Red Storm Bravo und das Arbeitssicherstellungsgesetz – Rede von Kirsten Rautenstrauch*
Der Masterplan heißt „Kriegsfähigkeit“. Nicht nur in den militärischen Strukturen – auf den institutionellen Ebenen der Exekutive und auch in den Einrichtungen der Daseinsfürsorge, im Transportwesen, der Arbeitsvermittlung bis in die Medien – wird der sog „Enstfall“ vorbereitet und geprobt. Es rückt den Beschäftigten sozusagen immer stärker auf den Leib. Hier berichtet eine Krankenschwester und ver.di-Kollegin, was das paktisch bedeutet. (Jochen Gester)
Bild: Screenshot SAT 1 Bayern-Video
ch möchte mit der aktuellen Situation in den Krankenhäusern starten.
Die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet in Teilzeit, weil die physische und psychische Belastung kontinuierlich zu hoch ist. Oft ist nur eine Pflegefachkraft für 30 Patient:innen zuständig; hinzu kommt, dass Pflegehilfskräfte, Praktikant:innen und Azubis koordiniert werden müssen – da ist die Verantwortung so hoch, dass viele Kolleg:innen kündigen.
Mehrmals pro Woche wird man zu Hause angerufen, ob man einspringt. Damit es überhaupt noch jemand macht, zahlen die Arbeitgeber teilweise einige hundert Euro für eine Schicht zusätzlich zum Lohn! Und trotzdem müssen regelmäßig Stationen übers Wochenende geschlossen werden.
Es arbeiten auch sehr viele Kolleg:innen mit Migrationshintergrund im pflegerischen und ärztlichen Bereich. Sie kommen zum Teil aus Kriegsgebieten oder mussten ihre Heimat verlassen, häufig weil sie verfolgt wurden.
Während der Corona-Pandemie wurde von Jens Spahn, er war damals Gesundheitsminister, ermöglicht, dass auf den Covid-Stationen die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden erhöht werden kann. Das ging nur mit Zustimmung der Betriebsräte. Die Kolleg:innen haben uns damals eindringlich gesagt, dass wir dem in keinem Fall zustimmen sollen! Wir arbeiteten den ganzen Tag körperlich schwer, mit Handschuhen, Schutzkitteln – wir schwitzen und atmen unentwegt gegen FFP2-Masken.
Hinzu kommt die psychische Belastung angesichts der vielen Notsituationen. Da ist man nach fünf Stunden so fertig, als hätte man acht Stunden gearbeitet. Zusätzlich die unbekannten Krankheitsbilder, Komplikationen und immer wieder die schwierige Entscheidung, ob Patient:innen auf die Intensivstation kommen sollen oder nicht. Da wird einem deutlich, wie wenig sich manche Arbeitgebervertreter mit der Arbeitsbelastung befassen.
Dann gibt es noch regelmäßig Übungen in den Kliniken, bei denen das Vorgehen bei Großschadensereignissen geübt und überarbeitet wird – MANV nennt sich das, Massenanfall von Verletzten. Es geht dabei um Situationen wie eine Massenschlägerei im Stadion, einen Großbrand oder große Unfälle im Hafen. Das wären Ereignisse, bei denen man ein bis drei Schichten unter maximalem Stress arbeiten würde – aber dann geht es wieder in den normalen Arbeitsalltag.
Soweit der kurze Blick zurück und auf die aktuelle Situation.
Momentan wird das gerne gleichgesetzt mit der Bundeswehrübung »Red Storm Bravo« – aber das ist nicht vergleichbar. Jetzt und hier geht es um etwas ganz anderes, was nichts mit dem eben Gesagten zu tun hat. Hier geht es um Krieg! Da werden wir es mit einem uns unvorstellbaren Ausmaß an Verletzungen zu tun kriegen.
Hier geht es um eine gesetzliche Grundlage, wie wir zu Wehrpflichtigen gemacht werden können, die Betonung liegt auf Pflicht.
Seit ich das Gesetz vor einiger Zeit gelesen habe, habe ich manche Stunde wach gelegen, weil ich es für eine bodenlose Sauerei halte, dass es weder den betroffenen Beschäftigten noch der Bevölkerung transparent bekannt gemacht wird. So wird uns (wahrscheinlich bewusst) die Möglichkeit genommen, uns damit auseinanderzusetzen, kritisch zu diskutieren, uns zu wehren oder in den Widerstand zu begeben.
Dieses Gesetz heißt: »Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung«, kurz: Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG). Es wurde 1968 im Rahmen der Notstandsgesetze erlassen, in der gegenwärtigen Situation gewinnt es wieder an Aktualität. Im Ernstfall wären davon sehr viel Kolleg:innen betroffen – nicht nur in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, sondern z.B. auch im Hafen, in den Verkehrsbetrieben für Personen und Güter, bei Post und Telekommunikation, in Ernährungsunternehmen, beim Flughafen, in der IT, im Wasser- und Energiebereich. So steht es in Paragraph 4.
Wer sich nicht freiwillig zur Verfügung stellt, wird zum Kriegsdienst – im Gesetz wird es Arbeitspflicht genannt –, verpflichtet. Neinsagen ist nicht mehr, die Persönlichkeitsrechte nach dem Grundgesetz werden laut Paragraph 39 massiv eingeschränkt. Ich kann z.B. mein Arbeitsverhältnis nicht kündigen, ohne dass die Agentur für Arbeit dem zustimmt, heißt es in Paragraph 7.
Die Agentur für Arbeit heißt dann übrigens Verpflichtungsbehörde, sie entscheidet, ob der mir zugewiesene Arbeitsplatz für mich zumutbar ist (Paragraph 12), ob der Einsatzort meinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten entspricht. Sie kann auch eine ärztliche körperliche und geistige Untersuchung anordnen, um meine Tauglichkeit zu prüfen (Paragraph 25) und sie kann mich zu Ausbildungsveranstaltungen verpflichten (Paragraph 29).
