Ein Jahr Streik bei Tesla in Schweden

Der lange Kampf für einen Tarifvertrag zeigt noch keinen Erfolg

Bild: IF Metall
Text: Ich unterstütze Tesla-Mitarbeiter im Kampf für Tarifverhandlungen

Am 27. Oktober ist der seit hundert Jahren längste Streik in Schweden in sein zweites Jahr getreten. Der Konflikt zwischen der Gewerkschaft IF Metall und dem Tesla-Konzern ist zu einem Thema geworden, das weit über die mehrere hundert direkt betroffenen Automechaniker hinausgeht.

Lars Henriksson, ehemals langjähriger Volvo-Arbeiter und seit 45 Jahren aktives Mitglied von IF Metall, hat die Situation und die Herausforderungen für die Gewerkschaft in der schwedischen Online-Zeitung Internationalen zusammengefasst.

Am 27.10.24 wird der längste Streik in Schweden seit einem Jahrhundert in sein zweites Jahr eintreten. Der Konflikt zwischen IF Metall und Tesla hat auch Gewerkschaften in Norwegen, Dänemark und Finnland einbezogen, die Lieferungen blockieren. Schwedische Einzelgewerkschaften, darunter Fastighets, Elektrikerna, Kommunal, Byggnads, Målarförbundet und Seko, haben diverse nachgeordnete Bereiche von Tesla blockiert, der Konzern hat selbst keinen Produktionsbetrieb in Schweden. Die Musikergewerkschaft hat sogar verhindert, dass Musik in Tesla-Autos gespielt wird! Auch die Gewerkschaften ST und Unionen haben sich der Solidaritätsbewegung angeschlossen und zu Blockaden aufgerufen.

Doch das Hauptziel des Streiks – Tesla die Einnahmen abzuschneiden – wurde nicht vollständig erreicht. Schon vor Streikbeginn hatte Tesla angekündigt, Streikbrecher einzusetzen, was der Konzern auch gemacht hat. Das schwächste Glied im Tesla-Streik sind ironischerweise die Angestellten selbst, die die eigentliche Stärke der Gewerkschaft ausmachen.

Schlechte Beteiligung

Von den etwa 120 Personen, die von IF Metall zum Arbeitskampf aufgerufen wurden, sind bei weitem nicht alle dem Streik beigetreten. Laut Statistik des National Mediation Office haben im zurückliegenden Jahr lediglich 44 Personen gestreikt, etwas mehr als ein Drittel der Belegschaft. Viele Beschäftigte sind nicht gewerkschaftlich organisiert, einige IF-Metall-Mitglieder entschieden sich aus verschiedenen Gründen gegen eine Teilnahme und wurden aus der Gewerkschaft ausgeschlossen. Darüber hinaus wurden Beschäftigte von der Unternehmensleitung stark unter Druck gesetzt; in einigen Fällen hing sogar die Aufenthaltsgenehmigung von der Beschäftigung ab.

@FT:Ein Teil des Problems liegt auch in der internen Arbeitsweise der Gewerkschaft. IF-Metall-Vorsitzende Marie Nilsson sagte in einem Interview mit der Zeitung <I>Dagens Nyheter<I> im Februar, dass „wir niemals gestreikt hätten, wenn wir nicht geglaubt hätten, dass wir eine Mehrheit der Mitglieder mit ins Boot bekommen würden“. In einer Gewerkschaft, die auf Mitgliederaktivität und demokratische Führung setzt, wäre dies kaum überraschend gekommen – die Führung hätte die Haltung der Mitglieder vorher kennen und ihre Strategie darauf anpassen können.

Beide Konfliktparteien stehen derzeit nicht unter direktem Druck. Die Streikkasse von IF Metall ist seit 1980 kaum angetastet und könnte die Streikenden unbegrenzt unterstützen. Auch Tesla leidet nicht besonders, solange der Betrieb aufrechterhalten wird. Dennoch steht viel auf dem Spiel. Selbst wenn Teslas extrem gewerkschaftsfeindliche Haltung hauptsächlich auf den Vorstand um Elon Musk und Großaktionäre zurückzuführen ist, verschafft der schwache gewerkschaftliche Organisationsgrad Tesla einen Wettbewerbsvorteil und bedroht alle Beschäftigten. Ein Sieg von IF Metall würde hingegen Gewerkschaften weltweit, die ebenfalls versuchen, sich bei Tesla zu verankern, Rückenwind verschaffen – insbesondere der IG Metall im Brandenburger Großbetrieb Grünheide sowie der amerikanischen UAW, die Teslas kalifornische Fabrik auf ihre Liste der zu organisierenden Betriebe gesetzt hat.

Mehr Internationaler Druck nötig

Das schwedische Tochterunternehmen von Tesla, TM Sweden, stellt nur einen kleinen Teil von Musks Imperium dar und könnte angewiesen werden, seine gewerkschaftsfeindliche Haltung aufrechtzuerhalten, selbst wenn dies schwierig und kostspielig ist. Für IF Metall hingegen ist die Lage langfristig schwieriger: Die Facharbeiter, die heute bei Tesla streiken, haben kaum Schwierigkeiten, einen anderen Arbeitsplatz zu finden und müssen arbeiten, um ihre Qualifikation aufrechtzuerhalten. Obwohl im Laufe des Jahres einige neue Streikende hinzugekommen sind – darunter Personen, die zuvor ausgeschlossen wurden –, besteht die Gefahr, dass einzelne Beschäftigte müde werden und den Arbeitsplatz wechseln, wenn nicht bald eine Lösung in Aussicht steht.

