitarbeiter, die auf Kosten ihrer Kollegen krankfeiern würden. „Wir werden das nicht dulden, dass manche sich den Rücken krumm buckeln für andere, die einfach keinen Bock haben, zur Arbeit zu kommen“, zitierte ihn das „Handelsblatt“. Nachdem im Monat August der Krankenstand 17 Prozent erreicht hatte, stattete Thierig zusammen mit einem anderen leitenden Mitarbeiter den Erkrankten einen Hausbesuch ab um zu kontrollieren, ob sie eventuell nur krank feiern würden. Gleichzeitig wurde 500 Leiharbeitern, die nur sehr selten oder nie krank sind, in Aussicht gestellt, sie auf feste Stellen zu übernehmen.
Der Druck auf Leiharbeiter, nicht negativ durch Krankschriften aufzufallen, ist noch einmal grösser als der auf die anderen Mitarbeiter, da sie sich bei Rückkehr in die Fabrik leicht ausgesperrt finden können. Und die anderen werden dieses Angebot nicht als die gewünschte Aussicht auf eine Entlastung interpretieren, sondern als Fingerzeig, wie schnell ersetzbar sie sein können.
Die Fluktuation der Arbeitnehmer bei Tesla ist zudem generell extrem hoch – ein „Hire and Fire“ scheint zu Teslas Geschäftsmodell zu gehören. Interessanterweise hat Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach für all dies keinen anderen Kommentar übrig als den: die Menschen würden mit den Füssen abstimmen, wenn die Arbeitsbedingungen bei Tesla so mies wären, wie es berichtet wird. Selbstverständlich tun die Menschen das auch, aber nur die, die als gefragte spezialisierte Facharbeiter keine Probleme damit haben, bei einem anderen Arbeitgeber sofort und zu besseren Bedingungen eine Wiederanstellung zu finden. Die Menschen aber, die aus allen Ländern der Welt – Tesla rühmt sich, Menschen aus 150 Nationen in seinen Werkshallen zu beschäftigen – in Berlin eine Heimat suchen, weil in ihren Heimatländern Krieg oder andere Not herrscht, haben diese Wahl nicht. Es handelt sich bei ihnen zum grossen Teil um unqualifizierte Arbeitskräfte, die die deutsche Sprache nicht oder kaum beherrschen und für die Tesla oft das erste und einzige Jobangebot darstellt, das sie seit ihrer Ankunft in der Hauptstadt Deutschlands erhalten haben.
Mit einigen von ihnen sprachen wir, als sie nach ihrer Schicht mit dem Regionalzug zurück in die Stadt fuhren. Für sie stellt der Lohn bei Tesla, obwohl er ca. 20 Prozent unter dem Branchendurchschnitt liegt, noch immer ein gutes Angebot dar. Die IG Metall weiss zu berichten, dass es in Berlin sehr viel mehr prekäre Arbeitsverhältnisse gibt, als mancher bei uns in Grünheide es sich vorstellen kann. Da die Arbeiter mit einem festen Arbeitsvertrag den Nachweis erbringen können, dass sie auf keine staatliche Unterstützung angewiesen sind, kann das den Unterschied zwischen Bleibeperspektive und Abschiebung bedeuten, berichteten etliche von ihnen.
Dass der Brandenburger Wirtschaftsminister diese Hintergründe nicht zu kennen vorgibt, ist ein Armutszeugnis für ihn. Entweder ist er eine Fehlbesetzung auf seinem Posten oder er kennte die Hintergründe doch und spielt nur den Erstaunten. Die „Freundschaft“ mit Tesla-Eigner Elon Musk ist ihm nach wie vor mehr wert als gute Arbeitsbedingungen bei dem inzwischen größten Arbeitgeber seines Bundeslandes.
Die Autorin ist Mitglied der Bürgerinitiativen Grünheide und der Wassertafel Berlin Brandenburg sowie der Naturschutzorganisation Grüne Liga.
Erstveröffentlicht in der SoZ (Sozialistische Zeitung) 12/2024
https://www.sozonline.de/
Wir danken für das Publikationsrecht.