Dann gibt es noch eine Koordinierungsmöglichkeit auf Bundesebene, es kann mir also auch noch passieren, dass ich morgen in eine andere Stadt muss (Paragraph 34). Wenn alle Betten belegt sind und nur eine Pflegekraft für x Patienten da ist, wie will man dann noch jemanden woanders hinschicken? Und wenn ich mich gegen all das wehre, droht mir eine Geldstrafe oder gar eine Freiheitsstrafe nach Paragraph 32.
Auch Betriebs- und Personalräte bekommen eine unschöne Rolle. Die Arbeitgeber müssen sie über den Kreis der Betroffenen, die verpflichtet werden können, unterrichten (Paragraph 24). Mit dieser Unterrichtung kannst du dir als Betriebsrat das Klo tapezieren, es ist ein stumpfes Schwert. Du hast nur die Möglichkeit zu überprüfen, ob die Betroffenen, die der Arbeitgeber meldet, mit dem Gesetz übereinstimmen, kannst aber nicht verhindern, dass Kolleg:innen zur Wehrpflicht herangezogen werden.
Als die Medien über die Bundeswehrübung und die Beteiligung der Agentur für Arbeit berichtet haben, habe ich mich gefragt: Warum die Agentur für Arbeit? Und nirgends war zu hören oder zu lesen, warum sie. Nun ist mir klar: Im Notstand wird sie eine »Verpflichtungsbehörde«.
Niemand kann aus irgendwelchen Akten ersehen, wie meine persönlichen Lebensumstände sind. Ist mein Partner auch im Schichtdienst? Gibt es gesundheitliche Einschränkungen? Bin ich alleinerziehend? Wie sind die Kinder untergebracht? Gibt es jemanden, den ich noch versorge (etwa eine Nachbarin, weil die Pflegedienste wegen Personalmangel keine Patient:innen mehr annehmen)?
Jemand, der sich in jüngeren Jahren für die Bundeswehr entscheidet, der plant sein Familienleben entsprechend völlig anders, die Familie geht mit und ist von Anfang an darauf eingestellt. Das ist nicht einfach mal so übertragbar.
Was uns im Krieg in den Kliniken erwartet, haben wir nie erlebt – abgerissene Gliedmaßen, zerfetzte Gesichter, offene Bäuche, aus denen der Darm hervortritt, schwere Verbrennungen bei Kindern, Männern, Frauen; junge und alte Menschen, die Schreien vor Schmerzen. Vielleicht kommen auch Menschen mit ihren schwer verletzten Haustieren. Wir haben kein Personal, Medikamente können schon jetzt manchmal nicht geliefert werden.
Du kommst nach solchen Erlebnissen inklusive drei Überstunden nach Hause und Deine Kinder begrüßen dich mit den Worten: Warum kommst du so spät? Du hattest uns doch heute versprochen, ein Eis mitzubringen… Und du kannst nur noch heulen.
In der Agentur für Arbeit sind schon lange viele Stellen nicht nachbesetzt worden – kein Geld für Personal, schlechte Haushaltslage etc. Der Rückstau ist enorm. Wie sollen die qualifiziert werden, welchem Druck und welcher Verantwortung werden sie ausgesetzt sein? Können die sich wenigstens ungestraft wehren?
Und dann stellt sich auch noch ein unqualifizierter Bundeswehrkommandeur oder -general hin und meint, verletzte Soldaten haben Vorrang – nein, das ist nicht so, das entscheiden Behandlungsteams nach medizinischer Dringlichkeit. Es war zu lesen, dass ein Blinddarmpatient kein Notfall sei, das stimmt auch nicht. Stellen sie sich vor, der Blinddarm ist perforiert, dann läuft Dir die Scheiße in den Bauchraum, das kann schnell gehen. Wenn Führungskräfte bei der Bundeswehr solche unmenschlichen, spalterischen Dinge behaupten, dann hoffe ich, dass es einige Soldaten besser wissen!
Oder ist etwa ein Gesetz geplant, das die Behandlung regeln soll? Ich kann mir nicht vorstellen, dass in der heutigen Zeit ein Arzt einem Gesetz Folge leisten würde, das besagt, dass ein Soldat mit zwei gebrochenen Fingern Vorrang bekäme vor einem lebensgefährlich Verletzten aus der Zivilbevölkerung.
In allen Betrieben fehlt es an Personal, es werden Überstunden geschrubbt, es wird nicht in Bildung investiert, die gesamte Gesundheitsbranche ist im Grunde zusammengebrochen. Es wird immer behauptet, es wäre kein Geld da – doch, ist es, aber es geht in Rüstung, Krieg und Bundeswehr. Aber ohne Hinterbau wird nichts klappen können.
Ich glaube, was hier, auf diese Art und Weise, gemacht wird, lädt mich und viele andere nicht zu konstruktivem Denken ein, sondern treibt mich in den Widerstand. Ich werde mich aus Gewissensgründen auf keinen Fall der Befehlsgewalt der Bundeswehr unterordnen.
Wir wollen allen Menschen die medizinische Versorgung ermöglichen, die sie individuell benötigen. Gesundheit muss für alle sicher sein, Kriegsmedizin lehne ich ab.
* Kirsten Rautenstrauch ist beschäftigt als Krankenschwester und Stationsleitung in einem Hamburger Krankenhaus. Sie ist ehemalige Betriebsrätin und Mitglied bei ver.di.
Erstveröffentlicht in der Zeitung „express“ Nr. 9/10 2025
https://www.express-afp.info/
Wir danken für das Publikationsrecht.