Eine Option für Tesla könnte sein, das Modell von Amazon zu übernehmen und alle Angestellten bei einem formal unabhängigen Unternehmen anzustellen, das eine Vereinbarung mit der schwedischen Gewerkschaft trifft. Doch bislang hat Tesla all diese und weitere von den Vermittlern vorgeschlagenen Lösungen abgelehnt.

Die Zukunft liegt daher in den Händen der schwedischen Gewerkschaftsbewegung. Stärkerer Druck ist notwendig. Der effektivste Weg dazu wäre eine internationale Offensive gegen Tesla, in der sich Gewerkschaften aus verschiedenen Ländern zusammenschließen, um Vereinbarungen zu erzwingen und Streikwillige zu unterstützen. Ein solches Bündnis würde jedoch einen Bruch mit der oft nationalen Sichtweise von IF Metall und anderen Gewerkschaften erfordern, die die Wettbewerbsfähigkeit „ihrer“ Unternehmen höher einstufen als internationale Solidarität.

Auch in Schweden könnte der Streik zum Erfolg führen – vorausgesetzt, Tesla spürt ernsthaften Druck. Die Geschäfte des Unternehmens müssen so stark beeinträchtigt werden, dass der Absatz leidet, was eine Eskalation des Konflikts erfordert. Um neue Wege zu finden, den Betrieb zu behindern und Tesla zu blockieren, muss das Fachwissen der verschiedenen Gewerkschaftsmitglieder eingebracht werden.

IF Metall zu zahm

Die Abwehr von Streikbrechern ist eine der zentralen und schwierigsten Aufgaben der Gewerkschaft. Es gilt, streikende Mitglieder zum Durchhalten zu motivieren und Streikbrecher zu stoppen. Während des Streiks haben Gewerkschaftsaktivisten an Tesla-Standorten Tag für Tag Streikposten aufgestellt. Doch laut dem Wörterbuch der Schwedischen Akademie ist ein Streikposten „eine Wache, die den Streik aufrechterhalten soll (um Streikbrecher fernzuhalten)“. Wenn Streikbrecher den Betrieb dennoch fortsetzen und die Wachen nichts dagegen unternehmen, sind das dann wirklich Streikposten?

Es war wichtig, dass Gewerkschaftsaktivisten vor Tesla präsent waren, um den Fortgang des Streits zu signalisieren und weitere Beschäftigte zur Teilnahme zu bewegen. Doch das hat den Streikbruch nicht gestoppt. Auf die Frage der Zeitung <I>Arbetet<I> im August, ob IF Metall gegen das Unternehmen vorgehen könne, wenn es Streikbrecher einsetze, sagte der stellvertretende Sekretär Simon Petersson: „Nein, es steht jedem frei, den Streik zu brechen.“ Er fügte hinzu, dass er „von allen Arbeitgebern erwarte, das schwedische Modell zu respektieren, das Streikbruch verurteilt“.

Das Problem ist, dass Tesla dies eben nicht respektiert. Sollte die Gewerkschaft besser aufhören, Respekt zu erwarten und stattdessen wirksamere Taktiken anwenden?

Eine Gruppe von Veteranen verschiedener Gewerkschaften, die sich „Promenaden gegen Streikbruch“ nennen, ist wütend auf Tesla und die zahme Vorgehensweise von IF Metall. Sie sind selbstständig vor Tesla aufgetreten und haben den Betrieb so sehr gestört, dass mehrfach die Polizei gerufen wurde. Kürzlich forderten sie in einem offenen Brief, dass „IF Metall allein nicht die nötigen Mittel und Kapazitäten besitzt, um den Konflikt erfolgreich zu beenden. Deshalb sind nun eine umfassende Mobilisierung und neue offensive Schritte seitens LO (schwedischer Gewerkschaftsbund) und dessen Gewerkschaften erforderlich.“ Diesem Appell kann man sich nur anschließen.

Im Dezember letzten Jahres schrieb IF Metall-Präsidentin Marie Nilsson einen freundlichen Brief an den Tesla-Vorstand Elon Musk und betonte, dass „viele schwedische Arbeitgeber bestätigen können, dass IF Metall eine konstruktive und lösungsorientierte Gewerkschaft ist“. Als Musk auch nach 46 Tagen nicht geantwortet hatte, fragte Dagens Nyheter, ob Nilsson meine, ein freundlicher Brief sei der richtige Ansatz und ob es nicht eine deutlichere Botschaft brauche. Nilsson lächelte und antwortete: „Vielleicht ist das die nächste Phase“.

Inzwischen sind 279 Tage vergangen und Musk hat immer noch nicht geantwortet. Es ist höchste Zeit für die nächste Phase.

Entnommen aus der SoZ (Sozialistische Zeitung) 12(2024
https://www.sozonline.de/

Wir danken für das Publikationsrecht.

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